Häberich bei Griese
Häberich zockelte mit seinem alten Fahrrad zu Griese. Er war früh genug losgefahren, damit er nicht in Stress kam. Es ging durch die Straße mit den Schlaglöchern, an Bauruinen vorbei, durch eine Unterführung, die noch einigermaßen intakt war. Er sollte eine Vermögensaussage machen, gurkte durch die alte Schrebergartenkolonie, den verfallenden Barockgarten. Er hatte keine Immobilie, ein Stück am Bach entlang. Mach ich die? fragte er sich auf der Fahrt. Das hat dreißig Jahre nichts bewirkt. Vorbei am Schuhladen. Was sollte es also diesmal bringen? Sein Vater war seit dreißig Jahren tot. Die meisten Häuser waren heruntergekommen. Die meisten Dächer werden aber noch dicht sein, dachte Häberich. Sein Vater war Spekulant und Verbrecher gewesen, die anderen, waren auch alle welche, die Behördenseilschaften nach 1989. Häberich wollte keiner werden, darum hat er sich halb tot gearbeitet, bis er davon krank wurde. Er hatte jetzt seine Bude, das musste reichen. Zum Zeichnen hatte er eine alte Garage in die es nicht hineinregnete. Man hätte das Erbe ausschlagen sollen, aber man wusste zu wenig, aber es ist auch egal. „Keiner soll hungern, ohne zu frieren“, hatte der Vater gesagt.
Es ging jetzt durch die Vorstadt, manchmal schrieb er über Hegel und Fichte, alles sah gleich aus, einmal bog er falsch ab, aber nach einer Weile wusste er wieder, wo es lang ging. Das eine Haus in der Straße war in einem etwas besseren Zustand, hätte man denken können. Wenn man näher kam, war es auch nicht anders. Die Hausnummer stimmte, ein Schild sagte: „Gerichtsvollzieher Griese“. Hier hat der Griese sein Büro.
„Kommen Sie rein,“ sagte Griese müde. „Was haben wir denn da? Wer will schon wieder Kohle haben?“ „Die Seilschaft“, sagte Häberich müde.
„Haben Sie das Erbe nicht ausgeschlagen?“ „Nein, wir wussten zu wenig.“
„Wenn man zu wenig weiß, muss man das Erbe ausschlagen.“ „Ja, das wissen wir heute, damals war es noch nicht so richtig klar. Solange mein Vater lebte, konnte ich meine Ausbildung ja noch nicht machen. “ „Dochdoch, wir wussten das immer, das war früher auch schon so, das sind alles Verbrecher.“ „Naja, wir wurden falsch beraten, wir haben dem Richter geglaubt.“ „Richtern darf man nicht glauben, das sind alles Verbrecher…“ Dann müsst ihr eben ohne Gemeinschaft zurecht kommen, dachte Bonhoeffer, Sekunden bevor sein Hals am Galgen abknackte, bis zum heutigen Tag, dachte Häberich.
„Ich musste auch ausschlagen“, setzte der Gerichtsvollzieher fort. „Das sind alles Verbrecher,“ sagte Häberich.“ „Jaja, alles Verbrecher, aber das hier kommt vom Amt, Sie haben die Zahlung an das Grundbuchamt zu leisten, dass sind jedenfalls keine Verbrecher… Haben Sie denn eine Immobilie?“ „Nein, ich habe keine Immobilie.“ „Warum wollen die dann Geld von Ihnen?“ „Weil es Verbrecher sind.“ „Hm, egal, ich nehme an, sie haben kein Geld, haben Sie Einkünfte? Von irgendwas werden sie ja leben? „Ja, ich fülle Regale auf.“ „Haben Sie Einkünfte aus Buchverkäufen?“ „Nein, meine Korrektur von Hegel wollte der Verlag nicht haben.“
„Dann müssen Sie eine verbindliche Vermögensaussage machen.“ „Ich habe kein Vermögen.“ „Jaja, das habe ich ja verstanden, das habe ich auch alles eingetragen, meine Gesetzesnovelle wollten die auch nicht haben, sonst hätten wir arbeiten können… dann müssen Sie hier unterschreiben.“ „Eigentlich sollte ich gar nichts unterschreiben, ich habe keine Immobilie.“
„Aber wenn Sie nicht unterschreiben, dann muss ich die Polizei zu Ihnen schicken und dann sitzen Sie ein halbes Jahr im Uhlenwinkel ein. Das hilft nicht, glauben Sie mir, Gefängnis ist auch nicht besser.“ „Na gut, dann unterschreib ich“. „Ist richtig so“, sagte Griese, „Jetzt haben Sie zwei Jahre Ruhe, Gefängnis hilft nicht.“
Häberich juckelte zurück durch die Vorstadt, am Bach entlang, Schuhladen...
Ich hätte das nicht unterschreiben sollen, das sind alles Verbrecher, dachte Häberich. Durch den alten Barockgarten, zwischen den verfallenen Schrebergärten hindurch. Das Fahrrad klapperte, aber nicht so dolle.
Ich hätte das nicht unterschreiben sollen, dachte Häberich. Durch die Unterführung, in die es nicht reinregnete, durch die Straße mit den Schlaglöchern und den Bauruinen.
Als er wieder auf der Bude war, nahm Häberich das Telefon. „Gerichtsvollzieher Griese.“ „Ja Häberich hier.“ „Aber das haben wir doch jetzt, Sie müssen erst in zwei Jahren wieder erklären.“ „Schicken Sie bitte die Polizei. Jeder rechtschaffene Mensch muss mal ein paar Monate im Uhlenwinkel eingesessen haben, sonst ist er ein Verbrecher.“