Hallo Schulz,
ob man aus der Verwendung optisch anziehender (wenn - oder vielleicht eher: weil - auch eher unvollständig angezogener) Damen als Hingucker Rückschlüsse auf die herrschende Moral in einer Kultur schließen kann, wage ich zu bezweifeln. Es sagt weniger etwas über moralische Maßstäbe aus als über die herrschenden Sitten. Die sind, zugegebenermaßen, derzeit eher locker. Es unterliegt keiner gesellschaftlichen Ächtung, wenn sich Frauen so zur Schau stellen und auch nicht, wenn sie im Gegenzug von Männern dafür gern und ausgiebig angesehen werden (daß das Motto "sex sells", zu Deutsch: "Mit Honig fängt man Fliegen!" funktioniert, beweist, daß Dir das Bild spontan aufgefallen ist, auch wenn es Dich eher dazu gebracht hat, über das Bild nachzudenken als den Artikel zu lesen). Es appelliert an fundamentale Instinkte, die selbst dem femininisiertesten Mitteleuropäer (zur großen Freude beispielsweise der gesamten Werbebranche) auch nach dem Verschleiß mehrerer Generationen weiblichen Prägungspersonals in Gestalt von Kindergärtnerinnen, Grundschullehrerinnen, Alleinerziehenden, Radikalfeministinnen beiderlei Geschlechts, durch Verbreitung von Genderlehre, Aufklärung, Sexualerziehung etc. noch nicht völlig abhanden gekommen sind: nette Hupen, schmale Taille, Rundungen an den richtigen Stellen, ein, auf dem Bild durch die Verteilung der Kleidung geschickt präsentiertes, ausreichend breites Becken - sieht, außer nach Spaß bei der Herstellung, nach der Option für erfolgreiche Weitergabe des Erbgutes durch reichlich Nachwuchs aus. Da sieht Mann zweimal hin. Daß er
das darf, entspricht den hier gängigen
Sitten.
Die westliche
Moral schlägt in dem Moment zu, in dem der solchermaßen wachgerüttelte Instinkt sich freie Bahn verschafft, d.h.: Du hast ein erhebliches Problem schon dann, wenn Du auch nur den Versuch machtest, Dich öffentlich an dem Bild abzureagieren, vom Vollzug Deines Paarungsverlangens am lebenden Objekt wollen wir gar nicht erst reden (es sei denn, das Objekt teilte Deine Ambition und wählte Dich diesbehufs aus).
Das erlaubt sie dem Manne eben
nicht, die westliche Moral: Sie erlaubt ihm nicht, auch nur einen Finger gegen den Willen auch nur einer einzigen der 10 nackten Tempeltänzerinnen zu erheben, von Erhebungen an anderer Stelle ganz zu schweigen; sie erlaubt ihm nicht, auch nur einen Millimeter weiter zu gehen als die jeweilige Frau das wünscht (selbst dann nicht, wenn ihr während eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs eine halbe Sekunde vor Schluß einfällt, daß sie eigentlich doch nicht will: ein "NEIN!", egal in welcher Pose, an welcher Stelle, aus welchem Grund - und schon hat Schicht im Schacht zu sein, wenn ich mir das Wortspiel erlauben darf.
Mich dünkt diese Moral nicht weniger streng und verbindlich als die anderer Kulturen: es gibt gar nicht mal so wenige Kulturen, da ist Nacktheit normal und Verhüllung ein Tabubruch. Es gibt andere Kulturen, da reicht schon das versehentliche Aufblitzen eines Frauenknöchels aus, um dessen Besitzerin zu steinigen. Man kann schlicht nicht sagen, diese oder jene Kultur sei "moralischer" als andere. Man kann nur eines sagen: es gibt keine Kultur ohne Moral. Allerdings wird kaum ein westlich geprägter Mann es gut finden, wenn seine Frau außerhalb des Hauses nur verhüllt zu sehen ist (Ausnahmen mögen diese Regel bestätigen, es soll durchaus auch Frauen geben, denen Verhüllung selbst mit Sackleinen nur zum Vorteil gereichen kann, ebenso wie es Männer gibt, die man sich als Frau vermutlich lieber nur durch einen möglichst blickdichten Schleier ansieht). Er wird die dieser Moral zugrundeliegenden Sitten schlicht nicht verstehen. Warum also sollte das umgekehrt der Fall sein? Allerdings wird ein westlich geprägter Mensch (und zwar Männer wie Frauen) diese ihm fremde Moral weitaus eher respektieren, wenn er sich dauerhaft in einer ihm fremden Kultur ansiedeln will, als das bei den extrem patriarchalisch Kulturen der Fall ist, in denen eher die Sitten die Moral bestimmen als die Moral die Sitten:
Ich denke, es ist
kein Zufall, daß unsere moralischen Ansprüche an ein friedliche Miteinander von Männern und Frauen in dem Maße gestiegen sind, in dem sich die Sitten gelockert haben. Wir haben (zumindest derzeit) das nötige moralische Fundament, um mit lockeren Sitten leben zu können. Wir dürfen darüber nur nicht vergessen, daß unter diesem Korsett, hier wie überall sonst auf der Welt auch und unabhängig davon, ob es im Kern aus Fischbein oder Edelstahl besteht und von Sackleinen oder Brokat gehalten wird, letztlich immer nur Männlein und Weiblein stecken - inklusive aller guten wie schlechten Seiten. D.h.: westlich kultivierte Menschen können, wie alle anderen Menschen, welcher Prägung auch immer, jederzeit wieder zum Tier werden, sie können töten, hassen, morden, brandschatzen und vergewaltigen, sie können Gewalt ausüben - gegen einzelne Menschen ebenso wie ganze Völker und Kulturen. Womöglich ohne jede Moral, aber nichtsdestotrotz
unter Berufung auf ihre allen anderen überlegene Moral.
P.S.: "Prostitution" erscheint mir in diesem Kontext doch entschieden zu weit gegriffen: es sei denn, Du verstündest jede Art von bezahlter Arbeit als Prostitution...