Du hast doch sicher gemerkt, dass wir hier in ziemlich verschiedene Wahrnehmungen der Realität haben. Das hängt mit unserem Beruf, Geschlecht, Familienstand, Wohlstand, usw. zusammen.
Aus diesem Grund ist meiner Meinung nach eine homogene Masse an superintelligenten Fachexperten nicht geeignet im Sinne aller zu regieren.
Findest du denn ernsthaft die Debatten die wir hier führen, qualitativ gut genug um Entscheidungen für 80, bald 83 Millionen Menschen zu treffen? Ich sehe das ehrlich gesagt nicht mal im Ansatz, hier sind aus meiner Sicht weder sonderlich viele originelle Meinungen, tiefgründige oder überhaupt gut begründete Meinungen repräsentiert.
Deswegen bin ich ein sehr klarer Vertreter der Linie, dass Kompetenz deutlich wichtiger ist als Repräsentation irgendwelcher arbiträrer Bevölkerungsmarker. Zumal ich glaube, dass es der beste Weg ist, eine gerechte und emanzipierte Gesellschaft ohne Rassismus, Sexismus… zu generieren. Die Betrachtung der Leistung und Fähigkeit sollte entscheidend sein, nicht die Genitalien.
Letztlich glaube ich sogar, dass durch die Bewertung der Güte eines Parlaments entlang arbiträrer Linien wie Geschlecht, eine Gesellschaft schlechter wird, weil wir dann weniger fragen „was hast du gutes geleistet“, sondern „passen deine Genitalien?“
Ein für mich sehr klarer Rückschritt.
Die Regierung besteht ja immer noch aus der Summe höchst diverser Empathien und Erfahrungen.
Ich befürchte, dass die superintelligenten Fachexperten ebenso aus Emathien und Einzelerfahrungen urteilen könnten. Und das wären dann die Empathien/Erfahrungen aus der einen homogenen Gruppe.
Intelligenz und Fachwissen sind für mich auch nicht die einzigen Qualitätsmerkmale einer guten Führungsfigur sondern erstmal Grundvoraussetzungen. Zur Führung gehört auch die Fähigkeit, schwere Entscheidungen zu treffen, die die Popularität kurzfristig senken, also eine ordentliche Führungsstärke.
Ich habe von den derzeitigen Abgeordneten den Eindruck, dass sie aus Emathien und Einzelerfahrungen urteilen, und dabei eine erschreckende Mehrheit männlich und wohlhabend ist.
Auf welche Entscheidungen stützt du diesen Eindruck denn?
Wenn Friedrich Merz erzählt, er gehöre zur Mittelschicht - dann sagt das viel über den Zustand unserer Elite aus.
Einkommensmillionär zu sein bedeutet für mich nicht, automatisch zur Oberschicht zu gehören. Wie dieses Einkommen erzielt wird, das evtl. bestehende Vermögen aufgebaut wurde, spielt eine relativ große Rolle, genauso wie das daraus entstehende Verhalten. Genauso wenig, wie ich etwas davon halte arbiträre Merkmale wie Geschlecht als Gütesiegel für ein Parlament herzunehmen, halte ich es für viel zu simplistisch, eine Einkommensgrenze zur Definition von Bevölkerungsschichten zu definieren.
Geschlechtergerechtigkeit ist nicht der einzige und wichtigste Maßstab aller Dinge.
Ändert aber nichts daran, dass die Unterrepräsentation von Frauen im Bundestag ein Beleg für magelnde Geschlechtergerechtigkeit ist.
Mehr männer => mehr Macht => ungerecht.
Du machst die Geschlechtergerechtigkeit und die Machtverhältnisse in einer Gesellschaft von fast 83 Millionen abhängig von einer verschwindend kleinen Gruppe von 709 Personen?
Das halte ich für grundlegend falsch. Ein Übergewicht an Männern im Bundestag ist kein Maßstab für die generelle Verteilung in der Gesellschaft, weil du erstmal eine sehr kleine Sub-Gruppe hypererfolgreicher Individuen herausnimmst, die in der Regel Jahrzehnte auf dieses Ziel hingearbeitet haben. Das ist genau dasselbe Problem bei der Betrachtung der DAX-Vorstände, Aufsichtsräte, Milliardäre oder eigentlich allen diesen Gruppen. Sie sind extrem klein und per Definition niemals repräsentativ für den Zustand einer Bevölkerung, eben wegen ihrer strukturellen Exklusivität.
Man müsste erst einmal eine ordentliche Begründung und Beweisführung dafür finden, dass die Geschlechtsunterschiede im Bundestag überhaupt eine negative Auswirkung auf die Verhältnisse der Geschlechter in der Bevölkerung haben.
Nö. Sehe keine Kausalität zu deiner angeblichen Grundannahme.
Der Feminismus ist mir Beweis genug, dass Frauen auch Macht haben wollen.
Mir nicht, denn es gibt jetzt erstmal keine Feministinnen, die irgendeine Form von Legitimation der weiblichen Bevölkerung haben, weder im Sinne einer Wahl noch meinungsrepräsentativ.
Eine gute kritische Zusammenfassung, warum Feministinnen gerade heute nicht mehr repräsentativ sind, liest man hier:
https://www.zeit.de/kultur/2016-03/feminismus-kritik-debatte-frauen
Diese Grundannahme ist wenn man betrachtet, wie künftige Bundestagsabgeordnete in Wahlpositionen gelangen, nämlich durch lange und intensive Parteiarbeit, sehr wichtig. Es bedeutet nämlich, dass wir grundlegend annehmen müssten, dass es gleich viele Männer und Frauen gibt, die diese Arbeit auf sich nehmen wollen. Da aber selbst sehr feministische Parteien wie Grüne und Linke einen Frauenanteil von unter oder knapp 40% haben, ist diese Annahme schon aufgrund der Mitgliederzahlen, fraglich. Und das sind ja noch beides Parteien, die relativ klein sind (
https://www.bpb.de/politik/grundfra...len-und-fakten/140358/soziale-zusammensetzung)
Und hier hört das Problem in der Betrachtung noch nicht auf. Selbst bei diesen <40% kann man nicht davon ausgehen, dass diese im gleichen Maße die hoch umkämpften Positionen anstreben. Man sieht nämlich einen deutlichen Unterschied in der Kompetitivität von Männern und Frauen, sowohl in den Big-Five (also der Persönlichkeit), als auch in den Markern, die Karrieren definieren, zum Beispiel der Bereitschaft Überstunden zu machen. Mehr dieser Faktoren kannst du gut in „Why men earn more“ von Warren Farrell nachlesen. Jedenfalls ergibt sich für mich keine gute Begründung für eine Bewertung der Geschlechterverteilung im Bundestag.
Dann ist die Wohlstandsverteilung auch Beweis dafür, dass der Wohlstand gerecht verteilt ist? Jetzt begibst du dich aber auf ganz dünnes Eis.
Wohlstandsverteilung und Geschlechterverteilung im Bundestag sind doch nicht miteinander vergleichbar, die Mechanismen sind völlig andere. Entschuldige, aber diese Behauptung ist doch nur der unzulässige Versuch eine scheinbare Moralnote einzubringen.