Schuld und Erlösung:
Auf dem Weg in den therapeutischen Staat
Der Irrsinn der deutschen "Flüchtlingspolitik", die moralische Geiselhaft der eigenen Bevölkerung, die mediale und politische Propaganda für eine verpflichtende Willkommenskultur, all das ist die letzten Monate von kritischen Stimmen genügend analysiert und beschrieben worden. Man kann dem selbst nicht mehr viel Neues hinzufügen, es bleibt nur ein Staunen darüber, wie sich ein Land und alle seine Errungenschaften der letzten Jahrzehnte ohne größeren Widerstand langsam auflösen. Die eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht, diesem politischen Wahnsinn nichts entgegensetzen zu können, sozusagen unverschuldet in Haftung genommen zu werden, vergiftet mehr und mehr das eigene Leben. Man fühlt sich nur noch als Passagier und Zuschauer, wie auf einer schiefen Ebene nimmt die Katastrophe unaufhörlich ihren Lauf. Natürlich kann man weiter auf die täglich zuspitzende Lage setzen und tatsächlich hat sich der öffentliche Diskurs seit September 2015 bereits verändert. Manches ist heute aussprechbar oder Konsens, was vor einem halben Jahr noch als "rassistisch" oder "rechtspopulistisch" galt. Das Problem ist nur: es bleibt keine Zeit mehr auf andere Akteure (die EU, Erdogans Türkei!) oder unwahrscheinliche Ereignisse (Ende des Krieges in Syrien, Abnahme des Flüchtlingsstroms, Weltfrieden) zu hoffen. Entscheidungen die längst getroffen werden hätten müssen, sind ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr durchzusetzen oder nur unter großen Opfern und Verwerfungen. Es ist auch niemand in Deutschland sichtbar, der unliebsame Entscheidungen und die daraus resultierenden Folgen verantworten würde.
Es mag sein, dass es noch zu früh ist, einen Schritt zurückzutreten und die Entwicklung des letzten Jahres in Deutschland aus einer größeren Perspektive zu betrachten. Dennoch lassen sich einige Muster ausmachen, die ihren Ursprung mehr in psychologischen als politischen Kategorien haben. Historiker und Politikwissenschaftler werden sich später darüber streiten ob Merkels Opportunismus, das Fehlen jeglicher inneren Überzeugung, Macht um der Macht willen oder die Unfähigkeit, einen schwerwiegenden Fehler einzugestehen, der ausschlaggebende Faktor für die nationale Katastrophe war. Ich frage mich aber, ob nicht vielmehr eine Art religiöser Masochismus, eine moralisch erhöhte Form des protestantischen Schuldabbaus, im Zentrum einer (psychologischen) Analyse stehen muss. Denn das lautstarke, wenngleich aktuell leiser werdende "Refugees Welcome", ist in seiner abstrakten Hypermoral der Ausdruck für eine letzte, metaphysische Größe die nicht mehr hinterfragbar ist: die eigene und kollektive Schuld, die nun, angesichts des Zustroms der Elenden und Benachteiligten der Erde, abgegolten werden kann. Um ja nicht den "Rechten" in die Hände zu spielen wurde, so weit möglich, am Bild des Fremden als "edlem Refugee" festgehalten. Denn in seiner Gestalt verkörpert sich symbolisch das Opfer der deutschen bzw. europäischen Geschichte. Bevor er noch einen Fuß auf deutsches Staatsgebiet gesetzt hat, ist er ein Gläubiger, der seine Schulden einfordern kann.
Die Lust an der Buße trägt dabei unzweifelhaft masochistische Züge. Jetzt, wo rückständige und tribalistische Kulturen massenhaft einwandern, kann sie endlich mit Leben gefüllt werden. Dass – in der Regel – illegale Einwanderer an deutschen Bahnhöfen mit Stofftieren und Applaus begrüßt und als "Symbole der Hoffnung" bezeichnet wurden, war mehr als eine hysterische Reaktion. Denn mit ihrer grenzenlosen Aufnahme konnte Deutschland zeigen, dass es bereit ist, seine nationale und egoistische Identität abzulegen. Ein Land, das seine vergangenen Verbrechen endlich sühnen kann und die historische Chance erhält, den Beweis für seine Läuterung anzutreten. Da unser Reichtum allgemein – so der Konsens der "edlen Seelen" – auf der jahrhundertelangen Ausbeutung der "Anderen" beruht, ist es nur gerecht und unsere moralische Pflicht, die ganze Welt mit offenen Armen aufzunehmen um eine ubiquitäre (soziale) Schuld abzubauen und endlich die lang ersehnte Absolution zu bekommen: "Und auch wenn es hier noch nicht jeder Mensch begriffen hat, jede und jeder von euch ist eine Bereicherung für Deutschland", so der grüne Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu im Juli 2015. Das war durchaus ernst gemeint.
Prinzipiell kann man von einer Art Heiligsprechung des Fremden, des Migranten oder des Flüchtlings sprechen. Er allein kann den Komplex von Schuld und Buße auflösen und die Erlösung bringen. "In dieser quasi-religiösen Kollektivneurose, nimmt der Migrant", so der Publizist Michael Ley, "den Status des Unantastbaren ein, dessen empirische Gestalt nicht thematisiert werden darf." Den "Anderen" als konkrete Gestalt darf es nicht geben, er bleibt ein reines Abstraktum auf den man seine Xenophilie projiziert. Diese bleibt ein moralisches Ideal und endet spätestens da, wo ein Asylantenheim mit 300 jungen Männern in der Nachbarschaft errichtet oder das eigene Kind eingeschult wird.