Der Islamismusexperte Ahmad Mansour stellt eine neue Gewaltwelle von labilen Personen fest, die sich radikalisieren. Er plädiert für klare Forderungen an Asylsuchende, damit Integration gelingt – und rügt eine gefährliche Naivität hierzulande.
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Der 1976 als Sohn arabischer Israelis geborene Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour lebt seit 2004 in Berlin. Der Autor arbeitet für Projekte gegen Extremismus.
WELT: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht bei dem Attentäter von Würzburg Hinweise
auf ein islamistisches Motiv. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass
der Mann aus Somalia psychische Probleme hat. Wo verläuft die Abgrenzung zwischen Radikalisierung und psychischer Labilität, Herr Mansour?
Ahmad Mansour: Wenn man die Gründe für Radikalisierung betrachtet, bemerken wir immer wieder bei den großen Ausreisewellen Richtung Islamischer Staat (IS), dass in den Biografien eine persönliche Krise der Auslöser für die Suche nach Alternativen war. Bei Radikalisierung findet man immer eine gewisse Sehnsucht nach Halt und Orientierung.
Das gilt für Islamisten genauso wie für Rechtsradikale und für Menschen, die sich Sekten anschließen. Im Übrigen sind Menschen, die bereit sind, andere zu verletzen, immer psychisch auffällig.
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WELT: Was sind das aus psychologischer Sicht für Probleme?
Mansour: Da ist ganz viel Psychopathie dabei. Da spielt Narzissmus eine wichtige Rolle. Oder machiavellistische Züge, bei denen sich Menschen bei der Durchsetzung ihrer Ziele keine Grenzen setzen.
WELT: Eine neue Form des Terrorismus?
Mansour: Es ist nicht so, dass die Terroristen bis vor einem Jahr gesund waren. Aber wir haben es jetzt mit einer neuen Qualität zu tun. Und zwar mit einer weltweit zu beobachtenden Welle von sehr labilen Personen, die sich in alle Richtungen radikalisieren. Aber diese Radikalisierung findet nicht in Organisationen statt. Sie haben ideologische Züge, sind voller Hass.
Beispiele sind der Iraker, der im vergangenen Jahr auf der Berliner Stadtautobahn
Jagd auf Motorradfahrer gemacht hat. Oder der
Anschlag in Atlanta, der sich gezielt gegen Asiaten richtete.
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WELT: Wie kann sich die Gesellschaft schützen?
Mansour: Im Moment sind unsere Sicherheitskräfte nicht vorbereitet und sind überfordert. Terrorismus wird bei uns noch mit Gruppen von mindestens zwei, drei Personen verbunden. Wenn kein Bekennervideo und kein Hinweis auf die Kommunikation mit dem IS gefunden wurde, gehen wir in der Regel nicht von Terrorismus aus.
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Als Chia Rabiei sah, dass ein Mann in Würzburg mit einem Messer von hinten auf einen Passanten einstach, war für ihn klar, dass er einschreiten muss. Unbewaffnet stellte er sich dem Angreifer in den Weg. Im WELT-Interview erzählt er, wie er die Situation erlebt hat.
Quelle: WELT / Daniel Koop / Sebastian Struwe
WELT: Woher kommt der Trend zum Einzeltäter?
Mansour: Wir haben den Effekt der Nachahmung. Wenn einer erfolgreich einen Anschlag verübt und damit Aufmerksamkeit bekommen hat, dann kann er auf andere als Vorbild wirken. Dazu kommt eine sich ausweitende Diskurskultur, bei der es nicht reicht, auf Demonstrationen zu gehen oder sich verbal auseinanderzusetzen, sondern das Ultimative angestrebt wird, das einschließt, Menschen zu verletzen.
WELT: Das betrifft aber auch sogenannte Biodeutsche.
Mansour: Richtig. Dennoch müssen wir uns bewusst machen: Wir haben mit den Flüchtlingen viele großartige Menschen aufgenommen, die hier wirklich freiheitsorientiert in Sicherheit leben wollen. Wir haben aber auch eine große Zahl an Menschen, die komplett anders sozialisiert sind und andere Werte mitbringen.
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Wir waren als Gesellschaft nicht in der Lage, diese Menschen zu integrieren, Forderungen an diese Menschen zu kommunizieren. Werte, die in einem extremen Widerspruch zu unseren Grundwerten stehen, abzubauen. Die Ergebnisse sehen wir in Radikalisierung und Verachtung der Gesellschaft.
WELT: Der Attentäter von Würzburg ist gezielt auf Frauen losgegangen. Sie haben daraufhin erklärt, dass Frauenfeindlichkeit ein Ergebnis von unterdrückter Sexualität ist. Gelten die strengen Regeln der Sexualmoral überhaupt für Männer?
Mansour: Männer dürfen ihre Sexualität auch nur in der Ehe ausleben. Sonst begehen sie eine Sünde. Wenn sie nach Deutschland kommen und sehen, wie wir mittlerweile unsere Sexualität leben, sind sie komplett frustriert.
Sie suchen nach Partnerschaft, bekommen das nicht hin. Sie haben Probleme, normal Kontakt mit Frauen aufzunehmen. Ich habe mit einigen Migranten in Gefängnissen zu tun, die mit extremer Gewalt auf Zurückweisung reagiert haben.
WELT: Kann das in Würzburg ein Grund gewesen sein?
Mansour: Für mich hat es den Anschein, als ob die Verachtung von Frauen nicht nur in der religiösen und traditionellen Einstellung begründet ist, sondern auch aufgrund einer persönlichen Zurückweisung.
WELT: Leider reagieren auch deutsche Männer mit Gewalt auf Zurückweisung.
Mansour: Ja, aber bei Islamisten ist das eine andere Qualität. Da fehlt der normale gleichberechtigte Umgang zwischen Geschlechtern. Der aber ist die Voraussetzung für Integration. Islamismus macht etwas anderes aus: die Abwertung von Frauen, von Feministinnen, aber auch von Homosexuellen. Es war ja kein Zufall, dass bei dem Attentat in Dresden im vergangenen Oktober ein homosexueller Mann getötet wurde.
WELT: Bräuchten die Menschen, die hier um Asyl bitten, mehr psychologische Betreuung?
Mansour: Natürlich. Aber erst mal brauchen wir als Gesellschaft ein anderes Selbstbewusstsein und eine andere Wahrnehmung für die Probleme, die wir haben. Wir wollen es ja gar nicht wahrhaben, dass es Probleme mit der politischen Einstellung und der psychischen Lage von Geflüchteten gibt. Wir wollen ja nicht unter Verdacht geraten, die extreme Rechte zu bestätigen.
Ich bin immer wieder erstaunt über manche Teilnehmer meiner Kurse für Pädagogen und Sozialarbeiter, die in der Integrationsarbeit tätig sind, die überhaupt nicht wahrhaben wollen, dass Geflüchtete auch etwas Negatives mitbringen können. Als ob es sich bei ihnen ausschließlich um Propheten handeln würde!
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