Anfälligkeit für Komplotte
Der Verschwörungstheoretiker in dir
irre Komplotte glauben immer die anderen. Oder doch nicht? Zwei Bücher erklären, wer anfällig ist für krude Thesen - und warum. Doch was ist der richtige Umgang mit Verschwörungstheoretikern?
"Q" nennt sich der User, in Anlehnung an die höchste Sicherheitsstufe für Informationen über US-Atomwaffen. Seit zehn Monaten verbreitet er wirre Verschwörungstheorien: In seinen Posts kämpft US-Präsident Trump unter anderem gegen einen korrupten Staat im Staat, während Hillary Clinton zusammen mit Barack Obama einen Kinderschänderring führt.
Inzwischen ist die Strömung bei der Masse angekommen: Menschen mit "QAnon"-Plakaten und Shirts zeigen sich auf Trumps Wahlkampfveranstaltungen. Einige gehen weiter: In Arizona stürmten Anhänger unter dem Namen "Veterans on Patrol" ein Obdachlosencamp, in dem sie Kinderhändler vermuteten.
Was machen Verschwörungstheorien mit ihren Anhängern? Zwei Bücher setzen sich mit diesem Phänomen auseinander. Die Radiojournalisten Christian Alt und Christian Schiffer sprachen für "Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien" mit Anhängern, Opfern und Aussteigern. Sie versuchen sogar, selbst eine Verschwörung in die Welt zu setzen - und erklären selbstironisch, weshalb aus der Verbreitung ihrer "Rauchmelder überwachen uns"-These zum Glück nichts wurde.
Auf Wissenschaft statt Selbsterfahrung setzt Michael Butter: Der Amerikanist an der Tübinger Universität hat den Essay "Nichts ist, wie es scheint" veröffentlicht. Darin erklärt er, dass Verschwörungstheorien kein neues Phänomen sind und was sie ausmacht: etwa, dass ihre Anhänger nicht an Zufälle glauben. Sein zentrales Argument ist, dass Verschwörungstheorien seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts "stigmatisiertes Wissen" sind, über die ein sozialer Ausschluss stattfindet: Wer sie verbreitet, wird belächelt.
Es ist eine Stärke beider Bücher, zu erklären, dass zwischen Verschwörungstheorie und Wissenschaft häufig nur ein schmaler Grat liegt: In beiden Fällen hinterfragen Menschen gängige Erklärungen. Diese Gemeinsamkeit macht uns alle zu einem gewissen Grad anfällig für Verschwörungsglauben: Wo hört der kritische Blick auf, wo beginnt der Wahn?
"Aufgewachte" unter "Schlafschafen"
Um das herauszufinden, lohnt es sich, zu untersuchen, was die Theorien für ihre Anhänger leisten: Laut Alt und Schiffer bedienen sie Ängste. Und liefern das Angebot, die Kontrolle über das eigene Leben wiederzuerlangen: Wer sich vor Chemtrails fürchtet, kann im Internet für knapp 4500 Euro ein paar lange Kupferrohre in Stein erwerben, die als "Chembuster" fungieren sollen.
Michael Butter wird konkreter. Er stellt in seinem Buch die These auf, die Angst hinter dem Irrglauben sei vor allem die der westlichen Männer, die sich vor sozialem Abstieg und kultureller Marginalisierung fürchteten: Als "Aufgewachte" unter "Schlafschafen" können sie sich der eigenen Besonderheit versichern. Wenn die Verschwörer gestoppt würden, so das Versprechen, könnten auch die gefühlten Entwicklungen zum Schlechten rückgängig gemacht werden. Das gleiche verspreche auch der Populismus. Nur, dass der Feind hier eben "die Elite" sei.
Mit der plausiblen Argumentation und der Informationsdichte in Butters Essay können Alt und Schiffer nicht mithalten. Müssen sie auch nicht: Die Stärke ihres Buchs liegt in der Beobachtung der Szene, die sie lebendig schildern, ohne ihr gefährliches Potenzial kleinzuschreiben: Sie sprechen mit Aussteigern und besuchen das bayerische Dorf, in dem ein "Reichsbürger" einen jungen SEK-Beamten erschoss. Eindringlich schildern sie den Kampf eines Vaters gegen Behauptungen von Waffenfanatikern, der Amoklauf von Newtown sei ein Fake und sein getöteter sechsjähriger Sohn hätte nie existiert.
Die Frage nach dem Umgang bleibt
Eine Antwort auf die Frage, wie man mit Verschwörungstheoretikern umgehen kann, liefern beide Bücher nicht. Den ersten und einzigen Verschwörungstheoretiker, den Alt und Schiffer treffen - und bei dem ihre "Aufklärung" scheitert -, besuchen sie leider nicht noch einmal. Stattdessen liefern die beiden am Ende ihres Buches 23 "goldene Regeln" zum "Stoppen des Wahnsinns", die sich zusammenfassen lassen mit: Glaub' den kruden Theorien nicht. Eine neue Debattenkultur, wie die beiden sie fordern, wird so wahrscheinlich nicht entstehen.
Auch Michael Butters Essay bleibt vage: Man müsse "Gesellschafts-, Geschichts- und Medienkompetenz" entwickeln, wo und wie, sagt er nicht. Seine Einschätzung der Gefahr, die von den Theorien ausgeht, ist widersprüchlich: Einerseits warnt er vor "Verschwörungstheoriepanik"; durch das Internet werde die Szene zwar sichtbarer, gewaltbereit seien aber nur die wenigsten. Gleichzeitig sieht er das demokratische System bedroht: Denn wer an Verschwörungen glaube, tausche sich meist nur noch mit Gleichgesinnten aus und gehe vielleicht nicht wählen.
Die große Frage nach dem Umgang mit Verschwörungstheoretikern bleibt offen, keines der beiden Bücher liefert einen soliden, praktikablen Ansatz. Sie scheinen aber bitter nötig, schließlich wachsen Bewegungen wie "QAnon". Einer der "QAnon"-Slogans: "Der Sturm hat begonnen".
http://www.spiegel.de/kultur/litera...g-zwei-buecher-untersuchen-das-a-1217802.html
Es werden wohl zu viele VT und sie verlieren die Kontrolle darüber. Jetzt will man die Schlafschafe beruhigen, denen bloß nichts zu glauben, damit die nicht auch noch wach werden. Gutes Zeichen.