angesprochen auf die Frage: „Was ist die Funktion der NATO?“ soll der erste Generalsekretär der
Allianz sehr nüchtern geantwortet haben: „To keep the Americans in, the Russians out and the
Germans down“.
Lord Ismay war dieser erste NATO-Generalsekretär vor 60 Jahren, also just zu jenem Zeitpunkt, als
die junge Bundesrepublik Mitglied des Bündnisses wurde.
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Damit wirft das Zitat von Lord Ismay eine wichtige Frage für unsere Gegenwart auf. Die Frage
nämlich, welche Verantwortung heute für uns daraus erwächst, dass Deutschland nach dem Zweiten
Weltkrieg diesen Weg zurück in die internationale Ordnung – in Freiheit und Sicherheit – finden
durfte. Für mich ist klar: Gerade Deutschland, damals der Brandstifter und Zerstörer von Ordnung,
muss heute in besonderer Weise Stifter einer Ordnung sein, die den Frieden sichert, auch mit und
durch die NATO! Wir sind nicht länger nur ein Partner mit gleichen Rechten, sondern auch mit
gleichen Pflichten geworden!
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Mit dem Konflikt in der Ukraine ist die Frage von Krieg und Frieden auf den europäischen Kontinent
zurückgekehrt. Mit der Annexion der Krim, der Destabilisierung der Ukraine und dem gefährlichen
rhetorischen Spiel mit nuklearen Optionen ist die europäische Friedensordnung – die
Friedensordnung, die Russland durch die Unterschrift in Helsinki mit geschaffen hat – in eklatanter
Weise infrage gestellt. Über die weitergehenden Absichten Russlands, die Russland zur Absicherung
seiner geopolitischen Ansprüche verfolgt, können wir nur spekulieren. Umso größer sind unsere
Sorgen um die europäische Sicherheit – ganz besonders in den geografisch exponierten Staaten im
Osten des Bündnisses.
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So wie sich die Bundesrepublik im Kalten Krieg des Beistands ihrer Alliierten sicher sein konnte,
so sagen wir heute unseren baltischen und osteuropäischen Freunden und Alliierten: Eure Sorgen sind
auch unsere Sorgen. Eure Sicherheit ist auch unsere Sicherheit. Auf diesem Fundament gegenseitiger
Solidarität ruht das Nordatlantische Bündnis – auf diesem festen Fundament ruht auch die deutsche
Sicherheitspolitik.
Dass wir es mit diesem Bekenntnis ernst meinen, dass Worte und Taten zusammenpassen, zeigen wir auf
vielfältige Weise: durch unsere gemeinsam mit den Niederlanden und Norwegen übernommene
„Pionierrolle“ bei der Aufstellung der neuen Schnellen Eingreiftruppe, durch unsere rotierenden
Beiträge und Präsenzen zu Wasser, zu Land und zu Luft im östlichen Bündnisgebiet, oder auch durch
die Aufwertung des Multinationalen Korps-Hauptquartiers Nordost in Stettin zur Drehscheibe für alle
Artikel fünf-bezogenen Aktivitäten des Bündnisses im Baltikum und in Polen, um nur ein paar
Beispiele zu nennen.
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Deshalb ist und bleibt die kooperative Sicherheit ebenso eine Kernaufgabe der NATO! Auch wenn es
vielen schwer fällt: Initiativen in diesem Bereich sind derzeit wichtiger denn je, das sage ich
gerade auch mit Blick auf die aktuelle Zuspitzung der Konfliktlage mit Russland..
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Denn so sehr wir uns eine Rückkehr zu einem partnerschaftlichen Verhältnis mit Russland wünschen –
wie wir es in der NATO-Russland Grundakte von 1997 angelegt haben –, so realistisch sollten wir
sein: Die Wiederherstellung partnerschaftlicher Beziehungen wird nach Lage der Dinge kein
Hundertmeter-Sprint, sondern eher ein Marathon – umso nachhaltiger und klüger müssen wir daher für
die Strecke planen.
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Die alten Blöcke des Kalten Krieges gibt es so nicht mehr. Aber es gibt offenbar noch die alten Reflexe aus dieser Zeit und es
scheint, als ob sie in diesen Tagen wieder lebendiger werden. Die von Präsident Putin vor wenigen
Tagen angekündigte Modernisierung des strategischen Raketenarsenals ist sicher kein Beitrag zu
Stabilität und Entspannung in Europa.
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Zurück zur NATO: die Allianz hat sich als Pfeiler einer europäischen Stabilitätsordnung bewährt und
sie ist ein einzigartiges Forum des transatlantischen Zusammenhalts. Angesichts der Vielzahl und
der Heftigkeit der weltweiten Krisen und Konflikte ist dieser Zusammenhalt heute wichtiger denn je.
Doch gleichzeitig machen uns unsere amerikanischen Freunde klar, dass die Lastenverteilung in ihrer
bisherigen asymmetrischen Form nicht von Dauer sein kann. Von uns Europäern wird mehr erwartet!
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In Europa haben wir alle uns dem Imperativ der Konsolidierung unserer Haushalte verschrieben –
nicht aus purer Freude, aber in Anerkennung der Notwendigkeiten. Das schränkt Ausgabenspielräume
ein. Aber: Auch wenn deswegen die finanziellen Spielräume begrenzt sind, gibt es in der
Bundesregierung durchaus die Bereitschaft zur Verstärkung unserer Verteidigungsanstrengungen.
Vergleichsweise unbegrenzt sind unsere Möglichkeiten in Europa, unsere Mittel effektiver
einzusetzen. ...