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Marx und Bakunin in der Internationalen
Anarchie
Der Begriff der Anarchie geht auf die griechische Antike zurück und kommt schon bei Homer, Herodot und Xenophon vor, der mit Anarchia einen Zeitraum ohne den obersten Staatsbeamten, den Archon, beschreibt. Aristoteles lehnte die Anarchie ab, weil da die Sklaven ohne Herren seien.
Ein Vordenker der Anarchisten war der Franzose Étienne de La Boétie, der 1548 im Alter von kaum 18 Jahren über das Rätsel der Herrschaft als „freiwillige Knechtschaft“ schrieb:
Diesmal möchte ich nur erklären, wie es geschehen kann, dass so viele Menschen, so viele Dörfer, Städte und Völker manchesmal einen einzigen Tyrannen erdulden, der nicht mehr Macht hat, als sie ihm verleihen, der ihnen nur insoweit zu schaden vermag, als sie es zu dulden bereit sind, der ihnen nichts Übles zufügen könnte, wenn sie es nicht lieber erlitten, als sich ihm zu widersetzen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Étienne_de_La_Boétie
In England gründeten 1649 die „Diggers“ oder „True Levellers“ kleine ländliche Kommunen, die jedoch schon 1651 durch die lokalen Großgrundbesitzer bekämpft und zerschlagen wurden.
Ludwig Börne (1786-1837) vertrat die revolutionäre Beseitigung der bestehenden Herrschaft:
Nicht darauf kommt es an, dass die Macht in dieser oder jener Hand sich befinde: die Macht selbst muss vermindert werden, in welcher Hand sie sich auch befinde. Aber noch kein Herrscher hat die Macht, die er besaß, und wenn er sie auch noch so edel gebrauchte, freiwillig schwächen lassen. Die Herrschaft kann nur beschränkt werden, wenn sie herrenlos – Freiheit geht nur aus Anarchie hervor. Von dieser Notwendigkeit der Revolution dürfen wir das Gesicht nicht abwenden, weil sie so traurig ist. Wir müssen als Männer der Gefahr fest ins Auge blicken und dürfen nicht zittern vor dem Messer des Wundarztes. Freiheit geht nur aus Anarchie hervor – das ist unsere Meinung, so haben wir die Lehren der Geschichte verstanden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Anarchismus#cite_ref-14
Im Frankreich der 1820er Jahre bildete sich eine als Mutualismus (gegenseitig) bezeichnete Bewegung unter Handwerkern und Arbeitern, die Vereine zur gegenseitigen Unterstützung gründeten, die auch damals illegale gewerkschaftliche Ziele verfolgten. 1831 kam es in Lyon zu einem ersten Aufstand der Seidenweber, im Jahr 1834 zu eoinem zweiten Aufstand, der sich vor allem gegen das bevorstehende Verbot der mutualistischer Organisationen durch ein neues Vereinsgesetz richtete.
Die Ansätze der frühen Mutualisten wurden in Frankreich von Proudhon aufgegriffen, der es zusammen mit zinsfreien Krediten, mit der eine Volksbank die Bildung von Produktionsgenossenschaften ermöglichen sollte. Das Statut der Ersten Internationalen verbot 1871 ihren Mitgliedern, den Mutualismus zu vertreten.
Die 1846 erschienene Schrift von Pierre Joseph Proudhon „Ökonomische Widersprüche - Die Pilosophie des Elends“ wurde von Karl Marx 1847 unter dem Titel „Das Elend der Philosophie“ angegriffen. Proudhon begann damit, den Begriff der Anarchie positiv zu verwenden; von ihm stammt die Parole „Eigentum ist Diebstahl“, womit gemeint ist, dass der Eigentümer ohne eigene Arbeitsleistung die Arbeit anderer Menschen durch Grundrente, Miete, Zins, Profit etc. ausbeutet.
Von Proudhon wurden die Anarchisten Bakunin und Kropotkin beeinflusst.
Die russischen Volkstümler (Narodniki) sollte man auch als Anarchisten sehen, vor allem da ihr Vertreter Alexander Herzen mit Bakunin in Beziehungen stand. Die Narodniki wollten in Russland den Sozialismus als Bauernbewegung einführen, deren Grundlage die traditionelle Dorfgemeinschaft sein sollte. Sie lehnten damit die von Marx vertretene kapitalistische Entwicklung als Voraussetzung des Sozialismus ab.
Mitglieder der Narodnaja Wolja (Volkswille), denen der Bruder von Lenin, Alexander Uljanow, und der Pole Jozef Pilsudski angehörten, verübten 1881 den tödlichen Anschlag auf Zar Alexander II. in St. Petersburg. Sie waren keine Anarchisten, sondern vermutlich vom Ausland gesteuerte Liberale.
Bakunin
Im Zusammenhang mit der Revolution von 1848/49 wurde Bakunin schon erwähnt. Nun haben wir anhand von Marx die geheime Diplomatie und politischen Netzwerke etwas näher kennengelernt und können auf diesem Hintergrund diesen Bakunin etwas besser einschätzen.
Er stammte aus einer aufgeschlossenen, liberalen Familie, die gezwungen war, ihren entsprechend erzogenen Sohn eine Karriere bei der russischen Armee antreten zu lassen, um dem Zaren ihre Treue zu beweisen. Dem Sohn hat es bei der Armee nicht sehr behagt und er ist eines Tages zu seinem Dienst nicht mehr erschienen. Es wird mit guten Beziehungen erklärt, dass ihm die Fahnenflucht verziehen wurde.
Bakunin ging dann nach Moskau, angeblich gegen den Willen seines Vaters, um dort seinen Lebensunterhalt als Mathematiklehrer zu verdienen, was er wohl nicht nötig hatte. In Moskau bekommt er Zugang zu literarischen Zirkeln, studiert deutsche Philosophen, übersetzt deutsche Texte der Bettina von Arnim, von Fichte und Hegels Gymnasialreden in die russische Sprache. Bakunin habe als der größte Hegel-Kenner in Moskau gegolten und das war wohl nicht dem Spuk mit dem Weltgeist zu verdanken.
Der interessierte Leser wird es schon vermuten, dass Bakunin hiermit sein baldiges Auftreten in deutschen Salons vorbereitet hat, wozu die Konversation über Hegel damals unbedingt gehörte, wofür er auch Empfehlungen brauchte. Er befreundete sich mit Alexander von Herzen und beide wohnten 1839 ein Jahr lang in Moskau zusammen:
„Bakunin trieb mich dazu an, mich immer mehr in das Studium Hegels zu vertiefen; ich bemühte mich, mehr revolutionäre Elemente in seine strenge Wissenschaft einzuführen.“
– Alexander Herzen an Jules Michelet: Brief vom November 1851
http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin
Anschließend begab sich Bakunin mit finanzieller Unterstützung des sehr vermögenden Herzen nach Berlin und fand schnell Zugang in den Kreisen der Junghegelianer.
Nach seiner Festnahme 1849 war Bakunin zwar zuerst in Sachsen zum Tode verurteilt, begnadigt und an Österreich ausgeliefert worden; danach von den Österreichern zum Tode verurteilt und begnadigt, wurde er an Russland ausgeliefert.
In Russland wurde er in der Peter-und-Paul-Festung vom späteren Fürsten Orlow, dem ständigen Begleiter des Zaren Nikolaus I. und Leiter der geheimen Polizei in Russland, aufgefordert, dem Zaren ein schriftliches Geständnis „wie ein geistiger Sohn an seinen geistigen Vater“ zu verfassen. Bakunin hatte sich vermutlich für die wohlwollende Förderung seines Aufenthalts im Ausland zu wenig brauchbar und willig erwiesen; gewöhnliche Feinde des Zaren hätten keine große Beachtung erhalten, aber manche werden an das große Genie glauben, das selbst im barbarischen Zarenreich von höchster Stelle respektiert wird. Orlow war nach dem Krimkrieg Bevollmächtigter für Russland beim Friedenskongress zu Paris im Jahr 1856.
Erst im Jahr 1857 wurde die lebenslängliche Haftstrafe durch den Zaren Alexander II. in eine Verbannung nach Sibirien gewandelt, wo ein Vetter von Bakunin aus der Familie seiner Mutter gerade Gouverneur war, Nikolai Murawjow-Amurski, der seinen Doppelnahmen dafür führen durfte, weil er das Reich des Zaren bis an den Amur ausdehnen konnte. 1861 konnte Bakunin auf einer Forschungsreise an den Amur aus Sibirien über Japan und die USA nach London fliehen, wo er wieder Alexander Herzen traf und für dessen Zeitung „Kolokol“ (Glocke) schrieb.
Anlässlich des polnischen Aufstands 1863 engagiert sich Bakunin für die nationalen Minderheiten im Exil, beteiligt sich an einer scheiternden Expedition zu Schiff zur Unterstützung der Polen und schadet der Zeitung „Kolokol“, deren russische Leser die Unterstützung der Polen und Finnen ablehnen. Daraufhin legen Herzen und Ogarjew, deren Zeitschrift den Großteil ihrer Leser eingebüßt hat, keinen Wert mehr auf seine weitere Mitarbeit.
Bakunin muss sich nun einen anderen Wirkungskreis. In London hatte Bakunin schon Beziehungen zu Garibaldi und Mazzini geknüpft, von dem er brauchbare Empfehlungsschreiben für Italien erhalten sollte, und trifft sich im November 1864 wieder mit Karl Marx, der aber von Bakunin in Italien Unterstützung gegen Mazzini erhofft.
Ganz im Sinne von Marx benutzt Bakunin zwar die Empfehlungen durch Mazzini für seine Kontakte in Italien, arbeitet aber insgeheim gegen ihn:
Bakunin ließ sich 1864 in Italien nieder, wo er durch Empfehlungsschreiben von Giuseppe Mazzini und Aurelio Saffi in die italienischen revolutionären Kreise eingeführt wurde und erste Bekanntschaften schloß. Im selben Jahr gründete er die Fraternité Internationale (‘Internationale Bruderschaft’), eine Keimzelle der später einflussreichen anarchistischen Bewegung in Italien, in der auch Elisée Reclus Mitglied war. Nach Artikeln in verschiedenen italienischen Zeitschriften gab Bakunin La Situazione italiana heraus, das erste sozialrevolutionäre Blatt Italiens. Die Zeitung war gegen die Ideen Mazzinis und Garibaldis gerichtet und vertrat anarchistische und atheistische Positionen. In dieser Zeit in Italien entwickelte er seine anarchistischen Auffassungen, die er in den Programmen der Internationalen Bruderschaft z. B. dem Revolutionären Katechismus festhielt. Ein Jahr später bezeichnete er sich erstmals in der italienischen Zeitung Libertà e Giustizia als Anarchist.
http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin#cite_ref-3
Eine Zeitung zu finanzieren, scheint wieder kein Problem: man erzählt irgendwelchen Leuten von seinen tollen Ideen und schon fließt das Geld freigiebiger Freunde und finanziert den Streit gegen die angeblich zu wenig international ausgerichtete Politik von Mazzini und Garibaldi. Zur Ausbreitung dieser Ideen gründet er gleich eine internationale Geheimorganisation, die sich fast schneller ausgebreitet haben muss, als einer Flugblätter drucken kann.
So stiftete Bakunin einen revolutionär-sozialistischen Geheimbund, der sich zunächst aus Italienern rekrutierte und besonders »die widerwärtige Bourgeoisrhetorik der Mazzini und Garibaldi« bekämpfen sollte, aber sich bald auf internationalem Fuß erweiterte.
Im Interesse dieses Geheimbundes suchte Bakunin, der im Herbst 1867 nach Genf übersiedelt war, erst die Freiheits- und Friedensliga zu beeinflussen, und als er damit gescheitert war, bemühte er sich um Anschluß an die Internationale, um die er sich ziemlich vier Jahre lang nicht weiter gekümmert hatte.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_394.htm#Kap_1
Nach der üblichen Historiographie schafft einer wie Bakunin das selbstredend ganz allein mit seinem Genie und durch die Faszination seiner Ideen.
Die Internationale Friedensliga (auch Internationale Liga für den Frieden oder Internationale Liga für Frieden und Freiheit…) wurde am 21. Mai 1867 von Frédéric Passy gegründet, um einen französisch-preußischen Krieg im Rahmen der Luxemburgkrise zu verhindern. In den Jahren 1867 (in Genf), 1868 (in Bern) und 1869 hielt die Friedensliga Kongresse ab.
Nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 wurde die Liga aufgelöst, danach als Société française des amis de la paix (etwa: Französische Gesellschaft der Friedensfreunde) wiedergegründet.
http://de.wikipedia.org/wiki/Société_d'arbitrage_entre_les_Nations
Nach Marx war Bakunin schnell von der Liga enttäuscht und verlegt seine Aktivitäten auf die Internationale:
Indessen überzeugte er sich bald, daß die Liga eine unbedeutende Gesellschaft blieb und daß die Liberalen, aus denen sie bestand, in ihren Kongressen nur ein Mittel sahen, eine Vergnügungsreise mit großsprecherischen Reden zu verbinden, während im Gegenteil die Internationale von Tag zu Tag wuchs. Da dachte er daran, die Liga auf die Internationale zu propfen. Um diesen Plan auszuführen, ließ sich Bakunin auf Elpidins Vorschlag im Juli 1868 in die Genfer Zentralsektion aufnehmen.
http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_335.htm
Michail Alexandrowitsch Elpidin wurde später von Engels in „Der Volksstaat“ vom 5. Juli 1871 als russischer Spion bezeichnet:
Ein Artikel von und über den Lumpen Netschajew hat aus dem Wiener "Wanderer" die Runde in der deutschen Presse gemacht, worin seine Taten verherrlicht werden, zusammen mit denen von Serebrennikow und Elpidin. Sollte sich dies wiederholen, so werden wir auf dies saubere Kleeblatt näher zurückkommen. Für jetzt nur die Bemerkung, daß Elpidin ein notorischer russischer Spion ist.
http://www.mlwerke.de/me/me17/me17_381.htm
Engels litt nicht unter Verfolgungswahn, sondern die Internationale bestand tatsächlich aus mehr oder weniger bekannten Agenten und deren Handlangern, die sich als Vertreter der Arbeiterklasse aufführten. Engels selbst wurde 1871 der Korrespondent für Italien, aber auch mal der Sekretär für Spanien, der brave Schneider Eccarius spielte den korrespondierenden Sekretär für die USA, Marx den für Deutschland, Belgien oder Russland. Damit es nicht zu drollig wird, waren noch Freunde von Mazzini, freie Maurer oder Anhänger von Proudhon und eben russische Emigranten wie Bakunin engagiert.
Auf Vorschlag Bakunins sollte es zu einer Zusammenarbeit der Friedensliga und der Internationalen kommen, was beide Seiten ablehnen, wonach Bakunin mit einigen Anhängern aus der Liga ausscheidet und wohl zur besseren Unterwanderung der Internationalen die „Allianz der sozialistischen Demokratie“ gründet.
Mit den Methoden dieser „Allianz“ ist Marx nicht einverstanden:
Die Piétris und Stieber verwenden nur untergeordnete und verlorene Leute als Spione, die Allianz aber, indem sie ihre falschen Brüder in die geheimen Gesellschaften schickt, um deren Geheimnisse zu verraten, überträgt die Rolle des Spions denselben Männern, welche nach ihrem Plan die Leitung der "allgemeinen Revolution" übernehmen sollen.
http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_335.htm
Die Statuten der Geheimgesellschaft lesen sich auch wirklich sehr merkwürdig, aber sie war nicht ohne Erfolg.
Bakunin schrieb ab 1868 gemeinsam mit André Léo für die Égalité, das Organ der Genfer Sektion. Im selben Jahr plante er eine Agitationsreise nach Spanien, die Giuseppe Fanelli unternahm und zur Bildung neuer Sektionen der Internationale in Spanien führte. http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin#cite_ref-3
.
Anarchie
Der Begriff der Anarchie geht auf die griechische Antike zurück und kommt schon bei Homer, Herodot und Xenophon vor, der mit Anarchia einen Zeitraum ohne den obersten Staatsbeamten, den Archon, beschreibt. Aristoteles lehnte die Anarchie ab, weil da die Sklaven ohne Herren seien.
Ein Vordenker der Anarchisten war der Franzose Étienne de La Boétie, der 1548 im Alter von kaum 18 Jahren über das Rätsel der Herrschaft als „freiwillige Knechtschaft“ schrieb:
Diesmal möchte ich nur erklären, wie es geschehen kann, dass so viele Menschen, so viele Dörfer, Städte und Völker manchesmal einen einzigen Tyrannen erdulden, der nicht mehr Macht hat, als sie ihm verleihen, der ihnen nur insoweit zu schaden vermag, als sie es zu dulden bereit sind, der ihnen nichts Übles zufügen könnte, wenn sie es nicht lieber erlitten, als sich ihm zu widersetzen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Étienne_de_La_Boétie
In England gründeten 1649 die „Diggers“ oder „True Levellers“ kleine ländliche Kommunen, die jedoch schon 1651 durch die lokalen Großgrundbesitzer bekämpft und zerschlagen wurden.
Ludwig Börne (1786-1837) vertrat die revolutionäre Beseitigung der bestehenden Herrschaft:
Nicht darauf kommt es an, dass die Macht in dieser oder jener Hand sich befinde: die Macht selbst muss vermindert werden, in welcher Hand sie sich auch befinde. Aber noch kein Herrscher hat die Macht, die er besaß, und wenn er sie auch noch so edel gebrauchte, freiwillig schwächen lassen. Die Herrschaft kann nur beschränkt werden, wenn sie herrenlos – Freiheit geht nur aus Anarchie hervor. Von dieser Notwendigkeit der Revolution dürfen wir das Gesicht nicht abwenden, weil sie so traurig ist. Wir müssen als Männer der Gefahr fest ins Auge blicken und dürfen nicht zittern vor dem Messer des Wundarztes. Freiheit geht nur aus Anarchie hervor – das ist unsere Meinung, so haben wir die Lehren der Geschichte verstanden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Anarchismus#cite_ref-14
Im Frankreich der 1820er Jahre bildete sich eine als Mutualismus (gegenseitig) bezeichnete Bewegung unter Handwerkern und Arbeitern, die Vereine zur gegenseitigen Unterstützung gründeten, die auch damals illegale gewerkschaftliche Ziele verfolgten. 1831 kam es in Lyon zu einem ersten Aufstand der Seidenweber, im Jahr 1834 zu eoinem zweiten Aufstand, der sich vor allem gegen das bevorstehende Verbot der mutualistischer Organisationen durch ein neues Vereinsgesetz richtete.
Die Ansätze der frühen Mutualisten wurden in Frankreich von Proudhon aufgegriffen, der es zusammen mit zinsfreien Krediten, mit der eine Volksbank die Bildung von Produktionsgenossenschaften ermöglichen sollte. Das Statut der Ersten Internationalen verbot 1871 ihren Mitgliedern, den Mutualismus zu vertreten.
Die 1846 erschienene Schrift von Pierre Joseph Proudhon „Ökonomische Widersprüche - Die Pilosophie des Elends“ wurde von Karl Marx 1847 unter dem Titel „Das Elend der Philosophie“ angegriffen. Proudhon begann damit, den Begriff der Anarchie positiv zu verwenden; von ihm stammt die Parole „Eigentum ist Diebstahl“, womit gemeint ist, dass der Eigentümer ohne eigene Arbeitsleistung die Arbeit anderer Menschen durch Grundrente, Miete, Zins, Profit etc. ausbeutet.
Von Proudhon wurden die Anarchisten Bakunin und Kropotkin beeinflusst.
Die russischen Volkstümler (Narodniki) sollte man auch als Anarchisten sehen, vor allem da ihr Vertreter Alexander Herzen mit Bakunin in Beziehungen stand. Die Narodniki wollten in Russland den Sozialismus als Bauernbewegung einführen, deren Grundlage die traditionelle Dorfgemeinschaft sein sollte. Sie lehnten damit die von Marx vertretene kapitalistische Entwicklung als Voraussetzung des Sozialismus ab.
Mitglieder der Narodnaja Wolja (Volkswille), denen der Bruder von Lenin, Alexander Uljanow, und der Pole Jozef Pilsudski angehörten, verübten 1881 den tödlichen Anschlag auf Zar Alexander II. in St. Petersburg. Sie waren keine Anarchisten, sondern vermutlich vom Ausland gesteuerte Liberale.
Bakunin
Im Zusammenhang mit der Revolution von 1848/49 wurde Bakunin schon erwähnt. Nun haben wir anhand von Marx die geheime Diplomatie und politischen Netzwerke etwas näher kennengelernt und können auf diesem Hintergrund diesen Bakunin etwas besser einschätzen.
Er stammte aus einer aufgeschlossenen, liberalen Familie, die gezwungen war, ihren entsprechend erzogenen Sohn eine Karriere bei der russischen Armee antreten zu lassen, um dem Zaren ihre Treue zu beweisen. Dem Sohn hat es bei der Armee nicht sehr behagt und er ist eines Tages zu seinem Dienst nicht mehr erschienen. Es wird mit guten Beziehungen erklärt, dass ihm die Fahnenflucht verziehen wurde.
Bakunin ging dann nach Moskau, angeblich gegen den Willen seines Vaters, um dort seinen Lebensunterhalt als Mathematiklehrer zu verdienen, was er wohl nicht nötig hatte. In Moskau bekommt er Zugang zu literarischen Zirkeln, studiert deutsche Philosophen, übersetzt deutsche Texte der Bettina von Arnim, von Fichte und Hegels Gymnasialreden in die russische Sprache. Bakunin habe als der größte Hegel-Kenner in Moskau gegolten und das war wohl nicht dem Spuk mit dem Weltgeist zu verdanken.
Der interessierte Leser wird es schon vermuten, dass Bakunin hiermit sein baldiges Auftreten in deutschen Salons vorbereitet hat, wozu die Konversation über Hegel damals unbedingt gehörte, wofür er auch Empfehlungen brauchte. Er befreundete sich mit Alexander von Herzen und beide wohnten 1839 ein Jahr lang in Moskau zusammen:
„Bakunin trieb mich dazu an, mich immer mehr in das Studium Hegels zu vertiefen; ich bemühte mich, mehr revolutionäre Elemente in seine strenge Wissenschaft einzuführen.“
– Alexander Herzen an Jules Michelet: Brief vom November 1851
http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin
Anschließend begab sich Bakunin mit finanzieller Unterstützung des sehr vermögenden Herzen nach Berlin und fand schnell Zugang in den Kreisen der Junghegelianer.
Nach seiner Festnahme 1849 war Bakunin zwar zuerst in Sachsen zum Tode verurteilt, begnadigt und an Österreich ausgeliefert worden; danach von den Österreichern zum Tode verurteilt und begnadigt, wurde er an Russland ausgeliefert.
In Russland wurde er in der Peter-und-Paul-Festung vom späteren Fürsten Orlow, dem ständigen Begleiter des Zaren Nikolaus I. und Leiter der geheimen Polizei in Russland, aufgefordert, dem Zaren ein schriftliches Geständnis „wie ein geistiger Sohn an seinen geistigen Vater“ zu verfassen. Bakunin hatte sich vermutlich für die wohlwollende Förderung seines Aufenthalts im Ausland zu wenig brauchbar und willig erwiesen; gewöhnliche Feinde des Zaren hätten keine große Beachtung erhalten, aber manche werden an das große Genie glauben, das selbst im barbarischen Zarenreich von höchster Stelle respektiert wird. Orlow war nach dem Krimkrieg Bevollmächtigter für Russland beim Friedenskongress zu Paris im Jahr 1856.
Erst im Jahr 1857 wurde die lebenslängliche Haftstrafe durch den Zaren Alexander II. in eine Verbannung nach Sibirien gewandelt, wo ein Vetter von Bakunin aus der Familie seiner Mutter gerade Gouverneur war, Nikolai Murawjow-Amurski, der seinen Doppelnahmen dafür führen durfte, weil er das Reich des Zaren bis an den Amur ausdehnen konnte. 1861 konnte Bakunin auf einer Forschungsreise an den Amur aus Sibirien über Japan und die USA nach London fliehen, wo er wieder Alexander Herzen traf und für dessen Zeitung „Kolokol“ (Glocke) schrieb.
Anlässlich des polnischen Aufstands 1863 engagiert sich Bakunin für die nationalen Minderheiten im Exil, beteiligt sich an einer scheiternden Expedition zu Schiff zur Unterstützung der Polen und schadet der Zeitung „Kolokol“, deren russische Leser die Unterstützung der Polen und Finnen ablehnen. Daraufhin legen Herzen und Ogarjew, deren Zeitschrift den Großteil ihrer Leser eingebüßt hat, keinen Wert mehr auf seine weitere Mitarbeit.
Bakunin muss sich nun einen anderen Wirkungskreis. In London hatte Bakunin schon Beziehungen zu Garibaldi und Mazzini geknüpft, von dem er brauchbare Empfehlungsschreiben für Italien erhalten sollte, und trifft sich im November 1864 wieder mit Karl Marx, der aber von Bakunin in Italien Unterstützung gegen Mazzini erhofft.
Ganz im Sinne von Marx benutzt Bakunin zwar die Empfehlungen durch Mazzini für seine Kontakte in Italien, arbeitet aber insgeheim gegen ihn:
Bakunin ließ sich 1864 in Italien nieder, wo er durch Empfehlungsschreiben von Giuseppe Mazzini und Aurelio Saffi in die italienischen revolutionären Kreise eingeführt wurde und erste Bekanntschaften schloß. Im selben Jahr gründete er die Fraternité Internationale (‘Internationale Bruderschaft’), eine Keimzelle der später einflussreichen anarchistischen Bewegung in Italien, in der auch Elisée Reclus Mitglied war. Nach Artikeln in verschiedenen italienischen Zeitschriften gab Bakunin La Situazione italiana heraus, das erste sozialrevolutionäre Blatt Italiens. Die Zeitung war gegen die Ideen Mazzinis und Garibaldis gerichtet und vertrat anarchistische und atheistische Positionen. In dieser Zeit in Italien entwickelte er seine anarchistischen Auffassungen, die er in den Programmen der Internationalen Bruderschaft z. B. dem Revolutionären Katechismus festhielt. Ein Jahr später bezeichnete er sich erstmals in der italienischen Zeitung Libertà e Giustizia als Anarchist.
http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin#cite_ref-3
Eine Zeitung zu finanzieren, scheint wieder kein Problem: man erzählt irgendwelchen Leuten von seinen tollen Ideen und schon fließt das Geld freigiebiger Freunde und finanziert den Streit gegen die angeblich zu wenig international ausgerichtete Politik von Mazzini und Garibaldi. Zur Ausbreitung dieser Ideen gründet er gleich eine internationale Geheimorganisation, die sich fast schneller ausgebreitet haben muss, als einer Flugblätter drucken kann.
So stiftete Bakunin einen revolutionär-sozialistischen Geheimbund, der sich zunächst aus Italienern rekrutierte und besonders »die widerwärtige Bourgeoisrhetorik der Mazzini und Garibaldi« bekämpfen sollte, aber sich bald auf internationalem Fuß erweiterte.
Im Interesse dieses Geheimbundes suchte Bakunin, der im Herbst 1867 nach Genf übersiedelt war, erst die Freiheits- und Friedensliga zu beeinflussen, und als er damit gescheitert war, bemühte er sich um Anschluß an die Internationale, um die er sich ziemlich vier Jahre lang nicht weiter gekümmert hatte.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_394.htm#Kap_1
Nach der üblichen Historiographie schafft einer wie Bakunin das selbstredend ganz allein mit seinem Genie und durch die Faszination seiner Ideen.
Die Internationale Friedensliga (auch Internationale Liga für den Frieden oder Internationale Liga für Frieden und Freiheit…) wurde am 21. Mai 1867 von Frédéric Passy gegründet, um einen französisch-preußischen Krieg im Rahmen der Luxemburgkrise zu verhindern. In den Jahren 1867 (in Genf), 1868 (in Bern) und 1869 hielt die Friedensliga Kongresse ab.
Nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 wurde die Liga aufgelöst, danach als Société française des amis de la paix (etwa: Französische Gesellschaft der Friedensfreunde) wiedergegründet.
http://de.wikipedia.org/wiki/Société_d'arbitrage_entre_les_Nations
Nach Marx war Bakunin schnell von der Liga enttäuscht und verlegt seine Aktivitäten auf die Internationale:
Indessen überzeugte er sich bald, daß die Liga eine unbedeutende Gesellschaft blieb und daß die Liberalen, aus denen sie bestand, in ihren Kongressen nur ein Mittel sahen, eine Vergnügungsreise mit großsprecherischen Reden zu verbinden, während im Gegenteil die Internationale von Tag zu Tag wuchs. Da dachte er daran, die Liga auf die Internationale zu propfen. Um diesen Plan auszuführen, ließ sich Bakunin auf Elpidins Vorschlag im Juli 1868 in die Genfer Zentralsektion aufnehmen.
http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_335.htm
Michail Alexandrowitsch Elpidin wurde später von Engels in „Der Volksstaat“ vom 5. Juli 1871 als russischer Spion bezeichnet:
Ein Artikel von und über den Lumpen Netschajew hat aus dem Wiener "Wanderer" die Runde in der deutschen Presse gemacht, worin seine Taten verherrlicht werden, zusammen mit denen von Serebrennikow und Elpidin. Sollte sich dies wiederholen, so werden wir auf dies saubere Kleeblatt näher zurückkommen. Für jetzt nur die Bemerkung, daß Elpidin ein notorischer russischer Spion ist.
http://www.mlwerke.de/me/me17/me17_381.htm
Engels litt nicht unter Verfolgungswahn, sondern die Internationale bestand tatsächlich aus mehr oder weniger bekannten Agenten und deren Handlangern, die sich als Vertreter der Arbeiterklasse aufführten. Engels selbst wurde 1871 der Korrespondent für Italien, aber auch mal der Sekretär für Spanien, der brave Schneider Eccarius spielte den korrespondierenden Sekretär für die USA, Marx den für Deutschland, Belgien oder Russland. Damit es nicht zu drollig wird, waren noch Freunde von Mazzini, freie Maurer oder Anhänger von Proudhon und eben russische Emigranten wie Bakunin engagiert.
Auf Vorschlag Bakunins sollte es zu einer Zusammenarbeit der Friedensliga und der Internationalen kommen, was beide Seiten ablehnen, wonach Bakunin mit einigen Anhängern aus der Liga ausscheidet und wohl zur besseren Unterwanderung der Internationalen die „Allianz der sozialistischen Demokratie“ gründet.
Mit den Methoden dieser „Allianz“ ist Marx nicht einverstanden:
Die Piétris und Stieber verwenden nur untergeordnete und verlorene Leute als Spione, die Allianz aber, indem sie ihre falschen Brüder in die geheimen Gesellschaften schickt, um deren Geheimnisse zu verraten, überträgt die Rolle des Spions denselben Männern, welche nach ihrem Plan die Leitung der "allgemeinen Revolution" übernehmen sollen.
http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_335.htm
Die Statuten der Geheimgesellschaft lesen sich auch wirklich sehr merkwürdig, aber sie war nicht ohne Erfolg.
Bakunin schrieb ab 1868 gemeinsam mit André Léo für die Égalité, das Organ der Genfer Sektion. Im selben Jahr plante er eine Agitationsreise nach Spanien, die Giuseppe Fanelli unternahm und zur Bildung neuer Sektionen der Internationale in Spanien führte. http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin#cite_ref-3
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