Hallo Olivia,
ganz grundsätzlich gesagt: ein System läßt sich nicht in moralische Kategorien fassen, es ist nicht "gut" oder "schlecht". Es funktioniert oder es funktioniert eben nicht, und da hat sich der Kapitalismus als Grundlage moderner marktwirtschaftlicher Systeme und ihrer Vorläufermodelle durchaus bewährt.
Ich sehe, z.B. vor allem eines nicht, nämlich daß es sich dabei um ein System handele, bei dem es nur wenige Gewinner, aber sehr viele Verlierer gebe: es gibt im Grunde nur und ausschließlich Gewinner, denn es ist eben dieses marktwirtschaftliche System, das jedem Einzelnen ein mehr oder minder sorgenfreies Überleben sichert. In Ländern, in denen soziale Marktwirtschaften herrschen, vor allem solchen, bei denen die Betonung auf MARKTwirtschaft liegt, muß niemand hungern oder frieren - weil sie eine Solidargemeinschaft bilden. Den wesentlichen Anteil an den Beiträgen (bei gleichzeitig geringstem
Gewinn) zu dieser Solidargemeinschaft leisten diejenigen, die Du als "Gewinner" bezeichnest, die überwältigende Mehrheit hingegen profitiert von dem System.
Vorteile hingegen ziehen daraus alle: es sichert politische und gesellschaftliche Stabilität, zwei durchaus entscheidende Faktoren auf dem Weg zu Wohlstand und auch Wahrung von Besitzstand.
Entscheidend dabei ist, daß das System ausgewogen ist. Und genau da liegt der Hund begraben, wenn man so will: gerade Hoeneß ist dafür ein vorzügliches Beispiel. Was treibt jemanden, der vermeintlich alles hat, was ein Mensch zum Leben braucht an, sich strafbar zu machen, um noch mehr zu haben? Ist das Gier? Vielleicht.
Vielleicht ist es aber auch einfach nur gesunder Menschenverstand, nicht mehr als die Hälfte dessen, was man verdient hat, einem Staat in die Hand zu geben, der mit diesem Geld zu einem weit überwiegenden Anteil nichts als Blödsinn macht? Sondern dieses Geld selbst in die Hand zu nehmen und damit wirtschaftlich sinnvoll umzugehen (womit, unterm Strich, ein weit höherer sozialer Mehrwert zu erzielen ist als über eine staatliche Umverteilung)? Und: auf welcher Seite liegt die Gier? Auf der Seite derer, die leistungsbereit und -fähig sind und aus ihren Möglichkeiten das Beste machen wollen, um besser zu sein als andere, auch: um mehr zu haben? Oder auf der Seite eines Staates, der ebenfalls immer mehr haben will? Oder auf der Seite derer, die auch gern hätten, was ein Hoeneß hat, aber weder bereit noch fähig sind, sich das zu erarbeiten? So schwarz-weiß ist die Welt nicht und es ist im Grunde unsinnig, in solchen Schubladen zu denken und das Ergebnis dann auch noch für Realität zu halten.
Gier IST - ich denke, darüber braucht man eigentlich nicht lange zu diskutieren - eine wesentliche Triebfeder menschlichen Handelns. Und sie hat einen kleinen Bruder: den Neid. Beide werden nach katholischer Tradition zu den Hauptsünden gezählt, was wohl die Grundlage dafür sein dürfte, daß beide Eigenschaften so anrüchig daher kommen. Dabei sind, meines Erachtens, weder Gier noch Neid an sich verwerflich: die Frage ist, was man daraus macht. Wenn Gier, beispielsweise, dazu führt, daß man über sich hinauswächst, um ein Ziel zu erreichen, dann ist das kein Nachteil, auch nicht für die Gesellschaft, in der man lebt. Wenn Neid dazu führt, selbst zu leisten, was man anderen neidet, dann profitieren auch davon alle. Problematisch wird es erst dann, wenn man, statt Ziele aus eigener Leistung zu erreichen, beginnt Neid und Gier damit zu befriedigen, daß man anderen schlicht nimmt, was man selbst haben oder erreichen möchte.
Dieses Verhalten allerdings ist gerade auch in sozial herausragenden Positionen nicht übermäßig häufig zu beobachten; nach oben zu buckeln und nach unten zu treten hat, an den jeweiligen Enden der Hierarchie, schlicht und ergreifend wenig Sinn.
Ich finde es auch bezeichnend, daß der Begriff "Gier" schlagartig eine Debatte um Besitzstandswahrung (bei den Reichen) und Besitzstandsmehrung (bei den weniger Reichen) auslöst... Gier und Neid in Reinkultur, eigentlich. Nur nicht da, wo sie der Durchschnitt eigentlich vermutet, nehme ich an.
Dabei ist Gier soviel mehr als nur das Streben nach Geld, Macht, Besitztum. Gier kann auch andere Erscheinungsformen haben, und auch DIE schaden nicht, sondern nützen, und zwar allen: ohne die Neugier vieler Einzelner wäre unsere Weltkarte immer noch größtenteils weiß. Vermutlich wäre sie nicht mal rund. Es gäbe keine moderne Medizin. Die Reihe ließe sich nahezu endlos fortsetzen... Es gäbe natürlich auch viele Probleme nicht, die wir heute haben: unser rohölbasiertes Alltagsleben, zum Beispiel. Aber es werden Gier und Neid einiger Weniger sein, die uns befähigen werden, genau diese Probleme zu lösen.
Gruß -
Bendert