Kritische Medien sind in der jetzigen Zeit, meiner Meinung nach, wichtiger denn je. Aber wer zählt noch dazu?
Immer häufiger lese ich, dass Abonnenten ihre Abonnements kündigen, weil sie das Gefühl haben oder sich schon sicher sind, dass der Herausgeber nicht mehr neutral bzw. kritisch berichtet. Aus diesen Gründen habe ich meine Abos schon vor vielen Jahren gekündigt.
Wie ich jetzt erfuhr, wird teilweise Abonnenten bei Kündigungen sogar angeboten, dass sie bei Widerruf der Kündigung ihr Abo für die nächsten 6 oder 12 Monate kostenlos erhalten. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.
Ich will mal den Anfang machen und würde mich freuen, wenn wir einige neutral/kritische Medien zusammenkriegen.
Vorschlag:
Cicero - Magazin für politische Kultur
http://cicero.de/
In diesem Zusammenhang auch direkt ein interessanter Beitrag:
Die Erfindung der Willkommenskultur (siehe auch Kommentare dazu)
http://cicero.de/kultur/medien-und-fluechtlinge-die-erfindung-der-willkommenskultur
Hallo terra-111
grundsätzlich haben meiner Auffassung nach nicht Medien kritisch zu sein, sondern vor allem deren Konsumenten.
Es ist gerade die Berufenheit mittlerweile nahezu sämtlicher Medien zur kritischen Wiedergabe von Fakten, die die ohnehin fließende Grenze zwischen Information und Kommentar bzw. Wertung immer weiter verschwimmen läßt. Ein - auf politischer Ebene neutrales - Beispiel: Berichterstattung über eine Naturkatastrophe, wie etwa der Tsunami im indischen Ozean 2004 - und zwar unmittelbar, nachdem das Ereignis stattgefunden hat. Eine Möglichkeit der Darstellung wäre etwa folgender Text gewesen:
"Nach einem der schwersten je verzeichneten Seebeben im Indischen Ozean hat ein Tsunami weite Teile der angrenzenden Küsten überrollt und verwüstet... (weitere Details könnten ergänzt werden, wie z.B. die exakte Position des Bebens, Stärke, Länge, Nennung der meistbetroffenen Küstenabschnitte etc.)."
Man kann aber natürlich auch texten:
"Monsterwelle verschlingt Tropenparadiese!!! Hunderttausende Touristen getötet!!!"
Wenige Minuten oder auch Stunden nach einem solchen Ereignis gibt es naturgemäß nicht viele belastbare Fakten, dafür aber - ebenso naturgemäß - den Wunsch nach schnellstmöglichem Überblick über das gesamte Ausmaß einer Katastrophe, bei den Vertretern der Medien ebenso wie beim Zuschauer oder -hörer bzw. Leser. Allerdings wird - nicht selten nach der Erklärung, man habe noch keine genaueren Informationen - Sondersendung um Sondersendung veranstaltet, überschlagen sich die Berichte (die dann größtenteils auf Hörensagen beruhen) und geben sich die Experten in den Redaktionen die Klinken in die Hand. Tatsächlich ist die Erklärung des Ablaufs eines solchen Tsunamis noch die seriöseste Form der Informationsverbreitung, denn: wer die Bilder gesehen hat, die zeigen, wie sich eine tausende Kilometer lange Riesenwelle an den Küsten bricht, braucht keine "Erklärungen" der Art, daß Millionen von Menschen betroffen seien, die Schäden noch lange nicht abschätzbar und die Anzahl der Toten unbestimmt (von ihrer Identität ganz zu schweigen). Das kann er sich schlicht selbst denken, und er braucht auch keinen Hinweis darauf, daß es sich um eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes gehandelt hat, darauf, daß es Tote gegeben hat und daß es möglicherweise sehr viele Tote sein werden, die am Ende zu beklagen sind. Auch nicht darauf, daß es womöglich Jahre dauern wird, bis alle Spuren beseitigt sind, ja: man weiß sogar, daß den unmittelbaren Opfern der Flut noch viele mittelbare folgen werden, aufgrund von Seuchen, Hunger, Mangel an sauberem Trinkwasser usw.
Bleibt der Konsument als solcher aktiv, wird er in den folgenden Tagen und Wochen permanent mit Spekulationen, Einordnungen und Bewertungen geradezu bombardiert. Nicht selten gipfelt dann die "Berichterstattung" in Sondersendungen zur Frage: "Könnte ein solcher Tsunami auch die deutsche Nord- oder Ostseeküste treffen?" Soweit die Antwort darauf: "Ja, wäre möglich!" lautet, wird alsbald die Frage diskutiert, welche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr die Behörden ergriffen, ob Deutschland auf eine solche Katastrophe vorbereitet sei und ob der Bürger sich Sorgen machen müsse (ich habe keine Ahnung, unter welchen Bedingungen das westfälische Becken volllaufen könnte, aber ab Mittelgebirge dürfte man sich einigermaßen sicher fühlen).
Nach der beruhigenden Expertise, daß ein solches Szenario in Deutschland zwar grundsätzlich möglich, allerdings nicht sehr wahrscheinlich sei, wird dann noch ein wenig weiterdiskutiert, ob - neben den Behörden - auch die Politik ihre Hausaufgaben gemacht habe. Am Ende steht die Quintessenz, der Bundestag - oder wenigstens die Landtage der Küstenländer - mögen ein Gesetz gegen das Entstehen von Tsunamis erlassen.
Spätestens DA haben wir den Boden von Information und Bericht verlassen, wir befinden uns nicht einmal mehr im Rahmen des Kommentars. Wir befinden uns vielmehr in einer Trauma-Therapie (die zu benötigen dem Zuschauer attestiert wird, schließlich erschüttern Bilder wie jene von 2004 den Konsumenten nachhaltig), bei der uns Geschwätz-Meister beiderlei Geschlechts (Nachrichtensendungen haben heute keine Sprecher mehr, sondern "Moderatoren", es sind auch keine Nachrichtensendungen mehr, sondern "Formate'") die beruhigende Gewißheit vermitteln, es sei wahrscheinlicher, an der deutschen Nordseeküste von einem navigationstechnisch irregeleiteten Mähdrescher überrollt zu werden als von einem Tsunami.
Die fast 300.000 Toten rund um den indischen Ozean werden darüber zur Staffage.
Selbstverständlich hat sich dieser "Nanny-Journalismus" inzwischen auf allen Ebenen durchgesetzt: es geht nicht mehr um unkritische(!) Informationverbreitung, sondern um deren zuschauergerechte und (vermeintlich) sozialverträgliche Aufarbeitung. Nicht mehr der Zuschauer, der Hörer, der Leser soll Informationen kritisch verarbeiten. Er soll fertige Produkte konsumieren, und das gilt für ALLE Medien, die etablierten wie die "neuen". Der einzige graduelle Unterschied zwischen Nachrichtenmagazinen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, virtuellen wie realen Presseerzeugnissen vom "Spiegel" bis zur FAZ gegenüber selbsternannt "kritischen" Seiten wie "Achgut", "Nachdenkseiten'" u.ä. besteht darin, daß sie aus ihrer Tendenz zur Informationsbewertung kein Hehl machen, sie sich vielmehr offen auf die Fahnen geschrieben haben. Hier WEISS der Leser, daß er mit der Wertung und Auslegung von Fakten konfrontiert ist.
Es ist ganz einfach so, daß KEINE Informationsquelle ihren Rezipienten von der Aufgabe entbindet, aus einem Text zunächst einmal den Sachgehalt zu entschlüsseln und diesen dann auf der Grundlage gesicherter Fakten und Information SELBST kritisch zu bewerten.
Es sind keineswegs "die Medien" allein, die da zu beschuldigen sind, sondern in erster Linie jene, die, ihrerseits möglicherweise einfach nur zu bequem(?) zu kritischem Umgang mit Informationen, in alternativen Medien jene Lesart der Realität dokumentiert sehen wollen, die ihrem Gusto entspricht. D.h.: sie erwarten von alternativen Medien, daß diese genau das tun, was die etablierten ebenfalls machen - und das ist, mit einer Art Generalvollmacht ihre ganz persönliche Meinung zu einem Thema als Tatsache zu verkaufen.
Gruß -
Bendert