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Der preußische Regierungsagent Karl Marx

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OP
Hellmann
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In zwei Artikeln im März 1853 wird von Marx die Geschichte vom Streit zwischen Kossuth und Mazzini und deren Verantwortung für den Mailänder Aufstand weiter verfolgt. Marx berichtet von der Ankunft des Fürsten Menschikow in Konstantinopel.

Ihm wurde von seiten der griechischen und russischen Einwohner ein solcher Empfang zuteil, als wäre er der rechtgläubige Zar selbst, der gekommen war, um "Zarigrad" dem wahren Glauben wiederzugeben. Es erregte hier in London und in Paris die größte Sensation, als man erfuhr, daß Fürst Menschikow, nicht zufrieden mit der Entlassung Fuad Efendis, vom Sultan noch gefordert hatte, er möge dem russischen Kaiser nicht nur das Protektorat über sämtliche Christen in der Türkei zuerkennen, sondern auch das Recht, den griechischen Patriarchen zu ernennen; daß der Sultan den Schutz Frankreichs und Englands angerufen habe, daß Oberst Rose, der britische Geschäftsträger, den Dampfer "Wasp" eiligst nach Malta gesandt habe, um die sofortige Anwesenheit der englischen Flotte im Archipelagus zu fordern, und daß russische Schiffe bei Kilia, nahe den Dardanellen, Anker geworfen hatten. Der Pariser "Moniteur" teilt mit, das französische Geschwader in Toulon sei in die griechischen Gewässer beordert worden.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_003.htm

Dazu folgen von Marx wenig günstige Aussagen über die Türkei und deren politische Zukunft, ein Briefing durch David Urquhart stand ihm wohl erst noch bevor.

Den Status quo in der Türkei erhalten! Ebensogut könnte man versuchen, den Kadaver eines toten Pferdes in einem bestimmten Stadium der Fäulnis zu erhalten, in dem er sich befindet, ehe die vollständige Verwesung erfolgt. Die Türkei verfault und wird immer mehr verfaulen, solange das jetzige System des "europäischen Gleichgewichts" und die Aufrechterhaltung des Status quo andauern...

Sehen wir uns einmal an, um was es geht. Die Türkei besteht aus drei gänzlich verschiedenen Teilen: den afrikanischen Vasallenstaaten, Ägypten und Tunis, der asiatischen Türkei und der europäischen Türkei. Die afrikanischen Besitzungen, von denen allein Ägypten als dem Sultan wirklich untertan betrachtet werden kann, wollen wir einstweilen aus dem Spiele lassen. Ägypten jedoch gehört mehr als irgend jemand anderem den Engländern; es wird und muß notwendigerweise ihnen bei einer künftigen Teilung der Türkei zufallen.

http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_003.htm

Im europäischen Teil der Türkei sei mit dem Aufkommen einer antirussischen Partei zu rechnen, falls der slawisch-griechische Bevölkerungsteil die Vorherrschaft erlange.

Gleich darauf im April 1853 schreibt Friedrich Engels unter dem Titel „Worum es in der Türkei wirklich geht“, der ganz auf die Interessen des britischen Empire und natürlich gegen Russland bezogen ist.

Wir sind erstaunt, daß bei der gegenwärtigen Diskussion über die orientalische Frage die englischen Zeitungen nicht schärfer die lebenswichtigen Interessen hervorgehoben haben, die Großbritannien zum unerbittlichen und unnachgiebigen Gegner der russischen Annexions- und Expansionsgelüste machen sollten. England kann es sich nicht leisten, zuzulassen, daß Rußland zum Beherrscher der Dardanellen und des Bosporus wird. In kommerzieller wie auch in politischer Hinsicht würde solch ein Ereignis der britischen Machtstellung einen heftigen, wenn nicht tödlichen Stoß versetzen. Wir brauchen nur einen Blick auf Englands Handelsbeziehungen mit der Türkei zu werfen.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_013.htm

Selbstverständlich ginge es ihm nur um die europäische Revolution und der britische Imperialismus erscheint Engels dabei als deren fahnenschwingende Jungfrau.

Wir meinen die europäische Revolution, die Explosivkraft der demokratischen Ideen und den der Menschheit angeborenen Drang nach Freiheit. Seit jener Epoche gab es tatsächlich bloß zwei Mächte auf dem europäischen Kontinent: Rußland mit seinem Absolutismus auf der einen Seite, die Revolution mit der Demokratie auf der andern.
(ebenda)

Die antirussische Kampagne bekommt sogar die Londoner Times zu spüren, wovon Marx in seinem Artikel zur Londoner Presse berichtet (Brunnow war russischer Botschafter in London).

Die gesamte Londoner Presse, die Morgen- und die Abendzeitungen, die Tages- und die Wochenblätter, erhob sich wie ein Mann gegen ihr "führendes Organ". Die "Morning Post" macht sich über ihre Kollegen von der "Times" lustig, die sie der Verbreitung absichtlich falscher und absurder Nachrichten bezichtigt. Der "Morning Herald" nennt die "Times" "unsere hebräisch-österreichisch-russische contemporary". Die "Daily News" spricht kurz vom "Brunnow-Organ". Ihr Zwillingsbruder "Morning Chronicle" schlägt in folgender Weise auf sie los:

"Die Journalisten, die um der kommerziellen Bedeutung eines Dutzends großer englisch-griechischer Firmen willen vorschlugen, das Türkische Reich an Rußland auszuliefern, dürfen mit Recht für sich das Monopol auf glänzenden Geist in Anspruch nehmen!"

Der "Morning Advertiser" sagte:

"Die 'Times' hat recht, wenn sie behauptet, mit ihrer Verfechtung der russischen Interessen allein zu stehen ... Sie wird zwar in englischer Sprache gedruckt, aber das ist auch das einzige Englische an ihr. Wo Rußland in Frage kommt, ist sie durch und durch russisch."

Zweifellos wird der russische Bär seine Pranken nicht einziehen, solange er nicht überzeugt ist, daß eine momentane "Entente cordiale" zwischen England und Frankreich eintritt…

http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_018.htm

Nicht nur Urquhart und seine Mitstreiter Marx und Engels, sondern fast die gesamte Presse sind in dieser Kampagne gegen Russland engagiert, die man für völlig überzogen und verrückt halten könnte, wenn sie nicht gerade typisch für die seitdem übliche angloamerikanische Kriegspropaganda wäre, wie man sie bis heute kennt.

Sogar der britische Bundesgenosse Louis-Napoleon wird für sein Zögern von Marx sofort der Vorliebe für den russischen Autokraten bezichtigt.

In einem Beitrag vom April 1853 über die Errichtung eines unabhängige Polizeiministeriums in Preußen 1853 informiert Marx seine Leser sogar, dass der preußische Innenminister sein Schwager ist, nennt ihn jedoch im gleichen Satz einen „schwachköpfigen und fanatischen Reaktionär“, was die Leser täuschen mag, aber den preußischen Interessen nichts schadet.

Hinckeldey wandte sich an den Innenminister, Herrn von Westphalen, und gab diesem schwachköpfigen und fanatischen Reaktionär (da Herr von Westphalen mein Schwager ist, hatte ich genügend Gelegenheit, die Geisteskraft dieses Mannes kennenzulernen) falsche Berichte, um die Notwendigkeit zu begründen, die ganze Polizeimacht des preußischen Staates in den Händen des Polizeipräsidenten von Berlin zu konzentrieren. Er behauptete, daß die Polizei, um ihr ein schnelleres Eingreifen zu ermöglichen, vom Innenminister unabhängig gemacht und ausschließlich ihm selbst, nämlich Hinckeldey, unterstellt werden müsse. Der Minister Herr von Westphalen vertritt die ultrapreußische Aristokratie, während Herr von Manteuffel, der Ministerpräsident, die alte Bürokratie vertritt; beide sind Rivalen, und ersterer sah in dem Vorschlag Hinckeldeys, obwohl er offensichtlich den Wirkungskreis seines Ministeriums einschränkte, ein Mittel, seinem Rivalen einen Schlag zu versetzen, dessen Bruder, Herr von Manteuffel, Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern, im besonderen mit der Kontrolle der gesamten Polizei beauftragt war. Deshalb unterbreitete Herr von Westphalen seinen Vorschlag einem Staatsrat, dessen Vorsitz der König <Friedrich Wilhelm IV.> selbst hatte.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_028.htm

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Hellmann
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Im folgenden Monat kann Marx in seinen Beiträgen eine Verbindung zwischen Kossuth und der „Raketenaffäre“ eines englischen Fabrikanten publizieren und dabei mit „privaten Quellen“ seine Leser beeindrucken.

Vor wenigen Tagen traf hier aus Berlin kommend der berüchtigte Polizeidirektor Stieber in Begleitung von Polizeileutnant Goldheim und Kriminalrat Nörner mit dem speziellen Auftrag ein, die Schießpulver-Verschwörung von Rotherhithe mit der Kalabreserhut-Verschwörung in Berlin in Zusammenhang zu bringen. Mir ist aus privater Quelle bekannt, daß sie im Hause Fleurys in Kensington zusammenkamen und bei dieser Zusammenkunft auch der ehemalige Handlungsgehilfe Hirsch anwesend war. Einen Tag später hatte besagter Hirsch eine geheime Unterredung mit dem russischen Konsul, Herrn Kremer. Wenn sich Ihre Leser meines Artikels anläßlich des Kölner Prozesses erinnern, werden sie sofort merken, daß dieselben Leute, welche die damalige Verschwörung ausheckten, wieder am Werke sind.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_083.htm

Was der russische Konsul mit der Geschichte zu tun haben soll, bleibt dabei so streng geheim, wie die Umstände, durch die Marx von der Unterredung erfahren haben könnte.

Jedenfalls kommt es vor Gericht zu Beschuldigungen gegen Kossuth, die Marx in seinem Artikel gleich in die USA verbreitet.

Der Sergeant der Geheimpolizei J. Saunders berichtete, er habe "1.543 geladene Raketen, 3.629 Raketenköpfe, 2.482 Unterteile, 1.955 leere Raketen, 2 eiserne Geschosse und 22 Abschußgeräte für Raketen" beschlagnahmt. Als nächster erschien der Zeuge Herr Uzner, der, wie er aussagte, 15 Jahre Offizier in der preußischen Artillerie gewesen sei und während des ungarischen Krieges als Stabsmajor gedient habe…

"Herr Kossuth war es, der mich bei den Hales eingeführt hatte. Das erste Mal traf ich Herrn Kossuth aus diesem Anlaß im vergangenen Sommer nach seiner Rückkehr aus Amerika. Etwa Mitte September sah ich den älteren Herrn Hale in Gesellschaft von Herrn Kossuth in dessen Hause; sein Adjutant, ein Ungar, war ebenfalls zugegen. Herr Kossuth sagte hinsichtlich meiner Person zu Herrn Hale: 'Dieser Mann diente in der ungarischen Armee; er ist ein ehemaliger preußischer Artillerieoffizier, und ich kann ihn ihnen für Ihre Arbeit empfehlen, um unsere oder Ihre Raketen anfertigen zu helfen.' Ich kann mich nicht der genauen Worte erinnern, die er gebrauchte. Herr Kossuth sagte, mein Lohn werde wöchentlich 18 sh. betragen, und empfahl mir, die Angelegenheit völlig geheimzuhalten. Herr Hale, sagte er, würde mir Anweisung geben, was ich zu tun habe. Herr Kossuth sprach zum Teil Ungarisch und zum Teil Englisch. Ich glaube, Herr Hale versteht kein Deutsch. Das Wort geheim sagte man mir auf deutsch. Von R. Hale wurde ich nach Pimlico geschickt, um Herrn Kossuth aufzusuchen. Ich traf ihn in Pickering Place. W. Hale und ein anderer Ungar waren ebenfalls dort. Wir trafen uns, um eine Maschine zum Abfeuern der Raketen zu erproben. Als wir uns alle versammelt hatten, wurde die Maschine aufgestellt, und es wurde ein Versuch mit den Raketen gemacht. Die Unterhaltung wurde zum Teil in englischer Sprache geführt und drehte sich hauptsächlich um die Qualität der Raketen usw. Wir blieben etwa eineinhalb Stunden, und als alles vorbei war, bestanden Herr Kossuth und Herr Hale darauf, daß wir das Haus vorsichtig und einer nach dem anderen verlassen. An der Straßenecke kam Herr Kossuth zu uns, und bei dieser Gelegenheit bat er uns wiederholt, seine Beziehung zu den Raketen geheimzuhalten."

(ebenda)

Lajos Kossuth hat jegliche Beteiligung an der Sache bestritten, was Marx auch schreibt, was aber nach dem vorangegangenen nicht mehr überzeugend klingt.

Es ist klar, daß die Aussagen der Zeugen in heftigem Widerspruch zum Brief des Herrn Hale senior stehen, dessen Inhalt ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, und auch zu den Briefen, die Kossuth an Captain Mayne Reid und an Lord Dudley Stuart gerichtet hat, in denen er versichert, er wisse weder etwas von einem Herrn Hale noch von dessen Raketen. Es wäre jedoch ungerecht, aus diesen Umständen irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen, ehe weitere Erklärungen von Herrn Kossuth abgegeben worden sind. Doch ist es nicht eine Schande, daß ein so begabter Landsmann von uns im Exil, wie Herr Uzner, der durchaus gewillt ist zu arbeiten, was die Tatsache beweist, daß er sich bereit erklärte, als einfacher Arbeiter für 18 Schilling wöchentlich zu arbeiten, gezwungen war, wegen völliger Mittellosigkeit zu stehlen, während gewisse deutsche Flüchtlinge, notorische Faulenzer, sich das Recht anmaßen, die geringen Mittel, die für die Revolutionäre bestimmt sind, mit ihren selbstgesuchten Missionsreisen, lächerlichen Verschwörungen und Wirtshausversammlungen zu verschwenden?
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_083.htm

Im Prinzip ging es vor Gericht um eine lächerliche Geldstrafe für den Raketenfabrikanten, so dass die Sache nur durch ihre breite Darstellung in der Presse Gewicht bekam. Es gab nämlich ein altes Gesetz, nach dem im Umkreis von 3 Meilen um London nur 200 Pfund „Gunpowder“ an einer Stelle aufbewahrt werden durften. Der Streit ging nun vor Gericht darum, ob das Raketentreibmittel in der Fabrik von Hale auch als „Gunpowder“ zu betrachten sei, womit das Gesetz verletzt worden wäre, was für die von der Polizei entdeckten 57 Pfund über dem Limit der 200 Pfund zwei Shilling Strafe je Pfund zur Folge haben würde. Nach einem noch älteren Gesetz, das damals bereits 120 Jahre zurück lag, war sogar die Herstellung von Raketen völlig untersagt, es wurde aber nicht mehr beachtet.

In der Presse, führend von Seiten der Londoner Times, ging es aber darum, Kossuth als den eigentlichen Eigentümer und Auftraggeber der Fabrik hinzustellen, der seinen Aufenthalt in England zur Produktion von Kriegswaffen gegen Länder in Europa benutze, mit denen England in guten diplomatischen Beziehungen steht. In einer ersten Erklärung vor dem Parlament hatte Palmerston noch behauptet, das „Gunpowder“ sei in einem Haus von Kossuth gefunden worden, was er später ausdrücklich als Irrtum bezeichnete.

Siehe hier den Artikel vom 29. April 1853 mit den Korrespondentenberichten der New York Daily Tribune (original eingescannt), in dem es darum ging, dass Kossuth dem Fabrikanten Hale Arbeit suchende Emigranten vor allem ungarische Landsleute vermittelt habe, womit eine weitere dunkle Beziehung zwischen dem Fabrikanten Hale und Kossuth von der Presse herzustellen versucht wurde.

http://query.nytimes.com/mem/archive-free/pdf?res=9505E2D91438E334BC4E52DFB3668388649FDE

An obigem Beispiel kann man auch sehen, wie die verschiedenen Berichte der Korrespondenten von der Redaktion zu einer Sammlung von Ereignissen in Europa vermischt wurden, so dass von dem eingereichten Artikel eines einzelnen Autors wie unserem Karl Marx oft nicht mehr viel zu erkennen war. Die hier auch verlinkten Korrespondenzen von Marx an die Tribune sind also nicht so abgedruckt worden, aber sie zeigen, wie er es gern publiziert gehabt hätte. Was die Zeitung dann aus seinen Texten gemacht hat, ist für unsere Fragestellung weniger wesentlich.

Nun eine weitere Quelle von der Auseinandersetzung vor Gericht:

The "Gunpowder" at Rotherhithe
Source: The Illustrated London News, April 30, 1853

On Thursday, Mr. Henry, the magistrate, delivered his judgment in this case against Mr. Hale. His worship quoted the act of Parliament, and various works, on gunpowder, at some length; but the section of the act, the 11th, the one under which the defendant was summoned, provides—

That no person shall have, or keep at any one time, in any place within three miles of the cities of London or Westminster, or within one mile of any other borough or market-town, a greater quantity than 200 pounds in weight if he be a dealer in gunpowder, or than fifty pounds if not a dealer, on pain of forfeiting all above the allowed quantity, and also two shillings for every pound of the excess." I am of opinion, that whether the powder be granulated, or meal powder, and whether it be for gun, rocket, or mining use, it is equally gunpowder within the provisions of that section, and within the mischief which it was intended to guard against. I therefore adjudge, that all the powder seized beyond the allowed quantity shall be forfeited, and that the defendant shall pay two schillings for every pound beyond each allowed quantity; and I adjudge that the excessive quantity of gunpowder to be fifty-seven pounds in weight.

Mr. Bodkin applied to have the penalties enforced against the defendant, because Mr. Henry had decided that the composition which had been used was in fact gunpowder, and there could be no doubt that the rockets had been implements of war. Evidence was given to prove that Mr. Hale and his people had been found manufacturing the rockets; among others, a Major Usever, a Hungarian, who was introduced to Mr. Hale by M. Kossuth. He stated that—

During the time I was working in the factory I was sent to Kossuth, near Pimlico, about the middle of October. I saw Kossuth at the factory, where I saw Mr. Hale and the late Hungarian contractor. After some conversation, Kossuth and Hale told us then to go, and it was then that Kossuth told us to keep the affair secret. A little later I was sent by Mr. Robert to the father, and said he would tell him what was to be done. I saw Mr. Hate the elder, and he sent me to Kossuth. In consequence, I went to Kossuth, and saw him in his own room. When I left the work I told Mr. Hale what Kossuth said to me. Mr Robert Hale said to myself and my fellow workmen on several occasions, in public houses and other places, that we must not betray the Hungarian war or the name of Hungary. I have often worked in what was called the Magazine.

Cross-examined by Mr. Clarkson: I obtained this employment after (I) came out of Maidstone jail for theft. I was in jail for about half a year. W. Gerlack, a German, gave similar evidence. The Magistrate said there was sufficient evidence to send the case before another tribunal, and committed the defendants, bail being taken for their appearance.

http://www.londonancestor.com/iln/rotherhithe-gunpowder.htm

So wurde aus dieser eigentlich lächerlichen Angelegenheit noch eine große Parlamentsdebatte zwischen dem damaligen Innenminister Lord Palmerston und einigen engagierten Verteidigern des Kossuth wie vor allem dem bekannten Liberalen und Freihandelspropagandisten Richard Cobden und dessen Mitstreiter gegen die Kornzölle John Bright.

Auszüge aus der Parlamentsdebatte:

SEIZURE OF WARLIKE STORES—M. KOSSUTH.

http://hansard.millbanksystems.com/commons/1853/may/05/seizure-of-warlike-stores-m-kossuth

MR. T. DUNCOMBE

… The first seizure of Mr. William Hale's property was made on the 14th of last month, and on the following day, the 15th, an article on the subject appeared in; the Times. It commenced as follows:— The British Government has not waited long for an opportunity of proving to all the world the sincerity of its resolution to put the law rigorously in force against such foreign refugees residing in this country as have abused the tolerant hospitality of England by carrying on conspiracies against other States. We believe that we are correctly informed when he state that, upon intelligence received by the Secretary of State for the Home Department and the Commissioners of Police for the Metropolis, active measures have been taken to substantiate the charges which have long been vaguely preferred against M. Kossuth and his adherents. Upon this legal information a house in the occupation of M. Kossuth was searched yesterday morning at an early hour by the competent authorities, acting, we presume, under the Secretary of State's warrant, and the result of this investigation was the discovery of a large store of arms, ammunition, and materials of war, which may be the stock in trade of a political incendiary, but certainly form no part of the household goods of a private gentleman living in pacific retirement.


Der Abgeordnete zitiert hier die Vorwürfe aus der Londoner Times gegen Kossuth und verteidigt diesen dann:

...Still I retain my favourable opinion of the noble Lord, and, whatever the Times may say, I think the noble Lord is not "the Minister of Austria." In another article the Times says the proceedings against the Hales are not for paltry penalties, but are for other State purposes...

Der Abgeordnete trug vor, dass die Augsburger Zeitung schon vor der Durchsuchung der Räume in London Andeutungen gemacht hatte:

But now I am to show that Austria had really something to do with these seizures at Rotherhithe. In the Augsburg Gazette, of the 14th April—remember Mr. Hale's property was seized on the 13th—there appeared an article, dated Munich, April 12, and expressed in the following terms:—"At London revolution is allowed to take counsel and fill her arsenals with destructive weapons, rockets," & c. Now, I think it is natural to infer from this that some communication had passed between certain parties in authority here and the informants of the Augsburg Gazette. So, Sir, the Times was not, after all, far wrong when it said—I forget the precise terms—that the Government of this country had been urged by Austria to look after the refugees, and that it was determined to show its willingness to do so. Now, Sir, I think Her Majesty's Ministers, when they are applied to by Austria or any other Foreign Power on the subject of political fugitives, ought to tell the Government appealing to them to look at the free institutions of this country—ought to remind them of the confiscations of Lombardy, and the cruelties and tortures that recently disgraced Milan and Mantua—ought to let them know that such is not the way to gain the affections of their subjects—and ought to return for answer to their request, that interference with refugees in this country will never be submitted to by the people of England. No, we want none of their Radetskys here.

Das war der Abgeordnete Duncombe im britischen Unterhaus. Auch Bright und Cobden standen in ihrem Engagement für Kossuth dem nicht nach:

MR. BRIGHT

...The Times newspaper is a great power in a mask—we do not see the person who writes the articles—there is not a man in England calling himself a gentleman who would dare to have put his signature to the article which has been referred to. There is a Gentleman—an hon. Member of this House—he is not present, I dare say; but if he were, I would say what I am about to say now—that he durst not—I am speaking of a Gentleman intimately connected with the paper—that he durst not put his signature to the article in which these charges were conveyed against M. Kossuth. And I can tell the Times that it was precisely conduct like this by which scandalous and lying charges were brought against honourable men, that the press of France lost all character with the French people, and that induced the people of Paris during the republic to look with disregard—almost with pleasure—when, one after the other, the newspapers were brought under penalties of the law, and which induced them to look on without discontent when newspaper writers were compelled to attach their signatures to every article they wrote, and when at length three-fourths of the newspapers were suppressed...


MR. COBDEN

..I wish to impress upon the House that we are not here dealing with the ordinary case of an ordinary person. We are dealing with the case of the ex-Governor of Hungary—a man who was long engaged in maintaining in his own country the legality of the constitution of that country, and he was supported by the whole body, not of the poorer classes merely, but of the whole of the aristrocracy of that country. I say that when such a man comes to this country, having held that distinguished post of honour, his case is not that of an ordinary refugee, but it is that of a man placed under the safeguard of this country, the incidents of whose life are minutely watched by the world, and will be as minutely recorded in the history of the times; and as he is treated by us, will honour or discredit attach to us in reference to him. I have little personal knowledge of M. Kossuth; but when I first read of this matter, and when I first read the statement in the Times, I thought it my duty to call on M. Kossuth, and ask him if there was any foundation for that statement; and he gave me his word, as a man of honour, that he had no more concern with the transactions referred to by the writer in that paper, than had the Speaker of the House of Commons. It was true, he said, he had recommended a foreign refugee (one who had not done him much credit) to Mr. Hale for employment, but he had no connexion with Mr. Hale, or with the manufacture carried on by him. He was invited to call on Mr. Hale to go over his factory, as I might have been, and as I hare been invited to go over Mr. Warner or Colt's factory; and I might as well be charged with being connected with Colonel Colt on that ground, as M. Kossuth was charged with being connected with Mr. Hale. And with regard to recommending a man for employment, M. Kossuth has numerous unfortunate refugees constantly calling upon him to aid them in obtaining employment; and I am speaking within the mark when I say I have had at least a dozen applications from M. Kossuth to assist his countrymen in that way; and I have no doubt my noble Friend (Lord D. Stuart) could speak much more on this subject. This is the whole basis of the charge. Some prying individual found that a Hungarian was working at Mr. Hale's, and because M. Kossuth recommended him, he connected that gentleman with the rocket manufacture carried on by Mr. Hale, for the purpose of making war in Hungary on the Austrian Government...


Man muss ergänzen, dass auch Palmerston der Times und anderen Interessenten an einer Verdächtigung des Kossuth mit seiner Darstellung die Grundlagen entzog, wie man in dem zitierten Parlamentsbericht nachlesen kann.

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Der Krimkrieg


Katholische und griechische Mönche stritten traditionell und nicht selten handgreiflich um Privilegien beim Zugang zu den gemeinsamen heiligen Stätten in Jerusalem und Bethlehem. Nach alten Verträgen waren die lateinischen Mönche privilegiert und standen unter dem Schutz Frankreichs, Russland erklärte sich zum Protektor der griechischen Kirche. Die politische Schwäche Frankreichs nach dem Wiener Kongress hatte zur Folge, dass zum Zeitpunkt der Präsidentschaft Luis Napoleons die Verwaltung der Heiligen Stätten in der Hand der Griechen lag. Am 15. Juli 1851 wurde vom Sultan auf Verlangen Frankreichs eine Kommission berufen, um die Ansprüche der Griechen und Lateiner zu prüfen.

Im Februar 1852 ging der Bericht der Kommission zu Gunsten der katholischen Ansprüche aus, aber Russland drohte der Hohen Pforte, falls sie den Forderungen der Lateiner nachgeben sollte. Der Zar beanspruchte zusätzlich das Protektorat nicht nur für die griechischen Mönche, sondern für alle Untertanen mit griechisch-orthodoxem Glauben im Osmanischen Reich. Die Franzosen sandten ihr Flaggschiff Charlemagne nach Konstantinopel und ein Geschwader in die Bucht von Tripolis und drohten mit militärischen Maßnahmen, so dass die Hohe Pforte im Dezember 1852 sich den Forderungen der Franzosen beugte.

Zar Nikolaus rechnete mit der Dankbarkeit Österreichs für seine Hilfe im Ungarn und mit der alten Freundschaft zu Wilhelm IV. von Preußen und begann im Januar 1853 Geheimgespräche mit dem britischen Botschafter Hamilton Seymour über die Aufteilung der Gebiete des osmanischen Reichs. Nach russischem Vorschlag sollten Bulgarien, Moldavien und die Wallachei unabhängig werden, Serbien unter dem Protektorat des Zaren stehen, Österreich die Gebiete an der Adria erhalten, England Kreta und Ägypten.

Der Zar glaubte sich dabei auf das Nesselrode-Memorandum von 1844 stützen zu können, in dem verabredet worden war, dass bei einem drohenden Zusammenbruch der osmanischen Herrschaft Russland mit England geheim und einvernehmlich die Aufteilung seiner Gebiete regeln würden. Russland bekundete, die Besetzung von Konstantinopel durch England nicht zuzulassen und selbst ebenfalls darauf zu verzichten.

Die Briten veröffentlichten den Inhalt dieser Gespräche als Beweis für die finsteren Absichten des Zaren. Das Osmanische Reich war zum Hauptabnehmer britischer Industriewaren geworden, der Export war innerhalb eines Vierteljahrhunderts um den Faktor 8 gestiegen; außerdem fürchtete England um seine Einflüsse in Arabien, Persien und Indien.

Der Zar mobilisierte im Februar 1853 zwei Armeekorps und entsandte Fürst Menschikow nach Konstantinopel zu Verhandlungen, bei denen es nicht nur um die Rechte der Orthodoxen in Jerusalem ging, sondern auch um russische Schutzrechte für orthodoxe Gläubige auf dem Gebiet des osmanischen Reichs.

Anfang Mai 1853 gelang eine Einigung über die religiösen Streitfragen, die Krise schien überwunden; jedoch mit Unterstützung des britischen Botschafters weist der Sultan die Forderungen des Zaren nach Protektoratsrechten für sämtliche orthodoxen Bürger unter den Osmanen zurück. Am 21. Mai 1853 bricht Fürst Menschikow die Verhandlungen mit der Türkei durch seine Abreise ab.

Der Zar befiehlt am 2.7.1853 russischen Truppen, etwa 80.000 Mann, die Moldau-Fürstentümer zu besetzen.

Am 29.09.1853 analysiert Friedrich Engels für die Tribune die militärische Lage und empfiehlt der Türken eine Verteidigungsstrategie. Diese soll nicht gleich das Überschreiten der Donau verhindern wollen, sondern den Russen das Vorrücken auf die Gebirgspässe nur mit hinhaltendem Widerstand wehren.

Wenn die Russen die Gelegenheit zur Offensive ergreifen, so müssen sie zwei natürliche Hindernisse überwinden, ehe sie zum Herzen des Türkischen Reiches vordringen; zuerst die Donau und dann den Balkan. Das Überqueren eines breiten Stromes, selbst angesichts einer feindlichen Armee, ist ein militärisches Unternehmen, das im Laufe der Revolutionskriege und der napoleonischen Kriege so oft vollbracht worden ist, daß heutzutage jeder Leutnant weiß, wie man so etwas macht. Ein paar Scheinmanöver, ein gut ausgerüsteter Pontontrain, einige Batterien zur Sicherung der Brücken, wohlüberlegte Maßnahmen zur Sicherung des Rückzugs und eine tapfere Avantgarde, das sind ungefähr alle erforderlichen Bedingungen. Aber das Überschreiten eines großen Gebirgszuges und besonders eines mit so wenigen Pässen und gangbaren Straßen wie der Balkan, ist ein ernsteres Unternehmen. Wenn dieser Gebirgszug in einer Entfernung von nicht mehr als 40 bis 60 Meilen parallel zu einem Fluß verläuft wie der Balkan zur Donau, dann wird die Angelegenheit noch ernster, denn ein in den Bergen geschlagenes Korps kann bei aktiver Verfolgung von seinen Brücken abgeschnitten und in den Strom getrieben werden, ehe Unterstützung eintreffen kann; eine auf diese Weise in einer großen Schlacht geschlagene Armee wäre unvermeidlich verloren. Gerade diese geringe Entfernung zwischen Donau und Balkan und ihr paralleler Verlauf machen die natürliche militärische Stärke der Türkei aus…

1828 setzten die Türken in dieser Stellung ihre Hauptmacht aufs Spiel. Sie wurden bei Kulewtscha geschlagen; Varna und Schumla wurden genommen, die Verteidigung des Balkans war nur schwach, und die Russen erreichten, wenn auch sehr geschwächt, Adrianopel, aber ohne auf Widerstand gestoßen zu sein, da sich die türkische Armee völlig aufgelöst hatte und nicht eine Brigade zur Verteidigung Konstantinopels zur Verfügung stand. Die Türken begingen damals einen großen Fehler. Jeder Offizier weiß, daß man eine Gebirgskette nicht durch eine davorliegende Defensivstellung verteidigt und auch nicht durch Teilen der Defensivkräfte, um alle Pässe zu sperren, sondern indem man eine zentrale Position dahinter einnimmt, alle Pässe ständig beobachtet und - wenn die Absichten des Feindes klar zutage getreten sind - sich mit massierter Wucht auf die Spitzen seiner Kolonnen wirft, sobald sie aus den verschiedenen Schluchten der Gebirgskette herauskommen. Die starke Stellung quer zur russischen Operationslinie zwischen Varna und Schumla verleitete die Türken dazu, dort den entschiedenen Widerstand zu leisten, den sie in der Ebene von Adrianopel mit konzentrierteren Kräften gegen einen notwendigerweise durch Krankheit und Detachierungen geschwächten Feind hätte bieten müssen.

http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_347.htm

Das war eine gute Analyse, aber es sollte ganz anders kommen, weil die Russen nach dem Eingreifen der Engländer und Franzosen die Fürstentümer umgehend räumen und sich hinter ihre alten Grenzen zurückziehen sollten. Aber im Sandkasten hätte sich Friedrich Engels - der für derartige Texte von Marx und Familie „General“ genannt wurde - den ersten Preis verdient.

Am 9.10.1853 stellt die Türkei Russland ein Ultimatum zur Räumung der Fürstentümer und droht mit Krieg.

Fürst Gortschakow wurde daher aufgefordert, die Donauprovinzen zu räumen. Sollte er fünfzehn Tage nach dieser Mitteilung ablehnend antworten, so wird Omer Pascha die Feindseligkeiten eröffnen, haben die russischen Geschäftsträger die ottomanischen Staaten zu verlassen und werden die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern abgebrochen. Über die russischen Handelsschiffe jedoch soll kein Embargo verhängt werden; sie werden aber Order bekommen, die türkischen Häfen zu verlassen. Die Meerengen werden für die Handelsschiffe der befreundeten Mächte offen bleiben.

Das ist der wesentliche Inhalt des Manifestes des Sultans. Das türkische Ultimatum wurde dem Fürsten Gortschakow am 9. Oktober mitgeteilt. Die Frist zur Räumung der Fürstentümer läuft also am 25. Oktober ab. Die Drohung mit der Eröffnung der Feindseligkeiten ist jedoch nicht so wörtlich zu nehmen, da Omer Pascha natürlich seine starken Stellungen nicht verlassen wird, um die Russen anzugreifen.

http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_428.htm

Friedrich Engels vermutet in einem Leitartikel für die Tribune, dass es vorerst zu keinen größeren Kampfhandlungen kommen werde.

Aber es gibt einen Umstand, den wir nicht vergessen dürfen. Die russische Armee ist und war schon immer langsam und vorsichtig in ihren Bewegungen. Sie wird höchstwahrscheinlich während des Winters nichts unternehmen. Es mag ein paar Gefechte geben, um diese oder jene Donauinsel für die eine oder andere Partei zu gewinnen. Doch falls der Zar nicht eine ganz außerordentliche Aktivität befehlen sollte - wobei jedoch die Ausführung eines solchen Befehls sehr wahrscheinlich durch die passive Pedanterie seiner Generale vereitelt werden würde -, gibt es sehr wenig Aussicht auf entscheidende Manöver vor Anbruch des Frühlings. Die Donau könnte überquert, doch der Balkan kann nicht überschritten werden, und zwischen den beiden wäre die Lage der Russen äußerst gefährlich.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_436.htm

Zwei Wochen später überschreiten gegen die Empfehlungen des „Generals“ die türkischen Truppen die Donau. Dazu wieder Friedrich Engels in einem Leitartikel für die Tribune:

Nun hat endlich der Krieg an der Donau begonnen - ein Krieg des religiösen Fanatismus auf beiden Seiten, ein Krieg traditioneller Bestrebungen bei den Russen, ein Krieg auf Leben und Tod bei den Türken. Wie erwartet, war es Omer Pascha, der die Kampfhandlungen eröffnete; pflichtgemäß mußte er wenigstens so tun, als ob er die Eindringlinge mit Waffengewalt von ottomanischem Gebiet vertriebe. Keineswegs aber ist es sicher, daß er 30.000 bis 50.000 Mann über die Donau geworfen hat, wie von Wien das Gerücht ausgeht; und wenn er es doch getan hat, so muß man mit Recht befürchten, daß er einen verhängnisvollen Fehler begangen hat. Das Ufer, das er verläßt, bietet ihm genügend Verteidigungsmöglichkeiten und eine gute Position; das Ufer, dem er zustrebt, gewährt nur geringe Angriffsmöglichkeit, und im Falle des Mißlingens kann er sich nicht zurückziehen. Man muß daher die Nachricht von seinem Übergang in solchen Massen so lange bezweifeln, bis wir Genaueres erfahren.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_442.htm

Die Gerüchte vom Vorrücken der türkischen Truppen werden bestätigt.

Alle Zeitungen aus Wien und Berlin bestätigen die Nachricht, daß starke Divisionen der türkischen Armee die Donau überquert haben. Der "Oesterreichischen Correspondenz" zufolge sind die Türken von den Russen in der Kleinen Walachei zurückgeschlagen worden. Eine telegraphische Depesche bestätigt, daß es zwischen den beiden Armeen in Asien am 21. Oktober zu einem ernsthaften Gefecht gekommen ist. Wir müssen auf ausführlichere und authentischere Nachricht warten, um die Umstände erklären zu können, die den türkischen Oberbefehlshaber veranlaßt haben mögen, bei Widdin die Donau zu überschreiten, ein Manöver, das auf den ersten Blick hin als ein grober Fehler betrachtet werden muß.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_456.htm

Von 1836 bis 1839 war Graf von Moltke vom preußischen Großen Generalstab Instrukteur der türkischen Truppen gewesen und das sollte sich jetzt bemerkbar machen.

1838 fühlte sich das Osmanische Reich stark genug, den Kampf gegen die ägyptischen Truppen Mehmet Alis, unter dessen Sohn Ibrahim Pascha in Syrien, wiederaufzunehmen. Moltke beteiligte sich auch an diesem Feldzug und nahm dabei auch an der entscheidenden Schlacht von Nizip, am 24. Juni 1839, teil. Die Eindrücke seiner Jahre im Osmanischen Reich hat Moltke in seinem Werk Unter dem Halbmond mit dem Untertitel Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839 aufgezeichnet.
http://de.wikipedia.org/wiki/Helmuth_Karl_Bernhard_von_Moltke

Die türkischen Truppen erringen kleinere Siege, wie Engels an die Tribune schreibt:

Soviel ist jedenfalls klar, daß die Türken mit einem solchen Maß an Geschicklichkeit geführt worden sind und mit einer derartig anhaltenden Begeisterung gekämpft haben, die die Lobpreisungen ihrer wärmsten Bewunderer rechtfertigt - Lobpreisungen, die von der Masse der kühlen und unparteiischen Beobachter als übertrieben betrachtet wurden. Das Resultat ist eine allgemeine Überraschung. Jedermann war darauf vorbereitet, von Omer Paschas Talenten als Feldherr die glänzendsten Beweise zu erhalten; aber der Wert seiner Armee wurde weder von den westlichen Journalisten noch von den Staatsmännern richtig eingeschätzt. Es trifft zu: ihre Reihen setzen sich aus Türken zusammen, aber diese sind ganz andere Soldaten als jene, die Diebitsch 1829 zu Paaren trieb. Sie schlugen die Russen trotz deren großer Überlegenheit und unter ungünstigen Umständen.
http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_469.htm

Entscheidender ist aber am 30.11.1853 die Seeschlacht von Sinope, bei der die türkische Flotte im Hafen in Brand geschossen wird. Nach diesem russischen Sieg fordert eine massive politische Kampagne in England und Frankreich den Krieg gegen Russland.

Am 16. Dezember 1853 kommentiert Marx den Rücktritt des Lord Palmerston aus der Regierung unter Lord Aberdeen mit den üblichen Verdächtigungen:

Lord Palmerston rettet jedoch nicht nur seine Popularität und sichert sich einen hervorragenden Platz in der neuen Regierung, er nützt auch noch direkt der Sache Rußlands, wenn er sich in diesem ungemein kritischen Augenblick zurückzieht… Eine uneinige, unpopuläre Regierung, der die eignen Freunde nicht vertrauen und die die Feinde nicht respektieren, eine Regierung, die nur als eine rein provisorische betrachtet wird, deren Auflösung jeden Moment erfolgen kann, an deren wirklichem Vorhandensein man sogar zweifelt - eine solche Regierung ist am wenigsten dazu geeignet, dem Einfluß Großbritanniens unter den übrigen Mächten Europas Gewicht zu verschaffen. Der Rücktritt Lord Palmerstons verwandelt das Koalitionsministerium und mit ihm England in eine Null, was die Außenpolitik anbelangt; und noch niemals hat das Verschwinden Englands von der politischen Arena, sei es nur für ein oder zwei Wochen, solch eine immense Bedeutung für den russischen Despoten gehabt

Außer den von uns aufgezählten allgemeinen Ursachen hatte Lord Palmerston noch einen besonderen Grund, die Welt durch seinen letzten Akt der patriotischen Selbstaufopferung zu überraschen: man ist ihm auf die Schliche gekommen. Sein Prestige beginnt zu schwinden, seine frühere Karriere wird der Öffentlichkeit bekannt. Dem englischen Volk, dem durch die eingestandene Teilnahme Palmerstons an der Verschwörung des 2. Dezember, die die Französische Republik stürzte, und durch seine Schießpulver-Verschwörungs-Komödie die Augen noch nicht geöffnet waren, ist durch die Enthüllungen des Herrn David Urquhart aufgerüttelt worden, der Seine Lordschaft tüchtig gezaust hat. Herr Urquhart hat in seinem kürzlich erschienenen Werk "Rußlands Vordringen", in Artikeln der englischen Presse, besonders aber durch Reden in antirussischen Meetings im ganzen Königreich der politischen Reputation Palmerstons einen Schlag versetzt, den die zukünftige Geschichte nur bestätigen wird. Unser eigenes Wirken für die Sache der historischen Gerechtigkeit trug weit mehr als wir erwarteten dazu bei, diesen geschäftstüchtigen und arglistigen Staatsmann der öffentlichen Meinung Englands in einem neuen Lichte zu zeigen.

Völlig unerwartet erfahren wir aus London, daß Herr Tucker dort 50.000 Exemplare des umfangreichen Artikels nachgedruckt und gratis verteilt hat, in welchem wir vor etwa zwei Monaten Seiner Lordschaft die Maske vom Gesicht rissen und seine politische Karriere im richtigen Licht zeigten…

http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_555.htm

Der zuletzt zitierte Satz bezieht sich auf die bereits behandelte Veröffentlichung der Artikelserie von Marx über den Lord Palmerston als Propagandabroschüre in einer Schriftenserie des David Urquhart.

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Hellmann
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In seinem Leitartikel am 9.Januar in der Tribune finden wir Friedrich Engels ganz als „Verschwörungstheoretiker“ bei der Erklärung der türkischen Niederlage in Sinope:

Die Schlacht bei Sinope war das Ergebnis einer so einzig dastehenden Reihe von Fehlern der Türken, daß man sich die ganze Geschichte nur erklären kann, wenn man an eine unheilvolle Einmischung der westlichen Diplomatie oder an ein geheimes Einverständnis der Russen mit gewissen Kreisen in Konstantinopel glaubt, die mit der französischen und der englischen Botschaft in Verbindung stehen. Die ganze türkische und ägyptische Flotte begab sich im November nach dem Schwarzen Meer, um die Aufmerksamkeit der russischen Admirale von einer Expedition abzulenken, die mit Waffen und Munition für die aufständischen Bergbewohner an der kaukasischen Küste landen sollte. Die Flotte blieb achtzehn Tage auf See, ohne einem einzigen russischen Kriegsschiff zu begegnen. Nach einer Version soll das russische Geschwader Sewastopol während der ganzen Zeit nicht verlassen haben, wodurch es der Expedition zum Kaukasus ermöglicht war, ihre Aufgabe zu erfüllen; nach einer anderen Version sollten die von den türkischen Plänen wohlunterrichteten Russen sich nach Osten zurückgezogen haben, von wo aus sie die Transportschiffe lediglich beobachteten, die infolgedessen die kaukasische Küste nie erreichten und nach Sinope zurückkehren mußten, während die Hauptflotte wieder in den Bosporus segelte. Der große Pulvervorrat an Bord des Sinope-Geschwaders, der zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt des Zusammenstoßes zur Explosion einiger Schiffe führte, scheint ein Beweis für die Richtigkeit der letzten Version zu sein.

So blieben sieben türkische Fregatten, zwei Dampfer, drei Korvetten und ein oder zwei kleinere Schiffe mit einigen Transportschiffen im Hafen von Sinope sich selbst überlassen. Dieser Hafen ist nicht viel mehr als eine offene Reede, die aus einer nach dem Meere zu offenen Bucht gebildet und von einigen vernachlässigten, schlecht angelegten Batterien geschützt wird; die beste davon war in einem Kastell untergebracht, das zur Zeit der griechischen Kaiser erbaut wurde, also wahrscheinlich, ehe man in Europa etwas von Artillerie wußte. Wie es geschehen konnte, daß ein Geschwader mit etwa dreihundert Geschützen meist kleineren Kalibers auf Gnade und Ungnade einer dreimal größeren und stärkeren Flotte ausgeliefert wurde, noch dazu an einem Punkt der türkischen Küste, der wegen der Nähe Sewastopols russischen Angriffen am meisten ausgesetzt ist, während die Hauptflotte sich beschaulich auf dem Bosporus wiegte, das müssen wir erst noch erfahren.



Während des Kampfes wurden drei türkische Fregatten verbrannt, vier wurden zum Stranden gebracht und später mit einem Dampfer und den kleinen Fahrzeugen zusammen verbrannt. Das Dampfboot "Taif" kappte jedoch seine Ankertaue, fuhr kühn zwischen den russischen Schiffen durch und entkam nach Konstantinopel, obgleich es von drei russischen Dampfern unter Admiral Kornilow verfolgt wurde. Angesichts der Schwerfälligkeit der Russen zur See, der ungünstigen Position der türkischen Flotte vor ihren eigenen Batterien und innerhalb deren Feuerbereich, und vor allem angesichts der absoluten Gewißheit der Niederlage wäre es wohl besser gewesen, das ganze türkische Geschwader hätte die Anker gelichtet und wäre auf den Feind losgesegelt, soweit es der Wind gestattete. Wenigstens wäre dann vielleicht durch die nicht zu vermeidende Preisgabe einiger Schiffe ein Teil des Geschwaders gerettet worden. Natürlich wäre für ein derartiges Manöver die herrschende Windrichtung maßgebend gewesen; aber es erscheint zweifelhaft, ob Osman Pascha überhaupt an einen derartigen Schritt gedacht hat.

Der Sieg von Sinope ist kein Ruhmestitel für die Russen; die Türken aber kämpften mit unerhörter Tapferkeit. Auch nicht ein Schiff hat während des ganzen Kampfes die Flagge gestrichen. Diesen Verlust eines wichtigen Teils ihrer Seemacht, die zeitweilige Eroberung des Schwarzen Meers durch die Russen und die niederdrückenden moralischen Auswirkungen eines solchen Ereignisses auf das türkische Volk, die Armee und die Marine hat die Türkei ausschließlich den "guten Diensten" der westlichen Diplomatie zu verdanken, die die türkische Flotte an der Ausfahrt und somit auch daran hinderte, das Geschwader von Sinope zu schützen oder es heimzuholen. Und ebenso hat sie es nur deren geheimen Informationen an Rußland zu verdanken, daß Rußland in den Stand gesetzt war, den Streich mit solcher Gefahrlosigkeit und Gewißheit zu führen.

Der zweite Sieg, dessen sich die Russen rühmen, wurde bei Achalzych in Armenien erfochten. Die Türken sind schon seit einiger Zeit in ihren Offensivbewegungen an der Grenze von Georgien gehemmt worden. Seit sie Scheftakil oder den Hafen St. Nikolaja genommen hatten, war kein Ort von irgendwelcher Bedeutung erobert, noch ein einziger Sieg von mehr als kurzlebiger Bedeutung errungen worden. Und dies in einem Lande, wo die Russen unter den ungünstigsten Umständen zu kämpfen haben; wo ihre Landverbindungen mit Rußland auf zwei Straßen beschränkt sind, die von aufrührerischen Tscherkessen unsicher gemacht werden; wo ihre Verbindungen zur See leicht abgeschnitten oder gefährdet werden können und wo das ganze von den Russen besetzte transkaukasische Gebiet mit dem Zentrum Tiflis eher als ein unabhängiger Staat denn als Bestandteil eines mächtigen Reiches gelten kann. Wie soll man diese Unterbrechung des türkischen Vormarsches erklären? Die Türken klagen Abdi Pascha des Verrats an und haben ihn zurückberufen; und es ist in der Tat sehr sonderbar, daß Abdi Pascha der einzige türkische General in Asien ist, dem die Russen gestatteten, Teilsiege von lokaler Bedeutung zu erringen

http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_559.htm

Unter Verrätern scheint es nur den Glauben an Verrat als geschichtsbestimmende Kraft zu geben, könnte man bei Friedrich Engels hier vermuten; auch sein Kollege Marx hält ständig alle Leute für gekaufte Agenten, wenn er nicht gerade die Wertform analysiert.

Im Januar 1854 dringt die englische und französische Flotte durch den Bosporus ins Schwarze Meer ein. Es folgt ein Ultimatum an den Zaren, die Moldau-Fürstentümer innerhalb von 2 Monaten zu räumen.

Friedrich Engels hofft auf den Krieg gegen Russland:

Endlich scheint die schon so lange schwebende türkische Frage ein Stadium erreicht zu haben, in dem die Diplomatie nicht länger mehr imstande sein wird, mit ihrer immer sich ändernden, ewig zaghaften und ewig resultatlosen Tätigkeit das Feld zu beherrschen. Die französische und die britische Flotte sind in das Schwarze Meer vorgedrungen, um Angriffe des russischen Geschwaders auf die türkische Flotte oder die türkische Küste zu verhindern. Zar Nikolaus hat vor langer Zeit erklärt, daß ein solcher Schritt für ihn das Signal zu einer Kriegserklärung wäre. Wird er ihn nun ruhig hinnehmen?

Es ist nicht zu erwarten, daß die vereinigten Flotten sogleich das russische Geschwader oder die Befestigungen und Schiffswerften von Sewastopol angreifen und zerstören werden. Im Gegenteil, wir können uns darauf verlassen, daß die Instruktionen der Diplomatie für die beiden Admirale so ausgeklügelt sind, daß möglichst jede Kollision vermieden wird…

Bevor nicht wenigstens eine der deutschen Mächte in einen europäischen Krieg verwickelt ist, kann der Kampf nur in der Türkei, im Schwarzen Meer und in der Ostsee um sich greifen. Während dieser Periode muß der Seekrieg das Wichtigste sein. Daß die verbündeten Flotten Sewastopol zerstören und die russische Schwarzmeerflotte vernichten, daß sie die Krim nehmen und halten können, Odessa besetzen, das Asowsche Meer blockieren und die Bergbewohner des Kaukasus entfesseln können, daran ist nicht zu zweifeln. Nichts ist leichter als das, wenn rasch und energisch gehandelt wird. Angenommen, darüber verginge der erste Monat der aktiven Operationen, so könnte schon der nächste Monat die Dampfschiffe der vereinigten Flotten nach dem britischen Kanal bringen, während die Segelschiffe nachfolgen; denn was im Schwarzen Meer dann noch zu tun ist, das könnte durch die türkische Flotte besorgt werden. Rechnet man weitere vierzehn Tage, um im Kanal Kohlen zu fassen und andere Vorbereitungen zu treffen, so könnten sie, vereinigt mit der atlantischen Flotte und der Kanalflotte Frankreichs und Großbritanniens, vor Ende Mai in solcher Stärke vor der Reede von Kronstadt erscheinen, daß der Erfolg eines Angriffs gesichert wäre…

http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_003.htm

In diesem Leitartikel für die Tribune vom 2. Februar 1854 geht jetzt die Phantasie völlig mit dem „General“ durch. Er sieht den kommenden Kampf um die russische Festung Sewastopol auf der Halbinsel Krim richtig voraus, aber nicht die Dauer der Belagerung.

Vielmehr sieht er Russland schon überwunden:

Odessa, Kronstadt, Riga, Sewastopol genommen, Finnland befreit, eine feindliche Armee vor den Toren der Hauptstadt, alle seine Flüsse und Häfen gesperrt - was bliebe von Rußland?
(ebenda)

Ja eben – Russland bliebe, nach dem Sturz des Zaren womöglich ein revolutionäres Russland, wie einst Frankreich, oder ein liberalkapitalistisches, eurasisches Imperium; beides eine Gefahr für England, dessen herrschende Klasse mit dem Empire auch geopolitisch zu denken gewohnt war.

Aber wenn Engels schon beim Träumen ist, dann träumt er gleich auch noch von der Revolution. Ob er den nachfolgend zitierten Absatz wirklich ernst gemeint hat, kann ich mir aber nicht vorstellen:

Doch wir dürfen nicht vergessen, daß in Europa noch eine sechste Macht existiert, die in bestimmten Augenblicken ihre Herrschaft über die gesamten fünf sogenannten Großmächte behauptet und jede von ihnen erzittern läßt. Diese Macht ist die Revolution. Nachdem sie sich lange still und zurückgezogen verhalten hat, wird sie jetzt durch die Handelskrise und die Lebensmittelknappheit wieder auf den Kampfplatz gerufen. Von Manchester bis Rom, von Paris bis Warschau und Pest ist sie allgegenwärtig, erhebt ihr Haupt und erwacht vom Schlummer. Mannigfach sind die Symptome ihres wiederkehrenden Lebens; überall sind sie erkennbar in der Unruhe und Aufregung, die die proletarische Klasse ergriffen hat. Es bedarf nur eines Signals, und die sechste und größte europäische Macht tritt hervor in glänzender Rüstung, das Schwert in der Hand, wie Minerva aus dem Haupte des Olympiers. Dieses Signal wird der drohende europäische Krieg geben…
http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_003.htm

Mit der Erwartung einer Revolution lag Engels nicht ganz falsch: sie sollte sich aber auf Italien beschränken. Sie wird auch nicht von der proletarischen Klasse kommen, sondern das Königreich Sardinien-Piemont erhält für seine Beteiligung am Krimkrieg von England und Frankreich Unterstützung bei der Einigung Italiens.

Wie Revolutionen halt so in Wirklichkeit ablaufen, was Marx und Engels aber schon wussten, denn Marx berichtet von einer entsprechenden Drohung Frankreichs gegen Österreich:

Man sagt, Louis Bonaparte habe der österreichischen Regierung zu verstehen gegeben, daß die französische Regierung - falls es zu einem Konflikt mit Rußland komme und Österreich dessen Partei ergreifen sollte - sich die aufständischen Elemente zunutze machen werde, die in Italien und Polen nur eines Funkens bedürften, um wieder zur verheerenden Flamme angefacht zu werden, und daß Frankreich alsdann die Wiederherstellung der italienischen und polnischen Nation anstreben werde. Die österreichische Regierung jedoch, dessen können wir sicher sein, wird sich mehr durch ihre eigenen finanziellen Schwierigkeiten als durch die Drohungen Bonapartes beeinflussen lassen.
http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_020.htm

England und Frankreich erklären Russland am 27.03.1854 den Krieg. Im April schließen Preußen und Österreich eine Neutralitätsallianz, obwohl besonders in Österreich eine einflussreiche Fraktion den Krieg gegen Russland forderte.

London, Dienstag, 28. März 1854

Endlich ist der Krieg erklärt worden…

Die Veröffentlichung der Geheimkorrespondenz zwischen dem Zaren und der englischen Regierung hat incredibile dictu, anstatt einen Ausbruch öffentlicher Entrüstung gegen letztere hervorzurufen, die gesamte Tages- und Wochenpresse veranlaßt, England zu seinem wahrhaft nationalen Ministerium zu beglückwünschen. Mir ist jedoch bekannt, daß man eine Versammlung einberufen will, um der verblendeten britischen Öffentlichkeit die Augen zu öffnen über die wirkliche Haltung der Regierung. Sie soll nächsten Donnerstag in der Music-Hall, Store Street, stattfinden, und man erwartet, daß Lord Ponsonby, Herr Layard, Herr Urquhart etc. an ihr teilnehmen.

http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_168.htm

Auch an andere bekannte Zeitungen fließt Geld für Artikel gegen Russland:

London, Dienstag, 2. Mai 1854.

In der "Augsburger Zeitung" ist eine Reihe außerordentlich feindseliger Artikel gegen Rußland erschienen, die großes Aufsehen in Deutschland erregt haben, da diese Zeitung bis jetzt überaus eifrig russische Interessen vertrat und, wie außerdem bekannt ist, ihre Anregungen vom österreichischen Kabinett erhält. Österreich, wird in diesen Artikeln erklärt, sei infolge der Enthüllungen, die die vertrauliche Korrespondenz Sir H. Seymours enthalte, seiner Verpflichtungen gegenüber Rußland enthoben.

http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_216.htm

Nach der Landung der Briten und Franzosen bei Warna, einer Hafenstadt an der bulgarischen Schwarzmeerküste, am 31. Mai 1854 und einer österreichischen Drohung am 3.6.1854 ziehen sich die russischen Truppen über die Donau und den Pruth zurück. Anschließend besetzen die Österreicher die beiden Fürstentümer.

Marx vermutet natürlich, dass Österreich und Russland heimlich im Einvernehmen sind:

Die Rückzugsbewegung der Russen in der Türkei ist weit vollständiger, als wir es erwartet hatten, und vollständiger, als es selbst im schlimmsten Falle jetzt vom militärischen Standpunkt aus notwendig erscheint. Offenbar beinhalten die Zusicherung des Zaren an den Kaiser von Österreich und die Befehl, an seine Generale auch die völlige Räumung der Moldau und der Walachei, wobei keine russischen Soldaten auf türkischem Boden verbleiben, hingegen eine starke österreichische Streitmacht deren Stelle sofort einnehmen und die vor kurzem noch einander bekämpfenden Gegner trennen wird. Es wäre jedoch ein Irrtum, anzunehmen, daß sich die Russen wegen ihrer Niederlage vor Silistria zurückziehen… Die Wahrheit ist offensichtlich, daß die Russen sich vor Silistria letztlich einfach deshalb zurückzogen, weil der Zar mit Österreich übereingekommen war, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt sämtliche Truppen aus den Fürstentümern abzuziehen.
http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_294.htm

Briten und Franzosen beschließen den Angriff auf Sewastopol, um gegen den Zaren einen deutlichen Sieg zu erringen. Die Österreicher bleiben zwar neutral, aber im Oktober 1854 marschieren 300.000 österreichische Soldaten an der Grenze zu Russland auf und binden damit einen erheblichen Teil der russischen Kräfte.

Karl Marx ist misstrauisch und wittert Halbheiten und Verrat:

In einem vom "Moniteur" veröffentlichten Artikel, worin die Aussichten der Expedition erörtert werden, erscheint eine merkwürdige Stelle.

"Wenn", sagt der Moniteur", "wenn die Zahl der auf der Krim stationierten russischen Truppen sich als beträchtlicher erweisen sollte, als uns frühere Berichts glauben machten, wenn die Streitmacht Sewastopols zäheren Widerstand leisten sollte, wenn die Jahreszeit uns Hindernisse in den Weg legen sollte, wenn es schließlich gelingen sollte, die Krim durch eine bedeutende russische Armee zu verstärken, werden wir das diesmal mit einer einfachen Wiedereinschiffung bezahlen, und der Angriff auf Sewastopol würde im Frühling wieder aufgenommen werden."

Mit einem Wort: Wenn jene "mächtige Armada mit ihrer tausendfach wirksamen Zerstörung" auf irgendwelche ernsthaften Schwierigkeiten stoßen sollte, wird sie schnell zum Bosporus zurückkehren. Auf jeden Fall wird es nicht ihre Schuld sein, wenn solche Schwierigkeiten nicht auftauchen sollten, da der Zar schon seit Monaten über diese Expedition gebührend informiert war und da man sie bis auf die allerletzten Tage der günstigen Jahreszeit hinausgezögert hatte

http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_498.htm

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Ab dem 12.09.1854 landen 27.000 Engländer, 25.000 Franzosen und 7.000 Türken auf der Krim nördlich der Festung Sewastopol. Der Herausgeber der Times, John Thadeus Delane, hatte erreicht, dass ein Sonderkorrespondent der Times die Truppen begleiten durfte. Es war William Howard Russell:

Nach dem Kriegseintritt Großbritanniens wurde er Sonderkorrespondent auf der Krim. Für die europäischen Zeitungsleser war der Krimkrieg der erste Krieg, den sie durch neue Technologien wie den Telegrafen und die Fotografie unmittelbar von zuhause miterleben konnten. Russell machte sich die schnelle Nachrichtenübermittlung zunutze. Seitens der britischen Armee wurde die Anwesenheit von Kriegskorrespondenten ungern gesehen. Russell war dafür bekannt, seine Ansichten - auch über Inkompetenz der Armeeführung und mangelhafte Versorgung der Soldaten - offen einem breiten Publikum zu schildern…

Eine spätere Konsequenz seiner Artikel war die Einführung der Militärzensur durch den Oberbefehlshaber William John Codrington am 25. Februar 1856.

http://de.wikipedia.org/wiki/William_Howard_Russell

Der Korrespondent der „Times“ berichtete umgehend von der schlimmen Versorgungslage der Truppen; nicht einmal die Zelte konnten an Land gebracht werden, weil Transportmittel fehlten, die Soldaten lagerten bei Regen in den Pfützen:

„Der Leser“, berichtet er im September, „stelle sich die alten Generale und jungen Lords und Gentlemen vor, die Stunde um Stunde der gnadenlosen Macht des Unwetters ausgesetzt, ohne Bett waren, auf durchweichten Decken oder nutzlosen wasserdichten Umhängen in stinkenden Pfützen lagen, und die rund zwanzigtausend armen Teufel, die gar keinen Fußbreit trockenen Boden hatten und sich genötigt sahen, in Tümpeln oder Bächen zu schlafen oder es immerhin zu versuchen, ohne ein wärmendes Feuer, ohne heißen Grog und ohne Aussicht auf ein Frühstück – all das stelle sich der Leser vor … und er wird zugeben, daß diese ,Akklimatisierung‘ durchaus barbarisch war…“
http://www.zeit.de/2003/33/A-Krimkrieg?page=3

Die schlechte Organisation des britischen Heeres sollte noch zum Sturz der Regierung Aberdeen im Januar 1855 führen und zum bleibenden Schaden für das Andenken des am 14. September 1852 verstorbenen Herzogs von Wellington, der über 25 Jahre der Oberbefehlshaber des Heeres gewesen war.
Die Berichterstattung in der Presse erreichte auch die damals berühmt gewordene Florence Nightingale:

In der Presse erschienen 1853 Berichte über die katastrophale Situation der im Krimkrieg verwundeten Briten…

Florence Nightingale bot der britischen Regierung ihre Hilfe an. Mit 38 Krankenschwestern einschließlich ihrer Tante Mai Smith, medizinischen Gerätschaften und Medikamenten reiste sie mit dem offiziellen Auftrag von Sidney Herbert, dem Staatssekretär des Kriegsministeriums, in Richtung Krim, genauer ins Lazarett von Scutari (heute Üsküdar in Istanbul, Türkei). Die Zustände, die Florence Nightingale dort vorfand, waren tatsächlich katastrophal. Die Verwundeten und Kranken lagen in schlecht belüfteten, rattenverseuchten Stationen nahezu ohne hygienische Einrichtungen. Da sich für verwundete Soldaten niemand zuständig fühlte, waren die Kranken häufig nicht einmal mit dem Nötigsten versorgt…
Ihr unermüdlicher Einsatz aber regte unter anderem später Henry Dunant zur Gründung des Roten Kreuzes an. Auch die Genfer Konvention des Jahres 1864, die völkerrechtlich verbindliche Regeln für die Versorgung von Kranken und Verwundeten in Kriegszeiten festschreibt, dürfte durch Nightingales berühmt gewordenen Einsatz auf der Krim beeinflusst worden sein.

http://de.wikipedia.org/wiki/Florence_Nightingale

Beim Korrespondenten Karl Marx der New-York Daily Tribune werden wir davon nicht viel lesen.

Am 6.10.1854 berichtet Marx über die Freilassung eines französischen Revolutionsführers, der sich in einem Brief für die russischen Dekabristen engagiert hatte,

http://de.wikipedia.org/wiki/Dekabristen

die einst im Dezember 1825 einen Aufstand gegen Zar Nikolaus I. gewagt hatten.

Der "Moniteur" vom 5. Oktober teilt mit, daß Barbès, seit den letzten drei Jahren ein Gefangener in Belle-Île, auf Befehl Bonapartes bedingungslos in Freiheit gesetzt wurde, auf Grund eines Briefes, in dem er lebhafte Gefühle der Hoffnung auf den Erfolg der dezembristischen Zivilisation über die moskowitische Zivilisation äußerte; erstere ist, nebenbei gesagt, vor kurzem in Athen in Erscheinung getreten, als sie die Junitage 1849 wieder ins Gedächtnis zurückrief - indem die französische Soldateska dort einen "verdächtigen" Herausgeber einer Zeitung ergriff, seine Bücher und Briefe verbrannte und ihn ins Gefängnis warf. Von diesem Augenblick an hat Barbès aufgehört, einer der revolutionären Führer Frankreichs zu sein. Durch seine Sympathieerklärung für die französischen Waffen, gleich, aus welchem Grund und unter welchem Kommando sie auch eingesetzt werden mögen, hat er sich unweigerlich selbst mit den Moskowitern gleichgestellt, indem er deren Gleichgültigkeit gegenüber dem Ziel ihrer Feldzüge teilt. Barbès und Blanqui haben sich lange Zeit den Vorrang um die wirkliche Führung des revolutionären Frankreich streitig gemacht. Barbès hörte im Einvernehmen mit der Regierung niemals auf, Blanqui zu verleumden und zu verdächtigen. Die Tatsache seines Briefes und des Befehls von Bonaparte entscheidet die Frage, wer der Mann der Revolution ist und wer nicht.
http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_527.htm

Nun war Marx sonst nachsichtig mit allen Feinden des Zaren, hatte sich sogar mit dem britischen Reaktionär David Urquhart verständigt, aber in den Bund mit einem Bonaparte durfte der echte Revolutionär nicht treten.

Friedrich Engels ist in seinem Leitartikel für die Tribune vom Oktober 1854 über die Schlacht an der Alma, bei der die Allierten den Durchbruch nach Sewastopol geschafft hatten, ganz der unparteiische Militärsachverständige:

Fürst Menschikow hatte seine Stellung gut gewählt. Er scheint jedoch seine Kavallerie nicht so voll eingesetzt zu haben, wie er es hätte tun können. Warum stand auf dem linken Flügel keine Kavallerie, um Bosquets isolierte Brigade von den Felsen wieder hinunterzujagen, sobald sie sich zu formieren versuchte? Der Abbruch der Schlacht, das Zurückziehen der Truppen aus der Feuerzone, der Abtransport der Artillerie sowie der Rückzug überhaupt scheinen sehr rühmlich vor sich gegangen zu sein und gereichen Menschikow als Feldherrn mehr zur Ehre als den alliierten Generalen der Sieg...

Das Ergebnis der Schlacht, obwohl moralisch von großem Wert für die Alliierten, kann in der russischen Armee kaum starke Niedergeschlagenheit hervorrufen. Es ist ein Rückzug wie bei Lützen oder Bautzen; und wenn Menschikow es versteht, von seiner Flankenstellung bei Bachtschissarai aus die Alliierten hinter sich herzuziehen, so wie es Blücher vor der Schlacht an der Katzbach verstanden hat, dann werden sie noch erfahren, daß solche fruchtlosen Siege dem Gewinner keinen großen Nutzen bringen. Menschikow befindet sich noch in voller Stärke in ihrem Rücken, und bevor sie ihn nicht ein zweites Mal geschlagen und völlig vertrieben haben, wird er immer noch zu fürchten sein.

http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_531.htm

Obwohl die Allierten Truppen im Norden von Sewastopol gelandet waren, umgingen sie die starken Befestigungen im Norden der Stadt und schlossen sie von der Südseite her ein, wobei Sewastopol niemals vollständig eingeschlossen wurde.

Als die Belagerung beginnt, kritisiert Engels den großen Abstand der britischen Geschütze zu den russischen Befestigungen wie ein echter Sandkastenstratege:

Mangel an Energie und System, besonders beim Zusammenwirken der verschiedenen Ämter der britischen Land- und Seestreitkräfte, Geländeschwierigkeiten und vor allem der nicht totzukriegende Routinegeist, der den planenden und operativen Abteilungen der britischen Verwaltung anscheinend eigen ist, verzögerten den Beginn der eigentlichen Belagerung bis zum 9. Oktober. An diesem Tag endlich wurden die Gräben in der ungeheuren Entfernung von 1.500 bis 2.500 Yards vor den russischen Befestigungsanlagen eröffnet. Bei keiner früheren Belagerung hat man so etwas je erlebt. Das zeigt, daß die Russen noch immer das Gelände der Festung in einem Umkreis von mindestens einer Meile halten konnten, und sie behaupteten es wirklich bis zum 17. Oktober. Am Morgen dieses Tages waren die Belagerungsarbeiten so weit fortgeschritten, daß die Alliierten ihr Feuer eröffnen konnten. Wahrscheinlich hätte man damit noch ein paar Tage gewartet, da die Alliierten an dem Tage keineswegs in der Lage waren, dies mit Erfolg durchzuführen, wäre nicht die glorreiche Nachricht eingetroffen, daß ganz England und Frankreich voller Freude seien über die für den 25. Oktober vorausgesagte Eroberung von Sewastopol. Diese Nachricht erbitterte natürlich die Truppen, und man mußte das Feuer eröffnen, um sie zu beruhigen. Aber es stellte sich heraus, daß die Alliierten nur 126 Geschütze hatten gegenüber 200 bis 250 feindlichen.
http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_547.htm

Im folgenden Leitartikel vom Ende November ist dann doch einmal die Rede von der menschlichen Seite des Krieges, wenn auch nur in einem Halbsatz:

Durch die Ankunft der "Africa" erhielten wir Meldungen über drei weitere Tage in Europa, die jedoch nichts weiter Interessantes vom Kriegsschauplatz enthielten außer einer entsetzlichen Episode darüber, daß in einem Lazarett eine sehr große Anzahl von Kranken und Verwundeten bei lebendigem Leibe verbrannten, und Berichte von Leiden, die man nicht mit Worten zu schildern vermag. Über die blutige und unentschiedene Schlacht am 5. November, von der die "Baltic" eine kurze Mitteilung brachte, haben wir jetzt Lord Raglans knappen Bericht, doch noch nicht die üblichen umfangreichen und spannenden Schilderungen von Korrespondenten, die als Teilnehmer oder Zuschauer dort anwesend waren…
http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_555.htm

Am 14. November sollte ein Sturm noch das Schiff mit der gesamten Winterausrüstung der britischen Truppen versenken, was Engels aus einem anderen Blatt in seinem Dezember-Leitartikel zitiert:

Dieselbe Zeitung teilt uns auch mit, daß

"die 'Prince', ein großartiger neuer Schraubendampfer mit 2.700 Tonnen, neulich nach Balaklawa abfuhr. An Bord befand sich das 46. Regiment, die gesamte Winterkleidung für die Belagerungstruppen, darunter 40.000 Überröcke, Flanellanzüge, Unterwäsche, Socken und Handschuhe, Rindfleisch, Schweinefleisch und andere Lebensmittel, Krankenhausbedarf für Skutari und eine große Menge Kugeln und Granaten zur Fortsetzung der Belagerung. Das ist alles verlorengegangen. Die 'Resolute' mit 900 Tannen Schießpulver ist ebenfalls untergegangen. Folglich hat es den Anschein, als ob alle Materialien zur Fortsetzung der Belagerung und zum Schutz vor dem strengen Winter mit einem Schlag verlorengegangen sind; und selbst wenn wir gedenken, uns damit zufriedenzugeben, lediglich unsere Stellung auf den Höhen vor Sewastopol zu halten, ist es offensichtlich, daß wir nicht in der Lage sind, unserem schlimmsten Feind standzuhalten - dem kommenden Winter."

http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_569.htm

In einem Artikel für die „Neue Oder-Zeitung“ im Januar 1855 summiert Marx in wenigen Worten die Lage auf der Krim:

London, 3. Januar.

"Der Kaiser von Rußland", berichtet ein Korrespondent der "Times" aus dem Lager vor Sewastopol, "soll sich erboten haben, alles, was von unserer Armee bis Anfang Mai noch am Leben sein wird, auf einem einzigen Kriegsschiff nach England zurückzuspedieren."

Folgt dann eine graphische Beschreibung der Sterblichkeit, Not, Unordnung, Auflösung, die im englischen Lager herrschen…

http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_593.htm

Vor allem aber droht die Ernennung des Palmerston zum Premierminister:

Mit anderen Worten: macht Palmerston zum Premierminister. Er ist der offizielle Herkules, von dem die "Daily News" geträumt hat - derselbe Palmerston, den Lord Melbourne 1830 auf Vorschlag der russischen Prinzessin Lieven zum auswärtigen Minister ernannte; der eine britische Armee im Afghanenkriege 1851 in so rätselhafter Weise opferte, daß ihm Sir Robert Peel in öffentlicher Parlamentssitzung mit "Enthüllungen" drohte, wenn er ihn durch seine Renommistereien zu reizen fortfahre; derselbe Palmerston, der die 1839 von Frankreich vorgeschlagene und schon scheinbar ins Werk gesetzte Offensivallianz gegen Rußland so geschickt zu lenken verstand, daß sie an einem schönen Morgen des Jahres 1840 sich in eine englisch-russische Allianz gegen Frankreich verwandelt hatte. Obgleich Palmerston das einflußreichste Mitglied der gegenwärtigen Administration ist und in allen parlamentarischen Kreisen als deren Vorkämpfer auftritt und auftreten muß, bietet er fortwährend alle diplomatischen Künste in der Presse auf, um in gespanntem Gegensatz zu Aberdeen zu erscheinen und so seine Popularität aus dem etwaigen Schiffbruch der Koalition zu retten.
http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_593.htm

Man kann David Urquhart ja noch verstehen, der durch Palmerston zweimal seine Position in Konstantinopel verloren hatte. Aber Marx? Anders, als dass man ihn für solche Verdächtigungen gegen den Lord Palmerston honoriert hat, lässt sich das gar nicht erklären. Palmerston hatte natürlich einflussreiche Feinde und womöglich litt selbst Urquhart nicht so sehr unter persönlich begründetem Hass auf Palmerston, wie unter den Bedingungen seiner Geldgeber.

Der nächste Bericht von den Machenschaften des Palmerston folgt in der Tribune vom 17. Februar 1855:

Und dieser unbeständigste aller englischen Staatsmänner, der niemals weder eine Verhandlung noch eine Bill im Parlament zu einem befriedigenden Resultat führen konnte, dieser Politiker, der sich nur zum Zeitvertreib betätigt und dessen Maßnahmen immer damit enden, daß man sie sanft einschlafen läßt - dieser selbe Palmerston wurde zum einzigen Mann ausposaunt, auf den sein Land sich in schwierigen Fällen verlassen könne. In Wahrheit trug er selbst ein gut Teil zu dieser marktschreierischen Reklame bei. Nicht zufrieden damit, Mitbesitzer der "Morning Post" zu sein, wo er tagtäglich als der künftige Retter seines Landes gepriesen wurde, mietete er auch noch Gesellen wie den Chevalier Wikoff, die seinen Ruhm in Frankreich und Amerika verbreiten mußten, bestach er vor einigen Monaten die "Daily News", indem er ihr telegraphische Depeschen übermittelte und sonstige nützliche Winke gab, und hatte seine Hand in der Leitung fast jedes Londoner Blattes. Die schlechte Führung des Krieges führte jene schwierige Lage herbei, in der er auf den Ruinen der Koalition groß, unerreicht und unerreichbar sich zu erheben beabsichtigte. In diesem entscheidenden Moment verschaffte er sich die rückhaltlose Unterstützung der "Times". Wie er das zuwege brachte, welchen Vertrag er mit Herrn Delane abschloß, können wir natürlich nicht sagen. Aber am Tage nach der Abstimmung rief die ganze Londoner Tagespresse, mit der einzigen Ausnahme des "Herald", einstimmig nach Palmerston als Premier; und wir nehmen an, er dachte, jetzt das Ziel seiner Wünsche erreicht zu haben. Zum Unglück hat die Königin von dem wahrhaft englischen Minister zu viel gesehen und wird ihm nicht nachgeben, wenn sie es verhindern kann.
Karl Marx

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_033.htm

Da schafft es der Lord Palmerston mit finsteren Machenschaften fast die gesamte Presse hinter sich zu bringen und wir fragen uns, welche Machenschaften den Karl Marx befähigen, sich gegen Palmerston in einer der einflussreichsten Zeitungen der USA betätigen zu können, denn sicher geht es in der Presse so zu, wie es der große Meister Marx beschreibt, solange von Lord Palmerston und nicht von Marx und seinen Artikeln die Rede ist.

Sollte etwa die britische Krone versucht haben, Lord Palmerston als Premier zu verhindern? Mit David Urquhart, dem ehemaligen Protegé des Königs Wilhelm IV., und Karl Marx im Bunde? Auch die Gegnerschaft zum Franzosenkaiser Napoleon III. könnte auf die Krone deuten.

Auch als Innenminister behielt Palmerston großen Einfluss auf die britische Außenpolitik und setzte sich vor allem für einen Eintritt des Landes in den Krimkrieg ein. Als 1855 über diese Frage die Regierung Aberdeen stürzte, übernahm Palmerston die Bildung eines neuen Kabinetts, in dem er selbst Premierminister war. Unmittelbar auf den Krimkrieg folgte der Indische Aufstand. Nach dem Attentat auf Napoléon III. durch Felice Orsini versuchte Palmerston ein Gesetz durchzusetzen, das verhindern sollte, dass in England Attentate im Ausland vorbereitet würden. Da das Parlament diese Vorlage als zu Napoleon-freundlich ablehnte, stürzte die Regierung Palmerston am 20. Februar 1858. Trotzdem trat er schon 1859 nach der Ablehnung von Lord Derbys Reformgesetz zum zweiten mal an die Spitze der Regierung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Henry_John_Temple,_3._Viscount_Palmerston

Die ständigen Vorwürfe von Urquhart und Marx gegen Palmerston, er würde im Bunde mit dem Zaren stehen, sind ja unverständlich, wenn sie auch damals sehr wirkungsvoll gewesen sein mögen, um Propaganda gegen ihn zu betreiben. Das Interesse der britischen Krone würde die Politik gegen den Zaren, gegen Palmerston, gegen Napoleon und selbstverständlich gegen Mazzini und Kossuth auf einen gemeinsamen Nenner stellen – wie man so sagt.

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Im Leitartikel zum 26. Februar 1855 in der Tribune berichtet Engels von der Lage auf der Krim:

Die britische Streitkraft, so informiert man uns jetzt, hat aufgehört als Armee zu bestehen. Von 54.000 sind noch einige wenige tausend Mann unter Waffen, und selbst sie werden nur deshalb als "dienstfähig" aufgeführt, weil in den Hospitälern kein Raum für sie zum Sterben vorhanden ist. Von den Franzosen mögen jetzt noch einige 50.000 von der doppelten Anzahl unter Waffen stehen. Auf alle Fälle haben sie es fertiggebracht, im Verhältnis zu den Briten mindestens fünfmal soviel Soldaten in einem kampffähigen Zustand zu halten. Was aber sind schon fünfzig- oder sechzigtausend Mann, um den Herakleatischen Chersones den Winter über zu halten, Sewastopol auf der Südseite zu blockieren, die Laufgräben zu verteidigen und - mit dem, was von ihnen noch übriggeblieben sein mag - im Frühling die Offensive zu ergreifen?

Einstweilen haben die Briten aufgehört, Verstärkungen zu schicken. Tatsächlich scheint Raglan, der seine Armee aufgegeben hat, auch keine zu wünschen, da er nicht weiß, wie er selbst den ihm verbliebenen Rest verpflegen, unterbringen und beschäftigen soll. Die Franzosen mögen neue Divisionen für Verschiffung im März bereithalten, aber sie haben hinreichend zu tun, um im Falle einer großen Frühlingskampagne auf dem Kontinent gerüstet zu sein. Übrigens stehen zehn Chancen gegen eine, daß das, was sie schicken, entweder zu schwach sein oder zu spät anlangen wird. Diesem Umstand abzuhelfen, wurden zwei Schritte unternommen, und beide zeugen von der völligen Hilflosigkeit der Alliierten, das Verhängnis abzuwenden, das langsam, aber unausweichlich auf ihre Armeen auf der Krim zukommt. Erstens, um den kolossalen Fehler, diese Expedition vier Monate zu spät unternommen zu haben, wiedergutzumachen, begehen sie den unvergleichlich größeren Fehler, vier Monate nach ihrem eigenen Eintreffen, im tiefsten Winter den einzigen Überrest einer anständigen Armee, den die Türkei noch besitzt, nach der Krim zu senden. Diese Armee, schon ruiniert und in der Auflösung begriffen zu Schumla infolge der Nachlässigkeit, Unfähigkeit und Korruption der türkischen Regierung, wird, einmal auf der Krim gelandet, durch Kälte und Hunger in einem Verhältnis zusammenschmelzen, das selbst die Leistungen des englischen Kriegsministeriums auf diesem Gebiet verblassen läßt…

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_050.htm

Das italienische Königreich Sardinien-Piemont sandte Soldaten auf die Krim, um später als Gegenleistung die Unterstützung Englands und Frankreichs bei der Einigung Italiens zu erhalten.

Alsdann haben die Alliierten 15.000-20.000 Piemontesen in ihren Sold genommen - nur so kann man das ausdrücken -, die die dünnen Reihen der britischen Armee auffüllen und von dem britischen Kommissariat genährt werden sollen. Die Piemontesen haben sich als tapfere und gute Soldaten während 1848 und 1849 gezeigt. Meist Gebirgsbewohner, besitzen sie eine Infanterie, die für das Plänkeln und Fechten auf durchbrochenem Grunde sogar in einem höheren Grade als die der Franzosen geeignet ist, während die Ebenen des Po eine Kavallerie liefern, deren hochgewachsene, wohlproportionierte Gestalten einen an die Eliteregimenter der britischen Horse Guards erinnern.
(ebenda)

Im Leitartikel vom 24. März 1855 meldet Marx mit einem Satz den Tod des Zaren Nikolaus I.:

Der Tod des Zaren und die Wirkung dieses Ereignisses auf die schwebenden Verwicklungen dürfte unstreitig der interessanteste Teil der Nachrichten aus Europa sein, die uns die "Atlantic" brachte. Indessen, so wichtig auch die Kunde über dieses Thema oder über andere kontinentale Angelegenheiten ist, so kann sie in ihrem Interesse für den aufmerksamen Beobachter wohl kaum die fortlaufenden Anzeichen und Entwicklungen jener folgenschweren politischen Krise übertreffen…
http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_100.htm

Es gab außerdem wieder Absatzprobleme für die englischen Fabriken und Händler und Marx fabuliert wieder von der großen Revolution:

In wenigen Monaten wird die Krise an einem Höhepunkt angelangt sein, den sie in England seit 1846, vielleicht seit 1842 nicht mehr erreicht hat. Wenn die Arbeiterklasse beginnt, ihre Auswirkungen in vollem Umfange zu spüren, dann wird jene politische Bewegung von neuem beginnen, die sechs Jahre lang schlummerte. Dann werden sich die Arbeitsmänner Englands wieder erheben und die Bourgeoisie gerade zu der Zeit bedrohen, da sie endgültig die Aristokratie von der Macht vertreibt. Dann wird die Maske, die bisher die wirklichen Züge der politischen Physiognomie Großbritanniens verbarg, heruntergerissen werden und die beiden wirklich kämpfenden Parteien in diesem Lande sich Auge in Auge gegenübertreten - die Mittelklasse und die Arbeiterklasse, die Bourgeoisie und das Proletariat, und England wird dann endlich gezwungen sein, an den allgemeinen sozialen Entwicklungen der europäischen Gesellschaft teilzunehmen. Als England das Bündnis mit Frankreich einging, gab es endgültig jene isolierte Stellung auf, die seine insulare Lage geschaffen hatte, die jedoch der Welthandel und die wachsenden Verkehrsmöglichkeiten schon seit langem unterminierten. Von nun an wird England wohl kaum umhin können, die großen inneren Bewegungen der anderen europäischen Nationen durchzumachen.
http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_100.htm

Nun kann man sich streiten, ob die Tribune diesen Marx trotz oder wegen solcher in kurzer Zeit widerlegter Prognosen abgedruckt habe. Marx musste selbstverständlich dauernd als Revolutionär schreiben und die ständige Ankündigung der großen Revolution mit der nächsten „unvermeidbaren“(!) Krise des Kapitalismus kennen wir von den Marxisten seit Marx wenigstens alle zehn Jahre. Das brauchen die Kapitalisten nicht zu fürchten, im Gegenteil, es macht alle Hoffnungen und Erwartungen ihrer Kritiker nur unglaubwürdig und lächerlich.

Während auf der Krim sich die Belagerung hinzieht, schreibt Friedrich Engels für die „Neue Oder-Zeitung“ einen Grundsatzartikel über den Panslawismus:

Es wird aus bester Quelle versichert, daß der jetzige Kaiser von Rußland gewissen Höfen eine Depesche hat zukommen lassen, worin es u.a. lautet:

"Den Augenblick, wo Österreich sich unwiderruflich mit dem Westen alliiere oder irgendeinen offen feindlichen Akt gegen Rußland begehe, werde Alexander II. sich selbst an die Spitze der panslawistischen Bewegung stellen und seinen jetzigen Titel: Kaiser aller Reußen in den eines Kaisers aller Slawen verwandeln" (?).

Diese Erklärung Alexanders, wenn authentisch, ist das erste gerade Wort seit Beginn des Krieges. Es ist der erste Schritt, dem Kriege den europäischen Charakter zu geben, der bisher hinter allen Arten von Vorwänden und Vorgeben, Protokollen und Verträgen lauerte… Die slawische Race, lang geteilt durch innere Zwiste, nach dem Osten zurückgetrieben durch die Deutschen, unterjocht, zum Teil von Deutschen, Türken und Ungarn, still ihre Zweige wiedervereinend, nach 1815, durch das allmähliche Wachstum des Panslawismus, sie versichert nun zum erstenmal ihre Einheit und erklärt damit Krieg auf den Tod den römisch-keltischen und deutschen Racen, die bisher in Europa geherrscht haben. Panslawismus ist eine Bewegung nicht nur für nationale Unabhängigkeit; er ist eine Bewegung, die ungeschehen zu machen strebt, was eine Geschichte von tausend Jahren geschaffen hat, die sich nicht verwirklichen kann, ohne die Türkei, Ungarn und eine Hälfte Deutschlands von der Karte von Europa wegzufegen, die, sollte sie dies Resultat erreichen, seine Dauer nicht sichern kann außer durch die Unterjochung Europas. Panslawismus hat sich jetzt umgewandelt aus einem Glaubensbekenntnis in ein politisches Programm, mit 800.000 Bajonetten zu seiner Verfügung. Er läßt Europa nur eine Alternative: Unterjochung durch die Slawen oder Zerstörung für immer des Zentrums ihrer Offensivkraft - Rußlands.

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_193.htm

Von Marx findet man in der „Neue Oder-Zeitung“ vom Juni 1855 eine ganz nette politische Beschreibung des David Urquhart:

Neben den ganz- und halboffiziellen Parteien, wie neben den Chartisten, macht sich in England noch eine Clique von "Weisen" bemerkbar, ebenso unzufrieden mit der Regierung und den herrschenden Klassen wie mit den Chartisten. Was wollen die Chartisten? rufen sie aus. Die parlamentarische Allmacht erhöhen und erweitern, indem sie sie zur Volksmacht erheben. Sie brechen nicht den Parlamentarismus, sie erheben ihn zu einer höhern Potenz. Das Wahre ist, das Repräsentativwesen zu brechen! Ein Weiser aus dem Morgenlande, David Urquhart, steht an der Spitze dieser Clique. David will zum Common Law (gemeinen Recht) von England zurückkehren. Er will das Statute Law (das geschriebene Gesetz) in seine Grenzen zurückweisen. Er will lokalisieren, statt zu zentralisieren. Er will "die alten echten Rechtsquellen angelsächsischer Zeit" aus dem Schutt wieder hervorgraben. Dann werden sie von selbst springen und das umliegende Land bewässern und befruchten. Aber David ist wenigstens konsequent. David will auch die moderne Teilung der Arbeit und die Konzentration des Kapitals auf den alten angelsächsischen oder noch lieber orientalischen Stand zurückführen. Geborner Hochschotte, adoptierter Tscherkesse und Türke aus freier Wahl, ist er fähig, die Zivilisation mit allen ihren Geschwüren zu verurteilen und von Zeit zu Zeit selbst zu beurteilen. Aber er ist nicht fade wie die Sublimen, die die modernen Staatsformen von der modernen Gesellschaft trennen, die von lokaler Selbständigkeit fabeln, zusammen mit Konzentration der Kapitalien, von individueller Einzigkeit zusammen mit anti-individualisierender Teilung der Arbeit. David ist ein rückwärts gewandter Prophet, antiquarisch verzückt im Hinblick von Alt-England. Er muß es daher in der Ordnung finden, daß Neu-England vorübergeht und ihn stehenläßt, wie dringend überzeugt er auch rufen mag: "David Urquhart ist der einzige Mann, der euch retten kann!" So noch vor einigen Tagen auf einem Meeting in Stafford.
http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_266.htm

In seiner Einstellung zur Bourgeoisie war Urquhart sogar sehr einsichtig: vor der industriellen Revolution sei das Volk besser genährt und besser gekleidet gewesen. Leider hat ihm Marx genau in dem Punkt nicht folgen wollen und immer die Interessen der Bourgeoisie als identisch mit dem Fortschritt der Gesellschaft gepriesen, der zuletzt und erst nach der Verelendung des Proletariats in der unvermeidbaren Krise des Kapitalismus dann endlich zum Sozialismus führen werde. Ein dorniger Weg für Revolutionäre.

Am 20. Juli schreibt Friedrich Engels einen Leitartikel für die New-York Daily Tribune über die „Perspektiven des Krieges“, in dem er wieder völlig falsche Vorhersagen macht.

Die Einnahme der Südseite von Sewastopol für dieses Jahr ist eine Vorstellung, die jetzt selbst von der englischen Presse aufgegeben wurde. Ihnen ist nur die Hoffnung geblieben, die Stadt Stück für Stück niederzuwerfen, und wenn sie es durchsetzen, mit derselben Eile vorzugehen wie bisher, wird die Belagerung in ihrer Dauer die von Troja erreichen. Es ist durchaus kein Grund für den Glauben vorhanden, daß sie ihr Werk in beschleunigter Geschwindigkeit vollbringen werden, denn wir sind jetzt so gut wie offiziell unterrichtet, daß das bisher befolgte fehlerhafte System hartnäckig fortgesetzt werden soll. Der Krim-Korrespondent des Pariser "Constitutionnel", ein Mann von hohem Rang in der französischen Armee - man glaubt, daß es General Regnault deSaint-Jean-d'Angely, Kommandant der Garden ist -, hat klar ausgesprochen, das Publikum könne sich die Mühe sparen, sich in Spekulationen über eine Kampagne im freien Feld und die eventuelle Einschließung der Nordseite von Sewastopol zu ergehen. Unter den gegenwärtigen Umständen, sagt er, könne das nicht geschehen ohne Aufhebung der Belagerung und ohne Überlassung des ganzen Plateaus an die Russen. Es sei daher entschieden worden, so hart als möglich auf die einmal angegriffene Position loszuhämmern, bis zu ihrer völligen Zerstörung. Nun, auf die Ankündigungen dieses Briefes kann man sich stützen, da jeder Grund vorhanden ist, zu glauben, nicht nur, daß der französische Kaiser sie billigt, sondern selbst, daß er jeden Bericht aus dieser Quelle vor dem Drucke revidiert. Dabei ist Regnault einer seiner speziellen Günstlinge.
http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_368.htm

Nur die zitierte Information des Korrespondenten der Pariser Zeitung ist zutreffend; die umfangreichen Spekulationen von Engels habe ich dem Leser jetzt erspart.

Es gibt jedoch eine Chance, daß etwas Entscheidendes eintritt. Wenn es die Russen fertigbringen könnten, außer den schon herangebrachten Truppen noch weitere 50.000 Mann heranzubringen, um so ihrer Armee ein unumstößliches Übergewicht zu sichern, könnten sie den Alliierten ernste Niederlagen beibringen und sie so zwingen, sich wieder einzuschiffen. Um diese Möglichkeit zu beurteilen, müssen wir die Kräfte betrachten, die die Russen an ihrer ganzen ausgedehnten Grenze unter Waffen halten…
(ebenda)

Schade um das Papier. Die Überlegungen des „Generals“ werden von der Realität immer schnell eingeholt, da hätte man ja auch jeden anderen Phantasten in der Tribune publizieren lassen können.

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Im August berichtet Marx in der „Neuen Oder-Zeitung“ vom großen Polen-Meeting in London und weiht den Leser in die Hintergründe des politischen Geschäfts im Exil in England ein. Was man ja nicht oft genug zur Lehre für angehende Revolutionäre in den Blick rücken könnte; leider liegt genau dieses nicht im Interesse der üblichen Vordenker des Marxismus heute, da gibt es dann eher wieder eine Runde „Wertformanalyse“ zur Schulung der Anhänger:

London, 13. August. Die wiederholten ärgerlichen Ausfälle der Regierungsblätter auf das große Polenmeeting, das vergangenen Mittwoch in St. Martins Hall abgehalten wurde, machen einige Randglossen nötig. Die Initiative des Meetings ging offenbar vom Ministerium selbst aus. Vorgeschoben war die "Literarische Gesellschaft der Freunde Polens", eine Gesellschaft, gebildet aus Anhängern Czartoryskis einerseits und der polenfreundlichen englischen Aristokratie andererseits. Seit ihrem Entstehen war diese Gesellschaft ein blindes Werkzeug in der Hand Palmerstons, der sie vermittelst des kürzlich verstorbenen Lord Dudley Stuart handhabte und kontrollierte. Die Polenadressen und Deputationen, die sie jährlich Palmerston zusandte, waren eins der großen Mittel, seinen "antirussischen" Ruf am Leben zu erhalten. Die Anhänger Czartoryskis zogen ihrerseits aus dieser Verbindung wichtige Vorteile: Als die einzig respektablen, sozusagen "offiziellen" Repräsentanten der polnischen Auswanderung zu figurieren, die demokratische Partei der Emigration niederzuhalten und über die bedeutenden materiellen Hilfsmittel der Gesellschaft als Werbegelder für ihre eigne Partei zu verfügen. Heftig und langwährend ist der Zwist zwischen der Literarischen Gesellschaft und der "Zentralisation" der demokratischen Polengesellschaft. Im Jahre 1839 hielt letztere ein großes öffentliches Meeting zu London, worin sie die Intrigen der "Literarischen" Gesellschaft enthüllte, daß die historische Vergangenheit der Czartoryskis entrollte (dies geschah von Ostrowski, Verfasser einer englisch geschriebenen Geschichte Polens) und ihren Gegensatz zu den diplomatisch-aristokratischen "Wiederherstellern" Polens laut kundgab. Von diesem Augenblicke war die usurpierte Stellung der "Literarischen" Gesellschaft erschüttert. Im Vorbeigehen sei noch bemerkt, daß die Ereignisse der Jahre 1846 und 1848/1849 ein drittes Element der Polenemigration hinzufügten, eine sozialistische Fraktion, die indes mit der demokratischen gemeinschaftlich der Czartoryski-Partei entgegenwirkt.

Der Zweck des von der Regierung veranlaßten Meetings war ein dreifacher: Bildung einer Polenlegion, um sich in der Krim eines Teils des "polnischen Auslandes" zu entledigen; Wiederauffrischung von Palmerstons Popularität; endlich Überlieferung jeder etwaigen Polenbewegung in seine und Bonapartes Hände. Die Regierungsblätter behaupten, eine tiefgelegte Konspiration, von russischen Agenten ausgehend, habe den Zweck des Meetings vereitelt. Nichts lächerlicher als diese Behauptung. Die Mehrzahl der Audienz in St. Martins Hall bestand aus Londoner Chartisten. Das regierungsfeindliche Amendement (1) wurde von einem Urquhartisten gestellt und von einem Urquhartisten unterstützt - von Collett und Hart. Die im Saale verteilten Druckzettel des Inhalts:

"Das Meeting sei von englischen Aristokraten berufen, die nur das alte britische Regierungssystem zu halten strebten usw.", "Polen verdamme jede Allianz mit den jetzigen Machthabern Europas, wolle von keiner der bestehenden Regierungen hergestellt sein, nicht zum Werkzeug diplomatischer Intrigen herabsinken usw."

Diese Druckzettel waren unterzeichnet vom Präsidenten und Sekretär des "polnisch-demokratischen Komitees". Bedenkt man nun, daß zu London Chartisten, Urquhartisten und die eigentlich "demokratisch"-polnische Emigration, alle drei zueinander in nicht weniger als freundschaftlichen Beziehungen stehen, so fällt jeder Verdacht einer "Verschwörung" weg.

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_486.htm

Ja - so geht es zu in der Politik und mit Karl Marx und Friedrich Engels haben wir einen organisierter Teil dieser Konspirationen mit den zu erwartenden Urquhartisten und Chartisten im Bunde. Die „Neue Oder-Zeitung“ zielte wohl auf polnische Leser und daher war das Thema interessant und wer es wie darstellen würde.

Nach fast einjähriger Belagerung gelang am 8. September 1855 nach dreitägigem schwerem Kanonenbeschuss und einem Sturmangriff von fünf französischen und britischen Divisionen auf verschiedene Teile des Verteidigungsgürtels die Einnahme der strategisch wichtigen Bastion am Malachowturm. Fürst Michael Gortschakow gab daraufhin den Befehl zur Räumung von Sewastopol und in der Nacht zum 9. September zogen die 40.000 russischen Soldaten über eine vorbereitete Brücke über die Bucht nach Norden ab und die Festungsanlagen wurden von Pionieren gesprengt.

Fast 160.000 Soldaten waren auf beiden Seiten gefallen, mehr als die Hälfte davon durch Kälte, Mangelernährung, schlechtes Trinkwasser und die Zustände in den Lazaretten bedingt an Ruhr, Cholera und anderen Krankheiten gestorben.

Friedrich Engels berichtet für die „Neue Oder-Zeitung“ vom 14. September 1855:

London, 11. September. Die Kanonen des James' Parks und des Towers kündigten London gestern abend 9 Uhr den Fall der Südseite von Sewastopol an. In den Lyceum-, Haymarket-, Adelphi-Theatern hatten die Schauspieldirektoren endlich die Genugtuung, die Hurras, die "God save the Queen" und die "Partant pour la Syrie" auf offizielle Depeschen statt wie bisher auf falsche Vorwände hin herauszufordern.

Der Krimfeldzug hat endlich seinen Wendepunkt erreicht. Seit ungefähr einer Woche gaben die russischen Telegraphen zu, daß das alliierte Feuer den Linien von Sewastopol beträchtlichen Schaden zugefügt habe und daß der Schaden "soviel als möglich", also nicht völlig, ausgeglichen sei. Wir erfuhren dann gestern, daß Sonnabend, den 8. September, um Nachmittag die Alliierten 4 Bastionen gestürmt hätten, vor einem derselben geschlagen wurden, zwei wegnahmen, eins davon wieder räumen mußten, schließlich aber das vierte und wichtigste behaupteten, den Malachowturm (Kornilow-Bastion), dessen Verlust die Russen zur Zerstörung und Räumung der Südseite zwang.



Die Einnahme des Malachow-Hügels bildete sofort den Wendepunkt der Belagerung. Der Malachow kommandiert vollständig die Karabelnaja und den östlichen Abhang des Hügels, worauf die Stadt Sewastopol erbaut ist. Er nimmt in den Rücken die Seeforts auf der südlichen Seite des Hafens und macht den ganzen innern Hafen und den größeren Teil des äußeren Hafens unhaltbar für die russischen Kriegsschiffe.

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_525.htm

Die Meisterleistung des ungestörten, sofortigen Rückzugs der russischen Truppen aus dem gesamten Festungswerk mag Engels nicht anerkennen. In seinem Leitartikel für die Tribune vom 1. Oktober 1855 heißt es:

Es gibt nur zwei mögliche Erklärungen. Entweder war die morale der russischen Soldaten so sehr zerrüttet, daß es unmöglich gewesen wäre, sie hinter der inneren Verteidigungslinie einigermaßen geordnet wieder zu sammeln, um den Kampf weiterzuführen, oder der Mangel an Proviant begann nicht nur in Sewastopol, sondern auch draußen im Lager sich empfindlich bemerkbar zu machen. Die fast ununterbrochene Reihe von Niederlagen, die der russischen Armee beigebracht wurden - von Oltenitza und Cetate bis zur Schlacht an der Tschornaja und dem Sturm vom 8. September -, muß sicherlich den Mut der Verteidiger von Sewastopol völlig gebrochen haben, um so mehr, da sich diese hauptsächlich aus den gleichen Truppen zusammensetzten, die an der Donau und später bei Inkerman geschlagen worden waren. Die Russen haben ein ziemlich träges Empfinden im Ertragen von Widerwärtigkeiten und Gefahren und können länger als die meisten anderen Truppen Niederlagen ertragen; aber keine Armee in der Welt kann bis in die Ewigkeit zusammenhalten, wenn sie von jedem Feind, auf den sie stößt, geschlagen wird, und wenn sie einer langen Kette von Niederlagen nichts anderes entgegenzustellen hat als die negative Genugtuung ihres hartnäckigen und langen Widerstandes und ein einziges Beispiel erfolgreicher, aktiver Verteidigung wie die vom 18. Juni. Aber ein solcher Widerstand in einer belagerten Festung hat auf die Dauer schon von selbst eine demoralisierende Wirkung.
http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_530.htm

So kann einer nur schreiben, wenn er entweder von militärischen Fragen wirklich keine Ahnung hat oder einfach speziell dafür angeheuert ist, die russische Seite in der Presse anzuschmieren.

Ziemlich gegenstandslos ist auch die Erörterung der Lage Russlands für die „Neue Oder-Zeitung“ von Engels:

Die Reise des Kaisers von Rußland nach Odessa; die Übersiedelung seiner Gemahlin von Petersburg nach dem Herzen des heiligen Rußland, nach Moskau; die Zurücklassung Konstantins, des kriegerischsten seiner Brüder, am Sitz der Regierung; alle die Umstände gelten als so viel Beweise, daß Rußland zum äußersten Widerstand entschlossen ist. Nikolajew und Cherson, die zwei meist befestigten Punkte Südrußlands, bilden jetzt das Zentrum einer Reservearmee, die in diesem Augenblicke in den Gouvernements von Taurien und Cherson zusammengezogen wird. Neben den Armeereserven (Mannschaften, den 5., 6., 7. und 8. Bataillons angehörig), deren Anzahl unbestimmbar, sollen 40.000 Milizen in Nikolajew konzentriert sein, während sich zu Odessa ungefähr 25.000 Mann befinden. Es ist unmöglich, die Richtigkeit dieser Angaben zu prüfen. Soviel ist sicher: beträchtliche Streitkräfte konzentrieren sich in Südrußland.

Der strategische Plan Rußlands zieht nicht nur den Verlust der Krim in Erwägung, sondern selbst einen feindlichen Einfall in Südrußland…

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_542.htm

Der Wintereinbruch stand bevor, das hätte Engels auch in England am Kalender ablesen können. Die Allierten hatten ihr teuer genug erkauftes Ziel erreicht, mit der Einnahme von Sewastopol einen Sieg über den Zaren zu erringen, und vor allem stand die Lage der Türken im Osten sehr schlecht; bald sollte noch die belagerte Festung Kars vor den Russen kapitulieren.

Die kaukasische Armee des Zaren hatte im Sommer 1855 die armenischen Gebiete der Türkei erobert, wo sie von der Bevölkerung begeistert empfangen wurde, und danach die Festung Kars eingeschlossen. Die 30.000 von dem britischen Oberst Williams befehligten türkischen Soldaten in Kars mussten am 29. November vor den 40.000 Mann des russischen Generals Murawjew kapitulieren, weil ihnen die Lebensmittel ausgegangen und die Cholera ausgebrochen war.

Dadurch konnte Russland trotz der Niederlage von Sewastopol aus einer wieder gestärkten Position heraus die Friedensverhandlungen führen, die über den Winter ohne weitere wichtige Ereignisse bis ins Frühjahr 1856 dauerten.

Am 30. März 1856 beendete der Dritte Pariser Frieden den Krimkrieg. Die Unabhängigkeit der Türkei wurde von allen Unterzeichnern garantiert und das Schwarze Meer für neutral erklärt: alle Nationen durften Handelsschiffe entsenden, aber keine Kriegsschiffe, und Russland durfte keine Festungen an der Schwarzmeerküste bauen.

Mit der Einnahme von Sewastopol enden auch die bisher umfangreichen Korrespondenzen von Marx und Engels in der New-York Daily Tribune und für die „Neue Oder-Zeitung“. Im Oktober, November und Dezember 1855 findet sich jeweils nur eine Korrespondenz in der Tribune.

http://www.mlwerke.de/me/me_ak55.htm

Auch im folgenden Jahr werden die Artikel und Korrespondenzen rar:

http://www.mlwerke.de/me/me_ak56.htm

Man könnte hier glauben, außer Kriegsberichtserstattung hätten die beiden Autoren kein Thema gewusst oder zumindest war dann niemand interessiert, es ihnen abzudrucken.

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Im April 1856 kann Marx etwas im „The People's Paper" der Chartisten zur Kapitulation der Festung Kars schreiben:

Der Fall von Kars ist der Wendepunkt in der Geschichte des Scheinkrieges gegen Rußland. Ohne den Fall von Kars keine fünf Punkte, keine Konferenzen, kein Vertrag von Paris, mit einem Worte, kein Scheinfrieden. Denn, wenn wir aus den Blaubüchern der Regierung selbst beweisen können - und seien sie auch noch so sorgfältig zusammengebraut, durch Auszüge verstümmelt, durch Weglassungen verunstaltet und durch Fälschungen gefärbt und geflickt -, daß das Kabinett Lord Palmerstons den Fall von Kars von Anfang an geplant und bis ans Ende systematisch durchgeführt hat, dann lüftet sich der Schleier, und das Drama des Orientkrieges mit all seinen staunenerregenden Zwischenfällen löst sich aus den Nebeln, in die es bis jetzt diplomatisch eingehüllt war.http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_601.htm

Seine Werttheorie ist ein Nichts, aber seine Verschwörungstheorien gegen den alten Lord Palmerston sind immer wieder ein Kunstwerk:

Gegen Ende Mai 1855 berichtet General Williams Lord Redcliffe, der wiederum an Lord Clarendon berichtet, daß

"bei Gumry eine starke Streitmacht, bestehend aus 28.000 Mann Infanterie, 7.500 Mann Kavallerie und 64 Geschützen der Artillerie, zusammengezogen sei, und daß der Muschir die Nachricht erhalten habe von der Absicht des Feindes, Kars zu attackieren. In diesem befestigten Lager haben wir 13.900 Mann Infanterie, 1.500 Mann Kavallerie und 42 Feldgeschütze."

Sieben Tage später, am 3. Juni, meldet Williams an Clarendon:

"Ich habe jetzt noch für vier Monate Proviant in der Garnison Kars, und ich hoffe zuversichtlich, daß die Zentralregierung und die Alliierten diesem Überbleibsel einer Armee bald beweisen werden, daß es nicht ganz von ihnen vergessen ist."

Diese Depesche (siehe die Akten von Kars, Nr. 231) wurde am 25. Juni in der Downing Street empfangen. Die britische Regierung erfuhr also an diesem Tage, daß Kars am 3. Oktober fallen mußte, wenn es keine Hilfe erhielt, darauf baute sie nun ihre weiteren Operationen auf…

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_601.htm

Den Rest der spannenden Verschwörungsgeschichte lese man bei Bedarf selbst und ziehe die naheliegenden Schlüsse.

Die Beziehung von Marx zu David Urquhart war mit dem Krimkrieg nicht zu Ende und David Urquhart sollte noch 1860 ein einflussreicher Mann sein, als in Berlin die Herausgabe einer Zeitung durch den Urquhart-Anhänger Eduard Fischel geplant war. Der Rechtsanwalt Fischel war in Berlin Assessor am Stadtgericht und Publizist für Urquhart und bat Marx in einem Brief vom 30. Mai 1860 um Mitarbeit an dieser „Deutschen Zeitung“, für die nach Angaben von Marx reichliche finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Der Eduard Fischel soll nach Mehring zur „literarischen Leibgarde des Herzogs von Coburg“ gehört haben, die einen übelsten Ruf genoss, und sein früher Tod muss nicht unbedingt ein Unfall gewesen sein.

Fischel, Eduard, Publizist, geb. 1826 zu Danzig, studierte Jurisprudenz und war seit 1858 Assessor beim Stadtgericht in Berlin. Zugleich als politischer Schriftsteller thätig, erregte er besonders Aufsehen durch die vom Herzog von Koburg angeregte Schrift "Despoten als Revolutionäre" (Berl. 1859), welche vielfach dem Herzog von Koburg selbst beigelegt wurde und in England eine Gegenschrift von Ismael hervorrief, hinter dem man einen der Publizisten Palmerstons vermutete. Durch scharfe Polemik gegen die Politik Napoleons III. zeichnete sich seine Schrift "Gallischer Judaskuß" (Antwort auf Edmond Abouts Schrift "Preußen im Jahr 1860") aus. Daneben beleuchtete F. in "Preußens Aufgabe in Deutschland" (Berl. 1859) und "Männer und Maßregeln" (das. 1861) die innern Zustände Preußens und wies auf die Notwendigkeit und die Wege einer Selbstregierung hin. Diesen und andern Flugschriften folgte ein größeres Werk: "Die Verfassung Englands" (Berl. 1862, 2. Aufl. 1864), das, obschon nicht durchaus richtig und zuverlässig, durch klare und geistvolle Darstellung fesselt. Zu weiterer Verfolgung seiner Arbeiten ging F. nach Paris, ward aber bald nach seiner Ankunft 9. Juli 1863 überfahren und getötet.
http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=105741

Also auch ein Gegner des Lord Palmerston und des Napoleon III. und ein Mitstreiter des David Urquhart wie Marx und Engels. Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha - Eduard Fischel war zeitweise dessen Sekretär und verfasste mehrere Schriften mit dem und für den Herzog – förderte Ende der 1850er und in den 1860er Jahren die liberale Einigungsbewegung in Deutschland.

Da dieser Gothaer zur englischen Dynastie gehört, die Urquhart gegen Palmerston und die Ministerusurpation überhaupt verwendet, … so konnte ihm nichts gelegner sein, als unter dessen Namen in Deutschland gegen Rußland u. Palmerston opponiren zu lassen. Fischel`s Broschüre „Despoten als Revolutionäre“ wurde daher ins Englische übersetzt als „The Duke of Coburg`s Pamphlet“ u. erschien Palmerston doch wichtig genug eigenhändig in einem Pamphlet (anonym) zu antworten, das ihn sehr compromittirt hat.
(Marx an Lassalle, 1./2. Juni 1860)

Die übliche Darstellung von Marx selbst, als würde hier eine „Partei der Kommunisten“ gleichberechtigt mit den Urquhartisten einen politisch notwendigen Kampf gegen Russland führen, hat die wissenschaftliche Marxforschung umgehend übernommen. Dabei liegt doch ganz offen, dass hier ein einflussreicher Flügel der britischen Dynastie mit Hilfe ihres Agenten David Urquhart und dessen Unteragenten Karl Marx den Kampf gegen den Lord Palmerston und dessen Anhang im Parlament und außerhalb, wie Mazzini und Kossuth, führt.

In einem Beitrag für die Tribune vom 25. Februar 1856 zieht Marx wieder einmal deutlich über die „käufliche Regierungspresse“ her, ohne seine Leser über die eigenen Hintergründe diesbezüglich zu unterrichten:

London, Freitag, 8. Februar 1856

Wenn man absieht von der käuflichen Sippschaft der Regierungspresse, scheint niemand in England sonderlich an eine englisch-amerikanische Spannung zu glauben. Die einen halten sie für einen Trick, um die Aufmerksamkeit von den Friedensverhandlungen abzulenken. Andere geben vor, daß Palmerston eine gegenseitige Abberufung der Botschafter betreiben wird, wenn er ausscheidet, wie das Pitt vor dem Frieden von Amiens getan hat, um zurückzukehren, wenn wiederum ein wahrhaft englischer Minister benötigt wird. Aus der Art und Weise, wie der Disput geführt wird, schließen sehr kluge Leute, daß das Ganze nur ein gewöhnlicher Wahltrick des Präsidenten <Pierce> ist. Die demokratische Presse sieht, wie Bonaparte sich hinter den Kulissen damit vergnügt, mörderischen Krieg zwischen den Angelsachsen auf beiden Seiten des Atlantik zu schüren. Sonst ist jeder völlig davon überzeugt, daß, wie scharf die offizielle Sprache auch immer sein mag, auch nicht die geringste Aussicht besteht für die Eröffnung von Feindseligkeiten. Wir konnten feststellen, daß diese Ansicht auch von dem französischen Regierungsblatt, dem "Constitutionnel", geteilt wird, das seinen Herrn und Meister sowohl der Neuen als auch der Alten Welt als Friedensstifter anpreist.

Der Hauptumstand, den man bei der Einschätzung dieser Affäre nicht aus den Augen verlieren sollte, ist das fast völlige Erlöschen der Entente cordiale zwischen England und Frankreich, das von der englischen Presse mehr oder weniger offen zugegeben wird. Sehen wir uns z.B. die Londoner "Times" an, das Blatt, das noch vor kurzem diesen Bonaparte als einen viel größeren Mann als den eigentlichen Napoleon pries, und das vorschlug, alle übelgesinnten Leute auszuweisen, die diese Glaubenslehre nicht anerkennen. In einem Leitartikel meint es nun, daß das einzige Hindernis, das dem Frieden im Wege steht, Bonapartes Übereifer ist, den Frieden zu erhalten. Diesem Artikel folgte ein anderer, der darauf anspielt, daß das "auserwählte Werkzeug der Vorsehung" in letzter Instanz ein bloßer pis-aller der französischen Gesellschaft ist, den man gelten läßt, "weil kein einziger Mann zu finden war, in den die Nation ihr Vertrauen und ihre Achtung setzen konnte". In einem dritten Artikel beschimpft das Blatt Bonapartes ganzen Stab von Generalen, Ministern, Beamten usw. als eine buntscheckige Bande von Börsenspekulanten und Glücksrittern. Die Sprache der englischen Provinzpresse ist noch weniger reserviert. Man betrachte andererseits den veränderten Ton der französischen Zeitungen - ihre widerliche Speichelleckerei und Schmeichelei Rußland gegenüber, die so sehr von ihrer gemäßigten Antipathie England gegenüber absticht. Fernerhin beachte man die recht bestimmten Drohungen, eine allgemeine kontinentale Koalition zu bilden, die von österreichischen, belgischen und preußischen Blättern geäußert werden. Und nehmen wir schließlich die russische Presse, die sich in ihren Friedenshomilien ostentativ ausschließlich an Frankreich wendet, ohne England auch nur zu nennen.

http://www.mlwerke.de/me/me11/me11_588.htm

Ja, so steht es um die Presse noch heute und mit allen ihren Korrespondenten.

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Zur Kritik der politischen Ökonomie


Ein Produkt der reinen Hirnweberei, um einen bekannten Ausdruck von Marx dafür zu verwenden, war diese im Jahr 1859 als erstes Heft bei Franz Duncker in Berlin veröffentlichte Vorarbeit zum späteren Kapital. Eine kurze Zusammenfassung von Mehring dürfte den Inhalt ausreichend beschreiben:

Nun ist die Ware unmittelbare Einheit von Gebrauchs- und Tauschwert, und zugleich ist sie Ware nur in Beziehung auf die anderen Waren. Die wirkliche Beziehung der Waren aufeinander ist der Austauschprozeß. In diesem Prozeß, den die voneinander unabhängigen Individuen eingehen, muß sich die Ware darstellen zugleich als Gebrauchs- und als Tauschwert, als besondere Arbeit, die besondere Bedürfnisse befriedigt und als allgemeine Arbeit, die austauschbar ist gegen gleiche Mengen allgemeiner Arbeit. Der Austauschprozeß der Waren muß den Widerspruch entwickeln und lösen, daß die individuelle Arbeit, die in einer besonderen Ware vergegenständlicht ist, unmittelbar den Charakter der Allgemeinheit haben soll.

Als Tauschwert wird jede einzelne Ware zum Maße der Werte aller anderen Waren. Umgekehrt aber wird jede einzelne Ware, in der alle andern Waren ihren Wert messen, adäquates Dasein des Tauschwerts, wird somit der Tauschwert eine besondere ausschließliche Ware, die durch Verwandlung aller anderen Waren in sie unmittelbar die allgemeine Arbeitszeit des Geldes vergegenständlicht. So ist in der einen Ware der Widerspruch gelöst, den die Ware als solche einschließt, als besonderer Gebrauchswert allgemeines Äquivalent und daher Gebrauchswert für jeden, allgemeiner Gebrauchswert zu sein. Und diese eine Ware ist - Geld.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_245.htm#Kap_5

Weil sich hoffentlich jeder fragen wird, wer den Quatsch in Umlauf gesetzt hat und das noch ausgerechnet in Berlin kurz nach dem Kommunistenprozess von Köln, werfen wir gleich einen Blick auf das königlich-preußische Verlagswesen in Berlin.

Der Verleger Franz Duncker, bei dem seinerzeit auch Lassalle publizierte, war der Sohn des Verlegers Carl Friedrich Wilhelm Duncker, der eine Tochter des Bankiers und preußischen Heereslieferanten Wolff Levy geehelicht hatte. Zu den ersten Autoren des Verlages zählte Johann Wolfgang von Goethe und später verlegte Duncker Leopold von Ranke und gab sämtliche Werke von Georg Wilhelm Friedrich Hegel heraus. Ein Bruder des Franz Duncker, Alexander Duncker, ebenfalls Verleger, stand mit König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen in regem Briefwechsel und trug seit 1841 den Titel „Königlicher Hofbuchhändler“. Franz Duncker selbst war 1859 Mitbegründer des Deutschen Nationalvereins, der sich für einen kleindeutschen Staat unter preußischer Führung einsetzte und gegen Österreich.

Franz Duncker und Ferdinand Lassalle standen in engem gesellschaftlichem Kontakt und trafen sich in den Salons der Varnhagen oder im Hause des Bankiers Joseph Mendelssohn mit Leuten wie Alexander von Humboldt, Hans von Bülow oder dem General von Pfuel. Zeitweise wohnte Lassalle im Haus von Duncker.

Nach einer Prügelei mit einem Intendanturrat im Tiergarten war Lassalle zwar aus Berlin ausgewiesen worden und hatte mit den beiden Brüdern Duncker eine Reise durch die Schweiz unternommen, durfte aber gleich nach der Entlassung des Ministeriums Manteuffel-Westphalen mit dem Regentschaftsantritt des Prinzen und durch dessen Entscheidung, „daß die von dem Literaten Ferdinand Lassalle beantragte Niederlassung in Berlin polizeilich nicht mehr weiter gehindert werde", wieder in Berlin wohnen. 1857 war der König Wilhelm IV. schwer erkrankt und die Regentschaft war am 7. Oktober 1858 an dessen Bruder Wilhelm I. übergeben worden.

Wir sehen also, wie eng die Verbindungen zwischen den Revolutionären und den Königshäusern und ihren Regierungen immer waren, trotz aller persönlichen Fehden, die da natürlich auch ausgetragen wurden. Ob Lassalle nun ursprünglich gehofft hatte, dass ein gutes Verhältnis zu Marx ihm bei Ferdinand von Westphalen wieder helfen könnte, darf man annehmen, wenn man nicht an wilde Zufälle menschlicher Beziehungen glauben mag.

Der 1825 geborene Ferdinand Lassalle war im Alter von 20 Jahren vom Obersten Graf Keyserling mit der doppelt so alten Sophie Gräfin von Hatzfeldt bekannt gemacht worden, die sich gegen den Wunsch ihrer Familie von ihrem Mann trennen wollte. Über Jahre zogen sich die Gerichtsprozesse und Skandale hin, wobei Lassalle wegen gestohlener Kassetten selbst von Februar bis August 1848 inhaftiert war, aber von den Geschworenen freigesprochen wurde, was man heute mit seiner „Eloquenz“ zu erklären pflegt, wofür sich allerdings kein Geschworener etwas kaufen kann. Seien wir also nicht naiv, wenn wir uns schon dem materialistischen Denken bei der historisch-politischen Analyse verschrieben haben.

Als Marx nach Köln kam, war Lassalle im Gefängnis, die Gräfin mittellos und in großer Aufregung um ihren Sohn. Marx nahm sich ihrer an, lieh ihr Geld, verkehrte in ihrem Düsseldorfer Haus, demonstrierte mit ihr öffentlich zugunsten des eingesperrten Lassalle – eine der äußerst seltenen Manifestationen dieser Art in Marx Leben.
(Raddatz, a.a.O. S. 215)

Diese „seltene Manifestation“ würde sich wohl besser damit erklären, dass Marx, der ja im Jahr 1848 in Köln auch noch andere Verpflichtungen hatte, wohl wieder nicht durch Zufall und Langeweile und Überfluss an finanziellen Mitteln in diesen Bekanntenkreis geriet, sondern die Gräfin zu betreuen hatte und dafür mit den erforderlichen Geldern versorgt wurde, wodurch sich die Bekanntschaft mit der gerade finanzbedürftigen Gräfin leicht herstellen ließ. Man kann das natürlich auch alles mit dem bekannten Charme und Genie und Selbstlosigkeit unseres großen Denkers Marx erklären wollen.

Im Juli 1849 kam es dann doch noch zur Verurteilung des Lassalle und zusätzlichen sechs Monaten Haft, weil er zu gewaltsamem Aufstand aufgerufen hatte:

Als der offne Kampf zwischen der seligen Nationalversammlung und der Krone jeden Tag ausbrechen konnte, war Düsseldorf bekanntlich eine der agitiertesten Städte der Rheinprovinz. Hier war die Bürgerwehr ganz auf Seite der Nationalversammlung und außerdem von einem Demokraten angeführt. Sie war bereit, den passiven Widerstand in den aktiven zu verwandeln, sobald von Berlin aus das Signal dazu gegeben war. Waffen und Munition waren vorhanden. Lassalle und Cantador standen an der Spitze der ganzen Bewegung. Sie forderten die Bürger nicht bloß auf, sich gegen das Ministerium Manteuffel zu bewaffnen, sie bewaffneten wirklich.
http://www.mlwerke.de/me/me06/me06_454.htm

Der Prozess war eine Farce, weil der Mitangeklagte Cantador wegen seines starken Rückhalts im rheinischen Bürgertum nicht verurteilt werden und Lassalle nicht freigesprochen werden durfte. Im Hintergrund dürfte es immer noch um die Gräfin Hatzfeldt gegangen sein, deren Ehegatte in Düsseldorf reich und einflussreich war.

Im August 1854 erzielte die 1851 geschiedenen Gräfin mit ihrem Gatten einen Vergleich und konnte nun über ein Vermögen von 300.000 Talern verfügen; Lassalle bekam eine lebenslängliche Rente und lebte noch bis 1856 bei ihr in Düsseldorf bis die Gräfin nach Berlin zog.

Marx kam schon im Dezember 1857 in einem Brief an Engels auf die Idee, dass Lassalle sich ihm in Berlin für sein Buch nützlich machen könne; er dürfte dabei schon geahnt haben, dass es sich kaum von selbst verkaufen würde, sondern nur mit entsprechenden Empfehlungen und in einem bekannten und einflussreichen Verlag. Warum Marx so kurz nach dem Kölner Kommunistenprozess die preußische Zensur nicht gefürchtet hat, können wir uns sicher inzwischen leicht ausmalen. Jedenfalls wurde eine anonyme Veröffentlichung nicht diskutiert.

Zu der Zeit plante Marx die Herausgabe seiner „ökonomischen Studien“ in einer Folge von Heften. Duncker ist gleich bereit, die Arbeit in Heften zu verlegen und sehr gut zu honorieren, muss aber bis Februar 1859 auf das Manuskript für das erste Heft warten. Duncker war sogar bereit, das Zeug nach dem ersten Heft weiter zu publizieren, für 1860 und dann 1861 verspricht Marx die folgenden Manuskripte, bringt aber nichts mehr fertig.

Im Jahr 1861 fährt Karl Marx (mit einem falschen Pass auf den Namen Bühring, Raddatz S. 228) zu Lassalle nach Berlin, der ihn in seinem Haus empfängt. Er trifft dann die Gräfin Hatzfeldt , begegnet auf Diners der Berliner Prominenz und besucht die Oper in einer Loge neben der des Königs.
Lassalle hoffte zu dieser Zeit immer noch auf ein Universitätsprofessur, wofür er 1858 sein Buch „Die Philosophie Herakleitos des Dunklen von Ephesos“ bei Duncker veröffentlicht hatte, das in den Berliner Salons gut ankam, aber ihm keinen Lehrstuhl eintragen sollte. Dafür hatte er sich zu viele Feinde geschaffen.

Immerhin war Lassalle durch seine Bücher im Gespräch und galt als kluger Kopf, während Marx für seine mühselige Abhandlung über den Arbeitswert ohne Beziehungen nie auch nur einen Verlag gefunden hätte.

Wer sich davon selber überzeugen will, bitte:

http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_003.htm

Mehring schreibt wieder etwas zwischen den Zeilen:

So wies Marx nach, wie und warum, kraft der ihr innewohnenden Werteigenschaft, die Ware und der Warenaustausch den Gegensatz von Ware und Geld erzeugen muß; in dem Gelde, das sich als ein Naturding mit bestimmten Eigenschaften darstellt, erkannte er ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis und leitete die verworrenen Erklärungen des Geldes durch die modernen Ökonomen daher ab, daß bald als gesellschaftliches Verhältnis erscheine, was sie eben plump als Ding festzuhalten meinten, und dann wieder als Ding sie necke, was sie kaum als gesellschaftliches Verhältnis fixiert hätten.

Die Fülle des Lichtes, die von dieser kritischen Untersuchung ausging, blendete zunächst mehr, als daß sie erleuchtete, selbst die Freunde des Verfassers. Liebknecht meinte, er sei noch von keiner Schrift so enttäuscht worden wie von dieser, und Miquel fand »wenig wirklich Neues« darin. Lassalle machte sehr schöne Bemerkungen über die künstlerische Darstellung des Heftes, die er neidlos über die Form des »Heraklit« stellte, aber wenn Marx aus diesen »Phrasen« den Verdacht schöpfte, daß Lassalle »vieles Ökonomische« nicht verstanden habe, so war er diesmal auf der richtigen Fährte. Lassalle zeigte alsbald, daß er gerade den »Springpunkt« nicht erkannt hatte, die Unterscheidung zwischen der Arbeit, die in Gebrauchs- und der Arbeit, die in Tauschwerten resultiert.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_245.htm#Kap_5

Nun handelt es sich bei der von Marx betriebenen Hegelei traditionell um spitzfindige Unterscheidungen, manche böse Zungen mögen es sogar Haarspaltereien nennen, womit diese nur seltenen Geistern zugängliche Philosophie ihre tiefsten Erkenntnisse gewinnt, wie eben die über das dialektische Verhältnis von Tauschwert und Gebrauchswert und dessen historisch-materialistische Bestimmung durch das Wesen von Arbeit und Geld oder umgekehrt.

Raddatz hat das auch nicht anders beurteilt, durfte es aber wie Mehring nicht offen schreiben, was für einen abwegigen Mist das große Genie da verfasst hatte:

Gravierender war das lähmende Schweigen, das auf die Veröffentlichung bei Duncker folgte. Nicht einmal in Fachzeitschriften erschienen Kritiken. Das Buch blieb unverstanden und unbeachtet. Jahre hindurch war das Werk angekündigt worden – und das war es nun? Elard Biscamp, Herausgeber der Londoner Emigrantenzeitschrift „Das Volk“ – die Marx später übernahm -, fragte entgeistert „was soll das?“ Wilhelm Liebknecht brach vor Enttäuschung in Tränen aus
(Raddatz, a.a.O. S. 225)

Die Enttäuschung Liebknechts kommentierte Engels an Marx (zitiert nach Raddatz, S. 225f):

„Was verlangt denn solch ein Esel eigentlich? Als wenn er sich nicht schon aus den ersten 3 Zeilen der Vorrede abklarieren könnte, daß auf dies erste Heft noch mindestens 15 folgen müssen, eh er an die Schlußresultate kommt. Natürlich sind die Lösungen der kitzligen Geldfragen etc. reiner Dreck für Liebknecht, da diese Fragen gar nicht für ihn existieren. Aber das sollte man doch wenigstens verlangen, daß ein solches Rindvieh sich wenigstens die Pointen merkt, die ihm in sein bißchen Kram passen. Indessen was versteht die Kuh vom Sonntag.“

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Die Einigung Italiens


Franz Mehring wollte vor informierten Zeitgenossen und vor der Geschichte auch nicht als alberner Narr dastehen und so hat er immer wieder einige Sätze wie diese eingestreut, die ich hier zustimmend zitieren werde.

Die Krise von 1857 war nicht in die proletarische Revolution ausgelaufen, die Marx und Engels von ihr erhofft hatten. Aber sie entbehrte deshalb nicht der revolutionären Wirkungen, mochten sich diese auch nur in der Form dynastischer Umwälzungen vollziehen. Ein Königreich Italien entstand und danach ein deutsches Kaiserreich, während das französische Kaiserreich spurlos in der Versenkung verschwand.

Diese Wandlung der Dinge erklärte sich aus der doppelten Tatsache, daß die Bourgeoisie niemals selbst ihre revolutionären Schlachten schlägt, aber daß sie seit der Revolution von 1848 ein Haar darin gefunden hatte, sie durch das Proletariat schlagen zu lassen. In dieser Revolution und namentlich in den Pariser Junikämpfen, hatten die Arbeiter der althergebrachten Gewohnheit entsagt, bloß als Kanonenfutter der Bourgeoisie zu dienen, und mindestens einen Anteil an den Früchten des Sieges beansprucht, den sie mit ihrem Blut und ihren Knochen erfochten hatten.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_5

Die Fraktionen der Bourgeoisie oder noch genauer das Groß- und Finanzkapital werden allerdings weiterhin mit ihren Kadern in den Arbeiterorganisationen aller Staaten den Arbeitern die Möglichkeiten verbauen, ihre eigenen Ziele zu formulieren und zu verfolgen, sich nicht nur als Instrument von Finanz- und Konzernfraktionen missbrauchen zu lassen. Wir müssen also Leute wie Lassalle bald als berühmte Arbeiterführer erleben und die dicken Schwarten von Marx als Parteiprogramm der SPD.

Auf dem Erfurter Parteitag 1891 wendet sich die SPD eindeutig hin zu marxistischen Annahmen und Überzeugungen. Das "Erfurter Programm" lehnt sich in seinem theoretischen Teil an die Gesellschaftsanalyse von Marx und Engels an und fordert in seinem praktischen Teil unverzügliche, tiefgreifende Reformen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
http://www.spd.de/de/partei/geschichte/chronologie/1890_1891/index.html

Da ist es dann kein großer Schritt von Marx, Engels und Lassalle über Noske bis Riester, Clement und Steinbrück heute – und man muss das wissen, dass sich die Letztgenannten auf alle Traditionen der SPD für ihre gegen die Arbeiter gerichtete Politik voll und ganz berufen können. Selbstverständlich haben SPD wie ebenso alle marxistischen Gruppierungen die geldpolitische Verursachung von Wirtschaftskrisen und Massenarbeitslosigkeit stets mitgetragen, die Große Depression ab 1929 wie die Volcker-Weltrezession ab 1980.

Das sei die von Marx vorhergesagte unvermeidbare Krise des Kapitalismus mit der Verelendung des Proletariats, wogegen sich nichts machen ließe und schon gar nicht eine andere Geldpolitik. Da könne man höchstens die Wertform analysieren und auf die Weltrevolution warten, hieß es dann stets von der SPD bis zu den Marxisten, während die Erwerbslosen zu Abermillionen auf der Straße lagen und die Kapitalisten die inszenierte Krise zu Lohnkürzung und Sozialabbau benutzt haben und zur Disziplinierung der lohnabhängigen Arbeiter, wie schon 1847, 1857 und seitdem immer wieder. Nur selten, wie 1848 und 1857 wurde die Krise auch dazu benutzt, eine „Revolution“ in bestimmten Staaten mit Hilfe der verzweifelten Massen umzusetzen, wie Mehring schrieb:

Die Krise von 1857 war nicht in die proletarische Revolution ausgelaufen, die Marx und Engels von ihr erhofft hatten. Aber sie entbehrte deshalb nicht der revolutionären Wirkungen, mochten sich diese auch nur in der Form dynastischer Umwälzungen vollziehen. Ein Königreich Italien entstand

Die Demokratie mit ihren für recht wenig Geld käuflichen Politikern, Parteien und Massenmedien ist die optimale Herrschaftsform des Großkapitals, wozu die vielen verschwendungssüchtigen und eigensinnigen Fürstenhäuser erst noch aus ihren ererbten Pfründen gefegt werden mussten. Bei Krise und Arbeitslosigkeit lassen sich die Massen leicht für Revolutionen erkaufen und nach dem Sturz der Regierung werden die Arbeiter betrogen und wieder in die Fabriken gepresst. Die Historiker erzählen uns dann, wie Bürger und Studenten aus Freiheitsliebe und Patriotismus die Nationalstaaten geschaffen hätten.

Giuseppe Garibaldi hatte unter dem Einfluss des Mazzini bereits 1834 am Aufstand in Piemont teilgenommen und war nach dessen Scheitern zum Tode verurteilt worden. Es gelang ihm jedoch, nach Südamerika zu fliehen, wo er sich als Freischärler in Brasilien betätigte.

Johann der VI. von Portugal war vor Napoleon mit seinem gesamten Hof und mit britischer Hilfe nach Rio de Janeiro geflohen, sein Sohn Pedro wurde in Brasilien zum Kaiser einer konstitutionellen Monarchie gekrönt, muss aber schon 1831 das Land verlassen und wird König von Portugal. 1835 kommt es in Brasilien zu der sogenannten Farrapan-Revolution durch die herrschende Schicht einer Provinz:

Die Rinderzüchter der Provinz Rio Grande do Sul verlangen von der Regierung Schutzzölle gegen die Einfuhr von Fleisch aus Uruguay und Argentinien. Tatsächlich können die Argentinier und Uruguayer billiger produzieren, da sie mit freien Lohnarbeitern anstatt mit Sklaven arbeiten. Die Rebellion bricht am 20. September 1835 aus, als die Gauchos unter Führung von Bento Gonçalves den Provinzgouverneur verjagen. Bald danach wird die Republik Rio Grande do Sul ausgerufen. Die Rebellen können große Erfolge verbuchen, vor allem nachdem der italienische Revolutionär Giuseppe Garibaldi zu ihnen stößt: 1839 dringen sie bis in die Nachbarprovinz Santa Catarina vor und rufen dort eine Tochterrepublik aus.

Anders als beim Aufstand der Cabanos sind diesmal eher die führenden Schichten der Provinz beteiligt, obwohl der Namen Guerra dos Farrapos („Krieg der Zerlumpten“) das Gegenteil suggeriert. Dies erklärt die Zurückhaltung der Zentralregierung bei der Niederschlagung des Aufstands…

http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Brasiliens

Natürlich verdanken die Aufständischen ihren Erfolg nicht der revolutionären Persönlichkeit des Garibaldi, sondern den hinter diesem stehenden britischen Verbindungen.

1841 musste Garibaldi nach Uruguay entweichen, wo er sich als Flottenkommandeur und mit seiner „italienischen Legion“ aus Emigranten am Bürgerkrieg auf Seiten der „demokratischen Kräfte“ beteiligte. 1848 kehrte er nach Italien zurück und nahm mit seinen „Rothemden“ am piemontesischen Krieg gegen Österreich teil. Das Scheitern der Revolution trieb ihn für weitere Jahre ins Exil, 1854 traf er in London wieder Mazzini, war inzwischen selbst aber auf Seiten des Grafen Camillo Benso di Cavour, der Italien unter dem piemontesisch-savoyischen Herrscherhaus einigen wollte.

So war die Bourgeoisie schon in den Revolutionsjahren auf den schlauen Gedanken verfallen, sich von einer anderen Macht, als dem mißtrauisch und unzuverlässig gewordenen Proletariat, die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen: zumal in Deutschland und in Italien, das heißt in denjenigen Ländern, in denen selbst nur erst der nationale Staat zu schaffen war, dessen die kapitalistischen Produktivkräfte für ihre wirksame Entfaltung bedürfen. Es lag nahe, einem Teilfürsten die Herrschaft über das ganze Land anzubieten, wenn er als Gegengabe der Bourgeoisie freien Spielraum für ihre Ausbeutungs- und Ausbreitungsbedürfnisse verschaffte. Allerdings mußte die Bourgeoisie dabei ihre politischen Ideale in den Rauchfang schreiben und sich an der Befriedigung ihrer nackten Profitinteressen genügen lassen, denn indem sie die Hilfe des Fürstentums anrief, unterwarf sie sich selbst seiner Herrschaft. Es waren denn auch die reaktionärsten Teilstaaten, mit denen die Bourgeoisie schon in den Revolutionsjahren zu liebäugeln versucht hatte: in Italien das Königreich Sardinien, jener »militär-jesuitische« Teilstaat, wo nach dem Fluche des deutschen Dichters »Söldner und Pfaffen zumal saugten am Marke des Volks«, in Deutschland das Königreich Preußen, das unter dem dumpfen Druck des ostelbischen Junkertums stand.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_5

Unter Viktor Emanuel II. war Garibaldi Kommandeur der Alpenjäger im Krieg gegen Österreich, der von Sardinien-Piemont und Frankreich gemeinsam gewonnen wurde. Mit dem Sieg über Österreich kam es zur Unabhängigkeit der norditalienischen Gebiete. Im Mai 1860 führte er den „Zug der Tausend“ nach Sizilien und befreite die Insel und Unteritalien bis Oktober von der Herrschaft der Bourbonen.

Da Garibaldi ein legendärer Revolutionär war, zog er in MassenFreiwillige an, so dass seine Auftraggeber wenig Sold zu zahlen hatten und nur noch für die Bewaffnung und Verpflegung sorgen mussten. Sein Generalstabschef war der ehemalige preußische Offizier Wilhelm Rüstow, den Emma Herwegh für Garibaldi angeworben hatte. 1864 war Rüstow der Sekundant von Lassalle bei seinem letzten Duell in der Nähe von Genf. Die Welt der Verschwörer ist klein und man trifft immer wieder auf dieselben Leute.

Als Garibaldi von Neapel nach Rom ziehen wollte, was Mazzini unterstützte, stellte sich der Premierminister von Piemont, der Graf di Cavour gegen ihn, weil damit das Bündnis mit dem katholischen Frankreich, von dem der Kirchenstaat geschützt wurde, in Gefahr geriet.

Der Erfolg Garibaldis gefährdete die Führungsrolle Sardinien-Piemonts bei der Einigung Italiens. In den liberalkonservativen Kreisen um Cavour befürchtete man eine neapolitanische Republik und, ähnlich wie bei der Niederschlagung der Römischen Republik von 1849, neue ausländische Interventionen, falls Garibaldi bis nach Rom vordringen sollte. Graf Cavour vereinbarte mit Napoléon III. dessen Billigung der Eroberung der zum Kirchenstaat gehörenden Marken und Umbriens, um Garibaldi zuvorzukommen. Im September 1860 rückten piemontesische Truppen in den Provinzen des Kirchenstaats ein. Bei Castelfidardo in der Nähe von Ancona unterlag die päpstliche Armee (vgl. Schlacht von Castelfidardo); der unter französischem Schutz stehende restliche Kirchenstaat mit Latium und seiner Hauptstadt Rom blieb unangetastet. Nach diesem Sieg stießen die unter dem Befehl von König Viktor Emanuel II. stehenden piemontesischen Truppen weiter nach Süden vor, bis sie sich mit der Freischärlerarmee Garibaldis vereinigten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Risorgimento

Garibaldi unterwarf sich dem König Viktor Emanuel II. in Teano bei Neapel und im März 1861wurde in Turin die konstitutionelle Monarchie mit dem König Viktor Emanuel ausgerufen, in der das Zensuswahlrecht auf 1,9 Prozent der reichen Bevölkerung beschränkt war. 1866 beteiligte sich Italien am Krieg von Preußen gegen Österreich und Venetien musste nach dem Sieg der preußischen Truppen bei Königgrätz an Italien abgetreten werden.

Die Entwicklungen in Italien wurden beginnend mit dem französisch-piemontesischen Krieg gegen Österreich 1859 auch in Deutschland diskutiert:

Die Art wie Cavour die italienische Einheit betrieb, hatte für die deutsche Bourgeoisie viel Verlockendes, denn sie hatte die Rolle, die Sardinien übernahm, längst dem preußischen Staate zugedacht. Jedoch der Angriff des französischen Erbfeindes auf die Vormacht des Deutschen Bundes rief Besorgnisse und Erinnerungen wach, die sie wieder kopfscheu machten. Nahm dieser falsche Bonaparte nicht die Überlieferungen des echten auf? Sollten die Tage von Austerlitz und Jena wiederkehren, sollten die Ketten der Fremdherrschaft abermals in Deutschland rasseln? Die österreichischen Soldfedern wurden nicht müde, diese Schreckgespenster an die Wand zu malen und das paradiesische Zukunftsbild einer »mitteleuropäischen Großmacht« zu entwerfen, die, unter dem vorwiegenden Einfluß Österreichs, den Deutschen Bund, Ungarn, die slawisch-rumänischen Donauländer, Elsaß-Lothringen, Holland und der Himmel weiß was noch umfassen sollte. Gegenüber dieser Propaganda ließ natürlich auch Bonaparte seine Tintenkulis los, die darauf schwören mußten, daß der arglosen Seele ihres Soldzahlers nichts fremder sei als ein Gelüste nach den Rheinufern, und daß er mit dem Kriege gegen Österreich nur die erhabensten Zwecke der Zivilisation verfolgte.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_5

Unter den „Soldfedern“ jener Tage waren auch preußenfreundliche wie Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, von denen 1859 die Schriften „Po und Rhein“ (Engels, anonym) und danach „Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens“ (Lassalle) erschienen waren, in denen beide eine preußenfreundliche Position gegen Österreich vertraten.

Die Schrift von Friedrich Engels hatte den Titel „Po und Rhein“ und war ebenfalls bei Franz Duncker 1859 in Berlin - jedoch als anonyme Broschüre - erschienen. Wer der Verfasser war, dürfte der preußischen Regierung dabei nicht unbekannt geblieben sein, aber vor dem Publikum musste die Schrift dieses gefährlichen Kommunisten besser anonym bleiben, sonst hätten sich manche doch über die preußische Polizei und Zensur oder gar über den Kommunismus gewundert.

Ganz nach unserer Erwartung lag Friedrich Engels wie Lassalle genau auf der preußischen Linie.

Im Einverständnis mit Marx trat Engels zunächst auf den Plan mit seiner Flugschrift »Po und Rhein«, für die ihm Lassalle in Franz Duncker einen Verleger verschaffte. Zweck der Abhandlung war die Zerstörung der habsburgischen Parole, wonach der Rhein am Po verteidigt werden mußte. Engels wies nach, daß Deutschland kein Stück von Italien zu seiner Verteidigung brauche, und daß Frankreich, wenn bloß militärische Gründe gelten sollten, allerdings noch viel stärkere Ansprüche auf den Rhein habe, als Deutschland auf den Po. Wenn aber Engels die österreichische Herrschaft in Oberitalien militärisch als für Deutschland entbehrlich erklärte, so verwarf er sie politisch als für Deutschland überaus schädlich, da diesem die unerhörte Mißhandlung der italienischen Patrioten durch den österreichischen Stock den Haß und die fanatische Feindschaft von ganz Italien zuzöge.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_5

Die kleinen Differenzen zu dem von Lassalle vertretenen Standpunkt wurden von Marx und Engels dramatisiert, war doch Lassalle als Preußenfreund ein Konkurrent und noch dazu ein sehr erfolgreicher. Marx ereifert sich für Engels:

Marx war mit diesen Ausführungen vollkommen einverstanden. Als er das Manuskript der Flugschrift gelesen hatte, schrieb er dem Verfasser: »Außerordentlich tüchtig; auch das Politische famos behandelt, was verdammt schwer war. Das Pamphlet wird einen großen Erfolg haben.« Dagegen erklärte Lassalle, daß er diese Auffassung überhaupt nicht begreife. Er veröffentlichte gleich darauf, ebenfalls im Verlage Franz Dunckers, unter dem Titel »Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens«, eine Flugschrift, die von ganz anderen Voraussetzungen ausging und demgemäß zu ganz anderen Ergebnissen gelangte, von Marx aber als ein »ungeheurer Fehlschluß« betrachtet wurde.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_5

Was hatte nun Lassalle vertreten, dass er derart missbilligt wurde?

Eingehend legte er dar, daß der italienische Krieg keine ernstliche Bedrohung Deutschlands sei. An dem Gelingen der italienischen Einheitsbewegung habe die deutsche Nation das dringendste Interesse, und eine gute Sache werde dadurch noch nicht schlecht, daß ein schlechter Mann sie in die Hand nehme. Wolle Bonaparte sich durch den italienischen Krieg einige Pfennige Popularität erschleichen, so verweigere man ihm diese Pfennige und mache so die Leistung, zu der er sich aus persönlichen Zwecken entschließe, unnütz für diese Zwecke. Aber wie könne man deshalb kämpfen gegen das, was man bisher wollte und wünschte? Auf der einen Seite habe man einen schlechten Mann mit einer guten Sache. Auf der anderen Seite eine schlechte Sache und - »Nun ja, der Mann?« Lassalle erinnerte an die Ermordung Blums, an Olmütz, Holstein, Bronzell, an all die Frevel, womit sich nicht der bonapartistische, sondern der habsburgische Despotismus an Deutschland versündigt hatte. Eine Schwächung Österreichs zu hindern, habe das deutsche Volk um so geringeres Interesse, als vielmehr die gänzliche Zerschlagung Österreichs die erste Vorbedingung der deutschen Einheit sei. An dem Tage, wo Italien und Ungarn selbständig würden, seien die zwölf Millionen Deutsch-Österreicher dem deutschen Volke wiedergegeben, erst dann könnten sie sich als Deutsche fühlen, erst dann sei ein einiges Deutschland möglich.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_5

Aber vielleicht hat die Schrift von Lassalle dem preußischen Kabinett oder dem Hof doch besser gefallen, während Engels die Sache vorwiegend aus dem Blickwinkel des Hobby-Militärstrategen behandelt hatte:

Man sollte sagen, daß bei einer so günstigen strategischen Lage der wirkliche Besitz der Ebenen bis zum Po uns Deutschen ziemlich gleichgültig sein könnte. Wo will, bei gleichen Kräften, die feindliche Armee sich östlich von der Adda oder nördlich vom Po aufstellen? Alle ihre Stellungen sind umgangen; wo sie den Po oder die Adda auch überschreitet, ihre Flanke ist bedroht; zieht sie sich südlich vom Po, so gefährdet sie ihre Verbindung mit Mailand und Piemont, geht sie hinter den Tessin, so riskiert sie ihren Zusammenhang mit der ganzen Halbinsel. Wäre sie verwegen genug, offensiv in der Richtung auf Wien vorzugehn, so kann sie jeden Tag abgeschnitten und genötigt werden, mit dem Rücken nach dem feindlichen Lande, mit der Front nach Italien eine Schlacht zu liefern. Wird sie dann geschlagen, so ist es ein zweites Marengo mit gewechselten Rollen; schlägt sie die Deutschen, so müssen diese sich sehr albern anstellen, wenn sie ihren Rückzug nach Tirol verlieren.
http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_225.htm

Wir kennen das ja schon vom Krimkrieg.

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Während es Bestrebungen gibt, die Kräfte für die Einigung Italiens mit den Ungarn im Exil zu verbinden, verfasst Marx in der New-York Daily Tribune im September 1859 wieder einen Artikel gegen Kossuth, in dem dieser als völlig unzuverlässig und verräterisch geschildert wird:

In Kutahia trat Herr Kossuth in eine vertrauliche Liaison mit Herrn David Urquhart, übernahm sofort die Vorurteile dieses romantischen Hochländers und zögerte nicht, über Mazzini das Urteil zu fällen, er sei ein russischer Agent. Er gelobte förmlich, sich von Mazzini fernzuhalten. Aber kaum in London angekommen, bildete er ein Triumvirat mit Mazzini und Ledru-Rollin. Die unbestreitbaren Beweise seiner Doppelzüngigkeit wurden der britischen Öffentlichkeit in der zwischen L. Kossuth und David Urquhart geführten Korrespondenz dargelegt, die der letztere Gentleman in der Londoner "Free Press" veröffentlicht hat. In der ersten Rede, die Herr Kossuth nach der Landung an der englischen Küste hielt, nannte er Palmerston seinen Busenfreund. Palmerston gab Kossuth durch Vermittlung eines bekannten Parlamentsmitgliedes <Lord Dudley Stuart> seinen Wunsch zu verstehen, ihn in seinem Hause zu empfangen. Kossuth verlangte, von dem britischen Premierminister als Gouverneur von Ungarn empfangen zu werden, eine Forderung, die natürlich sofort verächtlich zurückgewiesen wurde. Herr Kossuth gab nun seinerseits der britischen Öffentlichkeit durch Herrn Urquhart und andere seiner Bekannten zu verstehen, daß er Palmerstons Einladung zurückgewiesen habe, weil er sich in Kutahia durch ein genaues Studium des Blaubuches über die ungarischen Angelegenheiten überzeugt habe, daß Palmerston, sein "Busenfreund", im geheimen Einvernehmen mit dem Hofe von St. Petersburg den Verräter an dem "teuren Ungarn" gespielt habe.
http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_500.htm

Kossuth hatte damals Palmerston beschieden, dass er zuerst zur britischen Öffentlichkeit sprechen wolle, weil man ihm abgeraten hatte, sich vorab gleich durch Palmerston vereinnahmen zu lassen. Marx macht daraus wieder seine russische Agentengeschichte, so dass sich der Leser fragen muss, wer von den Beteiligten jetzt mehr spinnt, Urquhart, Kossuth oder Marx als der Autor des Artikels.

Anscheinend war es David Urquhart gelungen, sich einmal an Kossuth heranzumachen, bis der die Verbindung wohl wegen unzureichender Unterstützung seiner politischen Ziele wieder beendet hatte, woraufhin Urquhart dann seine Briefe veröffentlichte.

In der festen Überzeugung, daß zum Sturz der österreichischen Tyrannei das vereinte Vorgehen Ungarns und Italiens unerläßlich sei, versuchte Mazzini zunächst, Kossuth durch einen zuverlässigeren ungarischen Führer zu ersetzen, aber da seine Bemühungen an der Uneinigkeit in der ungarischen Emigration scheiterten, verzieh er großmütig seinem unsicheren Verbündeten und ersparte ihm eine Bloßstellung, die Kossuths Stellung in England ruiniert hätte.
Um näher an die Gegenwart heranzukommen, möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, daß Herr Kossuth im Herbst 1858 eine Reise durch Schottland unternahm, wobei er in verschiedenen Städten Vorträge hielt und die Briten ernstlich vor Louis Bonapartes verräterischen Absichten warnte.

http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_500.htm

Was als Wahn des Autors erscheinen mag, erreicht bei den Lesern aber doch das eigentliche Ziel, sich von den absurden Streitereien angewidert zu fühlen und allen daran Beteiligten die Unterstützung und Sympathien zu entziehen.

Kossuth durchschaute damals im Januar 1859, nicht nur den bonapartistischen Betrug, sondern tat alles in seiner Macht stehende, um ihn vor der Welt zu entlarven. Er drängte die "liberale Presse" in diese Richtung, über die nachher die Werkzeuge Bonapartes als "einem plötzlichen Ausbruch" von "antinapoleonischer Raserei" staunten und die sie als ein Symptom von krankhafter "Sympathie für Österreich" brandmarkten.
(ebenda)

Gleich kommt es noch persönlicher:

Die Verleugnung des Republikanismus durch Herrn Kossuth halte ich für aufrichtig. Eine Zivilliste von 300.000 Gulden, die er in Pest für die Aufrechterhaltung des Glanzes der Exekutive beanspruchte, das Patronat über die Krankenhäuser, das von einer österreichischen Erzherzogin auf seine eigene Schwester übertragen wurde, der Versuch, einigen Regimentern seinen Namen zu geben; sein Streben, sich mit einer Kamarilla zu umgeben; die Hartnäckigkeit mit der er sich während seines Aufenthaltes im Ausland an den Gouverneurstitel klammerte obgleich er ihn in der Zeit der ungarischen Katastrophe niedergelegt hatte; sein ganzes Auftreten, viel mehr das eines Prätendenten als das eines Flüchtlings - alles dies deutet auf Tendenzen, die dem Republikanismus fremd sind.
(ebenda)

Dass die Revolutionen mit Geld gemacht werden, ist Marx schon klar, solange es um seine Gegner wie Lajos Kossuth geht:

Seit 1851 hatte sich der größte Teil der ungarischen Emigranten von Bedeutung und politischem Ansehen von Herrn Kossuth getrennt, aber teils infolge der Aussicht auf eine Invasion in Ungarn mit Hilfe französischer Truppen, teils durch die logische Anziehungskraft der drei Millionen Francs - da die Welt, wie der echte Napoleon in einem seiner Anfälle von Zynismus sagte, von "le petit ventre" <"dem kleinen Bauch" (dem Magen)> regiert wird - scharte sich, von einigen wenigen ehrenvollen Ausnahmen abgesehen, die ganze ungarische Emigration in Europa um die bonapartistischen Banner, die von Ludwig Kossuth gehißt wurden. Daß die Transaktionen, in die er sich mit ihnen einließ, einen dezembristischen Beigeschmack von Korruption hatten, kann nicht geleugnet werden, da er, um seinen neugewonnenen Parteigängern eine größere Menge des französischen Geldes zuweisen zu können, sie zu höheren militärischen Rängen beförderte: Leutnante z.B. avancierten in den Majorsrang. Zunächst erhielt jeder von ihnen seine Reisekosten nach Piemont, dann eine prächtige Uniform (die Kosten einer Majorsuniform betrugen 150 Pfd.St.) und sechs Monate Sold im voraus, mit dem Versprechen, daß bei Friedensschluß ein Jahressold gezahlt werde. Der sogenannte Obergeneral erhielt ein Salär von 10.000 frs., die Generale jeder 6.000 frs., die Brigadekommandeure 5.000 frs., die Oberstleutnante 4.000 frs., die Majore 3.000 frs. usw.

Die Namen der prominenteren Persönlichkeiten, die sich mit Kossuth verbündeten und bonapartistisches Geld einsteckten, sind folgende:
die Generale Klapka, Perczel, Vetter, Czecz; die Obersten Szabó, Emérich und Etienne, Kiss, Graf A. Teleki, Graf Bethlen, Mednyánszky, Ihász und einige Oberstleutnante und Majore. Unter den Zivilisten möchte ich erwähnen Graf L. Teleki, Puky, Pulszky, Irányi, Ludvigh, Simonyi, Henszelman, Veres und andere - in der Tat, alle ungarischen Flüchtlinge, die in England und auf dem Kontinent leben, mit der alleinigen Ausnahme von S. Vukovics (in London oder Axminster), Rónay (in London, ein ungarischer Gelehrter) und B. Szemere (in Paris, früher ungarischer Ministerpräsident).

http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_500.htm

Ursprünglich war wohl auf einen durchschlagenden Erfolg des Krieges gegen Österreich gerechnet worden, der die französisch-italienischen Truppen bis nach Ungarn führen sollte. Marx ist über alle Details wieder erstaunlich informiert, er kann die Informationen natürlich auch über das Netz der Urquhartisten erhalten haben.

Im Jahr 1860 erschien von Friedrich Engels eine weitere anonyme Broschüre in Berlin, diesmal bei G. Behrend, Falckenbergsche Verlagsbuchhandlung, Der Verlag war durch den Assessor Fischel, den Schreiber des Herzogs von Coburg, besorgt worden. Der Titel hieß „Savoyen, Nizza und der Rhein“ und es ging ganz urquhartistisch gegen ein bonapartistisch-russisches Komplott:

Es ist jetzt ein Jahr, daß das bonapartistisch-piemontesisch-russische Komplott anfing, vor dem Publikum sich abzuwickeln. Erst die Neujahrsrede, dann die Verkuppelung der "italienischen Iphigenie", dann der Schmerzensschrei Italiens, endlich das Eingeständnis Gortschakows, daß er mit Louis-Napoleon schriftliche Verpflichtungen eingegangen habe. Dazwischen Rüstungen, Truppenmärsche, Drohungen, Vermittelungsversuche. Damals, im ersten Moment, zuckte das instinktive Gefühl durch ganz Deutschland: Hier handelt es sich nicht um Italien, sondern um unsere eigene Haut. Am Tessin fängt man an, am Rhein hört man auf. Das Endziel aller bonapartistischen Kriege kann nur die Wiedereroberung der "natürlichen Grenze" Frankreichs, der Rheingrenze sein.

Derjenige Teil aber der deutschen Presse, der sich am gewaltsamsten entsetzte über den verdeckten französischen Anspruch auf die natürliche Grenze des Rheins, derselbe Teil, die Augsburger "Allg[emeine] Z[ei]t[un]g" an der Spitze, verteidigte mit ebenso gewaltsamem Fanatismus die östreichische Herrschaft in Oberitalien unter dem Vorwande, daß der Mincio und der untere Po die natürliche Grenze Deutschlands gegen Italien bildeten. Herr Orges von der A[ugsburger] "A[llgemeine] Z[eitung]" setzte seinen sämtlichen strategischen Apparat in Bewegung, um darzutun, daß Deutschland ohne den Po und den Mincio verloren, daß ein Aufgeben der östreichischen Herrschaft in Italien ein Verrat an Deutschland sei.

http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_571.htm

Die Augsburger Allgemeine Zeitung war traditionell ein Organ österreichischer Interessen und konnte auch von Marx über deren Korrespondenten Liebknecht in seine Attacken gegen Napoleon III. oder dessen Leute eingespannt werden, wie man gleich im Kapitel über Carl Vogt noch sehen wird.

Die Streitschrift ging gegen die Annexion von Savoyen und Nizza durch Frankreich als Gegenleistung für die Unterstützung Piemonts gegen Österreich:

In demselben Maße aber, in welchem die Unvermeidlichkeit der Unifikation Norditaliens sich herausstellte, in demselben Maße trat auch die Idee ans Tageslicht, für welche Frankreich diesmal Krieg geführt hatte. Dies war die Idee der Annexation von Savoyen und Nizza an Frankreich. Schon während des Krieges hatten sich Stimmen erhoben, welche behaupteten, daß dies der Preis der französischen Intervention in Italien sei. Aber sie waren nicht gehört worden und widerlegte sie nicht der Akt von Villafranca? Trotz alledem erfuhr die Welt auf einmal, daß unter dem nationalen und konstitutionellen Regime des re galantuomo <König Edelmann; Beiname Victor Emanuels II.> zwei Provinzen in der Fremdherrschaft schmachteten - zwei französische Provinzen, die ihre tränenden Augen sehnsüchtig auf das große Vaterland richteten, von dem nur die rohe Gewalt sie getrennt hielt - und daß Louis-Napoleon dem Schmerzensschrei Savoyens und Nizzas sein Ohr nicht länger verschließen könne.

Jetzt stellte es sich allerdings heraus, daß Nizza und Savoyen den Preis vorstellten, um den Louis-Napoleon unternommen hatte, die Lombardei und Venedig mit Piemont zu vereinigen, und daß er, da Venedig für den Moment nicht zu haben war, es als Preis ausbat für seine Zustimmung zur Annexation Mittelitaliens. Jetzt begannen die widerwärtigen Manöver bonapartischer Agenten in Savoyen und Nizza und das Geschrei der bezahlten Pariser Presse, die piemontesische Regierung unterdrücke den Volkswillen in diesen Provinzen, der laut nach Anschluß an Frankreich rufe; jetzt endlich wurde es in Paris ausgesprochen, die Alpen seien die natürliche Grenze Frankreichs, Frankreich habe ein Recht auf sie.

http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_571.htm

Nicht nur für Marx, auch für Engels war immer klar, dass alle Publikationen bezahlte Auftragsarbeit sind. Wir wollen es daher für seine eigenen Werke gleichfalls nicht anders erwarten. Engels versucht jetzt, die Gründe der „bezahlten Pariser Presse“ für die Angliederung von Savoyen und Nizza an Frankreich zu zerpflücken:

Wenn die französische Presse behauptet, Savoyen sei nach Sprache und Sitten französisch, so ist das wenigstens ebenso richtig, als wenn dasselbe von der französischen Schweiz, dem wallonischen Teil Belgiens und den englisch-normannischen Inseln im Kanal behauptet würde….
(ebenda)

Vor allem sei die Abtretung dieser Gebiete militärisch für Italien sehr gefährlich – jetzt kommt wieder der Hobbystratege:

Eine französische Armee, der Nizza schon vor Ausbruch des Krieges zu Gebote gestanden, bedroht von dort aus Flanke, Rücken und Verbindungen jeder westlich von Alessandria vorgeschobenen italienischen Abteilung. Die Abtretung Nizzas an Frankreich bedeutete also, für den Krieg, die Zurückverlegung des Sammelpunktes der italienischen Streitkräfte bis Alessandria, die Verzichtleistung auf die Verteidigung des eigentlichen Piemonts, die überhaupt nur in Nizza und Savoyen geführt werden kann…
(ebenda)

Wir wollen das hier aber nicht weiter verfolgen. Der Absatz der Broschüre dürfte kaum ein Geschäft gewesen sein, daher hatte Franz Duncker auch Probleme gemacht. Es war eine Schrift im Sinne des Urquhart: in den letzten Zeilen geht es noch gegen den großen Teufel Russland.

Eine Kurzfassung der Thesen dieser Broschüre war im Februar 1860 in der „N.-Y.D.T.“ als Leitartikel von Engels erschienen, daher dürfte die Urheberschaft an der Broschüre auch in politischen Kreisen in Preußen kein Geheimnis gewesen sein:

Dieser so unschuldig aussehende Plan für die Annexion Savoyens und Nizzas bezweckt nichts anderes, als die französische Hegemonie in Italien und der Schweiz herzustellen und Frankreich zum unumschränkten Herrscher in den Alpen zu machen. Ist dieser kleine Schritt erst einmal getan, wie lange wird es dann dauern und wir konstatieren den Versuch, Frankreich auch am Rheine zum unumschränkten Herrscher zu machen?
http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_560.htm

Anfang Mai 1860 begleitete Marx den Kampf des Garibaldi um Sizilien mit einem plötzlich sogar gegenüber Frankreich positiven Artikel in der Tribune:

Sizilien blutet nun erneut, und England sieht diesen neuerlichen Saturnalien des niederträchtigen Bourbonen und seiner nicht weniger niederträchtigen Günstlinge, ob weltliche oder geistliche, ob Jesuiten oder Gardeoffiziere, ruhig zu. Die lärmenden Deklamatoren des britischen Parlaments zerreißen die Luft mit ihrem leeren Geschwätz über Savoyen und die Gefahr für die Schweiz; über die Massaker in den sizilianischen Städten jedoch haben sie kein Wort zu sagen. Keine Stimme erhebt den Empörungsschrei über ganz Europa. Kein Herrscher und kein Parlament erklärt den blutrünstigen Idioten von Neapel <Franz II.> in die Acht. Louis-Napoleon allein mag vielleicht in dieser oder jener Absicht, natürlich nicht etwa aus Freiheitsliebe, sondern um der Vergrößerung der Macht seiner Familie oder des französischen Einflusses willen, dem Schlächter in seinem Vernichtungswerk Einhalt gebieten. England wird über Treubruch heulen, wird Gift und Galle speien über napoleonischen Verrat und Ehrgeiz; doch die Neapolitaner und die Sizilianer müssen schließlich selbst unter einem Murat oder einem anderen neuen Herrscher die Gewinner sein. Jede Veränderung muß zur Besserung führen.
http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_043.htm

Ein Meinungsumschwung, neue Weisungen oder Opportunismus gegenüber den Lesern in den USA, die Ahnung vom Erfolg der Unternehmung? Die Kritik der englischen Politik zielt auf die Leser, kann aber auch den diplomatischen Verwicklungen um ein preußisch-englisches Bündnis geschuldet sein.

Zwischen England und Frankreich gab es zu der Zeit Differenzen und daher wurde später wohl Garibaldi von Mazzini zu Aktionen gegen den Kirchenstaat ermutigt. Ein Brief des preußischen Prinzregenten an den britischen Prinzgemahl Albert war in England abgefangen und den Franzosen zugespielt worden, Marx glaubt und Behauptet in der Tribune auf Veranlassung des Lord Palmerston:

In Berlin ist jeder davon überzeugt, daß man sich im englischen Postdienst mit dem Brief des Prinzregenten, der mit der Post über Ostende und nicht über Calais geschickt worden war, beschäftigt hatte, wo ein zahlreiches Personal offenkundig dazu gebraucht wird, in verdächtigen Briefen herumzuschnüffeln – eine Praxis, die soweit geführt wird, daß zur Zeit des Koalitionskabinetts der Earl of Aberdeen eingestand, er wage es nicht, seine eigenen Briefe an seine Londoner Freunde der Post anzuvertrauen. Von Lord Palmerston, der somit eine Abschrift des Briefes des Prinzregenten in Händen hat, vermutet man, er hätte aus Bosheit gegen Prinz Albert und im Interesse des englisch-französisch-russischen Bündnisses eine Abschrift dieses Briefes dem französischen Botschafter in London in die Hände gespielt. Auf alle Fälle verläuft der Weg der beabsichtigten und vielbesprochenen englisch-preußischen Allianz alles andere als glatt.
http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_055.htm#S56

Als Garibaldi in Unteritalien erfolgreich ist, fürchtet der französische Kaiser um Rom und versucht Einfluss auf Garibaldi zuerst durch den mit Garibaldi kämpfenden Ungarn Istvan Türr und dann durch Kossuth zu gewinnen, was Marx in der Tribune vom 15. Oktober enthüllt:

Türr hat sich also als eine Fehlkalkulation erwiesen; zumindest spricht man in den Kreisen der Tuilerien so von ihm. Man versuchte es mit Kossuth und schickte ihn zu Garibaldi, um diesen zu den Ansichten des Kaisers zu überreden und ihn vom rechten Weg abzubringen, der nach Rom zeigt. Garibaldi benutzte Kossuth als Werkzeug zum Schüren der revolutionären Begeisterung und ließ ihn deshalb mit Ovationen des Volkes feiern, aber er wußte genau zu unterscheiden zwischen seinem Namen, der die Sache des Volkes repräsentierte, und seiner Mission, die eine bonapartistische Falle verbarg. Kossuth kehrte völlig niedergeschlagen nach Paris zurück. Um aber ein Unterpfand seiner Treue für die kaiserlichen Interessen zu liefern, hat er jetzt, wie die "Opinion nationale", der Moniteur Plon-Plons, berichtet, einen Brief an Garibaldi gesandt, worin er den letzteren auffordert, sich mit Cavour zu versöhnen, von jedem Anschlag auf Rom abzusehen, um Frankreich, die wahre Hoffnung der unterdrückten Nationalitäten, nicht abzustoßen, und sogar Ungarn aus dem Spiel zu lassen, da dieses Land für eine Insurrektion noch nicht reif sei.
http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_182.htm

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Der Streit mit Carl Vogt


Der Professor Carl Vogt an der Universität Genf war ein Anhänger von Charles Darwin, der ihn sogar im Vorwort seines Buches „The Descent of Man“ erwähnt hat. Er war ein Sohn der Schwester des Wegbereiters der deutschen Burschenschaften Karl Follen, des Anstifters der Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue, der als russischer Generalkonsul und mit russischem Geld seinen literarischen Kampf gegen die Burschenschafts- und Turnerbewegung führte.

Karl Follen musste in die Schweiz fliehen, war einige Zeit Professor der Universität Basel, musste 1824 wegen des diplomatischen Drucks aus Preußen in die USA emigrieren. Dort stand er in engem Kontakt mit dem Marquis de La Fayette, wurde schon 1825 Professor der Harvard University.

Die Eltern von Carl Vogt mussten aus politischen Gründen 1834 in die Schweiz emigrieren, er selbst im Jahr 1835. Als er 1845 in Paris an der Sorbonne studierte, traf er sich mit Bakunin, Proudhon und Georg Herwegh und lernte auch Karl Marx kennen. Auf Vorschlag von Justus von Liebig und Alexander von Humboldt wurde Carl Vogt 1847 auf den Lehrstuhl für Zoologie in Gießen berufen. In den Jahren 1848/48 war Vogt Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und des späteren Rumpfparlamants in Stuttgart und einer der von diesem eingesetzten fünf Reichsregenten. Vogt hatte auf dem bürgerlich-demokratischen linken Flügel die großdeutsche Position vertreten. Nach seiner Flucht in die Schweiz wurde er Professor in Genf und ab 1861 Mitglied des Großen Rats von Genf und des schweizerischen Nationalrats.

1860 beschuldigte ihn Marx in seiner Schrift "Herr Vogt", ein bezahlter Agent von Kaiser Napoléon III. gewesen zu sein, und mitverantwortlich für die Ausweisung Wilhelm Liebknechts aus der Schweiz 1850. Vogt vertrat profranzösische und antipreußische Ansichten, z.B. in Studien zur Lage Europas 1859 oder in den Politischen Briefen 1870-1871. Zum Dank wurde er zum Großritter der französischen Ehrenlegion ernannt. Die französische Republik veröffentlichte auch Akten der kaiserlichen Verwaltung, in denen eine Zahlung von 40.000 Francs an eine Person Vogt erwähnt wird. Es konnte jedoch nicht geklärt werden, ob es sich um Carl Vogt handelte.
http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Vogt

Im April 1859 hatte Marx durch Ferdinand Freiligrath den Prospekt einer von Carl Vogt geplanten Zeitung erhalten, für die auch Londoner Korrespondenten gesucht wurden. Im Mai 1859 behauptete Karl Blind, der Wortführer der radikaldemokratisch eingestellten Emigration in London, Vogt werde von Napoleon III. finanziert und er böte einem liberalen Schriftsteller in Deutschland 30-40.000 Gulden für geneigte Publikationen.

In einem Tribune-Artikel verdächtigte Marx den Carl Vogt – ohne den Namen zu nennen – als bonapartistischen Söldling und Biscamp bezeichnete in seiner Zeitung „Das Volk“ den ehemaligen Reichsregenten als Reichsverräter. Liebknecht sandte im Juni ein anonymes Flugblatt mit entsprechenden Anschuldigungen an die Augsburger Allgemeine, die es zusammen mit einer Vorbemerkung des Liebknecht abdruckte, nach der die Londoner Emigration die Machenschaften des Carl Vogt verurteile.

Im September 1859 forderte die Redaktion der Augsburger von Liebknecht Beweise für die Anschuldigungen, weil sie von Carl Vogt wegen des Abdrucks verklagt wurde. Während Carl Vogt vermutete, dass Karl Marx der Urheber des Flugblattes war, versuchte Marx den Karl Blind zum Eingeständnis der Urheberschaft zu zwingen. Blind und seine Anhänger hatten im Sommer 1859 versucht, dem Marx den Einfluss auf die Zeitung „Das Volk“ zu nehmen.

Als Liebknecht sich an Freiligrath und Blind wandte, um die Vorwürfe gegen Vogt zu belegen, erhielt er von beiden keine Unterstützung. Nachdem Blind von Marx unter Druck gesetzt wurde, übernahm einer seiner Freunde die Verantwortung für das Flugblatt; Marx hatte vor allem das Ziel, durch Blind seine Anschuldigungen gegen Vogt zu bekräftigen.

Auch Lassalle weigerte sich, Carl Vogt ohne weitere Beweise des Bonapartismus zu beschuldigen und war zudem wie Vogt der Meinung, Österreich sei eine größere Gefahr für Demokraten als Frankreich.

Im Februar 1860 kündigte Freiligrath dem Marx die Gefolgschaft auf.

Der in der Schweiz lebende Publizist Georg Lommel informierte Marx über die Beziehungen zwischen Carl Vogt und dem Genfer Regierungschef James Fazy, dem Besitzer der Bank für die Ferdinand Freiligrath in London als Filialleiter angestellt war.

James Fazy hatte Verbindungen zu Prinz Jerome Napoleon und zum „Crédit Mobilier“ in Paris. Im Jahr 1864 brach in Genf ein Aufstand gegen ihn aus und Genf wurde von Schweizer Truppen besetzt. Damit endete der politische Einfluss von Fazy in Genf und 1865 brach seine „Banque générale suisse de crédit international mobilier et foncier“ zusammen, womit er finanziell ruiniert war.

Marx schrieb darüber am 11. Januar 1865 an seine Tochter Jenny:

There is much “chronique scandaleuse” just now in the Freiligrathsche World, as far as it is connected with the General Bank of Switzerland. There has appeared an pamphlet at Genéve, disclosing the scandalous mismanagement of Fazy, Freiligraths “natural superior”. He has been forced to resign his post as supreme director of the bank, and, “um zu retten was zu retten ist”, (literal, this), Jew Reinach has been put into his place, assisted by a Frenchman and – Karl Vogt who has the despicable meanness of betraying, and denouncing, and publicly declaring against, Fazy, his old idol, the man in fact of whom he is a mere “creature”.
(MEGA, Briefe 1864/65,S. 157f)

Ferdinand Freiligrath hat bis zum Ende seiner Tätigkeit als Londoner Filialleiter mit Carl Vogt in vertraulichem Kontakt gestanden (Brief an Vogt vom 18. März 1865):

F. F. bedankt sich bei Karl Vogt für die vertrauliche Mitteilung, daß man in der Geschäftsführung der Banque Générale Suisse in Genf entschlossen ist, die Londoner Agentur der Bank binnen eines halben Jahres zu schließen. Er bittet Vogt, darauf hinzuwirken, daß die Schließung so lange als möglich, wenn es geht, bis zum Jahresende noch herausgezögert wird, so daß sich F. F. besser auf diese Situation einstellen kann. Für F. F. wird es in jedem Fall hart werden, in seinem Alter nach neun Jahren aufopferungsvoller Tätigkeit in der Bankfiliale den Arbeitsplatz zu verlieren. Hätte er die ganze Zeit in einer hiesigen deutschen oder englischen Handelsfirma gearbeitet, so wäre er jetzt für sein ganzes Leben versorgt. F. F. beschwert sich darüber, daß man ihm von seiten der Genfer Bankzentrale nun die Schuld für halblegale Finanztransaktionen in die Schuhe schieben will, die James Fazy hier mit einem Herrn Schweitzer unter teilweiser Umgehung der Londoner Filiale getätigt hat und die nun zu Verlusten geführt haben. F. F. hat hierbei, soweit es ihm möglich war, wie sonst auch immer gewissenhaft geprüft und im Interesse der Bank zu handeln versucht.
http://www.ferdinandfreiligrath.de/...94&sortierung=adressat&start=1&briefe_id=3234

Freiligrath hatte 1859/60 als Angestellter bei Fazy triftige Gründe, sich aus dem Streit von Marx gegen Vogt herauszuhalten.

Zunächst scheiterte Vogt in seinem Prozess gegen die Augsburger Allgemeine Zeitung vor dem Bezirksgericht in Augsburg, das die Sache an ein Geschworenengericht verwies, bei dem der bei der Obrigkeit in Bayern unbeliebte Carl Vogt keine Chance bekommen hätte. Die Redakteure der Augsburger Allgemeinen hatten zwar keinerlei Beweise vorbringen können, aber die politischen Auswirkungen eines Erfolgs von Vogt ausgemalt:

…wie könnten bayrische Richter einem Manne sein Recht geben, der die bayrische Regierung heftig angegriffen habe und wegen seiner revolutionären Umtriebe im Auslande leben müsse! Die ganze sozialistisch-demokratische Partei Deutschlands, die vor elf Jahren die Morgenträume ihrer Freiheit durch den Mord der Generale Latour, Gagern und Auerswald und des Fürsten Lichnowskl eingeweiht habe, würde einen wahren Jubel aufschlagen, wenn die verklagten Redakteure verurteilt würden. Glücke der Versuch Vogts, so entstehe die tröstliche Aussicht, daß auch Klapka, Kossuth, Pulszki, Teleki, Mazzini vor dem Augsburger Bezirksgericht als Kläger erscheinen würden.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_2

Carl Vogt wehrte sich nun mit Veröffentlichungen, in denen er etwa dem Schriftsteller Georg Lommel, der Marx über die Kontakte Vogts zu Fazy informiert hatte, nun unterstellte, für Österreich zu arbeiten – die Augsburger Zeitung galt ja ebenfalls als von Österreich gesteuert. Eine Kopie seiner Verteidigung gegen Vogt hat Georg Lommel auch an Marx gesandt.

Aus dem Brief des Georg Lommel vom 5. April 1860:

An Herrn Professor Carl Vogt in Genf.

…Sie beschuldigen mich in Ihrem Organ, dem Bieler Handelscourrier, folgender Dinge: 1, ich sei der Verfasser des die Finanzgeschäfte des Herrn James Fazy verdächtigenden Artikels in der Augsburger Allgemeinen Zeitung; 2, ich sei ein Agent Habsburgs, 3, ich betriebe zwischen Chambery und der Westschweiz die Revolution, und zwar zum Nachtheil der Schweiz und zu Gunsten schweizerfeindlicher Staaten. Obschon ich Ihre Person aus später anzuführenden Gründen keiner Antwort werth halte…

(MEGA, S. 1062)

Wirkungsvoller und aufsehenerregend war um die Jahreswende eine Publikation zu seinem Prozess in Augsburg:

Dazwischen aber befand sich eine noch ausführlichere Wiedergabe des alten Klatsches über die »Schwefelbande«, den Vogt schon im »Bieler Handelscourier« niedergelegt hatte. Insbesondere wurde Marx als Haupt einer Erpresserbande geschildert, die davon lebe, »Leute im Vaterlande« so zu kompromittieren, daß sie das Schweigen der Bande durch Geld erkaufen müßten. »Nicht einer«, hieß es wörtlich, »Hunderte von Briefen sind von diesen Menschen nach Deutschland geschrieben worden, welche die unverhüllte Losung enthielten, daß man die Beteiligung an diesem oder jenem Akte der Revolution denunzieren werde, wenn nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine gewisse Summe an eine bezeichnete Adresse gelange.« Es war die ärgste, aber weitaus nicht die einzige Verleumdung, die Vogt gegen Marx schleuderte. Wie durch und durch verlogen aber die ganze Darstellung sein mochte, so war sie doch mit allerlei halbwahren Tatsachen aus der Geschichte der Emigration so gemischt, daß sie eine genaue Kenntnis aller Einzelheiten voraussetzte, um nicht auf den ersten Blick zu verblüffen und diese Kenntnis war am wenigsten bei dem deutschen Philister vorauszusetzen.

Die Schrift machte denn auch ein beträchtliches Aufsehen und wurde namentlich von der liberalen Presse in Deutschland mit lautem Jubel begrüßt. Die »Nationalzeitung« brachte zwei lange Leitartikel daraus, die, als sie Ende Januar in London eintrafen, auch im Hause von Marx großen Aufruhr erregten und namentlich seine Frau tief erschütterten.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_2

Vermutlich hatte sich Vogt aus den ständigen Bettelbriefen von Marx an alle möglichen Leute und dessen durchaus schlagkräftige Finanzlage bei allen Geld erfordernden Angelegenheiten eine Räubergeschichte erfunden, die man dem Publikum ohne Risiko erzählen konnte.

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Nun war Marx an der Reihe, gegen die National-Zeitung zu klagen, nur damit es ihm in Berlin gerade so wie Vogt in Augsburg ergehe. Dazu wandte Marx sich wieder an Lassalle - über Engels als Vermittler:

Ehe jedoch Engels sein Gewerbe bei Lassalle anbringen konnte, schrieb dieser selbst an Marx, erklärte sein längeres Schweigen aus Mangel an Zeit und forderte lebhaft, daß in der »höchst fatalen Geschichte« mit Vogt etwas geschehe, da sie große Wirkung in der Öffentlichkeit mache; bei denen, die Marx kennten, werde diesem die Schilderung Vogts nicht schaden, wohl aber bei allem, die ihn nicht kennten, denn sie sei künstlich genug mit halben Tatsachen belegt, um jedem unscharfen Auge alles als ganze Wahrheit erscheinen zu lassen. … besitze Marx sonst keine Beweise, so müsse er seine Verteidigung damit beginnen, die Anklage auf Bestechlichkeit gegen Vogt zurückzunehmen. ... Dann aber nahm Lassalle den stärksten Anstoß an Liebknecht Tätigkeit für ein so reaktionäres Blatt, wie die »Allgemeine Zeitung« sei; das werde im Publikum einen Sturm von Verwunderung und Unwillen gegen die Partei erregen.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_2

Lassalle hatte Marx von der Klage abgeraten.

Was hatte Marx denn erwartet? Dass die Richter beschließen, seine Ehre müsse geschützt werden, weil er ja gar kein gefährlicher Kommunist wäre, sondern der Schwager…

Alsbald bewährte sich die Warnung Lassalles vor der Anrufung der preußischen Gerichte. Durch die Vermittelung Fischels hatte Marx den Justizrat Weber beauftragt, seine Klage gegen die »National-Zeitung« bei dem dortigen Stadtgericht einzureichen, erreichte aber nicht einmal so viel, wie Vogt vor dem Augsburger Bezirksgerichte erreicht hatte, nämlich daß seine Klage überhaupt verhandelt wurde.

Das Stadtgericht erklärte, die Klage sei wegen »mangelnden Tatbestandes« abzuweisen, da die beleidigenden Äußerungen nicht von der »National-Zeitung« selbst gemacht worden wären, sondern nur in »bloßen Zitaten anderer Personen« beständen. Diesen platten Blödsinn wies nun allerdings das Kammergericht zurück, aber nur um ihn durch den höheren Blödsinn zu übertrumpfen, es sei überhaupt keine Beleidigung für Marx, wenn er als das »zügelnde und überlegene« Haupt einer Erpresser- und Falschmünzerbande dargestellt werde. In dieser famosen Auslegung vermochte das Obertribunal einen »Rechtsirrtum« nicht zu entdecken, und so war Marx mit seiner Klage bei allen Instanzen abgeblitzt.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_2

Anschließend war Karl Marx fast ein ganzes Jahr damit beschäftigt, eine Schrift mit dem Titel „Herr Vogt“ zu verfassen, die im Dezember 1860 in London erschien.

Hier kann man sie im Internet nachlesen:

http://www.mlwerke.de/me/me14/me14_381.htm

Er gibt darin auch die Behauptungen wieder, mit denen er von Vogt angegriffen worden war:

"Ich spreche es unverhohlen aus", spricht Vogt und wirft sich in seine ernsthafteste Schalksnarrenpositur, "ich spreche es unverhohlen aus: Jeder, der sich mit Marx und seinen Genossen in irgendeiner Weise in politische Umtriebe einläßt, fällt früher oder später der Polizei in die Hände; diese Umtriebe sind von Anfang an der geheimen Polizei verraten, bekannt und werden von dieser ausgebrütet" (die Umtriebe, scheint es, sind Eier, und die Polizei ist die Gluckhenne, die sie ausbrütet), "sobald es Zeit scheint. Die Anstifter Marx u. Co. sitzen natürlich unerreichbar in London" (wahrend die Polizei auf den Eiern sitzt), "Um Belege dieser Behauptung hin ich nicht verlegen." (S. 166, 167 des "Hauptbuchs".)
http://www.mlwerke.de/me/me14/me14_408.htm#III_4

Auch Wilhelm Liebknecht wird von Carl Vogt als Polizeiagent genannt:

"Arbeiter und Flüchtlinge in großer Zahl wurden so weit beschwatzt und bearbeitet" - nämlich von Liebkecht -, "daß endlich [...] ein Revolutionstag nach Murten ausgeschrieben wurde. Dorthin sollten sich heimlich die Delegierten der Zweigvereine begeben, dort wollte man beraten über die letzte Organisation des Bundes und über den definitiven Zeitpunkt der Schilderhebung. Alle Vorbereitungen waren höchst geheimgehalten worden, die Zusammenrufungen nur durch Vertraute des Herrn Liebknecht und durch Korrespondenten desselben besorgt worden. Die Delegierten kamen von allen Seiten in Murten zusammen, zu Fuß, zu Schiff und zu Wagen, und wurden augenblicklich von Gensd'armen in Empfang genommen, die zum voraus wußten, was, woher und auf welche Weise. Die ganze auf diese Weise aufgehobene Gesellschaft wurde eine Zeitlang im Augustinerkloster in Freiburg eingesperrt und dann nach England und Amerika transportiert. Herr Liebknecht wurde mit ganz besondrer Rücksicht behandelt." (S. 168, "Hauptbuch".)
http://www.mlwerke.de/me/me14/me14_408.htm#III_4

Marx widerspricht hier: es war keine geheime Versammlung der Delegierten. Abgesehen davon hätte eine derartige Versammlung auch nie geheim bleiben können, da es erfahrungsgemäß in revolutionären Kreisen von Polizeiagenten nur so wimmelt. Der einzig richtige Vorwurf gegen Liebknecht wäre gewesen, dass er zu dieser kritischen Zeit eine derartige Versammlung der zerstreuten Vereine betrieben und deren maßgebliche Leute damit dem Polizeizugriff und der Abschiebung ausgesetzt hat.

Der Tatbestand ist einfach der: Liebknecht war - Anfang 1850 - Präsident des Genfer Arbeitervereins. Er schlug eine Verbindung unter den damals ganz zusammenhangslosen deutschen Arbeitervereinen in der Schweiz vor. Der Antrag ging durch. Es ward darauf beschlossen, an 24 verschiedene Arbeitervereine ein Sendschreiben zu erlassen, das sie nach Murten einlud, um dort die bezweckte Organisation und die Begründung eines gemeinschaftlichen Organs in der Presse zu besprechen. Die Debatten im Genfer Arbeiterverein, das Sendschreiben, die darauf bezüglichen Diskussionen in den 24 andern Arbeitervereinen - alles wurde öffentlich verhandelt und der Kongreß von Murten öffentlich anberaumt. Wollten die Schweizer Behörden ihn verbieten, so konnte das 4 Wochen vor seiner Abhaltung geschehen. Aber ein polizeilicher Theatercoup lag im Plane des liberalen Herrn Druey, der suchte, wen er verschlinge, zur Beschwichtigung der damals drohenden Heiligen Allianz. Liebknecht, der als Präsident des Arbeitervereins den Aufruf zum Kongreß unterschrieben hatte, genoß die Ehren eines Haupträdelsführers. Von den andern Delegierten getrennt, erhielt er freies Logis auf dem obersten Erker des Turmes von Freiburg, erfreute sich einer weiten Aussicht ins Freie und besaß sogar das Privilegium, täglich eine Stunde auf der Turmzinne zu lustwandeln. Das einzig Originelle an seiner Behandlung war die Isolierhaft.
http://www.mlwerke.de/me/me14/me14_408.htm#III_4

Die Polizei hatte sich sehr bemüht, die Zahl der Flüchtlinge in der Schweiz zu reduzieren:

Die polizeilichen Großtaten des "Schweizer Liberalismus" erreichten keineswegs ihr Ende mit dem "Revolutionstag von Murten". Am 25. Januar 1851 schrieb mir mein Freund Wilhelm Wolff (der "Parlaments-Wolf", wie ihn die "Parlaments-Schafe" tauften) von Zürich:

"Der Bundesrat hat durch seine bisherigen Maßregelungen die Zahl der Flüchtlinge von 11.000 bis auf 500 herabgebracht, und er wird nicht ruhen, bis vollends alle hinausdrangseliert sind, die nicht grade ansehnliches Vermögen oder besondere Konnexionen besitzen."

(ebenda)

Da war es natürlich nicht geschickt (oder doch?), ein großes Treffen der Delegierten der Arbeitervereine anzusetzen.

An diesem Punkt wirft Marx dem Vogt vor, 1849 mit den Franzosen die Abschiebung der politischen Flüchtlinge in die USA betrieben zu haben:

Man liest schon in No. 257 der "Neuen Rheinischen Zeitung" unter dem Datum:

"Heidelberg, 23. März 1849: Unser Freund Vogt, 'Vorkämpfer' der Linken, Reichshumorist der Gegenwart, Reichsbarrot der Zukunft, der 'treue Warner' vor der Revolution, er vereinigt sich mit - einigen Gesinnungsgenossen? nicht doch! mit einigen Reaktionärs vom reinsten Wasser ... und zu welchem Zwecke? Um die 'Gestalten', welche sich in Straßburg, Besançon und sonstwo an der deutschen Grenze aufhalten, nach Amerika zu befördern, respektive zu deportieren ... Was Cavaignacs Säbelregiment als Strafe verhängt, das wollen diese Herren im Namen der christlichen Liebe ... Die Amnestie ist tot, es lebe die Deportation! Natürlich durfte dabei die pie fraus nicht fehlen, als hätten die Flüchtlinge selbst den Wunsch nach Auswanderung ausgesprochen usw. Nun aber wird den 'Seeblättern' aus Straßburg geschrieben, daß diese Deportationsgelüste unter allen Flüchtlingen einen wahren Sturm des Unwillens hervorriefen usw. [...] Sie hoffen sämtlich, bald nach Deutschland zurückzukehren, und wäre es auf die Gefahr hin (wie Herr Vogt so rührend bemerkt), einem 'tollkühnen Unternehmen' sich anschließen zu müssen."

(ebenda)

Mehring ist abschließend von der Bestechung des Carl Vogt durch Napoleon III. überzeugt:

In den Tuilerienpapieren, die nach dem Sturze des zweiten Kaiserreichs von der Regierung der nationalen Verteidigung herausgegeben worden sind, hat sich denn auch die Quittung über den Sündenlohn von 40.000 Franken gefunden, die Vogt im August 1859 aus den geheimen Fonds des Dezembermannes erhalten hatte: vermutlich durch Vermittelung ungarischer Revolutionäre, wenn man anders die für Vogt mildeste Auslegung gelten lassen will. Er war besonders mit Klapka befreundet und hatte nicht begriffen, daß die deutsche Demokratie anders zu Bonaparte stand als die ungarische. Dieser mochte erlaubt sein, was für jene ein schmählicher Verrat war.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_2

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Der Sezessionskrieg und die Presse


Am 12. April 1861 begann mit der Beschießung des Forts Sumter durch die Konföderierten der Bürgerkrieg der Südstaaten gegen die Nordstaaten in Amerika. Marx berichtet in seinen Artikeln vor allem über die Haltung der Presse in England und Frankreich.

Für uns ist das Thema immer noch interessant, weil es grundsätzlich die Rolle der Medien und ihre Käuflichkeit und Abhängigkeit beleuchtet. Karl Marx hat sich dazu lesenswert ausgelassen und es hat sich ja bis heute nicht viel geändert.

Zu dieser Zeit schreibt Marx noch für die „New-York Daily Tribune“ und zusätzlich seit dem Oktober 1881 bis 1882 für die Wiener Zeitung „Die Presse“.

Unter der Überschrift „Die Londoner "Times" und Lord Palmerston“ geht es am 21. Oktober 1861 in der Tribune um das einflussreichste Blatt in London.

Wenn die "Times" nun imstande ist, mit falschen Angaben und Unterdrückung die öffentliche Meinung über solche Ereignisse irrezuführen, die sich erst gestern im britischen Unterhaus zugetragen haben, wie unbegrenzt muß dann erst die Fähigkeit sein, irrezuführen und zu unterdrücken bei Ereignissen, die sich in weiter Ferne zugetragen haben, wie im Falle des amerikanischen Krieges. Wenn sie bei der Behandlung der amerikanischen Frage alle Kräfte angestrengt hat, um die gegenseitigen Gefühle der Briten und Amerikaner zu verbittern, so tat sie das weder aus Sympathie für die britischen Baumwoll-Lords noch aus Rücksicht auf irgendein wirkliches oder angebliches englisches Interesse. Sie führte einfach die Befehle ihres Herrn aus. Aus dem veränderten Ton der Londoner "Times" während der letzten Woche können wir daher schließen, daß Lord Palmerston im Begriff ist, von der äußerst feindseligen Haltung Abstand zu nehmen, die er bisher gegenüber den Vereinigten Staaten eingenommen hatte. In einem der heutigen Leitartikel fühlt sich die "Times", die monatelang die aggressiven Kräfte der Sezessionisten gerühmt und sich über die Unfähigkeit der Vereinigten Staaten ausgelassen hatte, sich mit ihnen zu messen, der militärischen Überlegenheit des Nordens völlig sicher. Daß dieser Tenorwechsel von ihrem Herrn diktiert worden ist, wird dadurch ganz offensichtlich, daß andere einflußreiche Zeitungen, deren Beziehung zu Palmerston bekannt ist, gleichzeitig den Kurs gewechselt haben.
http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_318.htm

In der Wiener Zeitung „Die Presse“ wird am 25. Dezember 1861 diese Presseschau unter den Titel „Die Meinung der Journale und die Meinung des Volkes“ fortgesetzt:

Aber nun betrachte man sich die Londoner Presse! An der Spitze stehen die "Times", deren leitender Redakteur, Bob Lowe, ehemals Demagoge in Australien war, das er zum Abfall von England aufwiegelte. Er ist ein untergeordnetes Mitglied des Kabinetts, eine Art von Unterrichtsminister und bloße Kreatur Palmerstons. "Punch" ist der Hofnarr der "Times", der ihre sesquipedalia verba in kurzgeschnittene Späße und geistlose Karikaturen verwandelt. Ein leitender Redakteur des "Punch" wurde von Palmerston mit 1.000 Pfund Sterling jährlich im Board of Health (Gesundheitskommission) untergebracht.

Die "Morning Post" ist zum Teil Palmerstons Privateigentum. Ein anderer Teil dieses sonderbaren Instituts ist an die französische Gesandtschaft verkauft. Der Rest gehört der "haute volée" und liefert die genauesten Berichte für Hofschranzen und Damenschneider. Die "Morning Post" ist daher unter dem englischen Volke als der Jenkins (stehende Figur für den Lakaien) der Presse berüchtigt.

Der "Morning Advertiser" ist das Gemeineigentum der "licensed victuallers", d.h. der Wirtshäuser, die außer Bier auch Schnaps verkaufen dürfen. Er ist ferner Organ der englischen Pietisten und detto der sporting characters, d.h. der Leute, die aus Pferderennen, Wetten, Boxen u.dgl. ein Geschäft machen. Der Redakteur dieses Blattes, Herr Grant, früher als Stenograph von den Zeitungen verwendet, ein literarisch ganz ungebildeter Mensch, hat die Ehre gehabt, zu Palmerstons Privat-Soireen zugezogen zu werden. Seit der Zeit schwärmt er für den "truly English minister" (den wahrhaft englischen Minister), den er beim Ausbruch des russischen Krieges als "russischen Agenten" denunziert hatte. Es kommt hinzu, daß die frommen Patrone dieses Schnapsjournals unter dem Kommandostab des Grafen Shaftesbury stehen und daß Shaftesbury Palmerstons Schwiegersohn ist. Shaftesbury ist der Papst der low church men, die auf den profanen Spiritus des braven "Advertiser" den Sanctus Spiritus pfropfen.

Der "Morning Chronicle"! Quantum mutatus ab illo! Während beinahe eines halben Jahrhunderts das große Organ der Whig-Partei und nicht unglücklicher Rivale der "Times", erbleichte sein Stern seit dem whigschen Krieg. Er durchlief Metamorphosen aller Art, verwandelte sich in ein penny paper, suchte von "Sensationen" zu leben, so z.B. durch Parteinahme für den Giftmischer Palmer. Er verkaufte sich später an die französische Gesandtschaft, der es aber bald leid wurde, ihr Geld wegzuwerfen. Er warf sich dann auf den Anti-Bonapartismus, jedoch nicht mit besseren Erfolg. Endlich fand er den lange vermißten Käufer in den Herren Yancey und Mann - den Agenten der südlichen Konföderation zu London.

Der "Daily Telegraph" ist das Privateigentum eines gewissen Levy. Sein Blatt ist von der englischen Presse selbst als Palmerstons mob paper (Palmerstons Pöbelorgan) gebrandmarkt worden. Neben dieser Funktion treibt es chronique scandaleuse . Es charakterisiert diesen "Telegraph", daß er bei Ankunft der "Trent"-Nachricht auf Ordre von oben den Krieg für unmöglich erklärte. In der ihm diktierten Würde und Mäßigung erschien er sich selbst so befremdlich, daß er seit der Zeit ein halbes Dutzend Artikel über die bei jener Gelegenheit von ihm an den Tag gelegte Mäßigung und Würde veröffentlicht hat. Sobald die Ordre zur Schwenkung eintraf, suchte der "Telegraph" sich nun aber auch für den ihm angetanen Zwang schadlos zu halten und alle seine Kameraden durch lautes Kriegsgeheul zu überbrüllen.

Der "Globe" ist das ministerielle Abendblatt, das offizielle Subsidien von allen Whig-Ministerien bezieht.

Die Tory-Blätter, "Morning Herald" und "Evening Standard", beide derselben Boutique angehörig, sind durch ein doppeltes Motiv bestimmt, einerseits den angestammten Haß gegen "die revoltierten englischen Kolonien", andererseits eine chronische Ebbe in ihrer Börse. Sie wissen, daß ein Krieg mit Amerika das jetzige Koalitionskabinett sprengen und einem Tory-Kabinett den Weg bahnen muß. Mit dem Tory-Kabinett werden offizielle Subsidien für "Herald" und "Standard" wiederkehren. Hungrige Wölfe können daher nicht lauter nach Beute heulen als diese Tory-Blätter nach einem amerikanischen Krieg und dem Goldregen in seinem Gefolge!

Bleiben von der Londoner Tagespresse nur noch nennenswert die "Daily News" und der "Morning Star", die beide den Kriegsposaunisten entgegenarbeiten. Die "Daily News" sind in ihrer Bewegung gehemmt durch ein Verhältnis zu Lord John Russell, der "Morning Star" (Organ von Bright und Cobden) in seinem Einfluß beeinträchtigt durch seinen Charakter als "Friedensblatt um jeden Preis".

http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_430.htm

Wenn es um die Käuflichkeit und schamlose Verlogenheit seiner Kollegen Journalisten und generell der Presse geht, sind die Artikel von Karl Marx unübertrefflich, denn für solche Zusammenhänge und Hintergründe hat er einen geschulten Blick und vermutlich die Informationen eines Insiders, des David Urquhart.

Am 1. Februar 1862 berichtet Marx in der Tribune über die ablehnende Haltung der britischen Bürger zu einem englischen Eingreifen gegen die Union und zugunsten der Südstaaten.

Man sollte in den Vereinigten Staaten niemals vergessen, daß zumindest die Arbeiterklasse Englands sie vom Beginn bis zum Ende des Streits nicht im Stich gelassen hat. Ihr war es zu verdanken, daß während der ganzen Zeit, da der Frieden auf Messers Schneide stand, trotz der von der feilen und verantwortungslosen Presse täglich verabfolgten Giftspritzen im Vereinigten Königreich nicht ein einziges öffentliches Kriegsmeeting abgehalten werden konnte. Bei dem einzigen Kriegsmeeting, das bei der Ankunft der "La Plata" in den Baumwollauktionsräumen der Liverpooler Börse zustande kam, waren die Baumwollspekulanten ganz unter sich. Sogar in Manchester verstand man die Stimmung in der Arbeiterklasse so gut, daß ein einzelner Versuch, ein Kriegsmeeting einzuberufen, kurz nach Aufkommen des Gedankens wieder aufgegeben wurde.

Wo in Schottland, England oder Irland auch öffentliche Meetings stattfanden, protestierten sie gegen das wütende Kriegsgeschrei der Presse, gegen die finsteren Pläne der Regierung und erklärten sich für eine friedliche Lösung der schwebenden Fragen.

http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_439.htm

Dabei hatten die englischen Arbeiter unter dem Krieg und seinen wirtschaftlichen Auswirkungen sehr zu leiden.

Unter gewöhnlichen Umständen hätte man die Haltung der britischen Arbeiter auf die natürliche Sympathie zurückführen können, welche die Volksmassen der ganzen Welt der einzigen Volksregierung der Welt entgegenbringen sollten. Unter den gegenwärtigen Umständen jedoch, da ein großer Teil der britischen Arbeiterklasse direkt und schwer unter den Folgen der Blockade des Südens leidet, da ein anderer Teil indirekt durch die Beschränkung des amerikanischen Handels getroffen wird, der - wie man ihnen erzählt - der selbstsüchtigen "Schutzpolitik" der Republikaner zuzuschreiben ist; da sich die einzige verbliebene demokratische Wochenzeitschrift, "Reynolds's Paper", an die Herren Yancey und Mann verkauft hat und Woche für Woche ihren ganzen Vorrat an schmutzigen Reden darin erschöpft, die Arbeiterklasse aufzurufen, im eigenen Interesse die Regierung zu einem Krieg mit der Union zu drängen - unter solchen Umständen erfordert die bloße Gerechtigkeit, daß man der festen Haltung der britischen Arbeiterklasse Achtung zollt, um so mehr, wenn man diese Haltung dem heuchlerischen, prahlenden, feigen und dummen Verhalten des offiziellen und wohlsituierten John Bull entgegenhält.

Welcher Unterschied liegt in dieser Haltung des Volkes gegenüber jener, welche sie in der Zeit des russischen Konfliktes einnahm, Damals winselten die "Times", die "Post" und die anderen Yellowplushes der Londoner Presse nach Frieden, und im ganzen Lande antworteten ihnen gewaltige Kriegsmeetings. Jetzt heulten sie nach Krieg, woraufhin ihnen Friedensmeetings antworteten, welche die freiheitsmörderischen Plane und die Sympathien der Regierung für die Sklaverei öffentlich brandmarkten.

(ebenda)

Am 10. März 1862 erscheint zur britischen Intervention in Mexiko die letzte Korrespondenz von Marx in der New-York Daily Tribune:

Das soeben veröffentlichte Blaubuch über die Intervention in Mexiko enthält eine sehr tadelnde Enthüllung der modernen englischen Diplomatie mit ihrer ganzen scheinheiligen Heuchelei, ihrer wilden Wut gegen über dem Schwachen, ihrer Kriecherei vor dem Starken und ihrer völligen Mißachtung des Völkerrechts. Ich muß mir für einen anderen Artikel vorbehalten, durch eine genaue Analyse der zwischen Downing Street und den britischen Vertretern in Mexiko gewechselten Depeschen den unwiderlegbaren Beweis dafür zu erbringen, daß die gegenwärtige Verwirrung englischen Ursprungs ist, daß England beim Zustandekommen der Intervention die Initiative ergriff und daß es dies unter zu schwachen und widersprüchlichen Vorwänden tat, um die wirklichen, aber uneingestandenen Motive seines Vorgehens zu verhüllen. Diese Niedertracht, mit der die abscheulichen Mittel angewandt wurden, um die mexikanische Intervention zu beginnen, wird nur durch die greisenhafte Geistesschwäche übertroffen, in der die britische Regierung vorgibt, überrascht zu sein, und sich vor der Ausführung des von ihr selbst geplanten schändlichen Unternehmens drückt. Die zuletzt erwähnte Seite der Frage werde ich zunächst behandeln.
http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_472.htm

An seinem Eintreten für die Nordstaaten kann es nicht gefehlt haben. Die Gründe für den Abbruch der jahrelangen Korrespondenz wurden anscheinend in keinem Brief von Marx oder an Marx gefunden. Nichts, keinerlei Hinweise, von keiner Seite.

Ein Beispiel dafür, wie diskret Marx und Engels und andere Briefpartner ein womöglich entlarvendes Thema totschweigen konnten.

Dabei war die New-York Daily Tribune mit einer Auflage von fast 300.000 Exemplaren im Jahr 1861 die auflagenstärkste Zeitung der Welt und eine Korrespondenz in dieser Zeitung eine hochpolitische Angelegenheit.

Mehring behandelt dieses Rätsel mit einem einzigen Satz:

Das Jahr 1862 glich seinem Vorgänger nicht nur, sondern übertraf ihn noch an Schrecknissen. Die »Wiener Presse« erwies sich trotz aller Reklame, die sie mit Marx trieb, womöglich noch ruppiger als das amerikanische Blatt. Bereits im März schrieb Marx an Engels: »Es ist mir gleichgültig, daß sie die besten Artikel nicht drucken (obgleich ich immer so schreibe, daß sie drucken können). Aber pekuniär geht das nicht, daß sie auf 4-5 Artikel einen drucken und nur einen zahlen. Das setzt mich tief unter die penny-a-liner [Mehring übersetzt: Zeilenreißer].« Mit der »New-York Daily Tribune« hörte im Laufe des Jahres überhaupt jede Verbindung auf, aus Gründen, die sich im einzelnen nicht mehr feststellen lassen, im allgemeinen aber auf den amerikanischen Sezessionskrieg zurückzuführen sind.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_6

Dass es am Sezessionskrieg gelegen habe, ist natürlich Quatsch. Möglich wäre aber, dass Marx in seinen Artikeln zur englischen Politik im Zusammenhang mit dem Sezessionskrieg ausnahmsweise einmal „zu gut“ geworden ist und bei der NYDT ein starker Einfluss ausgeübt wurde, die Zusammenarbeit zu beenden. Das würde aber wieder das Schweigen von Marx und Engels zu dieser Angelegenheit nicht erklären.

Um diese Zeit scheint Marx echte finanzielle Probleme gehabt zu haben, die erst mit zwei Erbschaften endeten:

Er schlug sich dann mühsam durch das Jahr 1863, gegen dessen Schluß seine Mutter starb. Was er von ihr erbte, mag freilich nicht bedeutend gewesen sein. Einige Ruhe verschafften ihm erst die 800 bis 900 Pfund, die ihm als Haupterben Wilhelm Wolff testamentarisch vermachte.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_272.htm#Kap_6

Wie Wilhelm Wolff zu diesem Vermögen gekommen sein soll, ist allerdings ein weiteres Rätsel, das uns Mehring nicht lösen will:

Wolff starb im Mai 1864, tief betrauert von Marx und Engels. Er zählte noch nicht 55 Jahre; im Sturm und Wetter eines bewegten Lebens hatte er sich nie geschont, und wie Engels klagte, durch eigensinnige Pflichttreue in seinem Lehrerberufe sein Ende beschleunigt. Durch seine große Beliebtheit bei den Deutschen in Manchester war er, nachdem ihm das Exil zunächst arg mitgespielt hatte, in ganz behagliche Lebensverhältnisse gekommen, und es scheint auch, daß ihm sein väterliches Erbe nicht lange vor seinem Tode zugekommen ist.
(ebenda)

Wilhelm Wolff war der Sohn eines Kleinbauern, da war nicht viel zu erben. Er musste sich als Privatlehrer in bescheidenen Verhältnissen in Manchester durchschlagen, da war nicht viel zu verdienen und er hat sich eher zu Tode gearbeitet, weil er wohl das Geld brauchte. Und um allen Ungereimtheiten die Krone aufzusetzen, erbt das viele Geld dann der gute Karl Marx?

Erklärbar ist dann wieder die Korrespondenz von Marx mit der „Wiener Presse“, weil sie über einen Redakteur dieser Zeitung, Max Friedländer, vermittelt wurde, bei dem es sich um einen Vetter von Lassalle gehandelt hat. Also ein typischer Fall von Beziehungen, wie es im wahren Leben halt so läuft. Aber sehr viel Honorar konnte er dabei nicht verdient haben.

„Die Presse“ in Wien gehörte dem Unternehmer August Zang, der 1858 die Hälfte der Zeitung für 200.000 Gulden an die „Österreichische Creditanstalt für Handel und Gewerbe“ verkauft hatte, also an das Haus Rothschild. Es muss unter Zang in der Redaktion sehr übel zugegangen sein, weil die Redakteure 1864 fast geschlossen das Blatt verließen und eine eigene Zeitung aufmachten (das Geld kam über die 1863 gegründete „Anglo-Österreichische Bank“): die „Neue Freie Presse“, die bald die führende Zeitung der Habsburger Monarchie wurde.

http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Presse

Mit einem letzten Artikel am 4. Dezember 1862 über die englische Neutralität und die Lage in den Südstaaten endet auch die Korrespondenz für die Wiener Zeitung „Die Presse“.

http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_570.htm

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Liebknecht, Lassalle und Bismarck


Eigentlich hatte Lassalle auf einen Lehrstuhl an einer Universität gehofft. Zu diesem Zweck hatte er 1858 sein Buch „Die Philosophie Herakleitos des Dunklen von Ephesos“ veröffentlicht. Die Hoffnung auf einen Lehrstuhl für Philosophie war aber vergeblich.

Sein bisheriges von Skandalen begleitetes Leben machte eine Universitätskarriere in der damaligen Zeit unmöglich und niemand rechnete damit, dass er sich in Zukunft eher anpassen würde. Also musste Lassalle eine „Karriere“ außerhalb der bürgerlichen Institutionen anstreben und dafür bot sich die beginnende Arbeiterbewegung an, für die von interessierter Seite noch nach passenden Rednern und präsentablen Anführern gesucht wurde.

Weder Marx noch Engels kamen dafür in Frage, weil beide schwere Sprachstörungen hatten. Engels kompensierte sein Problem mit dem Erlernen von Fremdsprachen, so dass über ihn der böse Spruch umging, Engels stottere in zwanzig Sprachen. Bei Marx war es so, dass man seine Rede nicht verstehen konnte, weil er in den höchsten Tonlagen fiepte und pfiff. Irgendwo findet man den Bericht über einen Zuhörer, der bei dem Vortrag von Marx vor Arbeitern immer nur etwas von „Achtblättern“ gehört und verstanden haben wollte. Marx war also als Redner eine Witzfigur und in Arbeiterversammlungen nicht zu vermitteln. Daher blieben beide besser in England weit weg von allen Anlässen zu öffentlichen Auftritten und Reden in Deutschland.

Liebknecht dagegen kehrte nach der Amnestie durch König Wilhelm I. im Jahr 1862 nach Preußen zurück und begann Vorträge in den Arbeiterbildungsvereinen zu halten. Er wurde Mitglied im ADAV und schrieb für die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ („Bismarcks Hauspostille“, Bismarck war seit 1862 preußischer Ministerpräsident), die mindestens seit 1863 von der preußischen Regierung finanziert wurde.

Was nun von Mehring gleich wieder relativiert und als Versehen hingestellt wird:

Er war im Jahre 1862 nach Deutschland zurückgekehrt, auf den Ruf des roten Republikaners Braß, der ebenfalls aus dem Exil heimgekehrt war, um die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« zu begründen. Kaum aber war Liebknecht in die Redaktion eingetreten, als sich herausstellte, daß Braß das Blatt an das Ministerium Bismarck verkauft hatte. Liebknecht schied sofort aus; allein diese erste Erfahrung auf deutschem Boden war dennoch ein sehr unglücklicher Zufall für ihn.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm

Aber aus Versehen erhält niemand wie August Braß das Geld zur Gründung einer Zeitung, fordert einen „Kommunisten“ zur Mitarbeit auf und kommt erst anschließend auf die Idee, das Blatt gleich von Bismarck finanzieren zu lassen. Höchstens, dass der Kurs der Zeitung anfangs nicht so offensichtlich sein sollte, so dass es sich anbot, dem Liebknecht über das Blatt eine angesehene, bürgerliche Stellung mit gutem Einkommen und viel freier Zeit zu verschaffen, was sich dann aber mit dem politischen Kurs der Zeitung allzu auffällig nicht mehr vertrug.

Liebknecht selber schreibt dazu später:

Als die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ zu dem Grafen Bismarck in das bekannte Verhältnis getreten war, infolge dessen ich mich von derselben entfernen mußte, stellte mir Braß für Marx, Engels und mich täglich zwei Spalten seines Blattes zur Verfügung, mit dem Bemerken, wir könnten über Sozialismus und Kommunismus in der rücksichtslosesten Weise schreiben. Die Regierung, in der wir uns täuschten, sei gesonnen, für den armen Mann, für das Proletariat etwas zu tun. Natürlich lehnte ich ab; wir konnten nicht dazu behilflich sein, die Arbeiterbewegung dem Königtum von Gottes Gnaden in die Hände zu spielen.
http://www.marxists.org/deutsch/archiv/liebknechtw/1869/05/01.htm

Die merkwürdig zynische Idee von Braß würde ohne großen Nutzen die ganze jahrzehntelange Konspiration gefährdet haben. Da hätte Otto von Bismarck den Karl Marx gleich nach Berlin zur Mitarbeit in seinem Ministerium einladen können, wie schon 1848 der Ministerpräsident Camphausen.

In den Jahren vor dem Krieg Preußens gegen den Deutschen Bund unter der Führung Österreichs 1866 wurde von dem hier schon mehrfach erwähnten Berliner Polizeidirektor Stieber, der übrigens dasselbe Gymnasium wie Bismarck besucht hatte, ein sehr effektives Agentennetz unter Journalisten österreichischer Zeitungen aufgebaut.

Was Stieber dazu in seiner Biografie schreibt, ist natürlich absurder Schmarren und braucht nicht erst gelesen zu werden. Jedenfalls wurde Stieber im Vorfeld des Krieges gegen Österreich zum Schein zwangspensioniert, um Zeit für Reisen und freie Hand beim Aufbau des preußischen Agentennetzes zu haben. Der lächerliche Idiot, als der er in den Schilderungen von Marx erscheinen muss, auch wenn er in seiner Biografie und auch sonst ein notorischer Lügner und völlig skrupellos gewesen ist, war Stieber ganz sicher nicht. Dagegen sprich schon für den geübten Blick, dass er so früh in seiner Karriere mit Marx und Marx mit ihm zu schaffen hatte. Nach dem preußischen Sieg, zu dem seine Erkenntnisse über die militärischen Möglichkeiten Österreichs sicher ihren Teil beigetragen hatten, setzte Stieber seine steile Karriere auch offiziell wieder fort:

Am 17. Mai 1867 wurde ihm das General-Sicherheitscommissarium übertragen, wodurch er Leiter des gesamten preußischen Staatsschutzes wurde. Im Zuge des Deutsch-Französischen Kriegs wurde er beauftragt, eine Feldsicherheitspolizei aufzubauen, deren Leiter er wurde. Am 17. März 1871 kehrte er nach Berlin zurück, wo er sich seinem Central-Nachrichten-Bureau widmete, das zum ersten durchorganisierten deutschen Geheimdienst wurde.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Stieber

Ob womöglich der Ausschluss von Liebknecht aus dem ADAV 1865 und dessen gleich danach erfolgende Ausweisung aus Berlin und Preußen und der Umzug nach Leipzig im Königreich Sachsen mit den Operationen des Stieber zusammen hängt, sollte zumindest nicht gleich ausgeschlossen werden.

Es gab Streit zwischen Liebknecht und dem aus Frankfurt stammenden Dr. jur. Jean Baptiste von Schweitzer, Chefredakteur der Parteizeitung „Der Social-Demokrat“ und ab 1867 Präsident des ADAV, der ganz zufällig auch die Politik von Bismarck betrieb, was Liebknecht wieder plötzlich erst in diesem Ausmaß entdeckt haben wollte:

So war ein dauerndes Einvernehmen zwischen Liebknecht und Schweitzer unmöglich, und in Liebknechts Augen schlug es dem Fasse den Boden aus, als Schweitzer fünf Artikel über das Ministerium Bismarck veröffentlichte, die an sich zwar eine meisterhafte Parallele zwischen der großpreußischen und der proletarisch-revolutionären Politik in der deutschen Einheitsfrage zogen, aber an dem »Fehler« litten, die gefährliche Wucht der großpreußischen Politik so beredt zu schildern, daß diese fast verherrlicht zu werden schien. Dagegen beging Marx den »Fehler«, in einem Schreiben vom 13. Februar an Schweitzer auszuführen, daß von der preußischen Regierung wohl allerlei frivole Spielereien mit Produktivgenossenschaften, aber keine Aufhebung der Koalitionsverbote zu erwarten sei, die den Bürokratismus und die Polizeiherrschaft durchbräche. Marx vergaß dabei nur zu sehr, was er einst so beredt gegen Proudhon ausgeführt hatte, daß die Regierungen nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse kommandieren, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse umgekehrt die Regierungen. Wenige Jahre noch, und das Ministerium Bismarck mußte, gern oder ungern, die Koalitionsverbote aufheben.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm

Dass die wirtschaftlichen Verhältnisse die Regierungen kommandieren, ist allerdings wirklich eine wichtige historische Erkenntnis und Formulierung von Marx.

Jetzt stellen wir uns einmal vor, dass eine wirklich kluge und vorausschauende Politik auch die Kreise ihrer Gegner mit den nötigen Kadern versorgt, wozu man die dazu engagierten Leute immer wieder einmal ausweisen oder gar einsperren muss, um ihre Glaubwürdigkeit zu pflegen. Gut für die Presse sind da auch regelmäßige Anklagen vor Gericht, die nicht zu Haftstrafen führen brauchen; wenn die Angeklagten wegen ihrer besonders eloquenten Verteidigung freigesprochen werden, ist das fast noch besser als ihre Verurteilung.

Aber was tut ein mittelloser Arbeiter oder Intellektueller nicht alles für einen Sitz als Abgeordneter im norddeutschen Reichstag? Mal eben so ohne heimliche Förderer eine Volkspartei gründen und sich das nächste Jahr als Abgeordneter wählen lassen? Ja sind wir blöd: warum machen wir beide das denn nicht gleich auch so, lieber Leser?

Zusammen mit Bebel initiierte Liebknecht am 19. August 1866 die Gründung der Sächsischen Volkspartei, die eine Allianz zwischen den zunehmend sozialistisch ausgerichteten Arbeiterbildungsvereinen und antipreußischen Linksliberalen in Sachsen bildete. Im Jahr darauf wurden Bebel und Liebknecht als Abgeordnete dieser Partei in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt, wo sie, ab 1868 gemeinsam mit der Deutschen Volkspartei (DtVP), gegen die Regierung Bismarcks und die Vorherrschaft Preußens opponierten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Liebknecht

In dem Geschäft ist immer auch mit dem Schlimmsten zu rechnen und man braucht sich dann über den großen Misserfolg nicht zu wundern:

Unmittelbar nach Preußens Sieg gegen Österreich im deutschen Krieg und der Gründung des norddeutschen Bundes am 18. August 1866 stellte diese Partei ein Zweckbündnis zwischen Radikaldemokraten, Marxisten und Bürgerlichen dar, die das gemeinsame Ziel der Eindämmung der preußischen Vorherrschaft im neuen Staatenbund miteinander verband.
http://de.wikipedia.org/wiki/Sächsische_Volkspartei

Überhaupt: warum sollte Preußen ausgerechnet nach seinem Sieg über Österreich den Liebknecht gleich in Sachsen wieder vergessen haben? Und das noch, nachdem er sich dort unter den politischen Gegnern des erfolgreichen Bismarck engagiert hat? War Stieber wirklich so unfähig, nicht wenigstens Liebknechts Einzug in den Norddeutschen Reichstag mit preußischen und sächsischen Agenten verhindern zu können? In der Partei gab es sicher noch andere, die gern Abgeordnete geworden wären und die es doch nur etwas durch Geld und Presse und bezahlte Leute zu fördern galt. Oder waren es gerade Liebknecht und Bebel, die da gefördert wurden?

Allerdings spricht die Verurteilung Liebknechts im Leipziger Hochverratsprozess 1872 zu zwei Jahren Festungshaft wieder für ihn, jedenfalls auf den ersten Blick und für Leute, die auch auf die schmähliche Entlassung des Polizeidirektors Stieber hereingefallen sind oder wären. Die Anklage lieferte ihm die Gelegenheit zu einer großartigen Verteidigung:

Es ist grundfalsch, daß ich in dem berüchtigten Kölner Kommunistenprozeß eine hervorragende Rolle gespielt habe. Ich war an diesem Prozeß direkt gar nicht beteiligt; ich war weder Angeklagter noch Zeuge. Freilich kam mein Name in der öffentlichen Prozeßverhandlung häufig vor, aber nur, weil er auf einem infam gefälschten Aktenstück stand, das Herr Stieber, um die Verurteilung der Angeklagten zu erwirken, produziert hatte. Ich rede von dem sogenannten »Protokollbuch«, das die Sitzungsberichte der Londoner Gemeinde enthalten und von mir als Schriftführer mit unterzeichnet sein sollte. Die Fälschung wurde sofort nachgewiesen und öffentlich vom Gerichtshof festgestellt. Trotzdem ist Herr Stieber heute noch im Amt und hoch in Gnaden und Ehren, während ich auf der Bank der Angeklagten sitze…

… Mit 16 Jahren kam ich auf die Universität, nachdem ich im Abiturientenexamen die erste Note empfangen hatte. Ich bemerke das, nicht um zu prahlen, sondern um das Gießener Polizeimachwerk zu kennzeichnen, das mich zum verkommenen Subjekt stempeln will…

… faßte deshalb im Jahre 1847 den Entschluß zur Auswanderung nach Amerika. Ungesäumt traf ich die nötigen Vorbereitungen und war schon auf der Reise nach einem Seehafen begriffen, als ich zufällig im Postwagen die Bekanntschaft eines in der Schweiz als Lehrer ansässigen Mannes machte, der meinen Plan mißbilligte und mir, unter Hinweis auf die allem Anschein nach nahe bevorstehende Umgestaltung der europäischen Verhältnisse, mit so beredten Worten die Übersiedelung nach der republikanischen Schweiz riet, daß ich auf der nächsten Poststation umkehrte und, statt nach Hamburg, nach Zürich fuhr.

http://www.zeno.org/Kulturgeschicht...ratsprozeß+gegen+Liebknecht,+Bebel+und+Hepner

An dem Punkt muss man aber einhaken, das kann er vielleicht einem Gericht erzählen, mit dem zufälligen Zusammentreffen; gerade als er mit dem Zug auf dem Weg zum Hafen ist, trifft er doch glatt jemanden, der ihm gleich eine Stellung in der Schweiz vermittelt. So etwas gibt es als Zufall nicht, oder höchstens, wenn ein Arbeit suchendes Dienstmädchen - jung und hübsch - einem reichen Reisenden irgendwo auf dem Bahnhof über den Weg läuft , sonst wird so etwas professionell organisiert.

Dort wollte ich mir auf den Wunsch mehrerer Staatsbeamten, an die ich von meinem neugewonnenen Freund empfohlen war und die sich gegenwärtig zum Teil in hervorragenden Stellungen befinden, das Bürgerrecht erwerben und mich der Advokatenkarriere widmen.
(ebenda)

Was will er dem Gericht wohl damit sagen?

Hier erzählt er die Geschichte von Brass und der Norddeutschen Zeitung:

Bekämpfung des Bonapartismus nach außen und des falschen Bourgeoisliberalismus nach innen, im Sinne der Demokratie und des Republikanismus (zu dem Herr Braß, damals noch »Bürger der Republik Genf«, sich mit großer Emphase bekannte), bildeten das Programm, auf Grund dessen ich im August 1862 den angebotenen Posten übernahm. Anfangs ging alles gut. Doch es dauerte nicht lange, so kam – Ende September 1862 – Herr von Bismarck ans Ruder, und ich merkte bald, daß sich eine Änderung in der Haltung des Blattes vollzog. Ich schöpfte Verdacht und äußerte ihn; Braß leugnete hartnäckig, daß er Verpflichtungen gegen das neue Ministerium eingegangen sei und gab mir carte blanche in meinem Departement (der auswärtigen Politik). Doch die Verdachtsmomente häuften sich. Ich erlangte schließlich die Beweise, daß und wie Braß sich an Herrn von Bismarck als literarischer Hausknecht verdingt hatte. Es ist selbstverständlich, daß ich mein Verhältnis zur »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« nun lösen mußte, obgleich ich damit auf meine einzige Erwerbsquelle verzichtete.
(ebenda)

Wieder fragen wir vergeblich, wie denn wohl diese Zeitung ohne Bismarck finanziert werden sollte? Dass Brass Beziehungen in die Schweiz hatte, könnte noch andere Zusammenhänge andeuten. Nicht nur Edgar Bauer, der Bruder von Bruno Bauer, hat sich im Londoner Exil durch Konfidentenberichte, bei Edgar für die Polizei des preußenfeindlichen Dänemark, den Unterhalt verdient.

[ame="http://www.amazon.de/Konfidentenberichte-europ%C3%A4ische-Emigration-London-1852-1861/dp/392613206X/ref=sr_1_12?ie=UTF8&s=books&qid=1232712681&sr=1-12"]Konfidentenberichte über die europäische Emigration in London 1852-1861: Amazon.de: Edgar Bauer, Margret Dietzen, Elisabeth Neu, Erik Gamby: Bücher[/ame]

Ohne Erwerbsquelle kann er auch nicht leben, spielt aber vor Gericht den Helden:

Um jene Zeit und später wurden wiederholt Versuche gemacht, auch mich zu kaufen. Ich kann nicht positiv sagen, daß Herr von Bismarck mich kaufen wollte, aber ich kann sagen, daß Agenten des Herrn von Bismarck mich kaufen wollten, und zwar unter Bedingungen, die, außer vor mir selbst und meinen Parteigenossen, meine persönliche Würde gewahrt hätten. Herr von, jetzt Fürst Bismarck nimmt nicht bloß das Geld, sondern auch die Menschen, wo er sie findet. Welcher Partei jemand angehört, ist ihm gleichgültig. Apostaten zieht er sogar vor; denn ein Apostat ist der Ehre bar und darum ein willenloses Werkzeug in den Händen des Meisters. Der preußischen Regierung kam damals sehr viel darauf an, die widerspenstige Bourgeoisie zu Paaren zu treiben. Man wollte sie nach dem von dem englischen Torychef Disraeli vor dreißig Jahren gegebenen Rezept, zwischen Junkertum und Proletariat, wie zwischen zwei Mühlsteinen zermalmen, falls sie nicht vorzöge, sich zu fügen. Man stellte mir und meinen Freunden wiederholt die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« für Artikel extrem-sozialistischer, ja kommunistischer Richtung zur Verfügung. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich mich zu diesem schnöden Spiel nicht mißbrauchen ließ und die Bestechungsversuche der Agenten des Herrn von Bismarck mit gebührender Verachtung zurückwies.
(ebenda)

Wahrhaft ein Held, der aber über die Methoden und Zwecke auffallend gut informiert ist, für ein so edles Herz. Bismarck war damals für seine Methoden bekannt, es konnten also vor diesem Gericht keine Geheimnisse mehr ausgeplaudert werden.

Sobald der Berliner Polizei meine Weigerung bekannt wurde, die mich bis dahin unbehelligt gelassen hatte, begann eine Reihe von Schikanen. Jedoch man nahm vorläufig von entscheidenden Schritten gegen mich Abstand. Man mochte die Hoffnung, mich schließlich doch mürbe zu machen, nicht aufgegeben haben.
(ebenda)

Er redet hier gerade so, als wäre er damals frisch aus dem Ei geschlüpft und hätte erstmals mit der preußischen Polizei und die mit einem Grünschnabel wie ihm zu tun gehabt, so dass da irgendwelche Hoffnungen noch nicht erfüllt und noch nicht aufgegeben sein konnten. Dabei war er seit über 20 Jahren überall unterwegs, wo sich gerade entscheidende Ereignisse abgespielt haben.

Im Jahre 1863 eröffnete Ferdinand Lassalle seine bahnbrechende Agitation. Aus Gründen, die im Laufe des Prozesses wohl zutage treten werden, hielt ich mich anfangs fern, bis die schmachvollen Angriffe der Bourgeoispresse auf die junge sozialistische Bewegung mir die Ehrenpflicht auferlegten, alle Bedenken fahren zu lassen
(ebenda)

Na – jetzt höre ich mit dem Zitieren besser auf, sonst läuft uns noch die Butter vom Brot.

Es gab seinerzeit auch Festungshaft, bei der jemand gemütlich Bücher studieren oder gleich verfassen konnte und dafür anschließend richtig berühmt und gefeiert wurde. Haft gehörte bei einem glaubwürdigen, revolutionären Arbeiterführer einfach zum Lebenslauf, auch wenn der Anlass zu den ersten Gefängnisaufenthalten das Engagement für eine Gräfin war, wie bei Lassalle.

Nicht jeder war nach wenigen Wochen Haft (wie unter den üblichen Bedingungen zu erwarten) ein physisch und psychisch gebrochener Mensch; es gab auch und gerade damals bevorzugte Behandlung, obwohl in Preußendeutschland nicht immer derart feudaler Komfort zu erwarten war, wie später für Trotzki und Parvus-Helphand in der Haft in St. Petersburg nach den revolutionären Wirren im Jahr 1905.

Liebknecht und Bebel mussten ihre zwei Jahre „Festungshaft“ im ehemaligen Jagdschloss Hubertusburg absitzen (oder im Schlosspark abwandeln?). Es diente verschiedenen sozialen Einrichtungen und als Anstalt für eine „Modernisierung des Strafvollzuges“, also für privilegierte Häftlinge in Sachsen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Hubertusburg

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Nach seiner Haft wurde Liebknecht 1874 wieder als Abgeordneter der SDAP in den neuen Deutschen Reichstag gewählt.

Wie Liebknecht im folgenden Text ausführt, hatte der Absolutismus das Dreiklassenwahlrecht abgeschafft, um über das allgemeine Wahlrecht ein parlamentarisches Gegengewicht zu den besitzenden Klassen zu schaffen. Die Argumente von Liebknecht sind in unserem Zusammenhang interessant:

Als Bonaparte die Republik gemeuchelt hatte, proklamierte er das allgemeine Stimmrecht. Als Graf Bismarck dem preußischen Junkerpartikularismus den Sieg verschafft, als er durch seine 1866er „Erfolge“ das liberale Bürgertum in Preußen überwunden und Deutschland zerrissen hatte, tat er, was sein Vorbild fünfzehn Jahre vorher getan — er proklamierte das allgemeine Stimmrecht. Bei beiden Gelegenheiten besiegelte die Proklamierung, die Oktroyierung des allgemeinen Stimmrechts den Triumph des Despotismus. Das allein müßte den naiven Schwärmern des Evangelismus vom allgemeinen Stimmrecht die Augen öffnen.
...
Das Dreiklassenwahlsystem, undemokratisch und antidemokratisch wie es ist, hat zugleich einen antifeudalen Charakter, weil es den Schwerpunkt der parlamentarischen Vertretung in die besitzenden Klassen verlegt, die, wenn auch stets bereit, mit dem Absolutismus Front zu machen gegen die Arbeiter, gegen die Demokratie, dennoch Feinde des absolutistischen Staats und bis zu einem gewissen Punkt „liberal“ sind. Das liberale Abgeordnetenhaus, das Produkt des Dreikassensy¬stems war der Junkerregierung unbequem. Es galt, ein Gegengewicht zu schaffen, und dies fand sich im allgemeinen, direkten und gleichen Wahlrecht.

http://www.marxists.org/deutsch/archiv/liebknechtw/1869/05/01.htm

Dazu mussten die Junker freilich die Organisation der Arbeiter- und Volksparteien unter ihre Kontrolle bringen.

Dies berechnete Graf Bismarck, und er verrechnete sich nicht. Durch das allgemeine Stimmrecht fegte er die Oppositerei der besitzenden Klassen aus dem Weg und erlangte eine fügsame Reichtagsmajorität, wie sie das Dreiklassensystem ihm nimmermehr gegeben hätte.
(ebenda)

Es ist allerdings nicht nur der Absolutismus, dem das allgemeine Stimmrecht in seinen Interessen entgegen kommt, weil es eine mächtige Opposition der besitzenden und damit meist auch sehr gut informierten und organisierten Klassen verhindert. Noch mehr gerät jedoch das allgemeine Stimmrecht dem eigentlichen Großkapital zum Vorteil, das in seinen Interessen durch den Mittelstand und die Konkurrenz der kleinen Fabrikanten und Händler andernfalls von der Gesetzgebung schwer gehemmt wird.

Ob zahlungskräftige und einflussreiche Interessen des Absolutismus oder des Großkapitals: bei solchen Verlockungen sollten unsere reinen Engel Marx und Engels, Bebel und Liebknecht jetzt wirklich widerstanden haben?

Man kann mit Sicherheit behaupten, daß in Preußen kein Abgeordneter in den „Reichstag“ gewählt werden kann, dessen Kandidatur die Regierung ernsthaft bekämpft.
(ebenda)

Schreibt Liebknecht selbst und das wird aber sicher nicht nur wörtlich für Preußen gelten, aber für seinen Wahlkreis oder andere nicht mehr. Der ADAV hatte schon 1870 sechs Abgeordnete im Reichstag des Norddeutschen Bundes und die marxistischen „Eisenacher“ allerdings nur den Liebknecht und den Bebel, aber immerhin.

Nur ein Thema vermeidet er sorgfältig bei all seinen gewiss lehrreichen Details der politischen Ränkespiele: man braucht auch Leute, die ohne jeden Zweifel die ärgsten Feinde zu sein scheinen – und es doch nicht sind; was aber erst durch wirklich eingehende Studien der Lebensläufe zu belegen ist.

Zurück zu Lassalle, der den ADAV einst gegründet hatte.

Seine politische Zeit als Arbeiterführer war kurz, aber gut vorbereitet.

Im April 1862 veröffentlichte Ferdinand Lassalle seine detailliert ausgearbeiteten Reden Über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes (Arbeiterprogramm) und Über Verfassungswesen. Das Arbeiterprogramm war die Einführung in die durch seine Ideale und Ideen geprägte Vorstellung von Sozialismus. Es wandte sich komplett vom liberalen Bürgertum ab und fand Anklang in der Arbeiterschaft. Lassalle war der Meinung, dass Bismarck das Bürgertum vollkommen kontrolliere. Lassalle versuchte in seiner Vorstellung von jeher genau das zu tun, was die Deutschen in der Märzrevolution erreichen wollten. Dazu gehörte unter anderem die Redefreiheit. Lassalle schrieb und redete ungehindert und nicht zurückhaltend. Dies brachte ihm jedoch auch seine Gefängnisstrafen ein. So saß Lassalle ab dem 20. April 1863 wieder einen Monat im Gefängnis, weil er sich in seiner Verteidigungsrede unvorteilhaft zur Anklage wegen des Arbeiterprogramms über den Sohn des Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling ausgelassen hatte. Bei der Anklage wegen des Arbeiterprogramms musste er eine Strafe von weiteren vier Monaten hinnehmen. Lassalle klagte auch den Verfassungsbruch Bismarcks an und hielt dazu zwei eindrucksvolle Reden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Lassalle

Natürlich lesen die Arbeiter keine komplizierten Programme und erwarten sich auch nichts davon. Sie können auch, wozu denn, mit Schelling nichts anfangen.

Ein Mann jedoch, der wegen seines Eintretens für ihre Interessen ins Gefängnis geht, ist des begeisterten Beifalls aller Arbeiter sicher. Da war also nur noch dafür Sorge zu tragen, dass ein an Luxus und bevorzugte Behandlung gewöhnter Mann wie Lassalle nicht durch wenige Wochen Haft zum physischen und psychischen Krüppel und für den Rest seines Lebens traumatisiert wurde, wie es der Strafvollzug damals so an sich hatte und zur Strafe und Abschreckung bezweckte.

Die offizielle Geschichtsschreibung stellt es so dar, als habe Lassalle einfach mit seinen Reden vom April 1882 die Arbeiter in Leipzig begeistert, so dass sie ihn gleich seine Ideen ausarbeiten ließen und ihn im Mai 1863 noch zu ihrem Präsidenten wählten. Wer Erfahrung in der politischen Arbeit besitzt, der weiß, dass so etwas mit Reden schlecht zu erreichen, dagegen mit etwas Geld für den bedürftigen Arbeiterverein und seine aktiven Mitglieder weiter kein Problem ist.

Ende 1862 wurde Lassalle von Otto Dammer, Julius Vahlteich und Friedrich Wilhelm Fritzsche vor das Komitee der Leipziger Arbeiterzentrale geladen. Er solle seine Ideen einbringen und die Mittel darbieten, deren sich die Arbeiterbewegung zu bedienen hätte. Das Offene Antwortschreiben war der Anstoß zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), der ersten Vorgängerorganisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), die heute die älteste Partei Deutschlands ist.



Ferdinand Lassalle wurde für fünf Jahre zum Präsidenten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), gegründet am 23. Mai 1863, gewählt. Seine Hauptforderungen waren:

+ das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht

+ Errichtung von Produktivgenossenschaften mit staatlichen Vorzugskrediten

Er erweckte die Zuversicht, mit Hilfe des bestehenden Staates friedlich in den Sozialismus hineinwachsen zu können. Im ADAV bildete sich um Julius Vahlteich und Wilhelm Liebknecht eine Opposition gegen Lassalle. Besonders wurde Lassalle verübelt, dass er für eine Einigung Deutschlands unter Führung des preußischen Staates eintrat.

Lassalle trat seit Mai 1863 einige Male in Kontakt mit Bismarck, um ihn zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu überreden. Im Gegenzug wollte er Bismarck unterstützen.

Bismarck machte ihm konkrete Versprechungen, die er auch nach dem Krieg gegen Österreich (bereits nach Lassalles Tod) unter der ADAV-Präsidentschaft Johann Baptist von Schweitzers einlöste.

Zuvor jedoch sprach Lassalle vor dem Staatsgerichtshof, der ihn im März 1864 wegen Hochverrat anklagte, weil er die Verfassung zu stürzen beabsichtigt habe. In seiner Rede sagte Lassalle, dass er es nicht nur beabsichtigt habe, sondern es sogar sehr bald so weit sein werde, dass die Verfassung gestürzt wäre – und zwar ohne Blutvergießen. Die Hilfe Bismarcks erwähnte er in seiner Rede nicht. Lassalle beabsichtigte, im September 1864 für die Annexion Schleswig-Holsteins durch Preußen zu werben...

http://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Lassalle

In einem Brief von Engels an Weydemeyer in New York, aus dem Mehring zitiert hat, hieß es:

daß Lassalle viel tiefer mit Bismarck drin war, als wir je gewußt hatten. Es existierte eine förmliche Allianz zwischen beiden, die so weit gekommen war, daß Lassalle nach Schleswig-Holstein gehn sollte und da für die Annexation der Herzogtümer an Preußen auftreten, während Bism[arck] weniger bestimmte Zusagen wegen Einführung einer Art allgemeinen Stimmrechts und bestimmtere wegen Koalitionsrecht und sozialer Konzessionen, Staatsunterstützung für Arbeiterassoziationen usw. gemacht hatte. Gedeckt war der dumme Lassalle dem Bism[arck] gegenüber durch gar nichts, au contraire [von Mehring übersetzt: im Gegenteil], er wäre sans façon [von Mehring übersetzt: ohne Umstände] ins Loch geworfen worden, sobald er unbequem wurde. Die Herren vom ›Social-Demokrat‹ wußten das und fuhren trotz alledem mit dem Kultus Lassalles heftiger und heftiger fort. Dazu aber kam, daß die Kerle sich durch Drohungen von seiten Wageners (von der ›Kreuzzeitung‹) einschüchtern ließen, Bismarck die Cour zu schneiden, mit ihm zu kokettieren, etc., etc. ... Wir ließen inliegende Erklärung drucken und traten ab, wobei auch Liebknecht abtrat…
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm

Wobei Mehring aber gleich den Eindruck zu erwecken sucht, dass diese Beschuldigungen des Lassalle falsch wären und von der Gräfin Hatzfeldt verursacht worden seien. Allerdings hatte er damit den Brief von Engels ausgegraben und erst publik gemacht.

Es ist schwer verständlich, daß Marx und Engels und Liebknecht, die alle Lassalle gekannt hatten und alle den »Social-Demokrat« lasen, an die Märchen der Gräfin Hatzfeldt glaubten, aber wenn sie einmal daran glaubten, so war es nur zu verständlich, wenn sie sich von der Bewegung abwandten, die Lassalle eingeleitet hatte.
(ebenda)

Richtig und zutreffend ist aber sicher, dass Lassalle mit seinem schnellen Erfolg als Präsident des ADAV dem Marx und seinem getreuen Engels persönlich auf das Tiefste verhasst sein musste. Die Politik des ADAV mit Bismarck erforderte zudem auch vor dem Publikum den Bruch mit Marx und Liebknecht und umgekehrt.

Die Leistungen von Lassalle auf dem Gebiet der Theorie der Arbeiterbewegung lassen sich auch nicht gerade hoch bewerten, wie das „eherne Lohngesetz“ zeigt.

Nach Lassalle müssten die Löhne bei freier Konkurrenz immer auf das Existenzminimum für das Leben der Arbeiter beschränkt bleiben. Das ist eine Abwandlung des Bevölkerungsgesetzes von Malthus und der Existenzminimumtheorie von Ricardo, mit denen die Not der Bevölkerung als Folge eines Naturgesetzes und nicht politischer Schandtaten und gesellschaftlicher Missstände dargestellt wurde.

Nach dem „ehernen Lohngesetz“ hätte die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter zur Durchsetzung besserer Löhne und Arbeitsbedingungen keinen Sinn. Die Arbeiter sollten nach den Vorstellungen von Lassalle durch ihre Abgeordneten staatlich geförderte Produktionsgenossenschaften fordern und durchsetzen.

Das „eherne Lohngesetz“ ist falsch, weil es danach keinen Fortschritt der Produktivität der Arbeit oder keine Chance auf eine Beteiligung der Arbeiter durch steigende Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen geben dürfte.

Die Ablehnung der Gewerkschaftsarbeit durch den ADAV war absurd. Diese alberne Doktrin beschäftigte noch den Gothaer Kongress von 1875.
http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/innenpolitik/einigungskongress/index.html

Am 31. August 1864 starb Lassalle nach einem Duell wegen einer Liebschaft.

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Wie Marx die Internationale in die Hand bekam


Das Risorgimento in Italien und der Sezessionskrieg zwischen den Nord- und den Südstaaten in Amerika hatten die öffentliche Aufmerksamkeit auf internationale Vorgänge gelenkt und länderübergreifende Bündnisse politischer Interessen und Ideen auf die Tagesordnung gesetzt. Speziell in England und Frankreich stellte sich noch die Frage eines Eingreifens in den amerikanischen Bürgerkrieg.

Niemand anders als Napoleon III. gab den Anstoß für den erneuten Aufschwung einer Arbeiterbewegung und dem Franz Mehring dürfen wir das jetzt schon glauben:

Hatte die Handelskrise von 1857 der bonapartistischen Herrlichkeit in Frankreich den ersten nachhaltigen Stoß gegeben, so war der Versuch, diesen Stoß durch ein glückliches Abenteuer der auswärtigen Politik zu parieren, keineswegs gelungen. Die Kugel, die der Dezembermann ins Rollen gebracht hatte, war ihm längst aus den Händen geglitten. Die italienische Einheitsbewegung wuchs ihm über den Kopf, und die französische Bourgeoisie ließ sich mit dem mageren Lorbeer der Schlachten von Magenta und Solferino nicht abspeisen. Um ihren wachsenden Übermut zu dämpfen, lag der Gedanke nahe, der Arbeiterklasse einen größeren Spielraum zu gewähren; die Existenzmöglichkeit des zweiten Kaiserreichs bestand ja recht eigentlich in der gelungenen Lösung der Aufgabe, Bourgeoisie und Proletariat gegenseitig in Schach zu halten.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm

Nicht anders als die preußische Regierung war auch der Kaiser von Frankreich auf die Idee gekommen, gegen die unzufriedene Bourgeoisie in seinem Land eine Arbeiterbewegung zu fördern, mit der sich dieser Bourgeoisie drohen ließ.

Er hatte auf dem Gebiet Erfahrung, war doch schon nach seinem Staatsstreich vom 2. Dezember 1851mit Hilfe organisierter Anhänger die Auseinandersetzung im Parlament und auch das Plebiszit zur Wiederherstellung des Kaisertums vom 21. November 1852 gewonnen worden, wie Marx in seinem „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ beschrieben hat.

Unter dem Vorwande, eine Wohltätigkeitsgesellschaft zu stiften, war das Pariser Lumpenproletariat in geheime Sektionen organisiert worden, jede Sektion von einem bonapartistischen Agenten geleitet, an der Spitze ein bonapartistischer General. Neben zerrütteten Roués <Wüstlingen> mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Herkunft, neben verkommenen und abenteuernden Ablegern der Bourgeoisie Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Lazzaroni, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Maquereaus <Zuhälter>, Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz, die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Franzosen la bohème nennen; mit diesem ihm verwandten Elemente bildete Bonaparte den Stock der Gesellschaft vom 10. Dezember. "Wohltätigkeitsgesellschaft" - insofern alle Mitglieder gleich Bonaparte das Bedürfnis fühlten, sich auf Kosten der arbeitenden Nation wohlzutun.
http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_159.htm

In Frankreich galt immer noch ein Koalitionsverbot gegen die Arbeiter und selbst der Kaiser konnte das nicht einfach aufheben gegen den wütenden Widerstand der französischen Bourgeoisie. So fand er anlässlich der Weltausstellung in London einen Weg, die Vereinigung der Arbeiter durch einen harmlosen, aber organisierten Besuch der Weltausstellung in London mit seiner Unterstützung in die Wege zu leiten.

Trotz der Abmahnungen Proudhons und der strengen Koalitionsverbote wurden von 1853 bis 1866 nicht weniger als 3.909 Arbeiter wegen Beteiligung an 749 Koalitionen strafrechtlich verurteilt. Der nachgemachte Cäsar begann damit, die Verurteilten zu begnadigen. Dann unterstützte er die Entsendung von französischen Arbeitern auf die Londoner Weltausstellung von 1862, und zwar, wie sich nicht bestreiten läßt, in viel gründlicherer Weise, als der deutsche Nationalverein denselben sinnreichen Gedanken zu gleicher Zeit verwirklichte. Die Delegierten sollten von ihren gewerblichen Fachgenossen gewählt werden; es wurden in Paris 50 Wahlbüros für 150 Fächer gebildet, die im ganzen 200 Vertreter nach London sandten; die Kosten bestritt - neben einer freiwilligen Subskription - die kaiserliche und die städtische Kasse mit je 20.000 Franken. Bei ihrer Rückkehr durften die Delegierten ausführliche Berichte, die meist schon weit über das fachliche Gebiet hinausgriffen, durch den Druck verbreiten. Unter den damaligen Verhältnissen war es eine Haupt- und Staatsaktion, die dem ahnungsvollen Engel von Pariser Polizeipräfekten den Stoßseufzer entlockte, ehe sich der Kaiser auf solche Scherze einließe, sollte er lieber gleich die Koalitionsverbote aufheben.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm

Bei den kurz darauf anstehenden Nachwahlen in Paris wurde erstmals wieder ein Kandidat der Arbeiter mit einem politischen Manifest aufgestellt, der zwar nur wenige Stimmen erreichte und weder die Unterstützung Proudhons noch die der Blanquisten hatte, aber für die Organisation der Arbeiter neuen Mut machte.

Hierdurch ermutigt, wagte Bonaparte wieder einen Schritt vorwärts; im Mai 1864 wurde durch ein Gesetz zwar noch nicht das Verbot der Fachvereine aufgehoben, was erst vier Jahre später geschah; wohl aber wurden die Paragraphen des Code pénal beseitigt, die Koalitionen der Arbeiter für Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen untersagten.
(ebenda)

Angeregt durch die Delegierten der französischen Arbeiter kam es während der Weltausstellung in London zu einem gemeinsamen Fest mit den Vertretern der englischen Trade Unions.

Im Juli 1863 fand in London eine große Sympathiekundgebung für die Polen statt, die im Januar 1863 einen neuen Aufstand gegen den Zaren begonnen hatten. Die angereisten französischen Arbeiter diskutierten bei der Gelegenheit mit den Briten eine internationale Zusammenarbeit der Arbeiter, mit der unter anderem die vom Kapital geförderte Lohndrückerei durch ausländische Arbeiter eingeschränkt werden könne.

daß die Schmutzkonkurrenz, die das englische Kapital durch die Einfuhr ausländischer Arbeiter dem englischen Proletariat mache, nur möglich sei, weil es an einer systematischen Verbindung zwischen den arbeitenden Klassen aller Länder fehle.

Sie wurde von Professor Beesly, einem um die Arbeitersache vielfach verdienten Gelehrten, der an der Londoner Universität Geschichte vortrug, ins Französische übersetzt und rief eine lebhafte Bewegung in den Pariser Werkstätten hervor, die in dem Entschluß gipfelte, die Antwort durch eine Deputation persönlich nach London zu schicken. Zu deren Empfang berief der englische Ausschuß für den 28. September 1864 nach St. Martins Hall ein Meeting, das unter dem Vorsitz Beeslys tagte und bis zum Ersticken überfüllt war…

Nach einer lebhaften Debatte, in der Eccarius für die Deutschen sprach, beschloß das Meeting auf den Antrag des Trade-Unionisten Wheeler, ein Komitee niederzusetzen mit der Vollmacht, seine Zahl zu vermehren und die Statuten für eine internationale Vereinigung zu entwerfen, die vorläufig gelten sollten, bis im nächsten Jahre ein internationaler Kongreß in Belgien endgültig darüber entschiede. Das Komitee wurde gewählt: es bestand aus zahlreichen Trade-Unionisten und ausländischen Vertretern der Arbeitersache, darunter für die Deutschen - ihn nennt der Zeitungsbericht an letzter Stelle - Karl Marx.

(ebenda)

Karl Marx konnte dabei auf die Unterstützung des deutschen Arbeiterbildungsvereins in London rechnen, in dem er sich nach langer Zeit während seiner Kampagne gegen Carl Vogt wieder engagiert hatte.

Marx erhielt die Einladung von einem in London lebenden Franzosen, dem in England vielseitig aktiven Freimaurer Victor Le Lubez, der maßgeblich an der Vorbereitung des Meetings beteiligt war:

Er war von dem Franzosen Le Lubez aufgefordert worden, sich für die deutschen Arbeiter zu beteiligen und namentlich einen deutschen Arbeiter als Sprecher zu stellen. Er schlug Eccarius vor, während er selbst dem Meeting nur als stumme Figur auf der Plattform beiwohnte.
(ebenda)

Das Meeting beschloss die Leitung der IAA durch ein zentrales Komitee in London, in dem die einzelnen Länder durch korrespondierende Sekretäre vertreten sein sollten. So kam Marx zu seinem Amt als korrespondierender Sekretär für Deutschland: auf seinen eigenen Vorschlag war nämlich der deutsche Arbeiterbildungsverein in London mit der Nominierung beauftrag worden.

Dr. Marx stated that the German Working Men’s Association would elect a corresponding secretary for Germany.
http://marxists.architexturez.net/history/international/iwma/documents/1864/october.htm

Le Lubez wurde korrespondierender Sekretär für Frankreich; der Sekretär von Mazzini, Louis Wolff, wurde korrespondierender Sekretär für Italien. Aus nicht ersichtlichen Gründen hat Mazzini die IAA dem Karl Marx überlassen, obwohl zu Beginn auch weitere Anhänger von Mazzini auf Vorschlag seines Sekretärs noch kooptiert wurden.

Dabei fügte es sich glücklich, daß ihm die geistige Leitung durch äußere Umstände von selbst zufiel. Das gewählte Komitee ergänzte sich durch Hinzuziehung neuer Kräfte; es bestand aus etwa 50 Mitgliedern, zur Hälfte englischen Arbeitern. Danach war am stärksten Deutschland durch etwa 10 Mitglieder vertreten, die wie Marx, Eccarius, Leßner, Lochner, Pfänder schon dem Bunde der Kommunisten angehört hatten. Frankreich hatte 9, Italien 6, Polen und die Schweiz je 2 Vertreter. Nach seiner Konstituierung setzte das Komitee ein Unterkomitee nieder, das Programm und Statuten entwerfen sollte.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm

Wer das für Hexerei oder Genialität hält, wie Marx hier schnell mit seinen Leuten Einfluss gewann, möge bedenken, dass nur wenige, die Zeit und Geld und Beziehungen hatten, als Komiteemitglieder in Frage kamen.

Wer sein Geld wirklich durch echte Arbeit verdienen muss, kann sich nicht regelmäßig an langen Diskussionen beteiligen, Programme und Protokolle ausarbeiten, Briefe schreiben und Leute empfangen oder besuchen. So fallen derartige Organisationen immer wieder schnell in die Hände derselben Spezialisten, die man schon von anderweitigen politischen Umtrieben kennt und die genau dafür von interessierter Seite organisiert und ausgehalten werden.

In der Pariser Sektion der Internationale kam es bald zu Differenzen und der zuerst sehr einflussreiche Le Lubez musste ausscheiden:

In his memorandum Marx showed that the essence of the conflict was in the bourgeois democrats’ encroachments on the class character of the international proletarian organisation and drew attention to the French refugee Le Lubez, who constantly supported the bourgeois republican Lefort. Marx, in particular, noted Le Lubez’s striving to coopt Lefort’s supporters into the Paris Administration and his opposition to the Central Council’s decision on this issue adopted on March 7, 1865. Le Lubez and his followers were rebuffed and he was forced, in early April 1865, to give up the post of Corresponding Secretary for France.

Notes from MECW

239 The protest against the official appointment of Schily as the Central Council’s representative in Paris came from the French bourgeois-democratic refugees, members of a Masonic lodge in London. They also belonged to the French Section in London which had several representatives on the Central Council. The protest was read out at the Council meeting on March 14, but was waived on the insistence of Marx who informed all the present at the meeting of Schily’s intention to reject the appointment.

http://marxists.anu.edu.au/history//international/iwma/documents/1865/paris-memorandum.htm

Der bekannte russische Historiker und Marxist Boris Ivanovich Nicolaevsky betonte die Rolle der Freimaurer bei der Gründung der Internationale:

The part played by individual Philadelphians in 1864 was enormous; Victor Le Lubez, to name only the most important, personally undertook the tremendous work of organizing the meeting of September 28, 1864, at which the General Council of the First International was elected. The General Council of the International was selected by Le Lubez, and included a large and influential group of Philadelphians.

We do not know enough about the members of the General Council to establish precisely how many of them were Philadelphians or their allies, but we do know that of eight non-Englishmen elected to the first General Council, Six were Philadelphians or Mazzinists, who, as we have seen, were then allied with the Philadelphians. And the influence of the non-English members of the General Council was much greater than their number would suggest. By November 29, the membership of the General Council had increased to 58, and the new members were primarily candidates proposed by Le Lubez. The French group in the General Council grew from three to nine, eight of whom were Philadelphians; and the number of non-English members who were definitely allies of Le Lubez—among whom I count all the Italians and Poles of Emile Holtorp's group—grew from six to 18 at the meeting of November 29, an increase, that is, from 19 per cent of the total membership of the General Council to 31 per cent.

http://freemasonry.bcy.ca/history/revolution/index.html

Dem widersprechen die Freimaurer:

Nicolaevsky omits to mention that of the twenty-three members elected to the provisional Central Committee, at St. MartinÕs Hall, London, on 28 September 1864, only three: Victor Le Lubez, J. B. Bocquet and J. Denoual could have been members of Loge de Philadelph. Of the about forty attending the 5 October 1864 meeting Of the nineteen apppointed between October 12 and 29 November, in fact only three were proposed by Le Lubez

On the other hand, it has also been claimed the the meeting had been called by leaders of the London trade unions. Le Lubez took part in the inaugural meeting but was expelled from the General Council in 1866.

(ebenda)

Nach meinem Eindruck haben die Freimaurer wie auch Mazzini bald das Interesse an der IAA verloren, die in der Realität nie eine Rolle gespielt hat und nur rückblickend mit dem Sieg des „Marxismus“ in Russland eine Bedeutung zugemessen bekam, die der historischen Wirklichkeit nicht entspricht.

Die von Marx im Oktober 1864 entworfenen und im zuständigen Unterkomitee leicht veränderten „Provisorische Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation“ kann man hier nachlesen:

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_014.htm

Die Statuten sind kein besonderer Kunstgriff und sie wurden wohl Marx überlassen, wie später die gesamte IAA, weil Mazzini und die andere anfangs Beteiligten für derartige Themen keine Neigung hatten.

Besonders gerühmt wird die ebenfalls von Marx verfasste „Inauguraladresse
der Internationalen Arbeiter-Assoziation“, die in Deutschland in der Parteizeitung des ADAV „Der Social-Demokrat“ im Dezember 1864 veröffentlicht wurde.

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_005.htm

Mehring lobt in den höchsten Tonlagen:

Von der »Inauguraladresse« hat Beesly später einmal gesagt, sie sei wahrscheinlich die gewaltigste und schlagendste Darlegung der Arbeitersache gegen die Mittelklasse, die je in ein Dutzend kleiner Seiten zusammengepreßt worden sei. Die »Adresse« begann damit, die große Tatsache festzustellen, daß sich die Not der Arbeiterklasse in den Jahren von 1848 bis 1864 nicht gemindert habe, obgleich gerade dieser Zeitraum in den Jahrbüchern der Geschichte beispiellos dastehe durch die Entwicklung seiner Industrie und das Wachstum seines Handels. Sie führte den Beweis dadurch, daß sie urkundlich gegenüberstellte einerseits die fürchterliche Statistik der amtlichen Blaubücher über das Elend des englischen Proletariats, andererseits die Ziffern, die der Schatzkanzler Gladstone in seinen Budgetreden beigebracht hatte für die berauschende, aber ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschränkte Vermehrung von Macht und Reichtum, die in jenem Zeitraum vor sich gegangen sei. Die »Adresse« deckte diesen schreienden Gegensatz an den englischen Zuständen auf, weil England an der Spitze der europäischen Industrie und des europäischen Handels stehe, aber sie fügte hinzu, daß er mit anderer Lokalfärbung und auf etwas kleinerer Stufenleiter in allen Ländern des Festlandes bestehe, wo die große Industrie sich entwickle.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm#Kap_2

Im Gegensatz zum obigen Lob wirkt die Inauguraladresse ziemlich sinnlos zusammengestückelt und ungegliedert. Wenige Sätze sind zitierfähig:

Dieselben Listen enthüllen die Tatsache, daß ungefähr dreitausend Personen ein jährliches Einkommen von ungefähr 25 Millionen Pfd.St. unter sich teilen, mehr als das Gesamteinkommen, welches der Gesamtmasse der Ackerbauarbeiter von England und Wales jährlich zugemessen wird!

Öffnet den Zensus von 1861 und ihr findet, daß die Zahl der männlichen Grundeigentümer von England und Wales von 16.934 im Jahr 1851 herabgesunken war zu 15.066 im Jahre 1861, so daß die Konzentration des Grundeigentums in 10 Jahren um 11 Prozent wuchs. Wenn die Konzentration des Landes in wenigen Händen gleichmäßig fortschreitet, wird sich die Grund- und Bodenfrage (the land question) ganz merkwürdig vereinfachen, wie zur Zeit des Römischen Kaiserreichs, als Nero grinste über die Entdeckung, daß die halbe Provinz von Afrika 6 Gentlemen angehörte.

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_005.htm

Das braucht man nicht zu kommentieren, der Rest ist noch konfuser.

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Hellmann
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Auch die russisch-britische Verschwörung kommt wieder vor:

Nach dem Fehlschlag der Revolutionen von 1848 wurden auf dem Kontinent alle Parteiorganisationen und Parteijournale der arbeitenden Klasse von der eisernen Hand der Gewalt unterdrückt, die fortgeschrittensten Söhne der Arbeit flohen in Verzweiflung nach der transatlantischen Republik, und der kurzlebige Traum der Emanzipation zerrann vor einer Epoche von fieberhaftem Industrialismus, moralischem Marasmus und politischer Reaktion. Die Niederlagen der kontinentalen Arbeiterklassen, wozu die diplomatische Einmischung des britischen Kabinetts, damals wie jetzt im brüderlichen Bund mit dem Kabinett von St. Petersburg, nicht wenig beitrug, verbreitete ihre ansteckende Wirkung bald diesseits des Kanals.
(ebenda)

Die Durchsetzung des Zehnstunden-Arbeitstages wird gelobt:

Und dennoch war die Periode von 1848 bis 1864 nicht ohne ihre Lichtseite. Hier seien nur zwei große Ereignisse erwähnt. Nach einem dreißigjährigen Kampf, der mit bewundrungswürdiger Ausdauer geführt ward, gelang es der englischen Arbeiterklasse durch Benutzung eines augenblicklichen Zwiespalts zwischen Landlords und Geldlords, die Zehnstundenbill durchzusetzen…

Der Kampf über die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit wütete um so heftiger, je mehr er, abgesehen von aufgeschreckter Habsucht, in der Tat die große Streitfrage traf, die Streitfrage zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von Nachfrage und Zufuhr, welche die politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet. Die Zehnstundenbill war daher nicht bloß eine große praktische Errungenschaft, sie war der Sieg eines Prinzips. Zum erstenmal erlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse.

(ebenda)

Auch hier hätte er am letzten Absatz noch feilen sollen. Das helle Tageslicht zum Beispiel kann man in einer Wirtshausrede als Floskel verwenden.

Wir finden sogar ein Lob der Kooperativen, die sonst als utopischer Sozialismus verdammt werden. Aber wie ist das wieder formuliert:

Ein noch größerer Sieg der politischen Ökonomie der Arbeit über die politische Ökonomie des Kapitals {1} stand bevor. Wir sprechen von der Kooperativbewegung, namentlich den Kooperativfabriken, diesem Werk weniger kühnen "Hände" (hands). Der Wert dieser großen Experimente kann nicht überschätzt werden. Durch die Tat, statt durch Argumente, bewiesen sie, daß Produktion auf großer Stufenleiter und im Einklang mit dem Fortschritt moderner Wissenschaft vorgehen kann ohne die Existenz einer Klasse von Meistern (masters), die eine Klasse von "Händen" anwendet; daß, um Früchte zu tragen, die Mittel der Arbeit nicht monopolisiert zu werden brauchen als Mittel der Herrschaft über und Mittel der Ausbeutung gegen den Arbeiter selbst, und daß wie Sklavenarbeit, wie Leibeigenenarbeit so Lohnarbeit nur eine vorübergehende und untergeordnete gesellschaftliche Form ist, bestimmt zu verschwinden vor der assoziierten Arbeit, die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichen Herzens verrichtet. In England wurde der Samen des Kooperativsystems von Robert Owen ausgestreut; die auf dem Kontinent versuchten Arbeiterexperimente waren in der Tat der nächste praktische Ausgang der Theorien, die 1848 nicht erfunden, wohl aber laut proklamiert wurden.
(ebenda)

Im folgenden Absatz wird die Kooperativbewegung aber gleich wieder verworfen:

Es ist vielleicht gerade dies der Grund, warum plausible Lords, bürgerlich-philanthropische Salbader und ein paar trockne politische Ökonomen jetzt mit demselben Kooperativsystem schöntun, das sie früher in seinem Keim zu ersticken versucht hatten, das sie verhöhnt hatten als die Utopie des Träumers und verdammt hatten als die Ketzerei des Sozialisten.
(ebenda)

Das Problem liegt nicht nur in der Übersetzung aus dem Englischen, sondern es ist wieder das hegelsche Geschwalle etwa von der „politischen Ökonomie der Arbeit“ und dergleichen mehr.

Höchstens den letzten Teil des letzten Satzes hier zur internationalen Politik könnte und müsste man unterstreichen, wenn man sich die russische Verschwörung, die heroischen Polen und den Kaukasus mit seinen Bergvesten wieder schenkt:

Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeudet? Nicht die Weisheit der herrschenden Klassen, sondern der heroische Widerstand der englischen Arbeiterklasse gegen ihre verbrecherische Torheit bewahrte den Westen Europas vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei. Der schamlose Beifall, die Scheinsympathie oder idiotische Gleichgültigkeit, womit die höheren Klassen Europas dem Meuchelmord des heroischen Polen und der Erbeutung der Bergveste des Kaukasus durch Rußland zusahen; die ungeheueren und ohne Widerstand erlaubten Übergriffe dieser barbarischen Macht, deren Kopf zu St. Petersburg und deren Hand in jedem Kabinett von Europa, haben den Arbeiterklassen die Pflicht gelehrt, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; wenn unfähig zuvorzukommen, sich zu vereinen in gleichzeitigen Denunziationen und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen.
http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_005.htm

Leider hat Marx genau das dann nicht umgesetzt, sondern seine unsinnige Werttheorie zum Kerndogma des Marxismus erhoben.

Insgesamt ist die Inauguraladresse völlig unbrauchbar und verfolgt keine klaren Gedanken. Wenn man also einen Erfolg der Internationalen Arbeiterassoziation verhindern wollte, war Karl Marx dafür der richtige Mann.

Gleich geht es auch wieder los mit Intrigen:

Es ist eine alte aber weder schöne noch wahre Überlieferung, daß die deutschen Lassalleaner den Eintritt in die Internationale verweigert und sich überhaupt feindlich zu ihr gestellt hätten.

Zunächst ist nicht abzusehen, welchen Grund sie dazu gehabt haben sollten. Ihre straffe Organisation, auf die sie allerdings hohen Wert legten, wurde durch die »Statuten« der Internationalen nicht im entferntesten angetastet, und die »Inauguraladresse« konnten sie von A bis Z unterschreiben; mit besonderer Genugtuung sogar den Abschnitt über die Kooperativarbeit, die nur durch ihre Ausdehnung zu nationalen Dimensionen und ihre Förderung durch Staatsmittel die Massen retten könne.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm#Kap_2

Der uns schon vielseitig bekannte und auch hier wieder beteiligte Moses Heß hatte in einem Brief an die Parteizeitung des ADAV ein Mitglied der IAA spezieller Beziehungen zu Jerome Bonaparte verdächtigt und Der Redakteur Schweitzer hatte den Brief nicht gleich abgedruckt:

Nun hatte allerdings Moses Heß, der aus Paris für das Blatt korrespondierte, die Unabhängigkeit Tolains verdächtigt, indem er ihn einen Freund des Palais Royal nannte, wo Jerôme Bonaparte den roten Demagogen spielte, aber Schweitzer hatte den Brief erst nach ausdrücklicher Genehmigung Liebknechts veröffentlicht. Als sich Marx darüber beschwerte, ging Schweitzer noch weiter und ordnete an, daß Liebknecht alles selbst zu redigieren habe, was sich auf die Internationale bezöge; ja am 15. Februar 1865 schrieb er an Marx, er werde eine Resolution vorschlagen, worin der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein sein volles Einverständnis mit den Grundsätzen der Internationalen erklären und die Beschickung ihrer Kongresse versprechen solle, auf seinen formellen Anschluß aber lediglich aus Rücksicht auf die deutschen Bundesgesetze verzichten werde, die die Verbindung verschiedener Vereine verboten. Auf dieses Angebot hat Schweitzer keine Antwort mehr erhalten; vielmehr sagten sich Marx und Engels durch eine öffentliche Erklärung von der Mitarbeit für den »Social-Demokraten« los.
(ebenda)

Im Novemder 1864 schrieb Karl Marx im Namen der IAA allen Ernstes eine Grußadresse:

An Abraham Lincoln,
Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika


Daraus möchte ich nur einen einzigen Satz zitieren:

Als die Oligarchie der 300.000 Sklavenhalter zum erstenmal in den Annalen der Welt das Wort Sklaverei auf das Banner der bewaffneten Rebellion zu schreiben wagte; als auf dem selbigen Boden, dem kaum ein Jahrhundert vorher zuerst der Gedanke einer großen demokratischen Republik entsprungen war, von dem die erste Erklärung der Menschenrechte ausging und der erste Anstoß zu der europäischen Revolution des 18. Jahrhunderts gegeben wurde; als auf diesem selbigen Boden die Kontrerevolution mit systematischer Gründlichkeit sich rühmte, "die zur Zeit des Aufbaues der alten Verfassung herrschenden Ideen" umzustoßen, und "die Sklaverei als eine heilsame Einrichtung - ja als die einzige Lösung des großen Problems der Beziehungen der Arbeit zum Kapital hinstellte" und zynisch das Eigentumsrecht auf den Menschen als den "Eckstein des neuen Gebäudes" proklamierte; da begriffen die Arbeiter Europas sofort, selbst noch ehe sie durch die fanatische Parteinahme der oberen Klassen für den Konföderiertenadel gewarnt worden, daß die Rebellion der Sklavenhalter die Sturmglocke zu einem allgemeinen Kreuzzug des Eigentums gegen die Arbeit läuten würde und daß für die Männer der Arbeit außer ihren Hoffnungen auf die Zukunft auch ihre vergangnen Eroberungen in diesem Riesenkampfe jenseits des Ozeans auf dem Spiele standen.
http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_018.htm

Das war ein einziger Satz!

Einen guten Eindruck davon, wie es auf den Sitzungen der Internationalen dann weiter ging, gibt der Vortrag, den Marx auf den Sitzungen im Juni 1865 zum Thema „Lohn, Preis und Profit“ gehalten hat:

Gegenwärtig herrscht auf dem Kontinent eine wahre Epidemie von Streiks, und allgemein wird nach einer Lohnsteigerung gerufen. Die Frage wird auf unserm Kongreß zur Sprache kommen. Ihr als Leiter der Internationalen Assoziation müßt einen festen Standpunkt in dieser überragenden Frage haben. Ich für meinen Teil habe es daher für meine Pflicht gehalten, ausführlich auf die Sache einzugehn - selbst auf die Gefahr hin, eure Geduld auf eine harte Probe zu stellen.

Eine Vorbemerkung noch mit Bezug auf Bürger Weston. Nicht nur hat er vor euch Anschauungen entwickelt, die, wie er weiß, in der Arbeiterklasse äußerst unpopulär sind; er hat diese Anschauungen auch öffentlich vertreten, wie er glaubt - im Interesse der Arbeiterklasse. Eine solche Bekundung moralischen Muts müssen wir alle hochachten. Trotz des unverblümten Stils meiner Ausführungen wird er hoffentlich am Schluß derselben finden, daß ich mit dem übereinstimme, was mir als der eigentliche Grundgedanke seiner Sätze erscheint, die ich jedoch in ihrer gegenwärtigen Form nicht umhin kann, für theoretisch falsch und praktisch gefährlich zu halten.

http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_101.htm

Hier folgt dann wieder der schon bekannte Schmarren über den Arbeitswert nebst unfreundlichen Ausfällen gegen den vermutlich anwesenden „Bürger Weston“:

Der uns von Bürger Weston gehaltene Vortrag hätte in einer Nußschale Raum finden können.
(ebenda)

Für das Jahr 1865 gelang es Marx dann, den vorgesehenen öffentlichen Kongress der Internationale in Brüssel zu verhindern. Statt dessen gab es in London ein Treffen der leitenden Komitees, bei dem die Namen der alten Streiter und Kampfgenossen, auf die er zählen konnte, schon erstaunlich häufig vertreten waren.

Alles in allem hielt Marx die Lage noch nicht reif genug für einen öffentlichen Kongreß, wie er für das Jahr 1865 in Brüssel vorgesehen war. Er fürchtete von ihm nicht mit Unrecht ein babylonisches Sprachgewirr. Mit vieler Mühe gelang es ihm, namentlich gegen den Widerstand der Franzosen, den öffentlichen Kongreß in eine geschlossene vorläufige Konferenz in London umzuwandeln, zu der nur Vertreter der leitenden Komitees kommen sollten, um den künftigen Kongreß vorzubereiten. Als Gründe führte Marx an die Notwendigkeit einer solchen vorherigen Verständigung, die Wahlbewegung in England und die in Frankreich beginnenden Streiks, endlich ein eben in Belgien erlassenes Fremdengesetz, das die Abhaltung eines Kongresses in Brüssel unmöglich mache.

Diese Konferenz tagte vom 25. bis 29. September 1865. Vom Generalrat waren neben dem Präsidenten Odger, dem Generalsekretär Cremer und einigen anderen englischen Mitgliedern abgesandt Marx und seine beiden Hauptgehilfen in Sachen der Internationalen, Eccarius und Jung, ein schweizerischer Uhrmacher, der in London ansässig war und gleich gut deutsch, englisch und französisch sprach. Aus Frankreich waren Tolain, Fribourg, Limousin gekommen, die alle der Internationalen abtrünnig werden sollten, daneben Schily, Marxens alter Freund schon von 1848 her, und Varlin, der spätere Held und Märtyrer der Pariser Kommune. Aus der Schweiz der Buchbinder Dupleix für die romanischen und Johann Philipp Becker, der ehemalige Bürstenbinder und nunmehrige unermüdliche Agitator, für die deutschen Arbeiter. Aus Belgien César de Paepe, der sich als Setzerlehrling auf das Studium der Medizin geworfen und es bis zum Arzt gebracht hatte.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm#Kap_2

Marx hatte die Internationale schon voll unter seiner Kontrolle. Es ging auch gleich wieder um sein Lieblingsthema:

Der andere Punkt der Tagesordnung, um den gestritten wurde, war vom Generalrat vorgeschlagen und betraf eine Frage der europäischen Politik, die für Marx besonders wichtig war, nämlich »die Notwendigkeit, den fortschreitenden Einfluß Rußlands in Europa zu hemmen, indem man gemäß dem Selbstbestimmungsrechte der Nationen ein unabhängiges Polen auf demokratischer und sozialistischer Basis wiederherstelle«. Davon wollten namentlich die Franzosen wieder nichts wissen; weshalb politische Fragen mit sozialen vermischen, weshalb in die Ferne schweifen, wo so viele Unterdrückung vor der eigenen Tür zu bekämpfen, weshalb den Einnuß der russischen Regierung hemmen, da der Einfluß der preußischen, österreichischen, französischen und englischen Regierung nicht weniger verhängnisvoll sei? Besonders entschieden sprach auch der belgische Delegierte in diesem Sinne. César de Paepe meinte, die Wiederherstellung Polens könne nur drei Klassen nützen: dem hohen Adel, dem niederen Adel und der Geistlichkeit.

Hier ist nun der Einfluß Proudhons ganz greifbar.
Proudhon hatte sich wiederholt gegen die Wiederherstellung Polens ausgesprochen, zuletzt noch zur Zeit des polnischen Aufstandes von 1863, worin er, wie Marx in seinem Nachrufe sagte, zu Ehren des Zaren kretinhaften Zynismus trieb.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm#Kap_2

Der Genfer Kongress im nächsten Jahr tagte nach einer Verschiebung erst im September 1866 und damit nach der Schlacht von Königgrätz.

Engels hatte zum Krieg zwischen Preußen mit Italien gegen Österreich im „Manchester Guardian“ eine fünfteilige Artikelserie mit seinen strategischen Ratschlägen publizieren können, deren Wert man aus einem Satz im letzten Artikel klar erkennen kann:

Der Feldzug, den die Preußen mit einem groben strategischen Schnitzer begannen, ist von ihnen seitdem mit so gewaltiger taktischer Energie fort gesetzt worden, daß er in genau acht Tagen zum siegreichen Ende geführt wurde.
http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_167.htm

In Genf kamen also gerade einmal 60 Delegierte zusammen, Marx blieb in London und schraubte an seiner Wertformanalyse weiter.

Der Knoten löste sich dadurch, daß die Genfer selbst, da sie mit ihren Vorbereitungen nicht fertig waren, die Vertagung des Kongresses bis in den September beschlossen, womit man überall, außer in Paris, einverstanden war. Marx selbst beabsichtigte nicht, an dem Kongreß persönlich teilzunehmen, da die Arbeit an seinem wissenschaftlichen Werk keine längere Unterbrechung mehr zuließ… Als Vertreter des Generalrats gingen der Präsident Odger und der Generalsekretär Cremer nach Genf, mit ihnen Eccarius und Jung, auf deren Verständnis sich Marx in erster Reihe verlassen konnte.

Der Kongreß tagte vom 3. bis 8. September unter dem Vorsitze Jungs und in Anwesenheit von 60 Delegierten. Marx fand, daß er »über Erwarten ausgefallen sei«. Nur über die »Herren Pariser« ließ er sich recht bitter aus. »Sie hatten den Kopf voll mit den leersten Proudhonischen Phrasen.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_322.htm#Kap_2

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Der erste Band des "Kapital" erscheint


Das zu lösende Problem, wie und warum sich Waren mit einem Aufschlag auf ihre Produktionskosten verkaufen lassen, warum sich die Preisaufschläge dann nicht gegenseitig wieder aufheben, wie also überhaupt Gewinne möglich sind auf einem Markt mit völlig freier Preisbildung und uneingeschränkter Konkurrenz, also genau dieses Problem ist nach der Lektüre der fast 800 Seiten des „Das Kapital Band I“ noch immer ungelöst.

Wer die „Preisaufschläge“ auf die Produktionskosten für ein Problem hält, dem hilft die nur scheinbare Erklärung mit der Mehrarbeit nichts.

Wer das Problem aber für ein philosophisches hält, weil es ja klar ist, dass jeder für sich einen Gewinn auf seine Kosten schlägt, der sich als Unternehmer, Händler, Bankier oder Staat in die Wertschöpfungskette zwischen den eigentlichen Produzenten, seien es Arbeiter oder Bauern, und den Konsumenten zu drängen vermag, der kann das Thema vollends der Hirnweberei überlassen.

Es war auch nicht anders zu erwarten bei einem Anhänger des Philosophen Hegel, der ja nicht umsonst der berühmte und gefeierte preußische Staatsphilosoph geworden ist, statt für wichtige Erkenntnisse im Kerker zu enden. Es gab schon bei Hegel die versprochenen tiefen Einsichten in die Zusammenhänge nicht, sondern nur aufgeblasene Worte, bombastische Begriffe, gekünstelt unverständliche Sprache, geschraubte Phrasen, ein dröhnendes Nichts.

Hegel sollte die jungen Studenten aus dem Bürgertum beeindrucken, ihre Zeit vergeuden, ihre Köpfe mit heißer Luft vernebeln und den preußischen Staat als den Höhepunkt der Entwicklung des Weltgeistes feiern. Man hatte das so geplant, dazu nach einem Professor für die Berliner Universität gesucht und Hegel berufen.

Karl Marx wurde dann der Hegel für die Arbeiterbewegung.
Die selbst unter seinen nächsten Vertrauten herrschende Enttäuschung über diese mit größten Ansprüchen und Versprechungen angekündigte Theorie war zugleich das Geheimnis ihres Siegeszuges als Hegelei für die Arbeiter. Zeitverschwendung und dummes Geschwätz, breitgetretene Banalitäten, umständlich dargelegter Unsinn, leeres Geschwätz, tönende Phrasen, eine Theorie voller innerer Widersprüche und Ungereimtheiten und im Ganzen so nutzlos für kritisch denkende Arbeiter wie unbrauchbar in jedem Detail.

Engels musste dann nur noch zu dem ersten Band, den Marx selbst vollendet hat, noch zwei weitere Bände mit ähnlichem Umfang aus den hinterlassenen Unterlagen zusammenstellen, um die zukünftigen kritischen Köpfe aus den Reihen der Arbeiter damit zu beschäftigen und von gefährlichen Erkenntnissen und Unternehmungen abzuhalten.

Die nächsten 150 Jahre waren die widerständigen Arbeiter mit „Wertformanalyse“ beschäftigt, um diesen beispielhaft aufgeblasenen Begriff aus dem Kapital noch einmal zu verwenden. Die Analyse ist der Blick auf das, was hinten herauskommt. Die „Wertform“ ist irgendeine Ware, die eine bestimmte Form hat, zum Beispiel als Wurst oder Käse oder Hemd oder Hose, und die gleichzeitig noch einen Wert hat, also einen Gebrauchswert, weshalb dann jemand die Ware haben will, um sie zu gebrauchen, und einen Tauschwert, weil man sie gegen Geld verkaufen kann an jemanden, der sie haben will. Was ich gerade dargelegt habe, nennt man unter Marxisten „Wertformanalyse“ und mehr ist auch nicht dahinter, wenn es in drei Bänden unter dem Titel „Das Kapital“ auf fast 2.000 Seiten mit Anhang breitgetreten wird.

Genau dies war aber die von den Herrschenden ersehnte Kunst, die Zeit der aufrührerischen Arbeiter mit dem jahrelangen Studium von geschraubtem Krampf zu beanspruchen, eine Doktrin für eine doktrinäre Partei zu schaffen, so dass sich die Arbeiter leicht steuern ließen, sogar im Aufruhr gegen ihre Obrigkeit.

Die fassungslose Frage der ersten Leser - „Was soll das?“ - entsprach dem Jubel der Auftraggeber - „Das ist es!“. So hatten die deutschen Arbeiterführer wie Bebel und Liebknecht, der ja schon über die dem Kapital vorhergegangene ökonomische Schrift von Marx vor Wut und Enttäuschung geheult hatte, den Auftrag, Karl Marx und sein Kapital zur theoretischen Grundlage der Arbeiterbewegung zu erklären und ihn vor ihren Arbeitern als den größten aller Denker zu feiern, gleich noch vor oder nach Hegel.

Das „Kapital“ von Marx ist allerdings nicht nur ein ausgemachter Schmarren von der ersten bis zur letzten Seite, sondern die fast 2.000 Seiten sind dadurch gefüllt worden, dass ausführliche Berichte und Diskussionen des englischen Parlaments zitiert wurden, denen etwa Statistiken und Aussagen der Regierungskommissionen zum Beispiel über die Kinderarbeit oder die Arbeitszeiten oder die Arbeitsunfälle und anderes mehr zugrunde lagen. Derartige Berichte sind heute durchaus mit Interesse und Gewinn zu lesen, wenn man sich von der nutzlosen Werttheorie dazwischen nicht weiter ablenken lässt.

Engels hat das sogar in einer Zeitungsrezension auch so empfohlen:

Wir müssen es andern überlassen, sich mit dem theoretischen und streng wissenschaftlichen Teil dieses Werkes zu befassen und die neue Anschauung, die der Verfasser von der Entstehung des Kapitals gibt, zu kritisieren. Wir können aber nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, daß derselbe uns hier gleichzeitig eine große Masse des schätzbarsten geschichtlichen und statistischen Materials bietet, welches fast ohne Ausnahme aus den offiziellen, dem englischen Parlament vorgelegten Kommissionsberichten geschöpft ist. Nicht mit Unrecht betont er die Wichtigkeit solcher Untersuchungskommissionen zur Erforschung der innern sozialen Zustände eines Landes. Sie sind - wenn anders die richtigen Leute gefunden werden - das beste Mittel für ein Volk, sich selbst kennenzulernen; und Herr Marx mag wohl nicht unrecht haben, wenn er sagt, daß ähnliche Untersuchungen, in Deutschland angestellt, zu Resultaten führen würden, über die wir selbst erschrecken müßten. Wußte doch vor denselben kein Engländer, wie es unter der ärmeren Klasse seines Landes aussah!
http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_232.htm

Dieser Empfehlung kann ich mich anschließen, aber diagonales Lesen reicht für das dicke Werk vollständig und man sollte nicht seine Zeit damit vergeuden, die „Wertformanalyse“ verstehen und nachvollziehen zu wollen. Waren werden im Kapitalismus nicht zu irgendwelchen Werten getauscht.

Allein schon die Frage, was im Kapitalismus überhaupt als wertschöpfende Arbeit anzusehen sei, ist grundsätzlich unlösbar, weil zum Absatz von Produkten etwa Schmiergeldzahlungen an ein Filmstudio zur verkaufsfördernden Platzierung dieser Produkte in einer beliebten Fernsehserie eben auch zu den unerlässlichen Maßnahmen für die kapitalistische Produktion zählen und die Preise manchmal mehr von solchen Werbemaßnahmen bestimmt sind, als von der eigentlichen Fertigung.

Keine Chance also für eine von wertschöpfender Arbeit ausgehende Werttheorie, wenn in der Realität schon diese Arbeit nicht zu definieren und abzugrenzen ist. Da wäre jede Definition und Diskussion völlig sinnlos, weil man die Preisbestimmung im Kapitalismus wirklich nur den Märkten überlassen kann.

Was sollte der Gesellschaftskritik eine Theorie der Preisbildung nützen?

Dass die Arbeiter ausgebeutet werden, muss man keinem Arbeiter erst an einer komplizierten wissenschaftlichen Theorie zeigen und beweisen.

Warum und wieso diese Ausbeutung möglich ist, hat Marx nicht erklärt. Der Unterschied zwischen dem „Wert der Arbeitskraft“ und dem „Wert der Arbeit“, also der Unterschied zwischen dem Lohn und dem üblichen, diesen Lohn und alle anderen Kosten um den Gewinn überschreitenden Ertrag der Produktion beim Verkauf, das finden wir nicht erklärt, sondern eben nur in andere Worte formuliert, die nur ein philosophisch unbedarfter Tropf jetzt für eine Erklärung halten oder gar ausgeben kann, oder eben ein Hegelianer, für den tönende, aufgeblasene Worte schon die ganze Philosophie sind.

Das einzige Kapitel, das sich vielleicht zu lesen lohnt, wegen der Diskussion der Peelschen Bankakte in England anlässlich der Krisen 1847 und 1857, die durch künstliche Geldverknappung inszeniert wurden, ist im Band III das 34. Kapitel.

http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_562.htm

Marx selbst hat zweifellos geglaubt, dass er eine geniale wissenschaftliche Entdeckung auf dem Gebiet der Ökonomie gemacht habe. Den Marx musste man nicht eigens dafür kaufen, nur albernsten Krampf als Theorie zu produzieren, das war anders von ihm gar nicht zu erwarten.

Dass seine Werttheorie für die Kritik und Überwindung des kapitalistischen Systems keinen Wert haben würde, das gerade muss er unbedingt gewusst haben. Auch für Engels und vor allem für Liebknecht kann es an der Wertlosigkeit der drei dicken Schwarten „Das Kapital“ für den Kampf gegen das kapitalistische System keinen Zweifel gegeben haben.
Jede Organisation und Partei der Arbeiter wo nur irgendwie möglich mit diesem theoretischen Ballast zu beschweren, wozu es dann gleich kommen sollte, war der Auftrag der Agenten des Systems in der Arbeiterbewegung, damals bis heute. Es war der Sache der Arbeiter schädlich und offensichtlich unsinnig.

Liebknecht hatte es schon früh für „eine verrückte Taktik erklärt, wenn eine Arbeiterpartei hoch über den Arbeitern sich in ein theoretisches Luftschloss einsperren wollte“.
(Raddatz, S. 251, Liebknecht „Mohr und General“)

Weder Liebknecht noch Bebel hatten darüber zu entscheiden, als dieses Dogma einer Werttheorie zur großartiken Kritik des Kapitalismus erklärt wurde.

Für die britischen Agenten in Russland war der Marxismus aus einem ganz anderen Grund natürlich die nahe liegendste theoretische Basis: die ständig bei Marx groß und wiederkehrend thematisierte europäische Zarenverschwörung bot sich dann als gemeinsame Ideologie für alle gegen den Zaren vor allem von britischer Seite gedungenen Agentenringe an, von St. Petersburg bis Baku, also von Lenin bis Stalin.
Russisch war dann auch die erste Sprache, in die das Kapital übersetzt werden sollte. Als Übersetzer war mit der horrenden Summe von 1200 Rubel, davon 300 Rubel als Vorschuss zuerst der finanziell gerade sehr bedürftige Bakunin geworben worden. Als der sich die monatelange Mühe mit dem werttheoretischen Quatsch sparen wollte und den Vorschuss nicht zurückzahlen konnte, kam es zu einem Skandal, aber dazu später mehr.

Übersetzt in die russische Sprache wurde der in Deutschland unverkäufliche Band I des Kapital von einem Nikolai F, Danielson. Die Zensur hatte gegen die Publikation nichts einzuwenden.

Die russische Zensur hatte ihre Erlaubnis zur Herausgabe der Übersetzung unter folgender Begründung erteilt: »Obgleich der Verfasser nach seinen Überzeugungen ein vollständiger Sozialist ist und das ganze Buch einen vollständig bestimmten sozialistischen Charakter führt; jedoch mit Rücksicht darauf, daß die Darstellung durchaus nicht für jeden zugänglich genannt werden kann, und daß sie von der andern Seite die Form streng mathematisch wissenschaftlicher Beweisführung besitzt, erklärt das Komitee die Verfolgung dieses Werkes vor Gericht für unmöglich.« In die Öffentlichkeit kam die Übersetzung am 27. März 1872, und am 25. Mai waren schon 1.000 Exemplare abgesetzt, ein Drittel der ganzen Auflage.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_364.htm#Kap_2

Dass Marx von den britischen Agenten in Russland als ideologische Basis genutzt werden würde, konnten die Zensoren bei diesem Werk nicht ahnen.

Seine Verbindungen zu Urquhart haben ihm vermutlich die ersten Verehrer und Leser im Reich des Zaren eingebracht.

In Russland gab es in den 1890er Jahren einen „legalen Marxismus“, eine ideologische Strömung bürgerlicher Intellektueller, die mit ihrem Marxismus in legalen Presseorganen gegen die sozialrevolutionären Narodniki (sogenannte Volkstümler) auftraten. Sie argumentierten mit Marx, dass eine bürgerlich-kapitalistische Entwicklung in Russland unvermeidlich sei.

Die Durchsetzung des „Marxismus“ in Russland ist allerdings ein eigenes Thema und kann hier nicht weiter verfolgt werden. Jedenfalls fürchteten die Briten nichts mehr, als eine russische Revolution mit dem Ergebnis der Etablierung eines bürgerlich-kapitalistischen, russischen Imperialismus für die britische Kolonialmacht. Der russische „Marxismus“ sollte als so eine Art Käseglocke über diesem riesigen eurasischen Kontinentalreich die Entwicklung des Landes hindern, das als eurasische Landmacht der natürliche Gegner des britischen Imperialismus als Seemacht war. Man lese dazu den britischen Theoretiker der Geopolitik Halford John MacKinder.

http://en.wikipedia.org/wiki/Halford_Mackinder

Hier die russische „Pivot Area“:

http://en.wikipedia.org/wiki/File:Mackinderheartland.png

Nun bleibt noch die interessante Frage, welcher Verleger sich für diesen breitgetretenen werttheoretischen Quark überhaupt gefunden haben sollte.

Das Kapital erschien in Hamburg im Verlag Meißner.
Der Hamburger Verleger, Carl Otto Meißner (1819-1902), wurde als Sohn des preußischen Postmeisters von Quedlinburg geboren. Muss man dazu betonen, dass ein preußischer Postmeister mit der Postüberwachung beschäftigt war?

Die Familie verzog 1820 in die Magdeburger Gegend, da der Vater sich dort ein besseres Fortkommen für seine zehnköpfige Familie erhoffte. M. erlernte in Magdeburg den Beruf des Buchhändlers und gründete im Revolutionsjahr 1848 in der Freien und Hansestadt Hamburg einen eigenen Verlag, der heute noch besteht. Karl Marx und Friedrich Engels suchten, um für ihre Schriften, besonders für Marx' Hauptwerk "Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie", Zugang auf dem dt. Buchmarkt zu haben und die preußische Zensur zu umgehen, einen Verleger außerhalb Preußens…So schrieb Engels am 5.10. 1860 an Marx: "..., ein deutscher Verleger, z. B. Meißner (der lange nicht der Biedermann ist, als den Du ihn Dir vorstellst, sieh nur seine Verlagskataloge an), hat ganz andere Macht, die conspiration du silence zu brechen."
http://www.bautz.de/bbkl/m/meissner_o_c.shtml

Was hat die zehnköpfige Familie Meißner nur gemacht, dass der Sohn mit 29 Jahren plötzlich das Geld hatte, nun gerade im Revolutionsjahr 1848 in Hamburg einen eigenen Verlag zu gründen? Oder hat die preußische Regierung im Revolutionsjahr 1848 einen politisch zuverlässigen Verleger in Hamburg zu finanzieren beschlossen?

Jedenfalls schloss Meißner mit Marx 1865 einen Vertrag über die Publikation und hatte seither auf das Manuskript warten müssen. Vorgesehen war auch die Veröffentlichung aller Teile des „Kapitals“ gleichzeitig, aber Marx hatte nur den ersten Band fertig.

Mit seinem Manuskript und 35 Pfund Reisegeld von Engels reiste Marx im April 1867 auf einem Dampfschiff von London nach Hamburg.

Marx machte sich, in Hamburg angekommen, auf den Weg zu Meißners Verlagshaus in der Bergstraße 26, mitten in Hamburgs Innenstadt, unweit der Börse, gleich neben der Binnenalster. Meißner traf er dort nicht an. Er hinterließ seine Karte beim "Kommis" und lud Meißner zum Diner zu sich. Das heißt: in Zingg's Hotel, wo Marx abgestiegen war, fünf Gehminuten von Meißners Haus entfernt.
http://www.schattenblick.de/infopool/geist/history/ggber148.html

Marx wurde abends im Hotel mit seinem Verleger handelseinig und übergab das Manuskript. Nach vier Tagen in Hamburg reiste Marx zu seinem Freund Kugelmann, in Hannover weiter, mit dem er seit 1862 nur in Korrespondenz gestanden war, ohne ihn getroffen zu haben. Bei ihm blieb Marx bis zum 16. Mai und trat dann die Rückreise über Hamburg an, um auf dem Schiff ganz zufällig die Bekanntschaft einer Nichte Bismarcks zu machen, des Fräuleins Elisabeth von Puttkamer.

"Es ergab sich, dass [das Fräulein] Elisabeth von Puttkamer hieß, Nichte Bismarcks, bei dem sie eben einige Wochen in Berlin zugebracht hatte. Sie hatte die ganze Armeeliste bei sich, da diese Familie unser 'tapferes Kriegsheer' überreichlich mit Herren von Ehr' und Taille versieht. [...] Sie war nicht wenig erstaunt, als sie erfuhr, dass sie in 'rote' Hände gefallen sei...

Marx ging offenbar von einem zufälligen Zusammentreffen aus. Aber schon während seines Aufenthaltes in Hannover hatte er Besuch bekommen von einem "Satrapen Bismarcks", einem Advokaten Warnebold, der Marx den angeblichen Wunsch Bismarcks übermittelte, ihn und seine "großen Talente im Interesse des deutschen Volks zu verwerten" (Marx an Engels, 24.4.1867). Engels überraschte das nicht: "Dass Bismarck bei Dir anklopfen würde, hatte ich erwartet. [...] Bismarck denkt, wenn ich nur fortfahre, bei Marx anzuklopfen, so treffe ich schließlich doch einmal den richtigen Moment, und wir machen dann doch ein Geschäftchen zusammen." (Engels an Marx, 27.4.1867)

Franz Mehring ist aber sicher, dass Marx die Botschaft Warnebolds nicht ernstgenommen haben wird. "In den noch ganz unfertigen Zuständen des Norddeutschen Bundes," schreibt er, "nachdem kaum die Gefahr eines Krieges mit Frankreich [...] beschworen worden war, konnte Bismarck unmöglich daran denken, die kaum erst in sein Lager übergegangene Bourgeoisie [...] dadurch vor den Kopf zu stoßen, dass er den Verfasser des 'Kommunistischen Manifestes' in seine Dienste nahm."

http://www.schattenblick.de/infopool/geist/history/ggber148.html

Jaja, die Zufälle.

Offenbar suchte Otto von Bismarck eine engere Verbindung mit unserem Marx, während dieser seine historische Chance, als großer Theoretiker der Arbeiterparteien in die Weltgeschichte einzugehen, nicht durch eine derart kompromittierende und kaum geheim zu haltende direkte Zusammenarbeit mit Bismarck gefährden wollte.

Bismarck wird es auch ganz sicher nicht um die Wertformanalyse gegangen sein, sondern um das langjährig erprobte Netz von Freunden und Helfern, das Marx bis hin in die englischen Kreise des David Urquhart und unter den Chartisten geknüpft hatte.

Vielleicht war die Armeeliste des Fräuleins von Puttkamer für Friedrich Engels gedacht gewesen, der immer wieder über Militaria publizierte, und vielleicht hat er sie ja trotzdem bekommen, so gut informiert, wie er über die Details der Heeresangelegenheiten stets war.

Friedrich Engels hatte 1865 ebenfalls im Verlag Meißner in Hamburg eine Schrift gegen Bismarcks Politik veröffentlicht:

In diesen Tagen wird bei Otto Meißner in Hamburg (Preis 6 Sgr.) eine Broschüre von Friedr. Engels erscheinen, des Titels: "Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei"; im Gegensatz zu der neuesten, "sozialdemokratischen" Parteitaktik stellt sich dieselbe wiederum auf den Standpunkt, den die literarischen Vertreter des Proletariats von 1846-1851 einnahmen, und sie entwickelt diesen Standpunkt sowohl der Reaktion wie der fortschrittlichen Bourgeoisie gegenüber an der jetzt gerade vorliegenden Militär- und Budgetfrage.
http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_080.htm

Solche Opposition wollte Bismarck vermutlich kaufen.

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