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Der preußische Regierungsagent Karl Marx

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Hellmann
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Marx und Bakunin in der Internationalen


Anarchie


Der Begriff der Anarchie geht auf die griechische Antike zurück und kommt schon bei Homer, Herodot und Xenophon vor, der mit Anarchia einen Zeitraum ohne den obersten Staatsbeamten, den Archon, beschreibt. Aristoteles lehnte die Anarchie ab, weil da die Sklaven ohne Herren seien.

Ein Vordenker der Anarchisten war der Franzose Étienne de La Boétie, der 1548 im Alter von kaum 18 Jahren über das Rätsel der Herrschaft als „freiwillige Knechtschaft“ schrieb:

Diesmal möchte ich nur erklären, wie es geschehen kann, dass so viele Menschen, so viele Dörfer, Städte und Völker manchesmal einen einzigen Tyrannen erdulden, der nicht mehr Macht hat, als sie ihm verleihen, der ihnen nur insoweit zu schaden vermag, als sie es zu dulden bereit sind, der ihnen nichts Übles zufügen könnte, wenn sie es nicht lieber erlitten, als sich ihm zu widersetzen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Étienne_de_La_Boétie

In England gründeten 1649 die „Diggers“ oder „True Levellers“ kleine ländliche Kommunen, die jedoch schon 1651 durch die lokalen Großgrundbesitzer bekämpft und zerschlagen wurden.

Ludwig Börne (1786-1837) vertrat die revolutionäre Beseitigung der bestehenden Herrschaft:

Nicht darauf kommt es an, dass die Macht in dieser oder jener Hand sich befinde: die Macht selbst muss vermindert werden, in welcher Hand sie sich auch befinde. Aber noch kein Herrscher hat die Macht, die er besaß, und wenn er sie auch noch so edel gebrauchte, freiwillig schwächen lassen. Die Herrschaft kann nur beschränkt werden, wenn sie herrenlos – Freiheit geht nur aus Anarchie hervor. Von dieser Notwendigkeit der Revolution dürfen wir das Gesicht nicht abwenden, weil sie so traurig ist. Wir müssen als Männer der Gefahr fest ins Auge blicken und dürfen nicht zittern vor dem Messer des Wundarztes. Freiheit geht nur aus Anarchie hervor – das ist unsere Meinung, so haben wir die Lehren der Geschichte verstanden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Anarchismus#cite_ref-14

Im Frankreich der 1820er Jahre bildete sich eine als Mutualismus (gegenseitig) bezeichnete Bewegung unter Handwerkern und Arbeitern, die Vereine zur gegenseitigen Unterstützung gründeten, die auch damals illegale gewerkschaftliche Ziele verfolgten. 1831 kam es in Lyon zu einem ersten Aufstand der Seidenweber, im Jahr 1834 zu eoinem zweiten Aufstand, der sich vor allem gegen das bevorstehende Verbot der mutualistischer Organisationen durch ein neues Vereinsgesetz richtete.

Die Ansätze der frühen Mutualisten wurden in Frankreich von Proudhon aufgegriffen, der es zusammen mit zinsfreien Krediten, mit der eine Volksbank die Bildung von Produktionsgenossenschaften ermöglichen sollte. Das Statut der Ersten Internationalen verbot 1871 ihren Mitgliedern, den Mutualismus zu vertreten.

Die 1846 erschienene Schrift von Pierre Joseph Proudhon „Ökonomische Widersprüche - Die Pilosophie des Elends“ wurde von Karl Marx 1847 unter dem Titel „Das Elend der Philosophie“ angegriffen. Proudhon begann damit, den Begriff der Anarchie positiv zu verwenden; von ihm stammt die Parole „Eigentum ist Diebstahl“, womit gemeint ist, dass der Eigentümer ohne eigene Arbeitsleistung die Arbeit anderer Menschen durch Grundrente, Miete, Zins, Profit etc. ausbeutet.

Von Proudhon wurden die Anarchisten Bakunin und Kropotkin beeinflusst.

Die russischen Volkstümler (Narodniki) sollte man auch als Anarchisten sehen, vor allem da ihr Vertreter Alexander Herzen mit Bakunin in Beziehungen stand. Die Narodniki wollten in Russland den Sozialismus als Bauernbewegung einführen, deren Grundlage die traditionelle Dorfgemeinschaft sein sollte. Sie lehnten damit die von Marx vertretene kapitalistische Entwicklung als Voraussetzung des Sozialismus ab.

Mitglieder der Narodnaja Wolja (Volkswille), denen der Bruder von Lenin, Alexander Uljanow, und der Pole Jozef Pilsudski angehörten, verübten 1881 den tödlichen Anschlag auf Zar Alexander II. in St. Petersburg. Sie waren keine Anarchisten, sondern vermutlich vom Ausland gesteuerte Liberale.

Bakunin

Im Zusammenhang mit der Revolution von 1848/49 wurde Bakunin schon erwähnt. Nun haben wir anhand von Marx die geheime Diplomatie und politischen Netzwerke etwas näher kennengelernt und können auf diesem Hintergrund diesen Bakunin etwas besser einschätzen.

Er stammte aus einer aufgeschlossenen, liberalen Familie, die gezwungen war, ihren entsprechend erzogenen Sohn eine Karriere bei der russischen Armee antreten zu lassen, um dem Zaren ihre Treue zu beweisen. Dem Sohn hat es bei der Armee nicht sehr behagt und er ist eines Tages zu seinem Dienst nicht mehr erschienen. Es wird mit guten Beziehungen erklärt, dass ihm die Fahnenflucht verziehen wurde.

Bakunin ging dann nach Moskau, angeblich gegen den Willen seines Vaters, um dort seinen Lebensunterhalt als Mathematiklehrer zu verdienen, was er wohl nicht nötig hatte. In Moskau bekommt er Zugang zu literarischen Zirkeln, studiert deutsche Philosophen, übersetzt deutsche Texte der Bettina von Arnim, von Fichte und Hegels Gymnasialreden in die russische Sprache. Bakunin habe als der größte Hegel-Kenner in Moskau gegolten und das war wohl nicht dem Spuk mit dem Weltgeist zu verdanken.

Der interessierte Leser wird es schon vermuten, dass Bakunin hiermit sein baldiges Auftreten in deutschen Salons vorbereitet hat, wozu die Konversation über Hegel damals unbedingt gehörte, wofür er auch Empfehlungen brauchte. Er befreundete sich mit Alexander von Herzen und beide wohnten 1839 ein Jahr lang in Moskau zusammen:

„Bakunin trieb mich dazu an, mich immer mehr in das Studium Hegels zu vertiefen; ich bemühte mich, mehr revolutionäre Elemente in seine strenge Wissenschaft einzuführen.“

– Alexander Herzen an Jules Michelet: Brief vom November 1851

http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin

Anschließend begab sich Bakunin mit finanzieller Unterstützung des sehr vermögenden Herzen nach Berlin und fand schnell Zugang in den Kreisen der Junghegelianer.

Nach seiner Festnahme 1849 war Bakunin zwar zuerst in Sachsen zum Tode verurteilt, begnadigt und an Österreich ausgeliefert worden; danach von den Österreichern zum Tode verurteilt und begnadigt, wurde er an Russland ausgeliefert.

In Russland wurde er in der Peter-und-Paul-Festung vom späteren Fürsten Orlow, dem ständigen Begleiter des Zaren Nikolaus I. und Leiter der geheimen Polizei in Russland, aufgefordert, dem Zaren ein schriftliches Geständnis „wie ein geistiger Sohn an seinen geistigen Vater“ zu verfassen. Bakunin hatte sich vermutlich für die wohlwollende Förderung seines Aufenthalts im Ausland zu wenig brauchbar und willig erwiesen; gewöhnliche Feinde des Zaren hätten keine große Beachtung erhalten, aber manche werden an das große Genie glauben, das selbst im barbarischen Zarenreich von höchster Stelle respektiert wird. Orlow war nach dem Krimkrieg Bevollmächtigter für Russland beim Friedenskongress zu Paris im Jahr 1856.

Erst im Jahr 1857 wurde die lebenslängliche Haftstrafe durch den Zaren Alexander II. in eine Verbannung nach Sibirien gewandelt, wo ein Vetter von Bakunin aus der Familie seiner Mutter gerade Gouverneur war, Nikolai Murawjow-Amurski, der seinen Doppelnahmen dafür führen durfte, weil er das Reich des Zaren bis an den Amur ausdehnen konnte. 1861 konnte Bakunin auf einer Forschungsreise an den Amur aus Sibirien über Japan und die USA nach London fliehen, wo er wieder Alexander Herzen traf und für dessen Zeitung „Kolokol“ (Glocke) schrieb.

Anlässlich des polnischen Aufstands 1863 engagiert sich Bakunin für die nationalen Minderheiten im Exil, beteiligt sich an einer scheiternden Expedition zu Schiff zur Unterstützung der Polen und schadet der Zeitung „Kolokol“, deren russische Leser die Unterstützung der Polen und Finnen ablehnen. Daraufhin legen Herzen und Ogarjew, deren Zeitschrift den Großteil ihrer Leser eingebüßt hat, keinen Wert mehr auf seine weitere Mitarbeit.

Bakunin muss sich nun einen anderen Wirkungskreis. In London hatte Bakunin schon Beziehungen zu Garibaldi und Mazzini geknüpft, von dem er brauchbare Empfehlungsschreiben für Italien erhalten sollte, und trifft sich im November 1864 wieder mit Karl Marx, der aber von Bakunin in Italien Unterstützung gegen Mazzini erhofft.

Ganz im Sinne von Marx benutzt Bakunin zwar die Empfehlungen durch Mazzini für seine Kontakte in Italien, arbeitet aber insgeheim gegen ihn:

Bakunin ließ sich 1864 in Italien nieder, wo er durch Empfehlungsschreiben von Giuseppe Mazzini und Aurelio Saffi in die italienischen revolutionären Kreise eingeführt wurde und erste Bekanntschaften schloß. Im selben Jahr gründete er die Fraternité Internationale (‘Internationale Bruderschaft’), eine Keimzelle der später einflussreichen anarchistischen Bewegung in Italien, in der auch Elisée Reclus Mitglied war. Nach Artikeln in verschiedenen italienischen Zeitschriften gab Bakunin La Situazione italiana heraus, das erste sozialrevolutionäre Blatt Italiens. Die Zeitung war gegen die Ideen Mazzinis und Garibaldis gerichtet und vertrat anarchistische und atheistische Positionen. In dieser Zeit in Italien entwickelte er seine anarchistischen Auffassungen, die er in den Programmen der Internationalen Bruderschaft z. B. dem Revolutionären Katechismus festhielt. Ein Jahr später bezeichnete er sich erstmals in der italienischen Zeitung Libertà e Giustizia als Anarchist.
http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin#cite_ref-3

Eine Zeitung zu finanzieren, scheint wieder kein Problem: man erzählt irgendwelchen Leuten von seinen tollen Ideen und schon fließt das Geld freigiebiger Freunde und finanziert den Streit gegen die angeblich zu wenig international ausgerichtete Politik von Mazzini und Garibaldi. Zur Ausbreitung dieser Ideen gründet er gleich eine internationale Geheimorganisation, die sich fast schneller ausgebreitet haben muss, als einer Flugblätter drucken kann.

So stiftete Bakunin einen revolutionär-sozialistischen Geheimbund, der sich zunächst aus Italienern rekrutierte und besonders »die widerwärtige Bourgeoisrhetorik der Mazzini und Garibaldi« bekämpfen sollte, aber sich bald auf internationalem Fuß erweiterte.

Im Interesse dieses Geheimbundes suchte Bakunin, der im Herbst 1867 nach Genf übersiedelt war, erst die Freiheits- und Friedensliga zu beeinflussen, und als er damit gescheitert war, bemühte er sich um Anschluß an die Internationale, um die er sich ziemlich vier Jahre lang nicht weiter gekümmert hatte.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_394.htm#Kap_1

Nach der üblichen Historiographie schafft einer wie Bakunin das selbstredend ganz allein mit seinem Genie und durch die Faszination seiner Ideen.

Die Internationale Friedensliga (auch Internationale Liga für den Frieden oder Internationale Liga für Frieden und Freiheit…) wurde am 21. Mai 1867 von Frédéric Passy gegründet, um einen französisch-preußischen Krieg im Rahmen der Luxemburgkrise zu verhindern. In den Jahren 1867 (in Genf), 1868 (in Bern) und 1869 hielt die Friedensliga Kongresse ab.
Nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 wurde die Liga aufgelöst, danach als Société française des amis de la paix (etwa: Französische Gesellschaft der Friedensfreunde) wiedergegründet.

http://de.wikipedia.org/wiki/Société_d'arbitrage_entre_les_Nations

Nach Marx war Bakunin schnell von der Liga enttäuscht und verlegt seine Aktivitäten auf die Internationale:

Indessen überzeugte er sich bald, daß die Liga eine unbedeutende Gesellschaft blieb und daß die Liberalen, aus denen sie bestand, in ihren Kongressen nur ein Mittel sahen, eine Vergnügungsreise mit großsprecherischen Reden zu verbinden, während im Gegenteil die Internationale von Tag zu Tag wuchs. Da dachte er daran, die Liga auf die Internationale zu propfen. Um diesen Plan auszuführen, ließ sich Bakunin auf Elpidins Vorschlag im Juli 1868 in die Genfer Zentralsektion aufnehmen.
http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_335.htm

Michail Alexandrowitsch Elpidin wurde später von Engels in „Der Volksstaat“ vom 5. Juli 1871 als russischer Spion bezeichnet:

Ein Artikel von und über den Lumpen Netschajew hat aus dem Wiener "Wanderer" die Runde in der deutschen Presse gemacht, worin seine Taten verherrlicht werden, zusammen mit denen von Serebrennikow und Elpidin. Sollte sich dies wiederholen, so werden wir auf dies saubere Kleeblatt näher zurückkommen. Für jetzt nur die Bemerkung, daß Elpidin ein notorischer russischer Spion ist.
http://www.mlwerke.de/me/me17/me17_381.htm

Engels litt nicht unter Verfolgungswahn, sondern die Internationale bestand tatsächlich aus mehr oder weniger bekannten Agenten und deren Handlangern, die sich als Vertreter der Arbeiterklasse aufführten. Engels selbst wurde 1871 der Korrespondent für Italien, aber auch mal der Sekretär für Spanien, der brave Schneider Eccarius spielte den korrespondierenden Sekretär für die USA, Marx den für Deutschland, Belgien oder Russland. Damit es nicht zu drollig wird, waren noch Freunde von Mazzini, freie Maurer oder Anhänger von Proudhon und eben russische Emigranten wie Bakunin engagiert.

Auf Vorschlag Bakunins sollte es zu einer Zusammenarbeit der Friedensliga und der Internationalen kommen, was beide Seiten ablehnen, wonach Bakunin mit einigen Anhängern aus der Liga ausscheidet und wohl zur besseren Unterwanderung der Internationalen die „Allianz der sozialistischen Demokratie“ gründet.

Mit den Methoden dieser „Allianz“ ist Marx nicht einverstanden:

Die Piétris und Stieber verwenden nur untergeordnete und verlorene Leute als Spione, die Allianz aber, indem sie ihre falschen Brüder in die geheimen Gesellschaften schickt, um deren Geheimnisse zu verraten, überträgt die Rolle des Spions denselben Männern, welche nach ihrem Plan die Leitung der "allgemeinen Revolution" übernehmen sollen.
http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_335.htm

Die Statuten der Geheimgesellschaft lesen sich auch wirklich sehr merkwürdig, aber sie war nicht ohne Erfolg.

Bakunin schrieb ab 1868 gemeinsam mit André Léo für die Égalité, das Organ der Genfer Sektion. Im selben Jahr plante er eine Agitationsreise nach Spanien, die Giuseppe Fanelli unternahm und zur Bildung neuer Sektionen der Internationale in Spanien führte. http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Bakunin#cite_ref-3

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Die Internationale vor ihrer Spaltung

Der dritte Kongreß der Internationalen tagte vom 6. bis 13. September 1868 in Brüssel.

Er war zahlreicher besucht als irgendein früherer oder späterer, doch trug er einen stark örtlichen Charakter; mehr als die Hälfte seiner Mitglieder kam aus Belgien. Ungefähr den fünften Teil stellten die Franzosen. Unter den 11 englischen Delegierten befanden sich 6 Vertreter des Generalrats, neben Eccarius, Jung, Leßner namentlich der Trade-Unionist Lucraft. Schweizer waren nur 8 zugegen, Deutsche gar nur 3, unter ihnen Moses Heß von der Sektion Köln.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_394.htm#Kap_1

Gegen die Proudhonisten, die mit Erfolg nur Ihre Tauschbank und den zinslosen Kredit vertraten, setzte die Mehrheit den in den Augen der Franzosen „rohen Kommunismus“ etwa der Verstaatlichung der Landwirtschaft in den Anträgen durch. Natürlich waren diese Auseinandersetzungen nur Streit um Papiere und ohne jede politische Relevanz.

Dem entsprechend wurde Karl Marx „der Dank der Arbeiterklasse für sein wissenschaftliches Werk ausgesprochen“ (Mehring, ebenda) und den Antrag der Berner Friedensliga auf ein Bündnis wiesen die Delegierten ab:

Nur in dem von Genf her angeregten Beschluß des Kongresses, drohende Kriege durch allgemeine Arbeitseinstellungen, durch einen Streik der Völker abzuwehren, fand er »Blödsinn«. Um so weniger hatte er dagegen einzuwenden, daß der Kongreß endgültig mit der Friedens- und Freiheitsliga brach, die kurze Zeit nachher ihren zweiten Kongreß in Bern hielt. Sie hatte der Internationalen ein Bündnis vorgeschlagen, erhielt aber in Brüssel die trockene Antwort, sie habe keinen vernünftigen Grund der Existenz und solle ihre Mitglieder nur einfach zum Eintritt in die Sektionen der Internationalen veranlassen.
(ebenda)

Auf dem Kongress im September 1869 in Basel wurden diesmal die Berliner Arbeiter durch Moses Heß vertreten, den ewigen Gesellen aller politischen Umtriebe, der anders als früher jetzt in der Internationalen Marx und Engels nicht mit eigenen Ideen Konkurrenz und Ärger machen wollte. Sonst die übliche Komödie:

Er zählte zwar nur 78 Mitglieder, aber er hatte ein viel »internationaleres« Aussehen als die früheren Kongresse. Im ganzen waren 9 Länder vertreten. Vom Generalrat kamen wie immer, Eccarius und Jung, und daneben zwei der angesehensten Trade Unionisten, Applegarth und Lucraft. Frankreich sandte 26, Belgien 5, Deutschland 12, Österreich 2, die Schweiz 23, Italien 3, Spanien 4 und Nordamerika 1 Abgeordneten. Liebknecht vertrat die neue Fraktion der Eisenacher, Moses Heß die Sektion Berlin. Bakunin hatte außer einem französischen auch ein italienisches Mandat, Guillaume war von Locle gesandt. Den Vorsitz führte wieder Jung.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_394.htm#Kap_1

Dies war die Zeit, in der Bakunin die Übersetzung des „Kapital“ in die russische Sprache plante:

Er befand sich in der äußersten ökonomischen Bedrängnis und stand vor der Entbindung seiner Frau, die er in Locarno abwarten wollte. Er selbst beabsichtigte, dort den ersten Band des »Kapitals« ins Russische zu übersetzen. Ein junger Verehrer, Namens Lubawin, hatte einen russischen Verleger veranlaßt, für die Übersetzung ein Honorar von 1.200 Rubeln auszuwerfen, von denen Bakunin 300 als Vorschuß erhielt.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_394.htm#Kap_1

Bakunin hatte noch in England das Kommunistische Manifest übersetzt und in der Zeitung „Kolokol“ von Alexander Herzen veröffentlicht. Trotzdem ist es merkwürdig, dass sich für die in Deutschland unverkäufliche Schwarte von Marx ein russischer Verlag interessiert haben sollte, der dann auch noch bereit ist, einen ungewöhnlichen Vorschuss auf ein ungewöhnliches Honorar zu zahlen.

Vielleicht war es auch eine Falle für Bakunin. In Basel hatte schon Liebknecht wieder den Vorwurf gegen Bakunin erneuert, ein russischer Agent zu sein.

Beeinflußt durch Borkheims Hetzereien, hatte Liebknecht vor Dritten die Äußerung getan, er habe Beweise dafür, daß Bakunin ein Agent der russischen Regierung sei, und Bakunin hatte in Basel den Zusammentritt eines Ehrengerichts veranlaßt, vor dem Liebknecht seine Beschuldigung begründen sollte. Das konnte Liebknecht nicht, und das Ehrengericht sprach einen scharfen Tadel über ihn aus. Dadurch ließ sich Liebknecht, der nach den Erfahrungen des Kölner Kommunistenprozesses und der Emigrantenzeit ein wenig leicht geneigt war, Spitzel zu wittern, nicht abhalten, dem Gegner die versöhnende Hand zu reichen, in die Bakunin ebenso ehrlich einschlug.
(ebenda)

Das von Mehring hier strapazierte Händeschütteln hat selbstverständlich nichts zu sagen. Als nächstes wird Moses Heß gegen Bakunin aktiv:

Um so mehr mußte es ihn erbittern, daß schon wenige Wochen später, am 2. Oktober, Moses Heß im Pariser »Reveil« mit dem alten Klatsch wieder angezogen kam. Heß, der als deutscher Delegierter in Basel gewesen war, wollte die geheime Geschichte des Kongresses geben; in diesem Zusammenhange erzählte er von den »Intrigen« Bakunins, die darauf abgezielt hätten, die prinzipiellen Grundlagen der Internationalen umzustürzen und den Generalrat von London nach Genf zu verlegen, aber die in Basel gescheitert seien, und schloß mit der nichtsnutzigen Verdächtigung, er wolle keineswegs die revolutionäre Gesinnung Bakunins anzweifeln, aber dieser Russe sei ein naher Verwandter Schweitzers, der eben in Basel von den deutschen Delegierten als überführter Agent der deutschen Regierung angeklagt worden war. Die gehässige Absicht dieser Denunziation sprang um so mehr in die Augen, als eine »nahe Verwandtschaft« zwischen der Agitation Bakunins und der Agitation Schweitzers zu entdecken unmöglich war. Auch persönlich hatten beide Männer nie die geringsten Berührungspunkte gehabt.
(ebenda)

Mit Johann Baptist von Schweitzer, dem Abgeordneten des ADAV, war Bakunin nun wirklich in keinem tatsächlichen oder ideellen Zusammenhang. In einem Brief an den gerade in Paris weilenden Herzen, der dem Pariser „Reveil“ eine Gegendarstellung für Bakunin gab, vermutete Bakunin Marx als Anstifter der Verdächtigungen, wagte diesen wegen seines Einflusses in der Internationalen aber nicht anzugreifen.

Wenige Monate später, im März 1870, verfasste Marx seine „Konfidentielle Mitteilung“ an den Vorstand der Eisenacher in Deutschland, in der Bakunin schwer beschuldigt wurde.

Bald darauf starb Herzen. Bakunin, der seit der Zeit, wo er als Lenker der europ. Arbeiterbewegung sich aufwerfen wollte, seinen alten Freund und Patron Herzen verleugnet hatte, stieß sofort nach dessen Tod in die Lobesposaune. Warum? Herzen, trotz seines persönlichen Reichtums, ließ sich jährlich 25.000 frs. für Propaganda von der ihm befreundeten pseudo-sozialistischen panslawistischen Partei in Rußland zahlen. Durch sein Lobesgeschrei hat Bakunin diese Gelder auf sich gelenkt und damit "die Erbschaft Herzens" - malgré sa haine del'héritage' - pekuniär und moralisch sine beneficio inventarii angetreten.

Gleichzeitig hat sich in Genf eine junge russische refugee colony angesiedelt, flüchtige Studenten, die es wirklich ehrlich meinen und ihre Ehrlichkeit dadurch beweisen, daß sie die Bekämpfung des Panslawismus als Hauptpunkt in ihr Programm aufgenommen.

Sie publizieren zu Genf ein Journal: "La voix du peuple".

Sie haben vor about 2 Wochen sich nach London gewandt, ihre Statuten und Programm eingesandt, Bestätigung zur Bildung einer russischen branche verlangt. Ist gegeben worden.

In einem besondern Brief an Marx haben sie ihn ersucht, sie im Zentralrat provisorisch zu repräsentieren. Dies ditto akzeptiert. Sie haben zugleich angezeigt - und schienen sich deswegen bei Marx entschuldigen zu wollen -, daß sie nächstens dem Bakunin öffentlich die Maske abreißen müßten, in dem dieser Mensch zweierlei ganz verschiedne Sprachen führe, eine andre in Rußland, eine andre in Europa.

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_409.htm

So kam Marx zu seinem Amt als korrespondierender Sekretär für Russland in der Internationalen. Der Geschichte mit dem Geld der panslawistischen Partei für Herzen hat bereits Mehring widersprochen:

Es erübrigt, die zahlreichen Irrtümer aufzuzählen, die sie über Bakunin enthält. Die Vorwürfe, die sie gegen diesen erhebt, sind im allgemeinen um so grundloser, je belastender sie zu sein scheinen. Das gilt namentlich von dem Vorwurfe der Erbschleicherei. Es hat niemals eine pseudo-sozialistische panslawistische Partei in Rußland gegeben, die an Herzen jährlich 25.000 Franken Propagandagelder gezahlt hätte; der winzige Kern dieser Fabel war, daß ein junger Sozialist Batmetjew in den fünfziger Jahren einen Revolutionsfonds von 20.000 Franken gestiftet hatte, den Herzen verwaltete.

Wodurch Marx in diese Irrtümer versetzt worden ist, geht schon aus den Schlußsätzen der Konfidentiellen Mitteilung hervor. Sie waren ihm von dem russischen Flüchtlingskomitee in Genf mitgeteilt worden. Will sagen von Utin oder durch dessen Vermittlung von Becker.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_394.htm#ZT5

Aber derartige Anschuldigungen konnten in der damaligen Zeit schlecht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden und erfüllten damit ihren Zweck gerade so gut, als hätte es sich um erwiesene Tatsachen gehandelt.

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Das Ende der Ersten Internationale


Das Jahr 1871bringt mit der deutschen Reichsgründung nicht nur den Abschluss der bürgerlichen Revolution, es ist mit dem Ende des Zweiten Kaiserreichs und dem Beginn der Dritten Republik in Frankreich und vor allem der Kommune in Paris noch einmal ein Jahr der Revolution. Höhepunkt und Abschluss wird dieses Jahr auch für Marx und Bakunin, wenn auch auf ganz konträre Art.

Engels, der seine Stellung in Manchester aufgegeben hatte, lebte seit 1870 in London, unterstützte Marx bei der Korrespondenz und Marx erhielt seit 1869 aus den Einkünften von Engels eine jährliche Summe von 350 Pfund.

Engels ließ sich 1870 die Gelegenheit für Sandkastenstrategen nicht entgehen und schrieb über den deutsch-französischen Krieg für das Londoner Abendblatt „The Pall Mall Gazette“.

Obgleich bisher noch kaum ein Schuß gefallen ist, ist doch schon eine erste Etappe des Krieges vorüber, die mit einer Enttäuschung für den französischen Kaiser geendet hat. Einige Bemerkungen über die politische und militärische Situation sollen das beweisen.

Es ist jetzt völlig unbestritten, daß Louis-Napoleon hoffte, den Norddeutschen Bund von den süddeutschen Staaten isolieren und die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung der neu annektierten preußischen Provinzen ausnützen zu können. Ein schneller Vorstoß gegen den Rhein - mit soviel Truppen, wie sich nur irgend sammeln ließen -, ein Übergang über diesen Fluß, etwa zwischen Germersheim und Mainz, ein Vormarsch in der Richtung auf Frankfurt und Würzburg - das alles schien dies bewirken zu können. Die Franzosen hätten dadurch die Verbindungen zwischen dem Norden und dem Süden beherrscht und Preußen gezwungen, in aller Eile sämtliche verfügbaren Truppen zu einem Feldzug an den Main zu werfen - ganz gleich, ob sie marschbereit wären oder nicht. Der ganze Mobilmachungsprozeß der Preußen wäre gestört und alle Chancen wären auf seiten der Eindringlinge gewesen, die die Möglichkeit gehabt hätten, die Preußen der Reihe nach, wie sie aus den verschiedenen Teilen des Landes heranrückten, zu schlagen. Nicht nur politische, sondern auch militärische Gründe sprachen für ein solches Unternehmen…

http://www.mlwerke.de/me/me17/me17_udk.htm#A

Aber die Franzosen haben seine Vorschläge nicht beachtet und am 2. September nach der Schlacht von Sedan geriet Kaiser Napoleon III. durch die Kapitulation der geschlagenen französischen Armee in preußische Gefangenschaft.

Bismarck bot einen moderaten Frieden an, aber das Pariser Bürgertum revoltierte, erklärte die kaiserliche Regierung für abgesetzt und rief die Dritte Republik aus. Daraufhin belagerten die deutschen Truppen ab September Paris, das im Januar 1871 kapitulieren musste.

Als der französische Premierminister Thiers im März 1871 die Pariser Nationalgarde entwaffnen wollte, kam es zum Aufstand der Kommune. Im Mai 1871 wurde der Aufstand der Pariser Kommune blutig niedergeschlagen:

Am 21. Mai 1871 drangen Regierungstruppen in die Befestigungsanlagen der Stadt ein. Die Organisationsstrukturen der Kommune brachen damit effektiv zusammen und sie kehrte quasi wieder zu dem Zustand bei ihrer Gründung zurück - als dezentraler Kampf in den Pariser Stadtbezirken. Der verbissene Kampf während der so genannten "Blutigen Maiwoche", der vor allem um Barrikaden in den Pariser Straßen geführt wurde, dauerte bis zum 28. Mai. In den Kämpfen und den folgenden Massenexekutionen wurden etwa 30.000 Menschen getötet und etwa 40.000 inhaftiert. Die meisten gefangenen Kommunarden wurden entweder sofort standrechtlich erschossen, von Schnellgerichten abgeurteilt oder nach Versailles deportiert. Die Regierungstruppen verzeichneten 900 Gefallene, die Kommunarden töteten im Verlauf der Kämpfe rund 70 Geiseln; zur Umsetzung des sogenannten „Geiseldekrets“ vom 17. Mai, wonach die Exekution jedes Kommunarden durch die Regierungstruppen „mit der Exekution der dreifachen Anzahl Geiseln“ durch die Kommune beantwortet werden würde, kam es nie. Ein angestrebter Gefangenenaustausch zwischen Paris und Versailles, den Erzbischof von Paris gegen den Revolutionär Blanqui, scheiterte am Widerstand der Thiers-Regierung und endete mit der Exekution des Erzbischofs.
http://de.wikipedia.org/wiki/Pariser_Kommune

Bakunin war im September 1870 noch einmal in Frankreich auf den Barrikaden gestanden, die Revolutionäre in Lyon hatten ihn gerufen, die zum Vorbild für die Pariser Kommune wurden.

Bakunin war von revolutionären Elementen dorthin berufen worden. Man hatte sich des Stadthauses bemächtigt, die »Verwaltungs- und Regierungsmaschinerie des Staates« abgeschafft und dafür die »Revolutionäre Föderation der Gemeinde« ausgerufen, als der Verrat des Generals Cluseret und die Feigheit einiger anderer Personen einen leichten Sieg der Nationalgarde über die Bewegung ermöglichte. Vergebens hatte Bakunin zu energischen Maßregeln gedrängt und in erster Reihe gefordert, die Vertreter der Regierung zu verhaften. Er selbst wurde gefangen genommen, aber durch eine Abteilung freier Schützen wieder befreit. Er hielt sich noch einige Wochen in Marseille auf, in der Hoffnung, daß die Bewegung wieder erwachen werde, und als sich seine Hoffnung nicht erfüllte, kehrte er Ende Oktober nach Locarno zurück.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_443.htm#Kap_5

Marx schreibt dafür über die Pariser Kommune seine Broschüre „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, die im Juni 1871 in England erscheint. Er verteidigt darin die Hinrichtung des katholischen Erzbischofs von Paris:

Aber die Hinrichtung der vierundsechzig Geiseln, voran der Erzbischof von Paris, durch die Kommune! - Die Bourgeoisie und ihre Armee hatten im Juni 1848 eine längst aus der Kriegführung verschwundene Sitte wiedereingeführt - das Erschießen ihrer wehrlosen Gefangnen. Diese brutale Sitte ist seitdem mehr oder weniger angewandt worden bei jeder Unterdrückung eines Volksaufstandes in Europa und Indien, womit bewiesen ist, daß sie ein wirklicher "Fortschritt der Zivilisation" war! Andrerseits hatten die Preußen in Frankreich die Sitte wieder ins Leben gerufen, Geiseln zu nehmen - unschuldige Leute, die ihnen mit ihrem Leben für die Handlungen andrer hafteten. Als Thiers, wie wir sahn, schon vom Anfang des Kampfes an die menschliche Sitte des Erschießens der kommunalistischen Gefangnen in Kraft setzte, blieb der Kommune nichts übrig, zum Schutz des Lebens dieser Gefangnen, als zur preußischen Sitte des Geiselngreifens ihre Zuflucht zu nehmen. Das Leben der Geiseln war aber und abermals verwirkt durch das anhaltende Erschießen von Gefangnen durch die Versailler. Wie konnte man ihrer noch länger schonen nach dem Blutbade, womit Mac-Mahons Prätorianer ihren Einmarsch in Paris feierten? Sollte auch das letzte Gegengewicht gegen die rücksichtslose Wildheit der Bourgeoisregierungen - die Ergreifung von Geiseln - zum bloßen Gespött werden? Der wirkliche Mörder des Bischofs Darboy ist Thiers. Die Kommune hatte aber und abermals angeboten, den Erzbischof und einen ganzen Haufen Pfaffen in den Kauf auszuwechseln, gegen den einzigen von Thiers festgehaltenen Blanqui. Thiers weigerte sich hartnäckig. Er wußte, daß er der Kommune mit Blanqui einen Kopf geben werde, während der Erzbischof seinen Zwecken am besten dienen würde als - Leiche.
http://www.mlwerke.de/me/me17/me17_319.htm

Damit sollte diese Schrift von Marx in der bürgerlichen Presse Aufsehen erregen. In Deutschland wurde sie im Juni/Juli 1871 im Leipziger „Der Volksstaat veröffentlicht, der sie auch als Sonderdruck erscheinen ließ. Das Leipziger Blatt war Parteiorgan der 1869 von Liebknecht und Bebel in Eisenach gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei SDAP mit Wilhelm Liebknecht als Chefredakteur.

Ebenfalls in dem ereignisreichen Jahr 1871 kam es zu Spannungen in der IAA. Die Sektionen der Schweizer Juraföderation forderten die Bildung einer Föderation in England und Bildung eines einfachen Korrespondenzbüros an Stelle des Londoner Generalrates, den sie entmachtet sehen wollten.

Marx weiß nun genau, dass er die Internationale in Zukunft nicht mehr unter Kontrolle hat. Sein letztes Ziel besteht darin, die Übernahme der IAA durch die anarchistischen Kräfte zu verhindern. Er sammelt dazu Material gegen Bakunin.

Der junge Anarchist Sergej Netschajew (Necaev) war zu Bakunin nach Genf gekommen, angeblich aus der Peter-und Paul-Festung geflohen und angeblich als Gesandter eines revolutionären Komitees. Dass Bakunin seinen wilden Erzählungen geglaubt habe, ist weniger anzunehmen, als dass er von ihm fasziniert war:

It was rumoured at the time (and has been claimed by some contemporary writers) that the 55-year-old Bakunin became infatuated with the young Nechayev, and the two secretly became lovers. The relationship was certainly close and passionate, and ultimately deeply troubled. Bakunin saw in Nechayev the authentic voice of Russian youth, which he regarded as "the most revolutionary in the world". He would hold onto this idealised vision long after his association with Nechayev became damaging to him.
http://en.wikipedia.org/wiki/Sergey_Nechayev

Zwischen April und August 1869 verfasste Necaev den „Katechismus eines Revolutionärs“, in dem er den Revolutionär über jegliche moralische Schranken stellt.

The Revolutionist is a doomed man. He has no private interests, no affairs, sentiments, ties, property nor even a name of his own. His entire being is devoured by one purpose, one thought, one passion - the revolution. Heart and soul, not merely by word but by deed, he has severed every link with the social order and with the entire civilized world; with the laws, good manners, conventions, and morality of that world. He is its merciless enemy and continues to inhabit it with only one purpose - to destroy it.
(ebenda)

Bakunin wurde als Mitautor verdächtigt, doch er hat dem jungen Mann 1870 deutlich von diesen Überzeugungen abgeraten:

You wished, and still wish, to make your own selfless cruelty, your own truly extreme fanaticism, into a rule of common life.... Renounce your system and you will become a valuable man; if, however, you do not wish to renounce it you will certainly become a harmful militant, highly destructive not to the state but to the cause of liberty...
(ebenda)

Alexander Herzen lehnte zwar diesen Fanatismus ab, unterstützte Necaev trotzdem finanziell. Bakunin und dessen Freund Nikolay Ogarev ermöglichten Necaev den Versand von Propagandaschriften nach Russland, durch die jedoch die Empfänger vor der Polizei kompromittiert wurden, weil Necaev absichtlich den politischen Inhalt durch Parolen oder Zeichen auf dem Umschlag verriet. Necaev bekannte sich später dazu, durch kompromittierende und erpresserische Mittel die Betroffenen zu seinen Mitstreitern rekrutieren zu wollen.

Ende 1869 kehrte er nach Moskau zurück, wo er mit dem Geld von Herzen und Ogarev eine Untergrundorganisation, die „Narodnaya Rasprava“ (Volksjustiz), gründete. Als ein Mitglied die Gruppe verlassen wollte, wurde er von Nicaev und einigen Getreuen grausam ermordet und die Leiche unter dem Eis eines zugefrorenen Gewässers versteckt.

Der skrupellose Nihilist Pjotr Werchowenski und seine revolutionäre Gruppe im Roman „Die Dämonen“ von Dostojewski basieren auf Nicaev und diesem Geschehen.

Der Tote wurde jedoch bald gefunden und die Polizei begann die Mitglieder der Untergrundorganisation zu verhaften. Nicaev konnte noch entfliehen und kam im Januar 1870 wieder nach Genf, wo er von Bakunin und Ogarev begeistert empfangen wurde, die nicht wissen konnten, was geschehen war. Kurz darauf starb Herzen und Necaev erhielt durch Ogarev das Geld aus einem Revolutionsfonds für seine weiteren Aktivitäten. Nicaev arbeitete auch mit Ogarev an der Zeitschrift „Die Glocke“. Durch Diebstähle und Lügen misstrauisch geworden, begann Bakunin seine Freunde vor Nicaev zu warnen, hielt aber seine Unterstützung aufrecht.

Als Russland seine Auslieferung forderte, verbarg sich Necaev einige Zeit in Paris und in Zürich, wo er 1872 festgenommen und ausgeliefert wurde. Wegen Mordes verurteilt, aber ohne vor Gericht oder in der Haft über andere auszusagen, starb er 1882 in der Peter-und-Paul-Festung.

Necaev hatte im Jahr 1870 Bakunin überredet, mit der Übersetzung des „Kapital“ aufzuhören. Er versprach, mit dem Verleger wegen der 300 Rubel Vorschuss zu verhandeln und schrieb dann ohne Wissen des Bakunin einen Drohbrief an den Lubawin, der den Verleger vermittelt hatte. Als Bakunin durch einen bösen Brief von Lubawin davon erfuhr, brach er sofort mit Necaev und versprach, den Vorschuss zurück zu zahlen.

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Der für den Herbst 1871 angesetzte Kongress der Internationale entfiel, weil angesichts der politischen Ereignisse viele Delegierte verhindert waren. Stattdessen hatte im September 1871 in London eine geschlossen Konferenz stattgefunden, auf der nur 23 Delegierte erschienen. Hier wurde der Fall Necaev erstmals ein Thema für die Internationale.

Dagegen lehnte sie jede Verantwortung für die sogenannte Verschwörung des Netschajew ab und beauftragte Utin, einen gedrängten Bericht über den Prozeß Netschajew, nach den russischen Quellen, in der Genfer »Égalité« zu veröffentlichen, ihn jedoch vor der Veröffentlichung dem Generalrat zu unterbreiten.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_443.htm#Kap_5

Mit Utin war vermutlich auf Betreiben von Marx ein bekannter Halunke und Intrigant als Berichterstatter gegen Bakunin berufen worden, der als dessen Gegner bekannt war. Das Ergebnis war dementsprechend, was Mehring deutlich hervorhebt:

Wollte sie aber einmal eine Ausnahme von der Regel machen, so durfte sie nicht einen gehässigen Intriganten zu ihrem Berichterstatter bestellen, von dem gegenüber Bakunin etwa dasselbe Maß von Wahrheitsliebe zu erwarten war wie von der bürgerlichen Presse.

Utin leitete die ihm aufgetragene Arbeit denn auch mit einer, seiner würdigen Mordgeschichte ein. In Zürich, wo er seine Arbeit auszuführen beabsichtigte und wo er keine anderen Feinde zu haben behauptete als einige allianzistische Slawen unter dem Befehle Bakunins, überfielen ihn angeblich acht slawisch redende Individuen eines schönen Tages an einem einsamen Orte in der Nähe eines Kanals, verwundeten ihn, warfen ihn zu Boden und würden ihn vollends getötet und seine Leiche in den Kanal versenkt haben, wenn nicht vier deutsche Studenten des Weges gekommen wären und dies kostbare Leben für die künftigen Dienste des Zaren gerettet hätten.

(ebenda)

Utin wurde später noch russischer Heereslieferant.

In der Zeit bis zum Haager Kongress vermehren sich die Anzeichen der Auflösung auch im Londoner Generalrat, wo Marx mit langjährigen, treuen Freunden bricht:

Selbst zwischen Marx und den beiden Mitgliedern des Generalrats, die lange Jahre hindurch seine geschicktesten und getreuesten Helfer gewesen waren, Eccarius und Jung, war eine Entfremdung entstanden, die bei Eccarius schon im Mai 1872 zum offenen Bruch führte. Eccarius lebte in sehr kümmerlichen Verhältnissen und hatte seine Stellung als Generalsekretär der Internationalen gekündigt, da er sich für unentbehrlich hielt und seinen bescheidenen Wochenlohn von 15 Schilling auf das Doppelte erhöhen wollte. Indessen wurde an seine Stelle der Engländer John Hales gewählt, wofür Eccarius mit Unrecht Marx verantwortlich machte. Marx hatte ihn im Gegenteil gegen die Engländer stets verteidigt. Dagegen hatte Marx ihn wiederholt gerüffelt, weil Eccarius Mitteilungen über innere Vorgänge der Internationalen, so namentlich über die geheimen Verhandlungen der Londoner Konferenz, der Presse verhökert hatte.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_443.htm#Kap_5

Man beachte die schändliche Bezahlung des treuen Eccarius im Vergleich zu den von Marx verbrauchten Summen. Nachfolger von Eccarius wird der Engländer John Hales, der sofort mit der neugegründeten englischen Föderation gegen Marx zu konspirieren beginnt. Im August 1872 wurde John Hales seines Postens wieder enthoben, mit dem Haager Kongress stand das Ende des Londoner Generalrats ohnehin an.

Es war Marx gelungen, über den späteren Übersetzer des „Kapital“, den Ökonomen Nikolaj F. Danielson, den Brief von Nicaev an Lubawin zu bekommen. Damit und mit vielen anderen Akten und Unterlagen erscheint Marx zum nächsten Kongress in Den Haag 1872.

Auf dem Haager Kongress hat Marx eine Mehrheit unter den Delegierten. Die Prüfung der Mandate zieht sich jedoch über drei Tage hin. Lafargue hat ein Mandat für Spanien, wohin er 1871 aus Frankreich emigriert war, obwohl die Spanier der anarchistischen Fraktion angehören.

Aber allerdings hatte Marx schon im Juni nach Amerika um Mandate für die Deutschen und Franzosen geschrieben. Manche Delegierte vertraten Sektionen nicht der eigenen, sondern einer fremden Nation; andere traten aus polizeilichen Rücksichten unter falschem Namen auf oder verschwiegen aus demselben Grunde die Namen der Sektionen, von denen sie beauftragt waren. Daher gehen in den verschiedenen Berichten über den Kongreß die ziffernmäßigen Angaben über die Beteiligung der einzelnen Nationen ziemlich auseinander.

… Daneben hatte Marx als Vertreter des Generalrats neben einem Mandat für New York je ein Mandat für Leipzig und Mainz, Engels je ein Mandat für Breslau und New York. Hepner aus Leipzig hatte ein Mandat aus New York, Friedländer aus Berlin eins aus Zürich. Zwei andere Delegierte mit anscheinend deutschen Namen, Walter und Swarm, waren tatsächlich Franzosen; sie hießen Heddeghem und Dentraygues; beide waren sehr unsichere Kantonisten, Heddeghem schon im Haag bonapartischer Spitzel.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_443.htm#Kap_5

Merkwürdig, dass dieser bonapartische Spitzel genau in die Kommission gewählt wurde, die sich mit den Vorwürfen gegen Bakunin befassen sollte:

Bei der Debatte über ein Mandat, das von einer Sektion in Chicago einem in London wohnenden Mitglied übertragen worden war, wurde von einem Delegierten des britischen Föderalrats geltend gemacht, daß dies Mitglied kein anerkannter Arbeiterführer sei, worauf Marx erwiderte, daß es eher eine Ehre als das Gegenteil sei, kein englischer Arbeiterführer zu sein, da die Mehrzahl dieser Führer an die Liberalen verkauft sei. Diese Äußerung machte, obgleich das Mandat bestätigt wurde, viel böses Blut und wurde nach dem Kongreß von Hales und Genossen eifrig gegen Marx ausgebeutet; er selbst freilich, der immer der Täter seiner Taten war, hat sie nie bereut oder zurückgenommen. Nach Beendigung der Mandatsprüfung wurde eine Reihe von Eingängen, die sich auf Bakunin und dessen Allianz bezogen, einem fünfgliedrigen Ausschuß zur Vorprüfung überwiesen; man wählte Mitglieder hinein, die bisher möglichst wenig an dem Streite um die Allianz beteiligt gewesen waren. Es waren der Deutsche Cuno als Vorsitzender, die Franzosen Lucain, Vichard und Walter-Heddeghem, endlich der Belgier Splingard.
(ebenda)

Marx hat mit seiner Mehrheit auf dem Kongress am vorletzten Tag das Ende der Internationalen Arbeiterassoziation eingeleitet: mit knapper Mehrheit wird der Zentralrat der Internationale auf Antrag von Engels in die USA nach New York verlegt. Damit verliert die IAA jegliche Handlungsfähigkeit und Bedeutung und 1876 wird die Internationale auch formal aufgelöst.

Nun bestand natürlich die Gefahr, dass die Anarchisten gern auf den Zentralrat verzichten und die Organisation trotzdem übernehmen.

Am letzten Tag wird auf dem Haager Kongress der Internationale im September 1872 auf Betreiben des dafür persönlich mit allerlei Akten und Unterlagen erschienen Karl Marx der Ausschluss von Bakunin verhandelt.

Die letzten Stunden des letzten Tages wurden durch den Bericht der Fünferkommission über Bakunin und die Allianz beansprucht. Sie erklärte mit vier gegen die eine Stimme des belgischen Mitglieds: erstens sei erwiesen, daß eine geheime Allianz mit Statuten, die den »Statuten der Internationalen« schnurstracks zuwiderliefen, existiert habe, doch sei nicht genügend genau festgestellt, ob sie noch existiere. Zweitens, es sei durch einen Statutenentwurf und Briefe Bakunins erwiesen, daß er versucht habe und daß es ihm vielleicht sogar gelungen sei, eine geheime Gesellschaft innerhalb der Internationalen zu gründen, mit Statuten, die von den »Statuten der Internationalen« in politischer und sozialer Beziehung durchaus verschieden seien. Drittens habe sich Bakunin betrügerischer Manöver bedient, um sich fremden Eigentums zu bemächtigen; um sich seiner Verpflichtungen zu entledigen, hätten er oder seine Agenten sich der Einschüchterung bedient. Aus diesen Erwägungen beantragte die Mehrheit der Kommission die Ausschließung Bakunins, Guillaumes und mehrerer ihrer Anhänger. Materielle Beweise legte Cuno als Berichterstatter der Kommission nicht vor…
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_443.htm#Kap_8

Marx zeigt schließlich als äußerstes Mittel, um eine Mehrheit der Delegierten zu bekommen, den Brief des Necaev an Lupatin. Damit findet Marx eine Mehrheit: der Fall Necaev ist durch den ungewöhnlichen, öffentlichen Prozess gegen die Mitglieder seiner Gruppe und andere Beschuldigte in Russland allen Teilnehmern aus den Zeitungen bekannt.

Die russische Regierung aber nutzte die günstige Gelegenheit aus, als sie durch die zahlreichen Verhaftungen nach Iwanows Ermordung hinter das Treiben Netschajews gekommen war. Um die russischen Revolutionäre vor aller Welt zu blamieren, ließ sie zum ersten Male eine politische Gerichtsverhandlung öffentlich und vor Geschworenen führen; im Juli 1871 begannen die Verhandlungen des sogenannten Prozesses Netschajew in Petersburg, die gegen mehr als achtzig Angeklagte, zumal Studenten, geführt wurden und den meisten von ihnen schwere Verurteilungen zu Gefängnis oder auch zu Zwangsarbeit in den sibirischen Bergwerken eintrugen.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_443.htm#Kap_5

Bakunin wird zusammen mit James Guillaume, der führender Kopf der anarchistischen Jura-Föderation ist, aus der Internationale ausgeschlossen. Der Kongress beschließt, sämtliche Materialien über Bakunin Marx und Engels zur Veröffentlichung zu übergeben.

Zusammen mit dem französischen Schwiegersohn von Marx, Paul Lafargue, schreiben sie vom April bis Juli 1873 ihren noch 1873 auf französisch und 1874 in deutscher Sprache als Broschüre erschienenen „Bericht über das Treiben Bakunins und der Allianz der sozialistischen Demokratie“:

Karl Marx/Friedrich Engels
Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiterassoziation

http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_327.htm

Die Vorwürfe gegen Bakunin stammen größtenteils von diesem oben schon erwähnten Utin; Mehring hat mit dem Zeugs abgerechnet:

So sehr man die Manier Bakunins verurteilen mag, namentlich für einen Mann in seiner Stellung, sich in phantastischen Statutenentwürfen und schrecklich klingenden Kundgebungen zu berauschen, so muß man doch bei dem Mangel greifbaren Materials annehmen, daß seine immer rege Phantasie daran den größten Anteil gehabt hat. Hier half nun die Allianzbroschüre nach, indem sie ihre zweite Hälfte mit den Enthüllungen des edlen Utin über den Prozeß Netschajew und über das sibirische Exil Bakunins füllte, worin dieser sich schon als gemeiner Erpresser und Strauchdieb erprobt haben sollte. Dafür wurde überhaupt kein Beweis erbracht, während sich sonst der Beweis darauf beschränkte, alles was Netschajew gesagt und getan hatte, unbesehen auf die Rechnung Bakunins zu setzen.

Besonders das sibirische Kapitel ist der reine Kolportageroman. Der Gouverneur von Sibirien war irgendein Verwandter Bakunins, zur Zeit, wo Bakunin dorthin verbannt war; dank dieser Verwandtschaft und seiner sonstigen, der zaristischen Regierung erwiesenen Dienste war der verbannte Bakunin der geheime Regent des Landes, der seine Macht mißbrauchte, um gegen »geringe Trinkgelder« kapitalistische Unternehmer zu begünstigen. Diese Gewinnsucht wurde freilich gelegentlich durch Bakunins »Haß gegen die Wissenschaft« überwunden. Deshalb vereitelte er den Plan sibirischer Kaufleute, eine Universität in ihrem Lande zu gründen, wozu die Genehmigung des Zaren notwendig war.

Gerade diese russische Hälfte, worin sich die Allianzbroschüre übergipfelte, vernichtete am stärksten ihre politische Wirkung. Selbst solche Kreise der russischen Revolutionäre, die mit Bakunin auf gespanntem Fuße lebten, fühlten sich davon abgestoßen. Während Bakunins Einfluß auf die russische Bewegung während der siebziger Jahre ungeschmälert blieb, verlor Marx viel von den Sympathien, die er sich in Rußland erworben hatte. Aber auch sonst erwies sich die Allianzbroschüre als ein Schlag ins Wasser, gerade durch den einen Erfolg, den sie hatte. Sie veranlaßte Bakunin, sich aus dem Kampfe zurückzuziehen, aber der Bewegung, die sich nach Bakunin nannte, krümmte sie kein Haar.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_443.htm#Kap_9

Die Bakunin nahe stehenden Gruppen gründen zwei Wochen nach dem Haager Kongress in Saint-Imier die „Antiautoritäre Internationale“, der sich vor allem die Jura-Föderation in der Schweiz und die Franzosen, Italiener und Spanier anschließen. Durch den Niedergang der Jura-Föderation beendet nach dem letzten Kongress 1877 auch die Antiautoritäre Internationale ihre Tätigkeit.

Im Mai 1875 kam es zum Vereinigungskongress von ADAV und SDAP in Gotha. Das vereinbarte Gothaer Programm für die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), wurde von Marx und Engels heftig kritisiert, wie auch die Vereinigung der Eisenacher mit den Lassalleanern überhaupt.

Die aus diesem Anlass von Marx und Engels im April/Mai 1875 verfasste „Kritik des Gothaer Programms“ wurde seinerzeit wenig beachtet und erst 1891 von Engels publiziert.

Es war die übliche Haarspalterei. Da hatten die Leute die Geschichte von der Arbeit als der einzigen Quelle allen Wertes in ihre Vorstellungen umgesetzt und dann sollte es schon wieder falsch sein:

Erster Teil des Paragraphen: "Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur."

Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. Jene Phrase findet sich in allen Kinderfibeln und ist insofern richtig, als unterstellt wird, daß die Arbeit mit den dazugehörigen Gegenständen und Mitteln vorgeht. Ein sozialistisches Programm darf aber solchen bürgerlichen Redensarten nicht erlauben, die Bedingungen zu verschweigen, die ihnen allein einen Sinn geben. Nur soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände, verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.

http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_013.htm

Nun ja, was soll man sich darüber streiten? Das sind wieder hegelianische Haarspaltereien und Begriffshubereien für die Philosophen in ihren Elfenbeintürmen. Über die Frage, was Reichtum ist und woher er eigentlich stammt, könnte man leicht Tausend Seiten füllen ohne zu einem brauchbaren Ergebnis zu kommen. Dabei hatte Marx die Kultur noch ganz übersehen.

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Der Marxismus und seine Kader


Am 14. März 1883 verstarb Karl Marx in London im Alter von 64 Jahren. Beim Begräbnis fanden sich 11 Trauergäste, einer davon Wilhelm Liebknecht und natürlich Friedrich Engels, der die Grabrede hielt.

Der Eindruck von der Beerdigung täuscht, die Saat war schon aufgegangen.

In Russland, wo die Zensur das 1872 erschienene „Kapital“ unbeanstandet ließ, hoffte die Polizei auf den „wissenschaftlichen Marxismus“ als Mittel gegen die bombenlegenden Anarchisten. Im März 1881 war Zar Alexander II. durch ein Bombenattentat der Narodnaja Wolja getötet worden. Lenins Bruder, der 1887 wegen eines geplanten Attentats auf den nächsten Zaren hingerichtete Alexander Uljanow, hatte aber kurz vor seiner Verhaftung noch die „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ von Karl Marx übersetzt. Mit Lenin gab es dann eine grundsätzliche Abkehr von Anarchie und Attentatsplänen und dafür das Studium der Werke des großen Meisters.

Zum Unglück des Zarismus setzten auch die Gegner Russlands, von den Österreichern bis zu den Briten, auf den Marxismus. Die „Diktatur des Proletariats“ versprach dem britischen Kolonialreich die Fesselung des russischen Riesen und seine ökonomische Auszehrung, während mit den antiautoritären Anarchisten eben nicht nur Bombenattentate auf den Zaren drohten, sondern auch, von den Anarchisten sicher ungewollt, eine liberale Revolution, die mit einem gestärkten und modernisierten russischen Imperialismus eine Gefahr für das britische Weltreich zu werden versprach. Stalin geriet 1893 im Priesterseminar von Tiflis schon in Kontakt mit gut organisierten marxistischen Zirkeln - wir können das hier leider nicht weiter verfolgen.

Aus Deutschland durch das Sozialistengesetz ab 1878 vertriebene junge Leute waren zuerst von der Schweiz aus illegal tätig. Kautsky besuchte schon 1881 Marx und Engels auf einer Reise nach England. Als die Schweiz sie wegen ihrer in Deutschland illegalen Aktivitäten nun auch auswies, ging diese kleine, aber in der illegalen sozialdemokratischen Arbeit führende Gruppe zukünftiger Marxisten wie vor ihnen so viele andere Emigranten nach London. Dort wurde ab 1885 auch die Parteizeitung „Der Socialdemokrat“ gedruckt und illegal ins Reich vertrieben.

Der enge Kontakt mit dieser kleinen Gruppe, von der die illegale Arbeit für die Sozialdemokratie kontrolliert wurde, wird Engels politisch motiviert haben, die bis dahin wenig umfangreiche Publikation der Werke des „Marxismus“ fortzusetzen.

Friedrich Engels gab nach langjähriger Arbeit wieder beim Verlag Otto Meißner 1885 den zweiten und 1894 den dritten Band des „Kapital“ heraus. Beide Bücher musste Engels mühsam aus den von Marx hinterlassenen Notizen zusammenstellen, für einen vierten Band existierte nur ein Entwurf und Engels war nicht mehr in der Lage, auch noch einen vierten Band zu bewältigen. Kautsky wurde von Engels gefragt und fand dazu die Zeit nicht, auch Bernstein hatte andere Arbeit, die „Tussy“ genannte Tochter von Marx, die Engels bei den Bänden zwei und drei geholfen hatte, war mit dem inzwischen 74jährigen Engels auch nicht in der Lage, ein viertes Buch zu schaffen.

Von Marx ist also nur der erste Band, was für die Marxisten heute den Vorteil hat, dass sämtliche Widersprüche und Ungereimtheiten vor allem zum „tendenziellen Fall der Profitrate“ auf die Bearbeitung geschoben werden können. Es existiert nirgends eine Krisentheorie von Marx, die Konsequenzen und Schlussfolgerungen aus der „Wertformanalyse“ kann daher jede marxistische Gruppe so ziehen, wie sie lustig ist, und sich dabei auf irgendeine Textstelle berufen.

Eine nur als Gerücht existierende Theorie kann nicht widerlegt werden und auch alle nachfolgenden „Marxisten“ haben sich davor gehütet, sich bei ihren Schlussfolgerungen aus der Werttheorie im „Kapital“ wirklich auf eine nachvollziehbare Argumentation festzulegen. So geistert also der „tendenzielle Fall der Profitrate“ als Krisenerklärung der Marxisten anlässlich jeder Rezession und Großen Depression durch die politische Szene und wird seit den 1930er Jahren vor allem gegen die Keynesianer benutzt. Die im dritten Band des „Kapital“ leider unvollständig dargelegte, aber jedenfalls unvermeidbare Krise des Kapitalismus, wollen die Keynesianer mit den falschen Methoden behandeln, nur um das kapitalistische System vor dem von Marx angekündigten Zusammenbruch zu bewahren, so der „Marxismus“. Das war zwar Quatsch, aber sehr brauchbar.

Vermutlich hat jeder Leser des „Kapital“ schnell gemerkt, dass mit der ganzen „Wertformanalyse“ nichts anzufangen ist. Die meisten werden sich nicht getraut haben, das auch offen zu sagen, sondern mit irgendwelchen Phrasen ihr tiefes Verständnis vorgetäuscht haben. Sollte jemand einräumen, zum Verständnis des großen Meisters zu dumm zu sein oder gar den großen Meister Karl Marx für seine unbrauchbare Theorie anklagen?

Marx selbst hat die Manuskripte für sein „Kapital“ in den letzten Jahren nicht mehr angerührt. Vermutlich hat Marx genau erkannt, dass der Beweis für die unvermeidbare und mit dem Zusammenbruch des Kapitalismus enden müssende Krise mit seiner Arbeitswerttheorie nicht zu führen war, und sich die Blamage ersparen wollte.

Eine englische Übersetzung des ersten Bandes, die er nicht mehr erlebt hat, wollte Karl Marx dem Charles Darwin widmen, der das Angebot höflich ablehnte.

Für die französische Übersetzung hat Marx selbst noch einiges am ersten Band in langer Arbeit umgeschrieben. Im Jahr 1871 erhielt er von seinem Verleger Meißner in Hamburg das Angebot über 500 Taler für eine zweite Neuauflage des in den ersten fünf Jahren gerade mal mit 1000 Exemplaren verkauften Bandes (nach bürgerlichen Biografien müsste die Welt voller freigiebiger Verleger und Freunde sein, von allen Seiten kriegt das große Genie ständig Geld). An der 1872 erschienenen 2. Auflage hat Marx noch fast eineinhalb Jahre gearbeitet. Aber die dem Verleger und dem Publikum wiederholt versprochenen Folgebände sind für Marx kein Thema mehr.

Gelesen wurde das erste Buch kaum. Raddatz berichtet von einem Gespräch zwischen Otto Wels und August Bebel, wonach sie außerstande waren, das „Kapital“ zu verstehen; beide hätten ganz zu Beginn aufgehört zu lesen (Raddatz, S.298). Dass Liebknecht mit der Werttheorie nichts anfangen konnte und für unbewiesen hielt, wurde von Raddatz ausführlich ausgeführt (S.319f).

Es gibt da auch nichts zu verstehen, außer dem Umstand, dass dieses komische Werk später derart hochgejubelt werden sollte; zuerst als Grundlage des Parteiprogramms der SPD, dann als Bibel der Marxisten und vor allem des bolschewistischen Systems in Russland.

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Karl Kautsky (1854-1938) gilt als der führende Theoretiker der deutschen und internationalen Sozialdemokratie. Nach der Übersiedlung der Künstlerfamilie von Prag nach Wien wurde der Student Kautsky 1875 Mitglied der Sozialdemokratie in Österreich.

KAUTSKY, Karl (Johann), sozialistischer Theoretiker, * 16.10. 1854 in Prag als Sohn des tschechischen Dekorations- und Theatermalers Johann K. (ursprünglich Kautschky) und seiner deutschstämmigen Ehefrau, der Schauspielerin und Schriftstellerin Wilhelmine, geb. Jaich, † 17.10. 1938 in Amsterdam. - Der katholisch getaufte K. wächst in der deutschen Sprache auf und erhält zunächst Privatunterricht, um dann nach der Übersiedlung der Familie nach Wien (1863), wo der Vater u. a. für das Burgtheater arbeitet, in eine Privatschule in Mariahilf eingeschult zu werden, von wo er 1864 auf das Gymnasium des Benediktinerklosters in Melk überwechselt. Hier entwickelt K. gemäß seinen um 1930 geschriebenen »Erinnerungen« eine Antipathie gegen das »Pfaffentum« (Kautsky) und wird - veranlaßt durch die Pariser Kommune (1871) und begünstigt durch die Lektüre von George Sand und Louis Blanc - zum Anhänger des - wenn auch zunächst moralisch begründeten - Sozialismus (ca. 1873). Nachdem er 1866 auf das »Akademische Gymnasium« in Wien übergewechselt ist und hier 1874 die Matura erhält, beginnt er im gleichen Jahr an der Universität Wien das Gymnasiallehrerstudium und immatrikuliert sich an der philosophischen Fakultät u. a. für Philosophie, Geographie, Geschichte und Politische Ökonomie. Angeregt durch Haeckels »Natürliche Schöpfungsgeschichte« beschäftigt sich K. verstärkt mit dem naturwissenschaftlichen Materialismus (L. Büchner) und dem Darwinismus: Diese Theorien finden ihren Niederschlag in der ersten, erst 1927 veröffentlichten Abhandlung »Entwurf einer Entwicklungsgeschichte der Menschheit« (1876). Am 10.1. 1875 tritt K. der österreichischen Sozialdemokratie bei und widmet sich u. a. nationalökonomischen Theoretikern (Roscher, Smith, Ricardo, Dühring), Philosophen (J. St. Mill, F. A. Lange) und dem Marx'schen »Kapital« (um 1875/1876). Nach dem Studium schwankt K. zunächst in seiner Berufswahl (Maler, Dramatiker, Regisseur), schreibt Artikel für die Wiener Parteipresse, den Leipziger »Volksstaat« (später »Vorwärts«) und kleineren Organen… Nachdem K. schon 1876 mit führenden Größen der deutschen Sozialdemokratie (A. Bebel, W. Liebknecht) in persönlichen Kontakt getreten ist, wird ihm von dem philanthropischen Sozialreformer Karl Höchberg das Angebot unterbreitet, an der politischen Wochenzeitschrift »Sozialdemokrat«, die wegen des in Deutschland geltenden Sozialistengesetzes in Zürich erscheint, zusammen mit Eduard Bernstein die Redaktion zu übernehmen. Mit der Übersiedlung nach Zürich am 23.1. 1880 beginnt für K. eine »Wendung« (Kautsky), insofern er - begünstigt durch seine intensive Lektüre der Schriften von Marx und Engels, seine wiederholten Besuche bei ihnen in London und durch seine Freundschaft mit Bernstein - wegen seiner mannigfaltigen publizistischen und journalistischen Tätigkeiten zum Theoretiker der Sozialdemokratie und der II. Internationale aufsteigt. … Mit der Gründung (Januar 1883) der von ihm herausgegebenen Monatsschrift (ab 1890 Wochenschrift) »Neue Zeit« schafft K. sich ein Organ, durch das er, obgleich er nie ein Parteiamt innehat, das programmatische und wissenschaftliche Selbstverständnis der sozialdemokratischen Partei bis zu seiner Ablösung als Chefredakteur im Jahre 1917 formulieren kann, die materialistische Geschichtsauffassung als Methode der historischen Analyse anwenden und Marx popularisieren kann (»den Leuten zum Bewußtsein bringen, was Marxismus ist und war er nicht ist.«).
http://www.bautz.de/bbkl/k/Kautsky.shtml

Der später als Revisionist verfemte Eduard Bernstein (1850-1932) verfasste den eher praktischen Teil des Erfurter Programms der SPD, Kautsky den ersten Teil mit den marxistischen Grundsätzen. Beide arbeiteten für den sozialdemokratischen Mäzen und Geldgeber Karl Höchberg in der Schweiz, leben dann in London und sind mit Friedrich Engels befreundet.

Bernstein stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie. Seine Eltern gehörten der jüdischen Reformgemeinde an, sein Vater war Lokomotivführer.

Bernstein besuchte, trotz Geldmangels der Familie, das Gymnasium, musste es aber 1866, mit 16 Jahren, schließlich aus finanziellen Gründen doch verlassen. Von 1866 bis 1878 arbeitete er als Bankkaufmann. 1872 stieß er zu den „Eisenachern“ und trat der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei. Mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht bereitete er den Einigungsparteitag mit dem 1863 von Ferdinand Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein) von 1875 in Gotha vor. 1877, nach dem Tod seiner Mutter, trat Bernstein aus der jüdischen Gemeinde aus. Nach 1878 war er Privatsekretär des sozialdemokratischen Mäzens Karl Höchberg und arbeitete zur Zeit der Bismarckschen Sozialistengesetze, in der die Aktivitäten der Sozialdemokratie außerhalb des Reichstags verboten waren, in Zürich. Zwischen 1880 und 1890 war Bernstein Redakteur der Zeitung Sozialdemokrat. 1888 wurde er auf preußisches Betreiben aus der Schweiz ausgewiesen und lebte von da an in London. Dort hatte er enge Verbindung zu Friedrich Engels.

http://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Bernstein

In England soll Bernstein unter den Einfluss der Fabian-Society gekommen sein:

But Bernstein, too, underwent a change after 1890. Under the influence of his British surroundings he inclined more and more toward the Hoechberg point of view and became allied with the Fabians. As long as Engels lived, this school of socialism did not have much influence; but when, after Engels' death in 1895, the so-called "Prosperity Era" began, not only Bernstein but many workers gave evidence of a feeling of being satisfied with what had been accomplished.

Rosa Luxemburg: Letters to Karl and Luise Kautsky from 1896 to 1918, Gordon Press, 1975;

http://www.marxists.org/subject/women/authors/kautsky-luise/works/postscript.htm

Der heute fast vergessene Verleger und Publizist Karl Höchberg (1853-1885), der Sohn eines Frankfurter Bankiers, finanzierte in Zürich in der Zeit nach dem 1878 erlassenen Sozialistengesetz wissenschaftliche Zeitungen, um das sozialistische Gedankengut in Deutschland zu verbreiten, wie etwa das „Jahrbuch der Socialwissenschaft und Sozialpolitik“, das von Dr. Ludwig Richter herausgegeben wurde. Die ersten Beträge kamen anonym, weil der Spender noch nicht volljährig war. Anlässlich seiner Volljährigkeit wurde er damals von der Reichstagsfraktion empfangen.

Höchberg hat der Partei sowie einzelnen Personen Geldmittel im Gesamtbetrag von mehreren hunderttausend Mark zugewendet.

(Wilhelm Blos, Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten, 1. Band. München 1914, S. 232)

http://www.zeno.org/Kulturgeschicht...+eines+Sozialdemokraten/1.+Band/Der+Reichstag

Als unter dem Sozialistengesetz auch das Buch eines österreichischen Professors verboten wurde, der ganz neutral über den Sozialismus geschrieben hatte und mit Erfolg gegen das Verbot seines Buches in Preußen protestierte, ließ Karl Höchberg von dem Buch 10.000 Exemplare drucken und im Reich an bildungsbürgerliche Haushalte auf seine Kosten verteilen.

Als Mitarbeiter von Höchberg lernte Kautsky die führenden Sozialdemokraten kennen und kam bald in Kontakt mit Marx und Engels. Marx und Engels waren gegenüber Höchberg sehr misstrauisch und vermuteten, dass er einen ungünstigen Einfluss auf die Entwicklung von Partei und Theorie nehmen wolle.

Einer der Gründer der in Deutschland verbotenen Zeitung „Der Sozialdemokrat“ im Jahr 1879 in Zürich war Carl August Schramm (1830-1905), der 1871 mit Johann Jacoby in die SDAP eingetreten war. In den 1870er Jahren hielt er Lesungen über „Das Kapital“ und schrieb darüber in der Parteipresse. Unter dem Sozialistengesetz wurde Schramm 1878 aus Berlin ausgewiesen und musste in die Schweiz emigrieren. Im Jahr 1884 wollte er den Vertreter des Staatssozialismus Johann Karl Rodbertus in die SDAP einführen und gab 1886 nach einem Konflikt mit Kautsky und Bernstein die Arbeit für die SADP auf. Von 1879-1900 war er Direktor der Schweizerischen Hagel-Versicherungs-Gesellschaft, wohl eines Zweigs der Kölner und Norddeutschen Hagel-Versicherungs-Gesellschaft.

Für das Sozialistengesetz war Bismarck verantwortlich, der sonst eigentlich in seinen politischen Entscheidungen keinen dummen Eindruck macht. Im Jahr 1878 war es zu zwei erfolglosen Attentatsversuchen auf Kaiser Wilhelm I. gekommen. Bismarck beschuldigte wahrheitswidrig die Sozialdemokratie der geistigen Urheberschaft und behauptete, mit dem Sozialistengesetz gegen die immer einflussreicher werdenden Sozialdemokraten und Gewerkschaften durchgreifen zu müssen, was ihm nach dem zweiten Anschlag eine Mehrheit im Reichstag brachte.

Aber die Bildung von Arbeiterparteien und einflussreicher Gewerkschaften würde sich mit voranschreitender Industrialisierung nicht verhindern lassen und das wusste Otto von Bismarck ganz sicher. Es kam auch genau so, dass sich durch die Verfolgung die Sozialdemokraten radikalisierten und Zulauf erhielten. In den dazu gegründeten Arbeitersportvereinen und bei den Naturfreunden wurde die politische Arbeit insgeheim fortgesetzt.

Sozialdemokraten durften bei Reichstagswahlen weiter kandidieren und von 1881 bis 1890 stiegen die Stimmen von über 300.000 auf über 1,4 Millionen. Im Januar 1890 wurde angesichts dieser Entwicklung die Verlängerung des Sozialistengesetzes im Reichstag abgelehnt.

Die Verfolgung der Sozialdemokraten hatte ihnen große Sympathien eingetragen. Vor allem aber führte die Verfolgung politischer Aktivitäten außerhalb des Reichstags durch die Polizei zur Herausbildung der für die Illegalität typischen Kader aus meist jungen Intellektuellen, die sich für eine Ideologie wie den Marxismus einspannen ließen, wie einst die Studenten der preußischen Universitäten für ihren Hegel. Wegen des Verbots der öffentlichen Veranstaltungen konnte der Aufbau der marxistischen Kader auch nicht durch breite Diskussionen der Parteimitglieder gehemmt werden.

Diese von den normalen Arbeitern und Wählern durch das Bismarcksche Sozialistengesetz getrennten marxistischen Kader beherrschten dann die illegale Arbeit im Ausland und die Inhalte der von diesem Ausland aus illegal im Deutschen Reich verbreiteten Schriften. „Der Sozialdemokrat“ erschien seit 1879 in Zürich, ab 1887 wurde er in London gedruckt und illegal im Deutschen Reich verbreitet. Die jungen Redakteure wurden Marxisten wie Kautsky und Bernstein, redigiert wurde das Blatt von Paul Singer.

Politisch kam Singer aus der bürgerlichen demokratischen Bewegung. Er gehörte seit 1862 der Deutschen Fortschrittspartei an. Im Jahr 1868 kam er in Kontakt mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Im selben Jahr wurde er Mitbegründer des Demokratischen Arbeitervereins und Mitglied des Berliner Arbeitervereins. Ein Jahr später trat er der SDAP bei. Bis 1878 trat er in der Öffentlichkeit politisch allerdings nicht mehr in Erscheinung. Seit dem Erlass des Sozialistengesetzes organisierte Singer Solidaritätsaktionen. Er gehörte zu denjenigen, die den Kontakt zwischen der Parteiführung in Deutschland und Karl Marx und Friedrich Engels in London aufrechterhielten. Nach einer ergebnislosen Hausdurchsuchung wurde Singer 1879 unter ständige Überwachung der politischen Polizei gestellt. Dennoch war er in den folgenden Jahrzehnten einer der wichtigsten Geldgeber für die Partei. So wurde Singer 1879 zum Mitbegründer der Zeitung Der Sozialdemokrat. Er finanzierte 1884 die Gründung des Berliner Volksblatts, das nach dem Auslaufen des Sozialistengesetzes 1891 Grundlage für die Wiedergründung des Vorwärts, des Zentralorgans der SPD, wurde. In den folgenden Jahren war er finanziell an zahlreichen Vereins- und Verbandsgründungen aus dem Umfeld der Arbeiterbewegung beteiligt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Singer_(Politiker)

Im Oktober 1891 wurde dann Erfurter Programm der SPD beschlossen, das aus zwei Entwürfen von Kautsky und Bernstein zusammengeführt wurde, einem theoretischen ersten Teil von Kautsky, der zwar völlig harmlos, aber doch in der Formulierung von Marx beeinflusst ist, und einem zweiten Teil mit völlig ehrenwerten praktischen Forderungen der Sozialdemokraten:

http://www.marxists.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1891/erfurt.htm

Problematischer und stark an Marx angelehnt waren dann die Erläuterungen, die Kautsky zu diesem harmlosen Programm schrieb:

http://www.marxists.org/deutsch/archiv/kautsky/1892/erfurter/index.htm

Bei allen Einwänden in der Sache ist Kautsky ein gut lesbarer Popularisierer des Marxismus, dessen Darstellungen etwa der Überproduktionskrisen auch nicht an Marx orientiert sind:

Nehmen wir zur Veranschaulichung den einfachsten Fall an. Auf einem Markt treffen zusammen ein Geldbesitzer, etwa ein Goldgräber, mit zwanzig Mark Gold; ferner ein Winzer mit einem Fäßchen Wein, ein Leinweber mit einem Stück Leinwand und ein Müller mit einem Sack Mehl. Jede dieser Waren habe den gleichen Wert von zwanzig Mark - eine andere Annahme würde den Fall bloß verwickelter machen, ohne am Endergebnis etwas zu ändern. Diese vier Warenbesitzer seien die einzigen auf dem Markt. Nehmen wir nun an, jeder habe die Bedürfnisse des anderen richtig berechnet: Der Winzer verkauft seinen Wein an den Goldgräber und kauft um die zwanzig Mark, die er dafür erhält, das Stück Leinwand vom Leinweber; dieser endlich benützt den Erlös aus seiner Leinwand, um den Sadc Mehl zu erwerben. Jeder geht zufrieden vom Markt heim.

Übers Jahr kommen die vier wieder zusammen; jeder rechnet auf denselben Absatz wie früher. Der Geldbesitzer verschmäht auch nicht den Wein des Winzers. Aber der Winzer hat unglücklicherweise keinen Bedarf an Leinwand; oder er braucht das Geld vielleicht zur Bezahlung einer Schuld und zieht es daher vor, in einem zerrissenen Hemd einherzugehen, statt Leinwand zu kaufen. Der Winzer behält seine zwanzig Mark in der Tasche und geht heim. Der Leinweber wartet nun vergebens auf einen Käufer. Und da der Leinweber wartet, wartet der Müller auch. Wohl ist die Familie des Webers sehr hungrig, wohl verlangt ihn nach dem Mehlsack, aber er hat Leinwand produziert, nach der keine Nachfrage besteht, und weil die Leinwand überschüssig war, ist nun auch das Mehl überschüssig geworden. Weber und Müller haben kein Geld, sie können nicht kaufen, was sie brauchen; und was sie produziert haben, ist jetzt überproduziert, ebenso aber auch, was für sie produziert worden, z. B., um das Beispiel fortzuführen, der Tisch, von dem der Schreiner erwartete, der Müller werde ihn kaufen.

http://www.marxists.org/deutsch/archiv/kautsky/1892/erfurter/3-kapitalisten.htm#8

Das ist sehr einfach formuliert und für das normale Publikum durchaus noch lehrreich und interessant. Anders als bei Marx finden wir bei Kautsky hier eine monetäre Erklärung der Krise: der Winzer braucht das Geld zur Bezahlung einer Schuld!

Jetzt könnte das der Keynesianer ergänzen: weil vielleicht die Zinsen gerade sehr hoch sind oder weil die Preise fallen, weshalb jeder versuchen muss, seine Schulden zu begleichen, und niemand sich wegen hoher Zinsen, fallender Preise oder der in einer Krise schwindenden Kreditwürdigkeit neu verschulden möchte oder kann.

Damit wären die Überproduktionskrisen absolut richtig erklärt und die Darstellung ist einwandfrei. Kautsky hat mit der Krisentheorie von Marx wohl auch nichts anfangen können.

Dagegen kann man bis heute Marxisten lesen, die immer wieder eine monetär verursachte Rezession oder Depression durch Herumrechnen mit C+V+M auf irgendein plötzlich falsch gewordenes Verhältnis von C zu M zurückführen möchten, statt auf restriktive Geld- und Kreditpolitik. Ohne näher auf diese Argumentation einzugehen lässt sich behaupten, dass es am Verhältnis von C zu M nicht liegen kann, wenn die Krise später wieder überwunden ist und trotz noch weiter gestiegenem Kapitaleinsatz ein neuer Boom entsteht.

Mit seiner Darstellung könnte man sogar sinnvolle Diskussionen über die praktischen Fragen alternativer gesellschaftlicher Organisationsformen führen. Da wird nicht die Werttheorie umständlich breitgetreten und der Leser genarrt wie von Marx. Ohne die geistige Isolation des Exils und der Illegalität hätte Karl Kautsky sicher bessere Anregungen für seine eigenen Schriften gefunden, als den Marx und Engels in London.

Im Zustand der Illegalität war es weiter kein Problem, die wenigen jungen Kader der von der Polizei verfolgten sozialdemokratischen Organisation auf eine Linie zu bringen. In einer legal und öffentlich arbeitenden, sozialdemokratischen Partei wäre die krude Lehre eines Karl Marx nicht beachtet worden.

So wurden die marxistischen Kader der frühen SPD durch das Sozialistengesetz geschaffen.


-ENDE-​

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Hellmann
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Anhang:

Falls ich in meinen Nachforschungen noch wichtige Details entdecke, bis die Buchfassung fertig ist, werde ich die hier als Anhang posten.

AnhangI:

Auszug aus den Agentenberichten von Zerffi an die österreichische Polzei. Marx hat Zerffi immer gegen Verdächtigungen verteidigt; Zerffi hat offensichtlich Unsinn über Marx nach Wien berichtet. Wertvoll sind die Agentenberichte von Zerffi über den David Urquhart und dessen frühe Kontakte zu Kossuth.

Zuerst aber noch ein Marx-Zitat über David Urquhart aus seinem „Lord Palmerston“:

Lord Palmerston erlaubt die russisch-persische Expedition gegen Herat. Erst nachdem sie gescheitert, verordnet er eine anglo-indische Expedition in den Persischen Meerbusen, ein Scheinmanöver, das den russischen Einfluß in Persien verstärkte. 1836, unter dem edlen Lord, werden Rußlands Usurpationen an den Donaumündungen, seine Quarantänen, seine Mautverfügungen usw. zum erstenmal von England anerkannt. In demselben Jahre benutzt er die Konfiskation eines englischen Handelsschiffes, des "Vixen" - und der "Vixen" war auf Antrieb der englischen Regierung expediert - in der zirkassischen Bucht von Sudschuk Kale durch ein russisches Kriegsschiff, um die russischen Ansprüche auf die zirkassische Küste offiziell anzuerkennen. Es stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, daß er schon seit 6 Jahren die russischen Ansprüche auf den Kaukasus im geheimen anerkannt hatte. Bei dieser Gelegenheit entschlüpfte der edle Vicomte dem Tadelsvotum des Hauses der Gemeinen durch eine Majorität von nur 16 Stimmen. Einer seiner heftigsten Ankläger war damals Sir Stratford Canning, jetzt Lord Redcliffe und englischer Gesandter zu Konstantinopel. 1836 schließt einer der englischen Agenten [Urquhart] zu Konstantinopel einen für England vorteilhaften Handelstraktat mit der Türkei. Palmerston schiebt die Ratifikation auf und schiebt 1838 einen neuen Vertrag unter, so nützlich für Rußland und so schädlich für England, daß eine Anzahl englischer Kaufleute in der Levante sich entschließen, künftig unter dem Schutze russischer Firmen zu handeln. Der Tod Königs Wilhelm IV. gab Anlaß zu dem berüchtigten Portfolio-Skandal. Zur Zeit der Warschauer Revolution war mit dem Palaste des Großfürsten Konstantin eine Sammlung geheimer Korrespondenzen, Depeschen usw. der russischen Diplomaten und Minister in die Hände der Polen gefallen. Graf Zamoyski, Neffe des Prinzen Czartoryski, brachte sie nach England. Hier wurden sie auf Befehl des Königs unter der Redaktion Urquharts und der Oberaufsicht Palmerstons im "Portfolio" veröffentlicht. Kaum war der König tot, so verleugnete Palmerston seine Verbindung mit dem "Portfolio", weigerte sich, die Kosten dem Drucker zu zahlen usw. Urquhart ließ seine Korrespondenz mit Backhouse, Palmerstons Unterstaatssekretär, drucken. Die "Times" (vom 26. Januar 1839) bemerkt darüber:

"Es ist nicht an uns, zu verstehn, was Lord Palmerston fühlt, aber wir sind sicher, daß kein Zweifel möglich über das, was jede andere Person vom Range eines Gentleman und in der Position eines Ministers nach der Veröffentlichung jener Korrespondenz fühlen würde."


http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_060.htm

Nun also Zerffi (Agentenberichte nach Wien, numeriert und datiert):

No 217. Constantinopel den 16 Oktober 1850

(… )Von der Expedition Thompson-Urquhart-Regaldi nach Kutajah erfuhr ich, daß selbe den Zweck hat, einige Häupter der Emigranten, namentlich Kossuth mit seinen Anhängern zu retten.(…)
a.a.O.S 276

Über Thompson:

No 218. Constantinopel den 23. Oktober 1850.

(…)weiß nichts von deneigentlichen Planen und Absichten Kossuth`s dessen Hauptagent jedoch der Engländer Thompson ist, der hier (von wessen Geld ist ein wahres Räthsel) ein sybaritisches Leben führt, im ersten Hotel (hotel d´Angleterre) wohnt, eine Yacht auf dem Meere besitzt, daselbst 4-5 Menschen erhält, Reisen macht, große Trinkgelder gibt, wodurch er sich natürlich Wege zu öffnen im Stande, die einem andern stets verschlossen bleiben. Thompson will durch Cobden`s Partei dahin wirken Palmerston zu zwingen rigorosere Saiten Österreich gegenüber aufzuziehen. Thompson ist es auch der Kossuth`s Verbindungen mit Christides dem griechischen Minister eingeleitet, und Thompson ist es, der nun mit den Wallachen in Unterhandlung steht. Derselbe hat viel Geist, viel Kenntnisse, und evoluiert eine ungeheure Thätigkeit, doch weiß man immer noch nicht recht für wen er im Grunde arbeitet. Es gibt Stimmen, die da behaupten er arbeite für Rußland. Wenn man das unpolitische Drängen seinerseits annimmt, Kossuth jetzt zum offenen Auftreten zu bringen, so ist dies nur im reaktionären Sinne gehandelt, denn statt das mindeste dabei zu gewinnen ist nur alles zu verlieren. Auf das aber gerade scheint es Thompson abgesehen zu haben, und der Hitzkopf Kossuth läßt sich abermals vielleicht seiner unbewusst zum Werkzeuge einer ihm fremden Macht gebrauchen, die Verbindung Kossuth`s mit den Russen ist nun mehr unzweifelhaft.
(…)
… Man bezeichnet zwei Männer, die sich endlich entschlossen haben wichtige Aemter anzunehmen, als zukünftige Träger der griechischen Politik und beide Männer sind ausschließlich englisch gesinnt.

Es sind Maurokordato und Metaxa. Ersterer soll als Gesandter nach Paris, letzterer hierher bestimmt sein. Beide um in der Erbfolgefrage im Interesse Englands zu arbeiten. (…)

a.a.O. S. 279

No 219. Constantinopel den 26. Oktober 1850
.
(…) Kutayer Briefe sprechen viel von den Planen Kossuth`s. Seine Haupthoffnung gründet sich auf England, doch seine Nebenhoffnung ist Piemont. Von dort soll sich das Meteor der Freiheit über Europa verbreiten.
England wird Waffen und Pulver liefern – nicht nur den Piemontesen, sondern auch den Ungarn hauptsächlich… All diese Plane wurden jetzt mit Thompson und Urquhart besprochen und reichlich überlegt. Kunde haben uns hierüber polnische Briefe gegeben…

a.a.O. S. 282

No 224. Constantinopel den 13/11.50.

Mehrere Tage verbreitete sich hier allenthalben das Gerücht, Kossuth sei von Kutaya entflohen. Dem ist nicht so. Urquhart und Thompson haben ihm den Vorschlag sich zu salvieren gemacht; Kossuth jedoch weigerte sich ein zweites Mal mit Hinterlassung seines Weibes und seiner Kinder die Flucht zu ergreifen.
(…)
Mehrere eingezogene Nachrichten über Hrn. Thompson bestätigen, daß selber kein Engländer, sondern ein Däne von Geburt ist namens Heningsen und man hält ihn allgemein von Seiten unserer vernünftig freisinnigen Parthei für einen russ. Agenten. Thompson weilt gegenwärtig in Smyrna und soll von dort über Malta mit Briefen von Kossuth nach London abgehen.

Der Italiener Rigaldi ist von Kutayah bereits hier eingetroffen. Urquhart weilt noch in Brussa, woselbst er mit den dortigen Wallachen Konferenzen über eine Organisation der Wallachen und Ungarn pflegt. Er wird mit dem nächsten Dampfschiff erwartet.
(…)

a.a.O. S. 283

No 236. Constantinopel den 25 December 1850

(…) Lord Mousselbourgh soll niemand anderer als Thompson-Hamilton-Heningsen sein, der im Namen des englischen Centralclubbs den Ankauf der Ländereien abgeschlossen…
a.a.O. S. 286
 
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Hellmann
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No. 238. Constantinopel den 30 December 1850

(…) Ueber Thompson (der hier täglich erwartet wird) habe ich nun so ziemlich genaue Nachrichten erhalten. Er ist Agent des revolutionären Centralclubbs in London. Dieser war es, der Thompson hier so reichlich mit Geld versehen, ihm den Kutter kaufte – dessen Bestimmung sein sollte Kossuth zu entführen. Thompson ist jetzt in England um Gelder für Kossuth aufzutreiben. Doch hat Thompson`s Liaison mit Urquhart, wodurch Kossuth mit Letzterem auch in Verbindung kam diesem sehr geschadet. Trotz all diesen ganz sicheren Informationen Thompson betreffend, habe ich noch immer Gründe genug, um selben für einen russ. Agenten zu halten. Er war der erste und fast Einzige, der Kossuth all die Fehler begehen ließ, durch die er sich die ganze hiesige Diplomatie zu Feinde machte….
a.a.O. S. 287

No 252. Constantinopel den 12 Februar 1851

(…) An Urquhart`s Rückkehr nach England werden verschiedene Vermuthungen geknüpft, man will wissen er habe ein sehr enges Bündnis mit Kossuth geschlossen nebstbei auch mit Bar. Tecco und wolle die Angelegenheiten der Ungarn und Italiener in seinen künftigen Parlamentsreden offen vertheidigen. In Geheimen aber mit Cobden das englisch-sardinisch-ungarische Bündnis der Ultras noch fester knüpfen….
a.a.O. S. 288

No 423. Paris, den 16 Juni 1852

Drittens ist noch die Marx`sche kommunistische Parthei zu erwähnen. Diese wirkt für den Augenblick am stillsten, doch am eifrigsten. – Dies hat hier in Frankreich, wie durch ganz Nord- und Süddeutschland, so wie auch in der Schweiz ihre geheimen Anhänger. Dieselben sind militärisch in Sektionen getheilt mit Hauptleuten, die wohl ihre Mannschaft kennen, die sich aber untereinander nicht kennt. Marx ist ein Kopf wie Blanqui – er will die Vernichtung der gegenwärtigen Gesellschaft, um sein neue auf die Trümmer der alten aufbauen zu können. Gütergemeinschaft ist das große Wort dieser Parhtei, die ihre heufigsten Anhänger in den arbeitenden Klassen zählt. Marx versteht es auf seine Massen durch Mystik einzuwirken. So sollen der Todtenbund in Bremen, die Petersen`sche Verbrüderung hier in Paris und all die geheimen halb auf Freimaurerei basierten Gesellschaften von ihm organisirt sein. Bangya ist mit Marx intim. Obgleich auch Marx Kenntnis davon erhielt, daß Bangya mit verschiedenen Polizeien in Berührung sei, so benützt Marx Bangya insofern er ihn benützen kann.
a.a.O. S. 298

Was der österreichische Agent Zerffi über Marx nach Wien schreibt, ist offenkundig Unsinn. Er benutzt das Thema auch, um seinen Kollegen Bangya, ebenfalls österreichischer Polzeiagent, bei seinen "Comittenten" zu denunzieren. Marx war in engem Kontakt mit Zerffi und hat ihn gegen die Vorwürfe verteidigt, dass er ein Polizeiagent wie Bangya wäre. Vermutlich wusste man in Wien über Marx Bescheid und hat die Geschichte von Zerffi mit Humor gelesen und richtig verstanden.

Also dass Zerffi mit Marx im Bunde ist.

Was aus der positiven Darstellung des Marx durch Zerffi hervorgeht, für jeden, der Agentenberichte lesen kann. Auch Urquhart kommt bei Zerffi ganz gut weg.

Von sehr guter Kenntnis ist die Medlung Zerffis, dass Kossuth die Verbindung mit David Urquhart sehr geschadet habe. David Urquhart vertrat ja die britische Krone in der Auseinandersetzung gegen die Leute von Palmerston und die liberale Partei von Cobden, der da auch verwickelt war, was aus den Agentenberichten etwas ersichtlich wird.
 
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Marx' falsche Antithese (laut Zarlenga)

Vielen Dank für die interessanten Gedanken, Hellmann! :winken:

Im Zusammenhang mit
Hallo Raffeallo,

vielen Dank für den Hinweis auf Zarlenga, der mir bisher irgendwie entgangen sein muss. Da sieht man mal, wie "gut" man in diesem System informiert wird.

erlaube ich mir folgende Stelle aus dem Buch "Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht" von Stephen Zarlenga, 1999 im Conzett Verlag erschienen, beizutragen:

Mit der Reform von 1844 wurde zwar das Notenausgaberecht der Bank drastisch eingeschränkt, doch der fast identische Vorgang der Kreditschöpfung in Form von Buchgeld wurde eine Zeitlang weniger streng begrenzt. So bestand nach wie vor die Gefahr, daß die Machenschaften der privaten Zentralbank aufgedeckt werden könnten. Was würde passieren, wenn die Allgemeinheit eine Entschädigung verlangen und den unrechtmäßig erworbenen Reichtum der Übeltäter beschlagnahmen würde?

Für die Bankiers war es einfacher, wenn die »Kapitalismusthese« nicht etwa von der Wahrheit, sondern von einer ebenso falschen »Antithese« angegriffen wurde. Ein Konflikt zwischen zwei teilweise falschen gegensätzlichen Theorien würde viel einfacher zu handhaben sein als die Fortsetzung des Engagements für eine teilweise falsche These, die von verschiedenen Seiten angefochten wurde. Die Gegner der »These« wurden also durch eine ebenso falsche »Antithese« abgelenkt, die sie erneut davon abhielt, die Wahrheit zu finden.

Es folgte eine sinnlose und fehlgeleitete Energieverschwendung, die es den Manipulatoren der falschen Debatte erlaubte, eine ebenso falsche »Synthese« zu behaupten.

Marx und Engels formulieren die Antithese

Die »Antithese« trat in groben Zügen bereits 1848 in Marx' und Engels' Kommunistischem Manifest zutage. Eine verbesserte »Antithese« zu Adam Smith' Der Wohlstand der Nationen erschien schließlich 1867 mit Karl Marx' Das Kapital. (Die Aufzeichnungen für die Bände 2 und 3 erschienen in der Bearbeitung von Engels 1885 und 1894.)

Die Parallelen zwischen Karl Marx und Adam Smith in mehreren Schlüsselbereichen sind verblüffend. Dies gilt besonders für jene Irrtümer, auf denen die Macht der Bank of England gründete.

Der falsche Krieg zwischen Handel und Arbeit

Wie Smith postulierte auch Marx das Primat des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit. Auch er definierte das Kapital als Produktionsmittel, anstatt es im privaten Zentralbankwesen zu erkennen, dem Feind nicht nur des Handels und der Arbeit, sondern der ganzen Gesellschaft.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Nationalökonomen besteht darin, daß Smith mit der Verteidigung des Handels in diesen falschen Kampf eingriff, während Marx mit der Verteidigung der
Arbeit einsetzte. Indes ist die falsche Definition dieses Kampfes bei beiden fast identisch. Die falschen Theorien bewirkten eine Verschärfung der Antagonismen zwischen Handel und Arbeit in der Wirtschaft der westlichen Welt, die über hundertfünfzig Jahre bis zum heutigen Tag mit äußerst destruktiven Folgen andauerte.

Marx' Geldtheorie spiegelt Smith' Theorie wider

Auch in bezug auf das Geld teilten Karl Marx und Adam Smith praktisch dieselbe primitive Auffassung. Marx wiederholte Smith' Ansichten, bloß mit etwas anderen Worten: »Sein eigner Wert [des Geldes] ist bestimmt durch die zu seiner Produktion erheischte Arbeitszeit. ... Ich setze überall in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold als die Geldware voraus. ... So funktioniert es als allgemeines Maß der Werte, und nur durch diese Funktion wird Gold, die spezifische Äquivalentware, zunächst Geld.«

Über Papiergeld bemerkte Marx: »Das Papiergeld ist Goldzeichen oder Geldzeichen. Sein Verhältnis zu den Warenwerten besteht nur darin, daß sie ideell in denselben Goldquantis ausgedrückt sind, welche vom Papier symbolisch sinnlich dargestellt werden. Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsentiert, die, wie alle andren Warenquanta, auch Wertquanta sind, ist es Wertzeichen.«

Private Kontrolle über den Geldmechanismus

In der Frage der Kontrolle über den Geldmechanismus war Marx offensichtlich wesentlich weiter als Smith: »Da der Geldmaßstab einerseits rein konventionell ist, andererseits allgemeiner Gültigkeit bedarf, wird er zuletzt gesetzlich reguliert.« Und: »Wie die Feststellung des Maßstabs der Preise fällt das Geschäft der Münzung dem Staat anheim.«

Das ist aber nicht genug. Neunzehn Jahre zuvor (1848) hatten Marx und Engels im Kommunistischen Manifest zehn Maßnahmen postuliert, die vom Proletariat in fortschrittlicheren Ländern umgesetzt werden sollten. Im fünften Punkt forderten sie »die Zentralisation des Kredits in den Händen des Staates durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol«. Anscheinend waren die beiden damals von Ricardo und Berkeley beeinflußt. Im Kapital dagegen erwähnte Marx diese entscheidende Forderung mit keinem Wort mehr. Jetzt heißt es statt dessen: »Goldmünze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus aus nur durch die Figur, und das Gold ist beständig aus einer Form in die andre verwandelbar.« Mit dieser Aussage erklärte Marx seine früheren Äußerungen über Staatsgeld für ungültig und überließ die Kontrolle über das Geld den »Finanziers«, die über die Macht verfügten, Gold aus Barren in Münzen zu »verwandeln«.
 

Wer ist gerade im Thread? PSW - Foristen » 0 «, Gäste » 3 « (insges. 3)

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