Marx und Katastrophen
Marx heute:
"Er näherte sich dem Kapitalismus, wie Engels bei seinem Begräbnis sagte, vor allem einmal als Revolutionär. Und er versucht, sein Verständnis des Kapitalismus fruchtbar zu machen, um zu zeigen, wie der Kampf der Arbeiterklasse als kollektives politisches Subjekt entstehen und wie er die Grundlage für eine ganz andere Welt legen kann." Quelle:
http://marx21.de/content/view/1446/32/
Der Kampf der Arbeiterklasse setzt die Selbstbestimmung von Menschen als Arbeiter voraus. Was aber, wenn sich (Erwerbs- und Produktions-) Arbeit in den Industrieländern drastisch reduziert?
Wenn das Arbeitsvolumen sinkt? Ist der Arbeitslose ein Arbeiter? Der Schein- Selbstständige? Kann man den Wissens- Arbeiter als klassischen Arbeiter bezeichnen?
Mal weg vom Arbeiter: reicht nicht die Bezeichnung "ein Armer" für den Teil der Menschheit, welcher am meisten an Revolutionen interessiert ist?
Laut aktuellem Armutsbericht sind in Deutschland 20 % der Erwerbsfähigen prekär oder gar nicht beschäftigt. Man darf sie ruhig "relativ arm" nennen, gemessen am Weltmassstab.
Hunger und Krankheiten sind nicht das einzige Merkmal für Armut. Mangelnde gesellschaftlich Teilhabe, Ausgrenzung und damit verbundene Angst- und Depressionserscheinungen sind ebenfalls
Zeichen von Armut. Durch professionell betriebene Manipulation, vor allem in Medien und Schulen, gelingt das berühmte "divide et impera".
All das finden wir bei Marx nicht. Er geht von der "Arbeiterklasse" aus. Und er geht davon aus, dass diese Arbeiterklasse sich in einer- oder mehreren- Parteien organisieren muss.
Dass dann wieder die Gruppendynamik greift und ähnlich hierarische Verhältnisse wie in bürgerlichen Parteien entstehen, blendet Marx komplett aus.
Es gab in den letzten Jahren etliche große Demonstrationen in südlichen Ländern Europas. Dabei wurden Partei- Fahnen meist ungern gesehen. Warum wohl?
Könnte es sein, dass immer mehr Menschen, denen es an die nackte Existenz geht, die scheiheilige Phrase von der "Demokratie" durchschauen?
Marx` Analyse des Kapitalismus, der Akkumulation, des Mehrwertes, des Eigentums an Produktionsmitteln ist brilliant. Insofern können wir heute daraus lernen.
Etwa in unserem Verständnis von Kriegen und Kapital. "300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert..." eine nur scheinbar banale Formel.
Machen wir uns doch einmal die Mühe und rechnen nach, wer wieviel am Krieg verdient. Dazu kann uns Marx bringen. Er hilft also bei der Dekonstruktion von gesellschaftlich verbreiteter Propaganda.
Und die muss erst einmal durchschaut werden. Vorher gehen keine Massen dauerhaft auf die Straße, streiken oder leisten sonstigen "Ungehorsam".
Das Problem mit Marx ist: Menschen riskieren heute und hier- in einem eigentlich reichen Land- nur dann eine Revolution, wenn sie eine Vorstellung von einer besseren Zukunft haben.
Was kommt nach der Revolution? Vielleicht eine linke Herrschaftskaste? Was hätte sich dann geändert?
Aber Herrschaft muss doch sein, oder? Der Mensch ist doch an sich destruktiv und braucht Führung, nicht wahr? Alternativen bedeuten doch nur Chaos oder Anarchie.
Seltsam ist nur, dass in 80.000 Jahren Menschheitsentwicklung lediglich 5000 Jahre Herrschaft in großem Stil zu beobachten war- so, wie wir sie heute als normal empfinden.
Wer sagt, dass es nicht möglich wäre: eine hochentwickelte Gesellschaft ohne Zentral- Apparate, die fast alles bestimmen? Ohne sinnlose Massenproduktion von Waren?
Ohne jährlich ca. 60 Millionen vermeidbaren Opfern dieses wahnsinnigen Wachstums- basierten Systems, dass ohne Agressionen nicht bestehen kann?
(Siehe Jean Ziegler: "Der II. Weltkrieg forderte 56 Mio Opfer. das schafft der Imperialismus locker in einem Jahr.")
Ich vermute, dass eine echte Chance auf wirklich freie Gesellschaften erst durch die zu erwartenden Katastrophen entstehen kann. Egal ob Umwelt- Atomkriegs- oder Meteoriteneinschlags- Szenarien.
"Große Gruppen von Menschen haben noch nie etwas begriffen ohne Katastrophe, ohne Schock" (Heiner Müller)
Ja, Marx ist aktuell- in seiner Systemkritik. Wie und ob dieses System geändert werden kann, das müssen wir selbst herausfinden.