Russland ist nicht so verletzbar, wie der Westen dachte
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Westliche Politiker geben sich siegessicher, was den Ukraine-Krieg betrifft. Olaf Scholz etwa bezeichnete die Sanktionen gegenüber Russland als „hochwirksam“. Dabei ist die größte Rohstoffmacht der Welt vor allem eines: quicklebendig.
Wenn Kriege mit Worten gewonnen würden, hätten die Nato-Staaten ihren Widersacher Wladimir Putin schon dreimal zu Boden geworfen.
Joe Biden, der vor dem Warschauer Stadtschloss das Ziel ausgab, Putin dürfe in der Ukraine niemals einen Sieg feiern, drohte dem Kreml-Herrscher im April 2022, ihn ökonomisch in die Knie zu zwingen: „Wir werden die ökonomischen Kosten und den Schmerz für Putin in die Höhe treiben und Russlands Wirtschaft isolieren.“
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Die größte Rohstoffmacht der Welt ist quicklebendig. Sie hat den Westen verloren und viele andere Kunden neu akquiriert. Das Decoupling, von dem die Amerikaner in Bezug auf China derzeit sprechen, hat Russland in der Stunde der Not für sich organisiert.
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Russland ist – und das ist die bitterste Erkenntnis von allen – nach dem Überfall auf die Ukraine nicht der Paria der internationalen Gemeinschaft geworden, sondern das neue anti-westliche Rollenmodell. Im Stresstest eines Wirtschaftskrieges will Putin sich und den anderen zeigen, wie man der Einflusssphäre der Amerikaner entkommt, ohne dabei zu krepieren.
Seine Bilanz knapp 16 Monate nach der Invasion und seit dem Erlass von zehn Sanktionspaketen kann sich sehen lassen. Der Westen hat die Moral auf seiner Seite, aber eben nicht die ökonomischen Fakten:
Die Geldwertstabilität wurde gerettet. Die in Moskau promovierte Ökonomin Elwira Nabiullina ist im Kampf gegen den Währungsverfall Putins wichtigste Kriegerin: Die Zentralbankchefin hat nur wenige Tage nach Beginn des Ukraine-Feldzuges begonnen, das russische Geldsystem der neuen Lage anzupassen.
Auslandsüberweisungen wurden gedeckelt, Auszahlungen in Devisen verboten und Deviseneinnahmen zum Umtausch in Rubel erzwungen. „Die Kapitalmarktkontrollen unter der Führung von Elwira Nabiullina haben einen schnellen Abfluss der Devisen verhindert“, bestätigt Alexander Libman, Professor für Osteuropa und Russland an der Freien Universität Berlin. Auch ein Bank Run auf die Spareinlagen der Verbraucher konnte so verhindert werden.
Die Inflation lag im Mai 2023 bei beneidenswerten 2,5 Prozent. Auch der Außenwert des Rubels konnte sich wieder stabilisieren. Zwischenzeitlich musste man 144 Rubel pro Euro zahlen, inzwischen pendelte sich die russische Währung auf einem Niveau von etwa 90 Rubel pro Euro ein – eine Währungskrise habe „nicht stattgefunden“, so Libman.
Russlands Nachbarn springen als Handelspartner ein. Überall da, wo sich westliche Konzerne und Mittelständler aus Putins Reich verabschiedet haben, sind andere Firmen anderer Staaten nachgerückt. Die Regierung in Moskau kurbelte das Import-/Export-Geschäft an, indem es die Importzölle auf null Prozent reduzierte.
Seitdem gedeiht der Handel mit der Türkei, Kasachstan, Armenien, China und Indien. Einige Länder halten sich an die westlichen Sanktionen, finden aber kreative Wege, das nicht-sanktionierte Geschäft auszubauen.
Dazu gehören die boomenden Erlöse aus dem Geschäft mit den Parallelimporten. Viele Jahre war es Händlern in Russland untersagt, westliche Waren zu importieren, wenn der Markeninhaber dies verboten hatte, beziehungsweise den Import in Eigenregie organisierte. Ein Beispiel: Waschmittel etwa von Henkel durfte nur durch die Erlaubnis des Düsseldorfer Konzerns in Russland verkauft werden. Es gab keine legalen Nebenbuhler.
Das Verbot der Parallelimporte hat Moskau gleich nach Kriegsbeginn gekippt. Die Exklusivrechte der Hersteller wurden damit suspendiert. Nun kommen westliche Güter auch ohne Zutun der Originalhersteller über die Grenzen – etwa aus Kasachstan oder Kirgistan . Und die westlichen Hersteller verkaufen nun eben an die Zwischenhändler, womit die Lieferkette nach Russland zwar länger, aber nicht unterbrochen wurde.
Chinas Technologie ersetzt die des Westens. Den Verkauf von Luxusautos ab einem Verkaufswert von 50.000 Euro nach Russland hat die EU verboten. Freiwillig wurden auch die Autos von westlichen Volumenherstellern zurückgezogen. Seither steigt die Zulassung chinesischer Fabrikate – vor allem im Volumenmarkt.
Russische Konsumenten finden Ersatz, ohne allzu kräftige Qualitätseinbußen hinnehmen zu müssen. Die Folge: Die chinesischen Automarken Geely, Great Wall oder Changan dringen nun mühelos in das Terrain der Autobauer Kia (Korea), Mazda (Japan) und Volkswagen vor.
Russlands Reserven sind stabil. Es ist nicht so, als würde Russland die Sanktionen des Westens nicht spüren. Die Einnahmen aus dem russischen Gas- und Ölgeschäft mit dem Westen sind deutlich eingebrochen.
Es fließt etwa seit Mitte 2022 kein russisches Erdgas und seit Januar 2023 auch kein Rohöl mehr nach Deutschland. Damit sinken auch die Einnahmen aus den Exportzöllen. Gleichwohl findet Russland woanders auf der Welt ebenfalls zahlungskräftige Abnehmer – mitunter aber mit reduziertem Preis.
Die Folge: Nach Angaben des Finanzministeriums des Landes sanken die Einnahmen aus Öl- und Gassteuern in den Monaten Januar bis April im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent auf 7.782 Milliarden Rubel (8,5 Milliarden Euro). Das trifft Russland – aber nicht massiv. Denn Moskau kann auf stabile Reserven in Gold und US-Dollar zurückgreifen.
Die russische Wirtschaft profitiert vom Abzug der Westler. Zahlreiche Unternehmen aus Europa und den USA haben das Land verlassen – in der Regel mit deutlichem Verlust, weil sie ihr Betriebsvermögen verschleudern mussten.
Der Grund: Der russische Staat zwingt westliche Unternehmen, die ihre russischen Tochtergesellschaften veräußern, zu einem Wertabschlag von 50 Prozent.
Hinzu kommt eine Steuer von zehn Prozent auf den Restwert. Ohnehin dürfen westliche Unternehmen ihre Assets nur verkaufen, wenn eine Regierungskommission grünes Licht gibt. Bei Banken und im Energiesektor hat Putin das letzte Wort.
Unter dem Strich bleibt festzustellen, dass die imperialistischen soft-power Folterwerkzeuge in Russland kläglich gescheitert sind, und schlimmer noch, sie sind in jeder Hinsicht Rohrkrepierer, die in den sanktionswütigen Staaten selbst grosse Schäden angerichten haben, wie verheerend die Schäden sind, wird sich erst noch im Laufe der nächsten Jahre erweisen, aber der trend zeichnet sich schon deutlich ab. Für die Industrie, die für ihre Konkurrenzfähigkeit auf möglichst preiswerte Energie angewiesen ist, gibt es aus dem Dilemma kein Entrinnen, ausser den Standort Deutschland, bzw Europa insgesamt, zu verlassen.
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