Kanzleramt ohne Misstrauen gegen USA - 18. Juni 2015
Der für die Nachrichtendienste zuständige Staatssekretär im Kanzleramt Klaus Dieter Fritsche hat der Vermutung widersprochen, dass die Bundesregierung bereits frühzeitig Kenntnis von verdächtigen Aktivitäten der US-Geheimdienste in Deutschland und Europa gehabt habe. Er selbst wisse erst seit März diesen Jahres, dass die National Security Agency (NSA) bei der gemeinsamen Überwachung des Fernmeldeverkehrs mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) Suchmerkmale eingespeist habe, die der Ausspähung europäischer Ziele dienten, betonte Fritsche am Donnerstagnachmittag bei seiner Befragung durch den 1. Untersuchungsausschuss („NSA“). Fritsche war von 1996 bis 2005 Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und anschließend bis 2009 Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt. Dort ist er seit Januar 2014 erneut für die Geheimdienste zuständig.
Eine Diskussion über verdächtige Suchmerkmale, sogenannte „Selektoren“, die dem BND von US-Seite übermittelt worden seien, habe es nach seiner Erinnerung im Kanzleramt nie gegeben, berichtete Fritsche. Auch für die Entscheidung des damaligen Kanzleramtschefs Thomas de Maizière Anfang 2008, dem Drängen der Amerikaner auf eine noch intensivere Zusammenarbeit bei der Überwachung des kabelgestützten Fernmeldeverkehrs nicht nachzugeben, sei Misstrauen nicht das entscheidende Motiv gewesen. Fritsche widersprach damit seinem damaligen Vorgänger als Geheimdienstkoordinator und späteren BND-Chef Ernst Uhrlau, der eine Woche zuvor ausgesagt hatte. Nach dessen Darstellung war das Kanzleramt in jenen Jahren „bösgläubig“ gegenüber den Absichten der US-Geheimdienste.
Dass de Maizière sich 2008 zu einer Ausweitung der Zusammenarbeit nicht bereit gefunden habe, „spricht Bände“, hatte Uhrlau gesagt.
Gegenstand der Kooperation war das Projekt „Eikonal“, mit dem BND und NSA zwischen 2004 und 2008 gemeinsam in Deutschland internationalen Datenverkehr über das Glasfasernetz der Telekom beobachtet hatten. Das Problem dabei sei gewesen, jene Teilnehmer herauszufiltern, die dem Schutz durch das deutsche Fernmeldegeheimnis unterlagen, berichtete Fritsche. Dazu habe es einer zeitraubenden und aufwendigen Prozedur bedurft. Ende 2007 hätten die Amerikaner dann angeregt, die Zusammenarbeit auszuweiten. Das Kanzleramt habe entschieden, darauf nicht einzugehen.
Maßgeblich dafür waren nach Fritsches Darstellung „industriepolitische“ Bedenken, die Befürchtung also, durch eine zu enge und weitgehende technische Kooperation mit US-Diensten eigene Fähigkeiten auf die Dauer einzubüßen und damit abhängig zu werden. Auch der Verdruss über die Schwierigkeiten, deutsche Grundrechtsträger zu identifizieren und von der Überwachung auszunehmen, habe eine Rolle gespielt. Nicht zuletzt habe auf deutscher Seite das Gefühl bestanden, dass die Zusammenarbeit nicht auf Augenhöhe erfolgte, der BND also keine Aussicht hatte, in den USA dieselben Rechte eingeräumt zu bekommen wie die NSA in Deutschland.
Fritsche widersprach Uhrlau noch in einem weiteren Punkt. Uhrlau hatte berichtet, kurz nach seinem Amtsantritt als BND-Chef Anfang 2006 habe ihn der damalige Abteilungsleiter Technische Überwachung beim BND, Dieter Urmann, über die Entdeckung verdächtiger Selektoren amerikanischer Herkunft in der Abhöranlage in Bad Aibling informiert. Er habe in den regelmäßigen Gesprächen mit seinem Nachfolger im Kanzleramt Fritsche dieses Thema gewiss nicht unerwähnt gelassen. Fritsche bestreitet, von Uhrlau damals in Kenntnis gesetzt worden zu sein, Er hätte in einem solchen Fall mit Sicherheit einen schriftlichen Bericht angefordert, sagte er dem Untersuchungsausschuss. Ein solches Dokument liege nicht vor.
Keine Kenntnisse über US- Wirtschaftsspionage - 02.07.2015
Die Bundesregierung hat nach den Worten des Geheimdienstkoordinators im Kanzleramt, Günter Heiß, keine Erkenntnisse über Wirtschaftsspionage amerikanischer Nachrichtendienste in Deutschland.
Vor dem 1. Untersuchungsausschuss ("NSA") machte Heiß am Donnerstag deutlich, dass auch aktuelle Medienberichte über eine umfassende Ausspähung deutscher Regierungsstellen durch die National Security Agency (NSA) an dieser Einschätzung nichts änderten. Der frühere niedersächsische Verwaltungsrichter Heiß leitet seit dem 14. Dezember 2009 die Abteilung 6 im Kanzleramt, die über den Bundesnachrichtendienst (BND) die Rechts-, Dienst- und Fachaufsicht führt sowie die Geheimdienste des Bundes koordiniert. Er war zuvor seit 2007 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Niedersachsen.
Unter Wirtschaftsspionage sei der Diebstahl geistigen Eigentums durch einen staatlichen Geheimdienst zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen für die Industrie des eigenen Landes zu verstehen, belehrte Heiß den Ausschuss. Es gebe keine Belege dafür, dass US-Dienste in diesem Sinne in der Bundesrepublik tätig seien. Es sei auch glaubhaft, wenn die Amerikaner dies stets verneinten, weil ein Geheimdienst in einer marktwirtschaftlichen Ordnung "riesige kartellrechtliche Probleme" bekäme, wollte er einzelne Unternehmen zum Nachteil anderer mit vertraulichen Informationen über die internationale Konkurrenz ausstatten. Geheimdienste aus Ländern mit erheblichem Staatseinfluss auf die Wirtschaft wie China oder Russland seien in dieser Hinsicht schon eher verdächtig.
Von Wirtschaftsspionage im eigentlichen Sinne abzugrenzen seien geheimdienstliche Aktivitäten gegen Unternehmen mit dem Ziel, der Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln entgegenzuwirken. Auch dass die NSA, wie jetzt durch Medienberichte bekannt wurde, offenbar 2011 ein Telefonat der Kanzlerin zur Griechenlandkrise abhörte und in Berlin auch das Finanzministerium überwacht haben soll, gehört für Heiß in den Bereich der politischen, nicht der Wirtschaftsspionage. Diese Definition sei nicht seine Einzelmeinung, sondern "Konsens".
Auf wiederholte Fragen, ob er vor den Enthüllungen durch Edward Snowden und jüngst durch WikiLeaks Hinweise auf "Übergriffigkeit" oder politische Spionage durch US-Dienste gehabt habe, antwortete Heiß: "Nein, daran kann ich mich nicht erinnern."
Heiß erklärte, in seiner Zuständigkeit für die Dienst- und Fachaufsicht über den BND wäre er zwar "theoretisch" in der Lage, alles zu kontrollieren, "in der Praxis" sei das aber nicht der Fall: "Das Verwaltungsbild eines demokratischen Rechtsstaates ist nicht das der totalen Kontrolle." Dass in der Kooperation zwischen BND und NSA bei der Überwachung des satellitengestützten Datenverkehrs in Bad Aibling offenbar auch Suchbegriffe eine Rolle spielten, deren Verwendung durch das Kooperationsabkommen von 2002 nicht gedeckt war, sei ihm wie anderen Zuständigen in Kanzleramt und BND-Spitze erst im März dieses Jahres bewusst geworden.
Auch Heiß betonte wie vor ihm bereits andere Zeugen, dass er nach einer Besprechung führender deutscher und amerikanischer Geheimdienstler am 5. August 2013 in Washington die Aussichten auf eine Vereinbarung über einen gegenseitigen Spionageverzicht "außerordentlich positiv" beurteilt habe. Der Begriff "No-Spy-Abkommen" sei sogar von amerikanischer Seite ins Gespräch gebracht worden. Dies habe ihm ein Kollege berichtet; selber habe er daran keine Erinnerung: "Damals haben wir diese Chance sehr real gesehen und mussten sie auch ergreifen." Bei einem Besuch im Weißen Haus Ende Oktober sei ihm klar geworden, dass die US-Regierung nicht interessiert war.
Pofalla attackiert Medien und Politik - 03.07.2015
Vor dem 1. Untersuchungsausschuss ("NSA") hat der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla den Vorwurf zurückgewiesen, er habe die Öffentlichkeit über die Aussichten auf ein "No-Spy-Abkommen" mit den Amerikanern getäuscht.
Er richtete selbst scharfe Angriffe gegen Medien und Parlamentarier. Die Berichterstattung über die NSA-Affäre beruhe in wesentlichen Teilen auf "objektiv falschen Interpretationen und Einschätzungen", die gleichwohl bis heute die Debatte bestimmten, sagte Pofalla bei seiner Vernehmung am Donnerstagabend. Er habe große Sorge, dass die Sicherheit Deutschlands durch die Diskussion "schwer beeinträchtigt" werde. Pofalla war von 2009 bis zum 17. Dezember 2013 Kanzleramtschef. In dieser Funktion hatte er sich nach eigenen Worten zwischen Juni und September 2013 hauptsächlich mit den Enthüllungen des früheren amerikanischen Geheimdienst-Mitarbeiters Edward Snowden zu befassen.
Er habe damals mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), das für die vertrauliche Überwachung der Geheimdienste zuständig ist, beunruhigende Erfahrungen gemacht. Immer, wenn er den Abgeordneten habe berichten können, dass ein in der Öffentlichkeit erhobener Vorwurf ausgeräumt sei, sei in den Medien davon nie mehr die Rede gewesen. Es habe allerdings auch keine Korrektur der vorherigen falschen Berichterstattung gegeben. Andererseits habe jede neue Erkenntnis, die er dem Gremium mitgeteilt habe, schon am Tag danach den Weg an die Öffentlichkeit gefunden: "Merkt denn niemand,", fragte Pofalla, "was seit Jahren an dieser Stelle falsch läuft? Das geheim tagende PKGr tagt nicht mehr geheim."
Er habe daraus die Konsequenz gezogen, nach jeder Sitzung des Gremiums die Öffentlichkeit in den Grundzügen selber zu informieren, und zwar mit Hilfe sorgfältig vorformulierer Sprchzettel. So sei es zu dem Auftritt am 12. August 2013 gekommen, der ihm später den Vorwurf eintrug, er habe die NSA-Affäre vorzeitig für beendet erklärt. Er habe jedoch lediglich einer Darstellung des "Spiegel" widersprochen. Dieser hatte behauptet, der BND habe Monat für Monat bis zu 500 Millionen Daten deutscher Bürger an die NSA weitergeleitet, von "flächendeckender Überwachung" und "millionenfacher Grundrechtsverletzung" gesprochen. Tatsächlich habe es sich bei dem Datenstrom um Erkenntnisse aus der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtedienstes gehandelt, von der deutsche Grundrechtsträger nicht betroffen waren. Der "Spiegel" habe "einen zentralen Interpretationsfehler der Snowden-Unterlagen vorgenommen".
Pofalla räumte ein, dass er im Lichte neuerer Erkenntnisse über das Treiben des US-Geheimdienstes heute weniger vollmundig formulieren würde. Er hatte damals gesagt, der Vorwurf flächendeckender Ausspähung sei "vom Tisch". Mittlerweile wurde im Oktober 2013 bekannt, dass die NSA das Handy der Kanzlerin abgehört habe - ein Vorwurf, den Pofalla nicht für erwiesen hält. Seit dem Frühjahr 2015 ist der Verdacht öffentlich, die NSA habe die Kooperation mit dem BND zu dem Versuch genutzt, europäische Ziele auszuspähen, und neuerdings ist die Rede von der Überwachung deutscher Regierungsstellen. Das alles habe er im August 2013 nicht wissen können, sagte Pofalla. Er hätte noch präziser formulieren müssen.
Vehement widersprach Pofalla dem Vorwurf von Sozialdemokraten und Opposition, er habe wider besseres Wissen während des Wahlkampfes 2013 der deutschen Öffentlichkeit die Aussicht auf ein "No-Spy-Abkommen" mit den USA vorgegaukelt. Als er im Dezember 2013 aus dem Amt geschieden sei, hätten mehrere Entwürfe von beiden Seiten vorgelegen, und er habe mit gutem Grund den Abschluss "in greifbarer Nähe" geglaubt.
Stellungnahmen der Sachverständigen findet man hier:
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/ua/1untersuchungsausschuss/-/280848
Protokolle der Ausschusssitzung (Sachverständigenanhörungen)
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/ua/1untersuchungsausschuss/protokolle/372108