"Entweder wir kehren heim, oder der dritte Weltkrieg beginnt"
Israel droht eine der größten Herausforderungen seit Staatsgründung: Die Gaza-Protestbewegung will die Rückkehr in Gebiete erzwingen, in denen Palästinenser vor 1948 lebten. Ein Initiator zeigt sich im Gespräch mit WELT wild entschlossen.
Nur rund 15 Männer aus dem Gazastreifen gründeten eine Bewegung, die schon bald eine der größten Krisen im Nahen Osten auslösen könnte: Das Komitee für den "großen Marsch der Rückkehr" hat den Landstrich nach Jahren wieder in die Schlagzeilen gebracht.
Aus Protest gegen die Unfähigkeit der palästinensischen Führung startete das Gremium eine Kampagne, die 45 Tage dauern soll – und Israel vor eine der größten Herausforderungen seit seiner Gründung stellen könnte. Der vergangene Freitag bildete nur den Auftakt und war doch bereits der blutigste Tag in Gaza seit Ende des Krieges 2014. Zehntausende protestierten an der Grenze zu Israel. Dabei kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen, bei denen 16 Palästinenser starben und Hunderte weitere verletzt wurden. Die Protestbewegung fordert ein Recht auf Rückkehr in jene Gebiete, aus denen palästinensische Familien bei der Gründung Israels geflüchtet oder vertrieben worden waren.
Issam Hammad ist einer der Gründer der Bewegung und stellvertretender Vorsitzender des "Internationalen Ausschusses" des Komitees. Seine Familie stammt aus einem Dorf unweit von Tel Aviv, das er als seine Heimat betrachtet. Geboren wurde er aber in Gaza. Wenn es nach ihm geht, wird die Lage an der Grenze schon bald noch viel dramatischer sein. Am 15. Mai sollen Millionen Palästinenser aus Israels Nachbarländern in Richtung der Grenze zum Gazastreifen marschieren, um sie zu überqueren. Im Gespräch mit WELT sagt Hammad: "Ich brauche nur drei Brötchen und eine Flasche Wasser, um heimzukehren. Entweder wir leben dort, oder wir sterben unterwegs."
Hammads Organisation symbolisiert eine neue Form des Protests, die Israel gefährlich werden könnte. In Verhandlungen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) – der offiziellen Vertreterin der Palästinenser – hatte der jüdische Staat die Oberhand. Auch in militärischen Konfrontationen mit der Terrormiliz Hamas. Die kann zwar Israelis bei Anschlägen ermorden, aber nicht die stärkste Armee in Nahost besiegen.
Deswegen verfolgt der 52 Jahre alte Hammad – Direktor einer Firma, die medizinisches Gerät verkauft – eine neue Strategie. Die stellt Israel vor ein diplomatisches und moralisches Dilemma. Denn was tun, wenn Millionen unbewaffneter Palästinenser Richtung Grenze marschieren? Ließe der jüdische Staat sie in den Gazastreifen einreisen, hätte er verloren. Stoppte er sie indes mit Gewalt, würde seine Position international unhaltbar.
In Israel wird Hammads Vorhaben für eine geheime Operation der Hamas gehalten: Das Komitee sei die letzte Chance der Islamisten, die Bevölkerung Gazas von eigenen Fehlern abzulenken. Sie hätten das Komitee unterwandert und unterstützten es mit mehr als zehn Millionen US-Dollar. Die Islamisten missbrauchten friedliche Proteste als Deckung für Terrorangriffe, um die Lage an der Grenze zu eskalieren.
Hammad widerspricht: "Ich trat bei der letzten Kommunalwahl in Gaza als Vertreter einer unabhängigen Partei an – und verlor. Alle wissen, dass ich weder zur Hamas noch zur Fatah gehöre." Das gelte auch für die meisten anderen Mitgründer. Die Organisation finanziere sich aus Spenden: "Die Proteste am Freitag haben 220.000 Dollar gekostet. Die Summen, von denen die Israelis sprechen, sind abstrus." Hammad lehnt bewaffneten Widerstand laut eigener Aussage ab. Und er bestreitet die Behauptung der Armee, Bewaffnete hätten Freitag auf Soldaten geschossen und Sprengsätze gelegt.
Mkeimar Abusada, politischer Analyst an der Al-Azhar-Universität in Gaza, gibt eine differenzierte Einschätzung dazu: "Diese Bewegung begann als Protest gegen alle Parteien, aber jetzt hat die Hamas ihren Nutzen erkannt und versucht, sie für eigene Zwecke zu nutzen."
"Alle werden gleichzeitig losgehen"
Hammads Botschaft klingt zunächst friedlich. Er gebe auch im israelischen Fernsehen Interviews, sagt er: "Ich sagte dort, dass es schon zu viel Blutvergießen gab." Aber: Von Verhandlungen hält er nichts. Und er kritisiert die PLO, die vor 25 Jahren den Oslo-Friedensprozess begonnen hatte. Es sei ihm "vollkommen gleichgültig", ob ein Vertrag ausgehandelt werden kann. Denn der würde nur die Gebiete betreffen, "die von Israel 1967 erobert wurden, aber keinen der Flüchtlinge aus dem historischen Palästina. Wir haben unser Elend satt und wollen endlich heimkehren."
Das Rückkehrrecht ist eine der heikelsten Fragen des Nahost-Konflikts. Als Israel 1948 gegründet wurde, flohen aus dem Staatsgebiet rund 750.000 Palästinenser oder wurden vertrieben. Rund 250.000 erreichten den Gazastreifen, verdreifachten dessen Bevölkerung. Da Palästinenser als einziges Volk weltweit ihren Flüchtlingsstatus vererben, leben heute rund 1,2 Millionen anerkannte Flüchtlinge in Gaza. Weltweit schätzt Hammad ihre Zahl auf rund fünf Millionen Menschen.
Israel will, dass diese Palästinenser in Zukunft im Rahmen eines Friedensvertrags eine neue Heimat finden. Die Forderung, Millionen feindlich gesinnter Araber in umittelbarer Nähe aufzunehmen, klingt für Israelis wie eine Aufforderung zum nationalen Selbstmord. Auf die Frage, wie Israel weiterexistieren könne, wenn die Flüchtlinge heimkehrten, antwortet Hammad: "Das ist nicht mein Problem. Ich muss keine Lösungen für den Staat Israel schaffen." Er sei bereit, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen, bestehe aber auf sofortige Rückkehr – "ob Israel dem zustimmt oder nicht".
In Gaza, wo keine politische Partei mehr ein glaubwürdiges Programm vertritt, wo Nepotismus und falsche Politik die Wirtschaft ruiniert, den Landstrich isoliert und jede Aussicht auf Besserung zerstört haben, findet Hammads Botschaft gewaltigen Zuspruch. "Alle politischen Parteien und Organisationen des Zivillebens unterstützen uns", erzählt der Bewegungsgründer.
Rund 30.000 Palästinenser waren am Freitag dem Aufruf gefolgt, zu Protesten an der Grenze zu kommen: "Weit mehr, als wir dachten – zu Fuß, auf Eseln und Fahrrädern." Hammad rechnet damit, dass spätestens im Mai Millionen am Marsch teilnehmen werden: "Wir werden den Befehl geben, und alle werden gleichzeitig losgehen. 70 Jahre lang hat Israel uns in einem Dampfdruckkessel festgehalten. Jetzt ist das Spiel endgültig vorbei. Entweder lässt Israel uns heimkehren, oder der dritte Weltkrieg beginnt."
https://www.msn.com/de-de/nachricht...-weltkrieg-beginnt/ar-AAvkZgL?ocid=spartandhp
Da braut sich was zusammen.