Das Brakteaten-Märchen der Freiwirte
Geschrieben von Dr. Paul C. Martin am 04. Juni 2000 10:12:14; im Diskussionsforum
http://f7.parsimony.net/forum8520/index.htm
Liebe Pro- und Contra-Freunde!
Zu den Glaubenssätzen der Freiwirte zählt auch die Geschichte der Brakteaten, einem Schwundgeld aus dem Mittelalter (MA). Sie ist sozusagen ein vorweggenommenes Wörgl und geht kurz gefaßt so:
Es gab im MA weitsichtige Herrscher, die ihre Münzen für deren Ausgabe sie das Monopol hatten, in dem Sinne, dass sie diese Münzen als einzig zulässiges Zahlungsmittel erklären konnten, in regelmäßigen Abständen "verriefen", also für ungültig erklärten. Dabei geschah dann in etwa folgendes: In bestimmten Zeiträumen mussten die alten Münzen gegen neue umgetauscht werden. Die neuen Münzen hatten zwar das selbe Gewicht und Feingehalt, aber unterschieden sich im Münzbild wesentlich von den vorangegangenen. Hinfort "galten" nur die neuen Münzen, die alten durften für den Zahlungsverkehr nicht mehr verwendet werden.
Der Clou der Sache war der Umtausch der alten gegen die neuen Münzen. Gegen eine bestimmte Anzahl alter gab es erheblich weniger neue Münzen. Damit wurden die Menschen gezwungen, die alten Münzen möglichst rasch auszugeben, was auf eine "Umlaufsicherung" des Geldes hinausläuft. Denn jeder versuchte, möglichst schnell noch die alten Münzen auszugeben, um eine entsprechende Minderung seines Barvermögens zu vermeiden. Mit diesen System wurde die Umlaufgeschwindigkeit der Münzen natürlich gewaltig gesteigert und das Geld floss schneller von einer Hand in die andere. Mit Hilfe dieses Tricks soll es möglich gewesen sein, die großartigen kulturellen Leistungen des MA zu "finanzieren", z.B. den uns bis heute in Erstaunen versetzenden Sakralbau.
Nun zu den ökonomischen Aspekten.
1. Wie schon bei Cahn steht, sind die Brakteaten nur einem sehr kleinen Wirtschaftsraum zuzurechnen. Schwerpunkte Thüringen, Niedersachsen, Magdeburg, Halle, Halberstadt, Lausitz, Meißen usw. Im süddeutschen Raum gibt es nur einen Bereich im Viereck Augsburg, Ulm,. Basel, Bern. Die dortigen Stücke sind erheblich kleiner als etwa die Magdeburger (Wichmann). Im späteren MA bleiben sie noch als eine Art Scheidemünze erhalten, auch im Rheinland, der Pfalz und dem Elsaß.
Damit ist natürlich nur etwa höchstens ein Zehntel des Gebietes abgedeckt, in dem sich die mittelalterliche Kultur und Wirtschaft abgespielt hat. Völlig fehlen die mit nicht minder grandioser Sakralbaukunst aufwartenden Gebiete Italien, Nordspanien, Frankreich und vor allem England, wo es ca. zwei Millionen Einwohner innerhalb kürzester Zeit fertig brachten, mehr als 40 der großartigsten Bauwerke zu "stemmen" (vgl. aus der zahllosen Literatur u.a. bloß Toman/Bednorz, Die Kunst der Romanik, 1996 mit den Karten S. 463 ff.; Kubach, Architektur der Romanik, 1974 ("Im alten Europa sind uns Zehntausende von romanischen Bauwerken erhalten"); Platt/Kersting, The Architecture of Medieval Britain, 1990). In diesen Bereichen kann also kein "umlaufgesichertes" Geld in der bei Wichmann angenommenen Art existiert und seine segensreiche Wirkung erzielt haben.
Die Geschichte der Brakteaten als eines "flächendeckenden" Geldsystem des MA ist nicht zu halten.
2. Der Zeitraum, in dem die Brakteaten in ihren unstreitigen Kerngebieten existiert haben, umfasste gerade mal 70 Jahrem (1130-1200), nicht die "300 Jahre", von denen in Freiwirte-Kreisen immer gefaselt wird. Nehmen wir das Wichmann-Modell, dann sind wir gerade mal bei 40 Jahren. Nehmen wir nun - laut obiger Quelle, die hier nicht näher untersucht werden soll - die zweimal im Jahr erfolgte Münzumstellung, so kommen wir zu bis zu 80 solcher "Umlaufsicherungen". Da jedesmal 25 Prozent Abschlag erfolgt, kann folgendes überschlägig berechnet werden: Nach drei Umstellungen (18 Monaten) war das Geld nur noch die Hälfte wert. Nach weiteren drei nur noch ein Viertel, nach weiteren drei noch 12,5 %, nach weiteren drei nur noch 6,75 %, dann 3,3 %, dann 1,7 %, dann 0,8 %. Also war Wichmanns Umlaufssicherung so gewaltig, dass den Bürgern das bei Wichmanns Amtsantritt zu 100 notierende Geld bereits nach zehn Jahren seiner Amtszeit auf ca. 1 % geschrumpft war.
Damit - sofern die Geschichte mit den Münzverrufungen tatsächlich stimmt - handelt es sich bei Wichmann um eine klassische Hyperinflation und nicht etwa um eine Optimierung bzw. Verstetigung des Geldumlaufs.
3. Der Grund, eine Hyperinflation zu veranstalten, vorausgesetzt, sie wird von der Bevölkerung überhaupt akzeptiert, kann nur in einer ex ante bestehenden Überschuldung der das monetäre System bedienenden Autorität haben. Und siehe da wir lesen: "Der außerordentliche Geldbedarf Wichmanns, hervorgerufen durch die Ostsiedlung, seine Beteiligung an der Italienpolitik Friedrichs I. und, namentlich 1179-1181, durch die Kämpfe gegen Heinrich den Löwen, zwang ihn zu einer Ausschöpfung aller Möglichkeiten in der Geldbeschaffung und zu Bestrebungen, die Finanzkraft des Erzbistums zu stärken" (Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg, II, 1975, S. 135).
4. Die Wichmann'schen Münzverrufungen haben natürlich niemals funktioniert, jedenfalls nicht, was den normalen Zahlungsverkehr betraf. Zwar konnte Wichmann wohl anordnen, dass Abgaben, die an ihn zu leisten waren, in den immer gerade neu geschlagenen (und gestalteten, um sie untereinander zu unterscheiden) Münzen zu erfolgen hatten, aber das kann den Bürger nicht weiter gejuckt haben. Da die Münzen ununterbrochen künstlich abgewertet wurden, dabei aber in jeder Neuausprägung mit gleichem Gewicht und gleicher Feinheit operiert wurde, war es ein Leichtes, die alten Münzen vor ihrer Außerkurssetzung einzusammeln und einzuschmelzen. Dann hat man eben das Silber in Barrenform kursieren lassen bzw. diente es der Münzstätte an. Aus einem (angenommen) 900-g-Barren wurden ja immer gleich viele 0,9 g schwere Brakteaten geprägt, nämlich ca. 1000 Stück.
http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/kritik/brakteatmaer.html