Liebe Leute,
Kohl ist tot. Das ist ziemlich natürlich, er hat ein recht hohes Alter erreicht.
Es ist völlig egal, was man von ihm gehalten haben mag, als er noch in Amt und Würden war, vielleicht sollte man sich auf das konzentrieren, was er bewegt und erreicht hat? Er hat ganz sicher nicht alles richtig gemacht. Angefangen bei seiner Besessenheit von der "deutsch-französischen Freundschaft" (die ich stets als kompletten Irrweg gesehen und empfunden habe, aber das ist eben MEINE Einschätzung) bis hin zu der bedauerlichen Tatsache, daß er über dem "Großen und Ganzen" Details gern mal ausgeblendet hat.
Vielleicht war sein Weg nicht der richtige, um sein Ziel zu erreichen. Vielleicht, eher sogar: wahrscheinlich hat er von der Gunst der Stunde profitiert, eher Folge des Zusammentreffens für ihn günstiger Umstände, als daß er selbst diese herbeigeführt hätte (an der deutschen Wiedervereinigung hatte Strauß weit mehr Verdienst als Kohl). ABER: sein ZIEL war und ist richtig gesetzt. Ein vereintes Europa. Die Vision eines europäischen Staatenverbundes, eines Tages der vereinigten Staaten von Europa. Und genau DAS sollte man mitnehmen, wenn man sich von ihm verabschiedet, egal ob als Freund oder als Gegner seiner ganz speziellen Art der Politik.
Und: man sollte aus seinen Fehlern lernen. Nicht etwa sie perfektionieren, wie Merkel das tut.
Kohl war Meister im Aussitzen, notfalls auch der öffentlichen wie der veröffentlichten Meinung. Aber er hatte eine Vorstellung davon, was er wollte.
Merkel sitzt nicht aus, sie paßt sich jedem Trend an. Das ist ein himmelweiter Unterschied - und genau deshalb wird sie weder jemals so etwas haben wie eine Vision, eine Vorstellung, wohin sie Deutschland bringen will noch wird sie jemals ein Ziel erreichen oder zielgerichtet handeln, wie Kohl es getan hat, als der Ostblock untergegangen ist. Kohl hat - und das verdient Respekt - Deutschland und die deutsche Politik für vier Legislaturperioden bestimmt. Gegen alle Widerstände, wie begründet sie auch immer gewesen sein mögen.
Merkel läßt Widerstand gar nicht erst zu, sie vollzieht vorher eine Kehrtwende. D.h.: Selbst wenn Merkel doppelt so lange regierte wie Kohl es getan hat, würde sie selbst dann niemals vergleichbare Spuren hinterlassen, wie Kohl es getan hat. Kohl hat es geschafft, die öffentliche Meinung vor sich herzutreiben, als die Chance zur Wiedervereinigung gegeben war: kein Westdeutscher hat die Wiedervereinigung gewollt, schon gar nicht in der Form, in der Kohl sie vollzogen hat. Kein Westdeutscher wollte eine Währungsunion im Maßstab 1:1. Kein Westdeutscher wollte sich die marode Wirtschaft der DDR an die Backe hängen, wir hatten damals schon mehr als genug zu zahlen für unsere Schulden. Eine Unmenge von Experten hat davor gewarnt, die ostdeutsche Wirtschaft der unmittelbaren Konkurrenz durch die westdeutsche auszusetzen, jede nur denkbare Prognose, sei es durch Experten, sei es durch den Wähler hat Rotalarm ausgewiesen beim Spruch von den "blühenden Landschaften". Erwiesenermaßen zu recht...
Er hat es trotzdem durchgezogen. Merkel, hingegen, hätte auf der Grundlage von Meinungsforschung und Expertisen die Finger vom Projekt "Deutsche Einheit" gelassen und gesagt: "Ja, wenn die Mehrheitsmeinung so und so ist, dann... äh... also, dann sollte man das nicht durchpauken, sondern jedem freistellen, was er davon hält. Und dann machen, was man für mehrheitsfähig hält - dann ist eben Essig mit deutscher Einheit, Hauptsache, ich werde wiedergewählt und keiner hat ein Thema GEGEN mich in der Hand!"
Oh, nein, ich war nie ein Kohl-Anhänger. Im Gegenteil: es war Kohl, der mich von der CDU weggetrieben hat, schon lange, bevor Merkel auch den letzten Rest des wirtschaftsliberalen Flügels kaltgestellt hat. Aber ich achte das, was er geleistet und - VOR ALLEM ANDEREN!!! - uns als Aufgabe hinterlassen hat. Auch und ganz Besonders im Hinblick darauf, was man hätte besser machen können.
Er WAR ein Großer und er WAR eine Persönlichkeit, egal wie sehr er polarisiert hat. Vermutlich eher WEIL er polarisiert hat. Das glatte Gegenteil dessen, was Merkel tut: sie polarisiert nicht, sie paßt sich jeden Trend an. Konsens, Konsens über a-hal-les, über alles i-hin der Welt...
ACHTET Kohl und sein Vermächtnis, im Guten wie im Schlechten.
Gruß -
Bendert