Ich glaube, daß man in einem demokratischen Zeitalter von einem Staat im legitimen
Sinne des Wortes nur sprechen sollte, wo es sich um das Produkt eines frei erfolgten konstitutiven Gesamtaktes eines
souveränen Volkes handelt. Wo das nicht der Fall ist, wo ein Volk sich unter Fremdherrschaft und unter deren Anerkennung zu organisieren hat, konstituiert es sich nicht - es sei denn gegen die Fremdherrschaft selbst -, sondern
es organisiert sich lediglich, vielleicht sehr staatsähnlich, aber nicht als Staat im demokratischen Sinn. Es ist, wenn
Sie mir ein Bild aus dem römischen Recht gestatten wollen, so: wie man dort den Freien und den Sklaven und den
Freigelassenen kannte, wäre ein in dieser Weise organisiertes Gemeinwesen nicht ein Staat, sondern stünde dem Staat
im selben Verhältnis gegenüber wie der Freigelassene dem Freien.
Diese Organisation als staatsähnliches Wesen kann freilich sehr weit gehen. Was aber das Gebilde von echter
demokratisch legitimierter Staatlichkeit unterscheidet, ist, daß es im Grunde nichts anderes ist als die
Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft; denn die trotz mangelnder Freiheit erfolgende
Selbstorganisation setzt die Anerkennung der fremden Gewalt als übergeordneter und legitimierter Gewalt voraus.
Nur wo der Wille des Volkes aus sich selber fließt, nur wo dieser Wille nicht durch Auflagen eingeengt ist durch
einen fremden Willen, der Gehorsam fordert und dem Gehorsam geleistet wird, wird Staat im echten demokratischen
Sinne des Wortes geboren.
...
Was ist nun die Lage Deutschlands heute? Am 8. Mai 1945 hat die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert.
An diesen Akt werden von den verschiedensten Seiten die verschiedensten Wirkungen geknüpft. Wie steht es damit?
Die bedingungslose Kapitulation hatte Rechtswirkungen ausschließlich auf militärischem Gebiet. Die
Kapitulationsurkunde, die damals unterzeichnet wurde, hat nicht etwa bedeutet, daß damit das deutsche Volk durch
legitimierte Vertreter zum Ausdruck bringen wollte, daß es als Staat nicht mehr existiert, sondern hatte lediglich die
Bedeutung, daß den Alliierten das Recht nicht bestritten werden sollte, mit der deutschen Wehrmacht nach
Gutdünken zu verfahren. Das ist der Sinn der bedingungslosen Kapitulation und kein anderer.
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Aber es ist ja 1945 etwas geschehen, was ganz wesentlich in unsere staatlichen und politischen Verhältnisse
eingegriffen hat. Es ist etwas geschehen, aber eben nicht die Vernichtung der deutschen Staatlichkeit.