Heute gibt es etwas DDR aus den Augen einer sowjetischen Aktivistin, die mit der Aufgabe betraut war, in der DDR das Bibliothekswesen wieder aufzubauen:
http://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2018/RF-244-05-18.pdf
"Dr. Galina J. Snimstschikowa
(1908 –1991)
Von 1945 bis 1949 Inspektor für das Bibliothekswesen bei der Sowjetischen Militäradministration in der damaligen sowjetischen
Besatzungszone
Die Jahre von 1945 bis 1949 waren die Jahre der Vorbereitung zu neuen Zeiten. Es galt vieles zu überwinden, was vom alten Leben geblieben war, alle Zerstörungen sowohl an Gebäuden als auch in den Seelen der Menschen. Der Faschismus hatte nicht nur versucht, mein Volk und viele andere Völker zu zerstören, sondern vor allem auch das deutsche Volk. Meine Aufgabe war es, acht Bibliotheken, darunter sechs Universitätsbibliotheken, die Staatsbibliothek und die Deutsche Bücherei,
in der sowjetischen Zone wieder arbeitsfähig zu machen. Diese sollten als erste wieder arbeiten. Die wichtigste Aufgabe war die Rückkehr der Bestände in diese Gebäude, damit wir sozusagen das Brot für die Arbeit schaffen konnten. Ich sehe diesen Hof vor mir, wo die Leute in blauen Arbeitsanzügen die Kisten abluden. Nur Bibliothekare wissen, was das Buch wiegt. Man sagt, Gold ist noch schwerer, aber ich meine, Schwereres als das Buch gibt es nicht auf der Welt. Wir können die Arbeit beurteilen, die die damaligen Bibliothekare in diesem Gebäude geleistet haben, die jungen und alten Frauen. Es waren auch elf Männer dabei, die gar nicht
jung waren, gar nicht kräftig. Einmal habe ich sogar gezeigt, wie es die Lastenträger an der Wolga machen, damit sich die Last auf den ganzen Körper verteilt. Hermann Zybell stand an der Spitze, ein Aktivist der ersten Stunde. Von Zeit zu Zeit fielen sie sogar um, saßen da mit starren Augen, sie konnten nicht mehr. In erster Linie waren sie hungrig, sie hatten keine Kräfte. Ja, und sie haben es doch geschafft. Das sehen wir jetzt. Das Leben war damals furchtbar schwer, ob
es um zehn Liter Benzin ging – dafür mußte ich im Magistrat einen richtigen Skandal organisieren – oder ob wir 20 Kilogramm Nägel brauchten. Vielleicht erinnert sich jemand daran, daß jeder Nagel von diesen Kisten geradegeklopft und aufgehoben wurde. Dafür war Zybell ein Zerberus. Diese Nägel halfen uns, und die Bretter, aus denen die Kisten gemacht waren, haben wir auch gebraucht.Dann wurde die Bibliothek eröffnet, und die ersten fünf Menschen, die erschienen waren,
wurden sogar mit Blumen empfangen. Das waren die fünf ersten Leser unserer neuen Zeit, unserer Epoche. Die ganzen Jahre über war ich sehr aufmerksam, und ich sah, wie gut sich Ihr Land entwickelt, und glauben Sie mir, daß ich begeistert
bin. Das alles, was ich jetzt gesehen habe, ist sozusagen unvorstellbar. Sie können es nicht so beurteilen, aber ich, die ich Jahrzehnte nicht hier war, ich habe ein ganz anderes Land erlebt. Und überall, wo ich sagte, daß ich Russin sei, bin ich mit offenem Herzen empfangen worden, und ich fühle, daß die Freundschaft zwischen unseren Völkern richtig gefestigt wurde. Jetzt sehe ich überall Freunde, gleichgültig ob jung oder alt. Das ist für mich das Wichtigste in unseren Beziehungen. Ich bin sehr stolz darauf, weil ich ein Mensch bin, der sich erinnern kann, wie es früher war. """"
Genossin Galina war später, ziemlich oft in der DDR. Sie besuchte auch die Bibliothek unseres Kreises, in der meine Schwiegermutter als Bürokraft arbeitete.
kh