Obskurer Krebstherapie vertraut
Eine 47-jährige Frau stirbt unter Qualen an Brustkrebs. Sie vertraut bis zum
letzten Tag den sonderbaren Methoden der «Neuen Medizin».
Von Hugo Stamm
Seit Jahren kriechen immer wieder Krebspatienten in ihrer Verzweiflung den umstrittenen Therapeuten der «Neuen Medizin» auf den Leim, die regelmässig Vorträge im Kanton Zürich organisieren. Und immer wieder sterben Patienten auf tragische Weise. So auch die 47-jährige Karin Roth (Name geändert) aus dem Mutschellengebiet. Obwohl sie bis auf die Knochen abgemagert und entkräftet war, glaubte sie noch kurz vor dem Tod, die unmenschlichen Qualen seien Ausdruck der Genesung. So machten es ihr die beiden «Therapeutinnen» weis.
Seelischer Konflikt als Ursache
Die dramatische Geschichte begann am 4. August 2000. Bei einer gynäkologischen Untersuchung entdeckte der Arzt ein Knötchen in der linken Brust. Die Punktion ergab, dass es sich um eine bösartige Geschwulst handelte. Über Bekannte erfuhr die Patientin von der «Neuen Medizin» des deutschen Arztes Geerd Hamer. Dieser behauptet, Krebs sei lediglich die Folge eines seelischen Konflikts und lasse sich mit therapeutischen Massnahmen leicht heilen. Strikt verboten sind die Einnahme von Medikamenten und Bestrahlungen. Karin Roth gab den Ärzten, die sie behandeln wollten, einen Korb und vertraute sich der «Neuen Medizin» an. Sie werde bald genesen, versprachen ihr ihre beiden «Therapeutinnen».
Fast ein Jahr lang regte sich der Knoten nicht, dann brach er unerwartet auf, die Blutung war kaum zu stillen. Dies sei eine Folge der damaligen Punktierung durch den Arzt, behaupteten die beiden Hamer-Frauen. Der Ehemann telefonierte einem Arzt, der die sofortige Einweisung in ein Zürcher Spital veranlasste. Die ganze Brust war vereitert, die Operation gestaltete sich schwierig. Trotz der ungünstigen Prognose verweigerte Karin Roth sowohl Chemotherapie als auch Bestrahlung. Sie würde daran sterben, redeten ihr die beiden Vertreterinnen der «Neuen Medizin» ein. Die Wunde wollte nicht mehr heilen und produzierte viel Eiter. Ausserdem wurde Karin Roth immer schwächer. Bald zerfiel sie körperlich, konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und benötigte einen Rollstuhl. Die Schmerzen brachten sie fast um den Verstand. Trotzdem nahm sie keine Schmerzmittel. Die beiden «Therapeutinnen» behaupteten weiterhin, sie sei auf dem Weg zur Genesung. «Sie haben zwar oft nach ihr geschaut», erzählt der Ehemann, «doch sie haben nichts unternommen, um meiner Frau zu helfen.»
In seiner Verzweiflung flog das Ehepaar zu Geerd Hamer nach Spanien. Dem Begründer der «Neuen Medizin» war in Deutschland die Zulassung als Arzt entzogen worden, ausserdem wurde er schon zweimal zu Gefängnisstrafen verurteilt. Doch auch Hamer war am Ende seines Lateins: «Er hat meine Frau in der Hotelhalle untersucht, aber auch nichts unternommen», erklärt der Ehemann. «Die Beschwerden seien Ausdruck des Heilungsprozesses, hat er meiner Frau gesagt.» Die Ursache des Brustkrebs liege in einem Partnerschafts- und Vaterkonflikt. «Wir haben eine gute Ehe geführt», beteuert der Ehemann, «und Konflikte mit ihrem Vater hatte meine Frau auch nicht.» Obwohl ihm der Zustand seiner Frau immer mehr Angst machte, respektierte er ihren Wunsch, der «Neuen Medizin» zu vertrauen und ärztliche Hilfe abzulehnen.
«Es kommt schon gut»
In den nächsten Monaten verschlimmerte sich der Zustand zusehends. Die Schmerzen griffen auf Arme und Schultern über. Es komme schon gut, wiederholten die beiden Exponentinnen der «Neuen Medizin» immer wieder. Der Ehemann zog eine Physiotherapeutin bei, doch sie weigerte sich, Karin Roth ohne Röntgenuntersuchung zu behandeln. «Das Resultat war niederschmetternd», erinnert sich ihr Mann. «Am rechten Oberarm fehlte ein grosser Teil des Knochens, das Schulterblatt war durchlöchert.» Trotzdem gaben die beiden Vertreterinnen der «Neuen Medizin» unbeirrt die Durchhalteparole aus: Sie sei in der Heilungsphase, die Knochen würden sich wieder aufbauen, sagten sie. Karin Roth glaubte ihnen weiterhin.
Schuld auf Ehemann abgeschoben
Da seine Frau keine Hilfe von konventionellen Ärzten annehmen wollte, bestellte er eine Ärztin der traditionellen chinesischen Medizin. Ihr Urteil: «Es gibt keine Hoffnung mehr, Ihre Frau lebt nur noch ein bis zwei Monate.» Karin Roth starb eine Woche später unter Qualen. Wenige Tage vor ihrem Ableben war sie noch überzeugt, bald zu genesen. Ihr Ehemann sagte der einen «Therapeutin» nach dem Tod, er habe ein schlechtes Gewissen, weil er tatenlos zugeschaut habe. Ihre Antwort: «Aha, der Konflikt war also nicht gelöst. Deshalb ist deine Frau gestorben.» Kurze Zeit später starb seine Schwägerin ebenfalls an Brustkrebs. Auch sie hatte sich nach den Methoden der «Neuen Medizin» «behandeln» lassen.
Auf Anfrage erklärte eine der beiden «Therapeutinnen», Karin Roth habe gegen Schluss Medikamente zu sich genommen, weshalb der Genesungsprozess gestoppt worden sei. Zudem habe sie auch andere Erfordernisse der «Neuen Medizin» missachtet. Nähere Angaben machte sie nicht.