Furor teutonicus
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bedeutet „teutonische Raserei/Angriffslust“ oder im weiteren Sinn „germanische[r] Angriffsgeist/-lust“.
Der Ausdruck wird meist dem römischen Dichter
Marcus Annaeus Lucanus (39–65 n. Chr.) zugerechnet, in dessen Werk Bellum civile er nach heutiger Quellenlage erstmals auftaucht (Liber Primus, 255 f.). Er nahm damit Bezug auf einen vermeintlich herausstechenden Charakterzug des germanischen Volksstammes der Teutonen: die wütende, mitleidlose (auch mit sich selbst), selbstvergessene Raserei der Teutonen in der Schlacht. Der Ausdruck spiegelt den Schrecken wider, der die aufstrebende Römische Republik beim ersten Zusammentreffen mit germanischen Stämmen auf ihrem italischen Gebiet im 2. Jahrhundert v. Chr. ergriffen hatte.
Zitate der Antike:
„Im Kampf jubelten sie, weil sie hofften, das Leben auf ruhmvolle und beglückende Art verlassen zu dürfen.“
„Mit der Schnelligkeit und Gewalt eines Feuersturms griffen sie an: tollkühn und unerschrocken, mit tierischen Stimmen und furchtbaren Schreien.“
Wanderzüge der Kimbern und Teutonen
Die Teutonen zogen zusammen mit den Kimbern und Ambronen auf der Suche nach neuem Land durch Europa. Dabei trafen sie 113 v. Chr. in den Ostalpen auf Truppen des Römischen Reiches. Die Römer unter dem Kommando des Konsuls Papirius Carbo versuchten, die Teutonen in einen Hinterhalt zu locken. Sie hatten das militärische Potenzial der Wandernden jedoch unterschätzt und verloren die Schlacht bei Noreia.
Bei weiteren Aufeinandertreffen, etwa der Schlacht bei Arausio (105 v. Chr.), mussten die Römer weitere empfindliche Niederlagen hinnehmen. Man bekam Angst, dass der Tross gegen Rom ziehen und so dessen Untergang besiegelt würde. Zurückblickend war diese Furcht allerdings wohl unbegründet; einen politischen Willen zur Besetzung Roms gab es nicht.
Die Stämme trennten sich wieder und konnten so einzeln gestellt werden. Gaius Marius besiegte die wandernden Völkerschaften der Teutonen und Ambronen 102 v. Chr. in der Schlacht von Aquae Sextiae und 101 v. Chr. die Kimbern in der Schlacht von Vercellae.
Trotzdem erschien die Gefahr einer Invasion aus dem Norden nach dieser Erfahrung groß und blieb ein steter Grund zur Sorge der Römer. Jahrhunderte später bestätigte sich diese Sorge mit der Zerschlagung des Weströmischen Reiches in der Völkerwanderung.
Der Begriff furor teutonicus wird seit dem Mittelalter als geflügeltes Wort für deutsche Aggression benutzt.
Als Denkfigur ist er, so meint Johannes Fried, beispielsweise bei Johannes von Salisbury im Jahr 1160 zu finden, als dieser sich über das Verhalten des Kaisers Friedrich Barbarossa im Investiturstreit erzürnte. Der französischstämmige Kommentator bedient sich dabei der Adjektive „dumm“ und „aufbrausend“ und spricht vom „Wüten“ der Deutschen und benutzt damit die seit Lucanus tradierten Zuschreibungen an das deutsche Volk.
Marcus Annaeus Lucanus (deutsch meist Lukan, seltener Lucan; * 3. November 39 n. Chr. in Corduba; † 30. April 65 in Rom)
war ein römischer Dichter.
Er war ein Neffe des Philosophen Seneca des Jüngeren. Sein Vater Annaeus Mela war Sohn des Rhetors Seneca des Älteren und Bruder Senecas des Jüngeren.
Nach der rhetorischen Ausbildung bei dem Philosophen Lucius Annaeus Cornutus wurde Lukan in den Kreis der Gebildeten am Hofe Kaiser Neros aufgenommen. Obwohl er 60 n. Chr. bei den Neronia einen Preis für einen Panegyrikus auf Nero gewann, wurde ihm bald darauf ein Publikationsverbot erteilt. Möglicherweise war der Kaiser neidisch auf Lukans überlegenes dichterisches Talent. Lukan soll sich der erfolglosen Pisonischen Verschwörung angeschlossen haben, jedenfalls wurde er am 30. April 65 zur Selbsttötung gezwungen. Er schnitt sich die Pulsadern auf und soll, während er verblutete, einen Passus aus seinem unvollendeten Epos (s. u.) rezitiert haben.
De bello civili
Eine Seite einer 1373 angefertigten Handschrift des Epos De bello civili (Mailand, Biblioteca Trivulziana, Ms. 691, fol. 86v). Die Buchmalerei zeigt Julius Caesar mit Feldherrnstab unter seinen Offizieren.
De bello civili (Buch 6 Verse 368–410) in der Handschrift Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vaticanus Palatinus lat. 1683, fol. 44r (12. Jahrhundert)
Von Lukans Werken ist neben spärlichen Fragmenten nur das unvollendete
Epos über den römischen Bürgerkrieg
zwischen Caesar und Pompeius erhalten, das in den Handschriften als De bello civili (Über den Bürgerkrieg) überliefert ist.
Nach einer exponierten Stelle, in der Lukan seinem Werk Unsterblichkeit prophezeit
(9,985f.: Pharsalia nostra / vivet, et a nullo tenebris damnabimur aevo; „unsere Schlacht bei Pharsalus wird leben, und wir werden von keinem Zeitalter in die Dunkelheit [des Vergessens] verbannt“) wird das Epos meist als Pharsalia (etwa: Gedicht über die Schlacht von Pharsalos) zitiert. Erhalten sind zehn Bücher, deren letztes mitten im Satz abbricht. Der geplante Umfang ist umstritten, vermutlich sollte es in zwölf Büchern bis zum heroischen Tode Catos des Jüngeren in Utica reichen, da Cato im Verlauf der Handlung immer mehr als Held hervortritt.
Glanzpunkte der Darstellung sind
die Schilderung der Seeschlacht vor Massilia
und
die umfangreiche Schilderung der Schlacht von Pharsalos.
Immer wieder schaltet Lukan Exkurse in seine Darstellung ein, etwa einen sehr eindrucksvollen Katalog der Giftschlangen und der durch sie verursachten Todesarten, mit denen die römischen Soldaten in der Wüste Nordafrikas zu kämpfen hatten. Diese Textpassagen sind immer wieder von Motiven des Grausigen durchzogen.
Nicht unbedingt die Wahl des historischen Themas, aber seine Ausführung ist äußerst kühn: Lukan verzichtet auf den im Epos bis dahin üblichen Götterapparat, über den Menschen sieht er höchstens Fortuna und das Schicksal in blinder Willkür regieren. Die Sprache Lukans ist sehr manieriert, und wie alle Epiker der Silbernen Latinität ist er erheblich schwerer zu lesen als etwa Vergil oder Ovid. Seine Sprache zeichnet sich jedoch durch rhetorische Brillanz aus und ist gespickt mit glänzenden Sentenzen und zahlreichen sarkastischen Pointen; das Paradoxon ist eines seiner häufigsten Stilmittel. Damit unterstreicht er die grundsätzliche Absurdität und Verkehrtheit der Welt, die er schildert. Ein weiteres wichtiges Charakteristikum seiner Schreibweise sind die zahlreichen reflektierenden und argumentierenden bis anklagenden Passagen, während sich das antike Epos normalerweise auf die Handlung konzentriert und mit Kommentaren zurückhält.
Sonstige Werke:
Lukan war ein überaus produktiver Schriftsteller. Dieses bezeugen der Werkkatalog in einem Gedicht des Statius zu Lukans Geburtstag an dessen Witwe Polla (Statius, Silvae 2, 7, 52–80) und besonders die den Adnotationes ad Lucanum vorangestellte Vita
(sie werden einem Vacca zugeschrieben, bei dem es sich wahrscheinlich „um eine mittelalterliche Mystifikation“ handelt).
Nur dem Namen nach bekannte Werke sind:
Iliacon (über den Tod Hektors)
Catachthonion (Gedicht über die Unterwelt)
Laudes Neronis (Das Siegesgedicht des Jahres 60)
Orpheus
De incendio urbis (wohl eine Deklamation in Prosa über den Stadtbrand 64)
Adlocutio ad Pollam od. ad uxorem (Gedicht an seine Gattin Polla, vielleicht Teil der Silvae?)
Saturnalia
Silvae (als Büchertitel von Statius übernommen)
Medea (unvollendete Tragödie)
Salticae fabulae (Texte für getanzte/pantomimische Darstellungen)
Epigrammata
Eine Rede für und gegen Octavius Sagitta (vgl. Tacitus, Annalen 13, 44 zum Jahr 58)
Epistolae ex Campania (Briefe aus Kampanien)
Ein Schmähgedicht auf Nero (siehe Sueton, vita Lucani)
In der römischen Kaiserzeit stritt man darüber, ob Lukan als Dichter oder als Historiker zu werten sei, weil er auf den im Epos traditionell üblichen Götterapparat verzichtet; schon sein Zeitgenosse Titus Petronius gibt in seinem Satyricon den Anfang eines ironischen Alternativgedichtes. In Spätantike und Mittelalter galt Lukan als einer der bedeutendsten antiken Dichter, er wurde in einem Atem mit Vergil genannt. So führt Dante ihn in seiner Göttlichen Komödie (Inferno, IV 88–90) unter den Weisen und Dichtern des Altertums, die in einem besonderen Bereich des Limbus ein schmerzloses Dasein genießen, neben Homer und Vergil auf.
Goethe kannte Lukan, schätzte ihn allerdings nicht sonderlich;
immerhin taucht eine von Lukan erfundene Figur, die Hexe Erichtho,
in der Klassischen Walpurgisnacht (Faust II) auf. Hölderlin übersetzte das erste Buch der Pharsalia; das Freiheitspathos Lukans fand verschiedentlich bei jungen Schriftstellern Anklang. Im 18. und 19. Jahrhundert verfiel jedoch Lukans Ruhm, da seine Sprache oft als bloße Rhetorik gewertet und für undichterisch gehalten wurde.
Das 20. Jahrhundert hat, nicht zuletzt im Schrecken der beiden Weltkriege, Lukan allmählich als Dichter wiederentdeckt; so wird in der neuesten Forschung Lukans Text mit der Literatur über den Luftkrieg (Gert Ledig: Vergeltung) in Beziehung gebracht. Heute werden seine gewagten Bilder und Metaphern oft als seine eigentliche Kunst und Bedeutung gesehen.
Obwohl Lukan so in der Wissenschaft mittlerweile wieder große Beachtung findet, hat er sich nicht als Schulautor etablieren können. Vielen Didaktikern gilt er als zu schwer, sein Stil als jungen Lesern nicht zugänglich. Eine Schulausgabe steht daher aus.
Ein wahrlich interessanter Mann hinter dieser Redewendung,
sofern die Erzählungen zutreffend sind, ebenfalls ein Charakter im Zeitgeschehen, der nicht in seine Zeit gehörte!