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Gut, dann versuchst du bitte mal, allen anderen Nationen ihren Nationalstolz auszureden,
Wir sind seit etwa 100 Jahren eine Nation, mehr oder weniger.
In dieser Zeit haben wir einen Weltkrieg über die Welt gebracht, den größten Völkermord der Geschichte verübt und Europa in Schutt und Asche gelegt. Wir sind wie ferngesteuert einem gefährlichen Despoten hinterhergelaufen, der aus heutiger Sicht nur lächerlich wirkt, haben ohne Sinn und Verstand Befehle ausgeführt und waren die unmenschlichsten Barbaren, die die Welt je gesehen hat. In den Naziprozessen haben wir dann die Hände in Unschuld gewaschen, weil wir ja nur "Befehlsempfänger" waren.
Die Frage, warum so viele Menschen dieser eigentlich lächerlichen und zutiefst gestörten Figur hinterhergelaufen sind, ist bis heute nicht zufriedenstellend beantwortet. Sollte es etwas mit einer "deutschen" Mentalität zu tun haben, kann ich gut drauf verzichten.
Nach kurzer Entspannungszeit, in der unter Aufsicht ein Wohlfahrtsstaat entstand, in dem alle Menschen zufrieden leben konnten, hat der Wahn des ewigen Wachstums Einzug gehalten. Deutschland ist jetzt ganz vorne dabei, wenn es um die Ausbeutung der Erde geht, um das Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich, um die Etablierung der "Globalisierung" im Sinne von Ausbeutung sowohl der Menschen als auch der Ressourcen.
Die Fastfood- oder auch Auskotzbildung mit Bachelor und Master hat die gute alte humanistische Bildung ersetzt, die SELBSTzweck war und zum selber denken befähigte. Eine Fähigkeit, die nicht mehr sehr weit verbreitet ist.
Die Dichter und Denker, die es früher gab, die klugen Köpfe, die es auch heute gibt, sind größtenteils die, die unter den herrschenden Umständen gelitten haben und dagegen anschrieben. Und die nicht selten zu Lebzeiten nichts galten oder gar angegriffen wurden. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich energisch dagegen verwehren würden, wüssten sie, von wem sie heute instrumentalisiert werden.
Ich weiß nicht, worauf ich hier stolz sein sollte.
Stolz bin ich hingegen darauf, dass ich die drückende Angst los geworden bin, das große Schweigen, das die Nazis unserer Familie hinterlassen haben:
Mit einem Nazi aus Hitlers engerem Umfeld als Großvater, der 1945 in Prag erschossen wurde, seine Frau, eine Vierteljüdin vorher noch nach Bayern brachte, weg von der Wohnung mit goldenen Betten und Perserteppichen, weg vom Maybach. Womit er das verdient hat: Er hat sich in Riga um die Judenfrage gekümmert. Meine anderen Großeltern waren aus Ostpreußen, der Gegend um das heutige Kaliningrad, meiner Großmutter haben sie auf dem Ostpreußentreck ein Kind aus dem Leib geschnitten, ohne Betäubung, ein anderes hat sie einfach mitgenommen, die Eltern waren den Strapazen nicht gewachsen gewesen, es lag in den Armen der erfrorenen Mutter. Mein Großvater hat nie mehr gesprochen, nur noch von Zeit zu Zeit russische Lieder gesungen, draußen auf der Hausbank.
Habt Ihr auch nur den Hauch einer Ahnung, wie es ist, in einem solchen Umfeld aufzuwachsen? Und ich bin nicht die einzige, es gibt unendlich viele Menschen, denen so das Leben genommen worden ist, die Lebendigkeit.
Ich bin es los geworden. Das ist meine Leistung. Und wenn ich es mir hätte aussuchen können: Ich hätte gerne darauf verzichtet.
Nein, ich habe keinen Grund, auf Deutschland stolz zu sein - oder doch, ein wenig: Einige von uns können (wieder) Mitgefühl empfinden, nachempfinden, wie es ist, solchem Schrecken ausgesetzt zu sein. Sie können menschlich handeln und sie tun es - entgegen aller Anfeindung.
Doch, darauf bin ich stolz.
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