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In meinem Klassik-Ensemble spielt ein älterer Herr Querflöte, der in jungen Jahren Lehrer, später Psychologe und dann 30 Jahre lang Lehrer/innen als Professor in Sportpsychologie unterrichtet hat. In einem Gespräch über die heutigen Probleme der Orthografie regte er sich plötzlich sehr auf und wurde aggressiv gegen mich. Er wollte mich mit lauten Tönen bekehren, dass Orthografie nichts mit Intelligenz zu tun hätte. Das hatte ich dem Schulsystem angekreidet, da ich selber zwei Kinder habe, die Lehrer sind - und die mir berichten, in welcher Form heute Lesen und Schreiben vermittelt werden soll.
M. schilderte seinen Bruder als Beispiel, der selber Professor für Philologie in Süddeutschland sei und bis heute nicht fehlerfrei schreiben könne.
Als ich noch Lehrlinge ausbildete - zuletzt von 2008-2011 - hatte ich den Eindruck, von Analphabeten umringt zu sein. Die Berichtshefte machten den Eindruck, von Ausländern geschrieben worden zu sein. Trotzdem war diejenige mit dem schlechtesten Abgangszeugnis immerhin noch mit "Befriedigend" belohnt worden. Für mich nicht nachvollziehbar.
Inzwischen habe ich einen Enkel, der als "Legastheniker" befundet wurde. Tatsächlich kann er bis zur derzeitigen 5. Klasse kaum einen Satz ohne 3 bis 10 Fehler schreiben. Nach einem Schulwechsel hat er sich von der ehemaligen Klassenlehrerin erholt, die seine Schreib,-und Leseschwäche zum Anlass genommen hatte, ihm in allen Hauptfächern eine 5 zu geben. Derzeit steht er in allen Fächern zwischen 1 und 2 !
Für mich gibt es zwei Formen der orthografischen Störungen: zum einen die erwähnte Legasthenie, zum anderen aber auch die durch soziale Katastrophenverhältnisse ausgelöste mangelhafte Übung. Hinzu kommt dieses unsägliche Lehre der "vereinfachten Ausgangsschrift", die ich als Medium zur verbalen Verblödung ansehe.
Und dann gibt es ein Volk mit Minimal-Schulausbildung, welches später im Beruf (Tiefbau, Bauwesen allgemein, Handwerks-Handlanger, Landwirtschaft etc. ) niemals verbales - aber auch kaum intellektuelles Training benötigt hat. Trotzdem haben auch diese Menschen eine Meinung z.B. zur Politik, zum Weltgeschehen. Sie sind leider der Medienmanipulation weitgehend hilflos ausgeliefert. Die übrigen von Sahar erwähnten Zusammenhänge kommen noch hinzu.
Ich schätze, dass die Schulsystematik zu 40% an den Zuständen Schuld hat. In meiner Jugend, mit 54 Volksschülern in einer Klasse, von denen nur 5 auf eine weiterführende Schule gingen, haben alle ohne Probleme sauberst und zügig Lesen, Schreiben und Rechnen erlernt. Das Schulsystem ist seitdem ständig schlimmverbessert worden.-
kataskopos
Das mit den Legasthenikern sollte man aus dieser Diskussion heraushalten. Vor vielen Jahren versuchte ich einen Legastheniker zum Lesen zu bringen, indem ich ihm einen Elektronik-Bausatz schenkte. Er interessierte sich sehr für Elektronik, und ich nahm an, dass es unmöglich sei, dieses Teil ohne Anleitung zusammenzubauen; ich hätte es zumindest nicht geschafft. Er schaffte es und meinte, es sei nicht schwer gewesen.
Trotzdem ist er in seinem späteren Leben auf ganzer Linie gescheitert, und nicht etwa, weil er nicht richtig lesen und schreiben konnte.
Wenn es so etwas geben sollte wie Durchschnittsmenschen, dann haben die die besten Chancen, weil die schulischen Curricula auf sie zugeschnitten sind. Die vereinfachte Ausgangsschrift ist gut geeignet für Kinder, die ohnehin keine Probleme mit dem Schreiben haben; sie kämen aber auch mit der alten Methode klar. Ob sie schwachen Schülern nutzt oder schadet kann ich mangels Erfahrung nicht beurteilen.
Auch früher konnte Schule kaum auf den jeweiligen Entwicklungsstand und die Fähigkeiten eines einzelnen Schülers eingehen. Nur dass wir früher mehr Kinder hatten und mehr Aufgaben, für die keine qualifizierte Berufsbildung nötig war.
Gelernt wird außerdem nicht nur in der Schule. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, dass Schule nur das macht, was nicht zu vermeiden ist: Sie bringt die Kinder zum Lernen. Sie lernen auch in der Familie und beim Spiel.
Im außerschulischen Bereich haben wir immer größere Defizite, die Schule nur unzureichend kompensieren kann. Zugleich wird die Ablenkung durch elektronisches Spielzeug und elektronische Medien immer größer. Manuelle Fertigkeiten, die wir zum großen Teil außerschulisch erlernten, werden auch in den normalen Schulen nicht mehr gelehrt. Dabei sind sie wichtig für die Intelligenzentwicklung.
Eines beobachte ich aber auch: Nicht alles ist schlechter geworden. Es gibt nicht wenige junge Menschen, die sich ganz ausgezeichnet entwickeln, weil sie Bildungsmöglichkeiten haben und auch nutzen, die uns damals nicht zur Verfügung standen.