Hallo PSW-Forum und stille Leser,
ich hoffe es passt in dieses Forum und man verzeihe mir, wenn es offtopic ist allerdings scheint Staat & Zivilgesellschaft als Rubrik für dieses Vorhaben als genau richtig...
Ich spiele seit längerer Zeit mit den Gedanken eine Partei zu gründen. Habe mich schon über Gründung und Vorraussetzungen informiert, Material dazu verfasst welches in einigen Programmpunkten auch bei völlig unbekannte/anonyme, potenzielle Wähler anklang findet. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob man nach Regeln des Systems spielen soll welches man eigentlich ändern/reformieren will bzw. ob es überhaupt Sinn macht.
Deshalb möchte ich euch um Erfahrungsberichte bitten in alle Bereiche wie Parteigründung, Parteiarbeit, Wahlkampf, Einzug in div.Parlamente, Aufgaben und Verantwortungen. Ihr müsst nicht unbedingt angeben um welche Partei es sich handelt bei/mit der ihr aktiv wart aber gerne ggf. warum ihr es nicht mehr seid.
Ich freue mich über jede Rückmeldung zum Thema,
schönen Abend noch!
Ich versuchs mal.
Als die allerersten Anfänge der Sozialisten aufkamen, gab es unter denen eine Diskussion, wie man denn wohl die Macht von den Kapitalisten übernehmen könnte.
Die waren sich damals alles Andere als einig.
Da gab es welche, die eine blutige Revolution wollten und auch welche, die friedlich in demokratischen Wahlen die Mehrheit der Bevölkerung für sich gewinnen wollten.
Am Ende wurde BEIDES tatsächlich durchgezogen und die jeweiligen Ergebnisse sind bekannt.
1) Die Oktoberrevolution in Russland führte zur Machtübernahme durch die Sozialisten, aber sobald sie an der Macht waren, haben sie die Kernidee des Sozialismus (also die Übergabe der Produktionsmittel ins Eigentum der Arbeiter) "vergessen".
Stattdessen haben die vermeintlichen Sozialisten ihre Meinung geändert, sie haben aus der diktatorisch organisierten Arbeit des Kapitalismus die diktatorisch organisierte Arbeit des Kommunismus gemacht und einfach behauptet das sei nun Sozialismus.
Wie wir alle wissen ist die daraus resultierende kommunistische Diktatur nach einigen Jahrzehnten und vielen 1000 ermordeten Systemgegnern an der ihr innewohnenden massiven Korruption zugrunde gegangen.
2) Die friedliche, demokratische Revolution gab es z.B. in Deutschland (aber auch in Italien, Frankreich, usw.), denn die SPD ist aus genau derselben Idee von Sozialismus statt Kapitalismus entstanden, bzw. aus dem was damals entstand später hervorgegangen, nur dass sie zur Machtübernahme halt demokratische Wahlen verwendet haben.
Allerdings ist auch bei diesen friedlichen Sozialisten die Idee des Sozialismus "vergessen" worden, sobald sie an der Macht waren.
Statt die Produktionsmittel an die Arbeiter zu übergeben, haben sie den Kapitalisten nur ein paar Regulierungen auferlegt, mit denen das Leben der Arbeiter erleichtert werden sollte.
Nur in einem Punkt lief das in Deutschland "ehrlicher" als in Russland, Frankreich, Italien, usw., denn die deutschen Sozialisten haben danach ehrlicherweise das Wort Sozialismus fallen lassen und nennen sich seitdem Sozialdemokraten, während z.B. Frankreich und Italien bis heute Parteien haben, die sich Sozialisten nennen (nur keine sind).
Die Beantwortung deiner ersten Frage ist also: Dir bleibt kaum eine andere Wahl als nach den Regeln des Systems zu spielen und schauen wie du innerhalb dieser Regeln friedlich die Mehrheit hinter dich bekommst, denn die einzige Alternative ist gewalttätige Revolution und ich bin mir ziemlich sicher, damit würdest du dir heutzutage in Europa nicht viele Freunde machen.
Zu Parteigründung und so hast du dich schon schlau gemacht, das ist sowieso der leichte Teil.
Etwas Bürokratie, ein paar Mitstreiter benennen, Posten vergeben, fertig.
Dazu muss man gar nicht viel sagen.
Ob du ein Parteiprogramm hast, was andere Leute derartig anspricht, dass sich ein genügend grosser Prozentsatz von den etablierten Parteien abwendet und zu deiner Partei wechselt will ich hier gar nicht diskutieren, das setzen wir einfach mal voraus, denn sonst ist das alles sowieso für die Katz.
Dein Problem wird in jedem Falle sein, wie machst du deine Partei bekannt.
Dazu hast du im Prinzip mehrere Möglichkeiten:
1) Deine Idee ist derartig grossartig, dass alle die davon hören sich dir sofort anschliessen, sprich sich dir so viele Leute so schnell anschliessen, dass alleine die Mundpropaganda das Ganze zum Selbstläufer macht.
In dem Fall reicht es vermutlich schon 2-3 Dutzend Leute zu informieren und 4-8 Jahre später hast du die absolute Mehrheit im Parlament.
Ich bezweifle aber, dass es eine derartig grossartige Idee überhaupt geben könnte, also lassen wir das mal.
2) Du hast einen wahnwitzig grossen Bekanntenkreis und bist in diesem Bekanntenkreis derartig beliebt, dass jedes Wort was du sagst oder irgendwo aufschreibst immer sofort von 1000den Anderen weiter verbreitet wird und du hast die Bühne dazu, auf der du deinen Bekannten deine Botschaft vermitteln kannst.
Die richtige Botschaft vorausgesetzt (ohne eine wirklich neue, supergute Idee geht es auch in diesem Falle nicht), können sowas z.B. die GANZ grossen YT-Stars mit über 1 Mio. Followern.
3) Du bist unverschämt reich und deine Botschaft ist dir wichtiger als dein Geld.
Massive Mengen an Geld, Millionen und Abermillionen in Wahlkampf auf allen Ebenen investieren, dann interessiert nicht mal, ob deine Botschaft gut ist, dann kommst du alleine durch die Werbung zu Anhängern, genau wie Danone mit massiver Werbung Käufer für überteuerten Zuckerjoghurt findet.
4) Du bist ein prominenter Politiker einer grossen Partei, der bereits viele Anhänger hat, die er für die Idee begeistern kann sich vom Kurs der Partei abzuwenden und (zumindest teilweise) eine andere Richtung einzuschlagen.
Das hat z.B. Lafontaine gemacht, als er aus der SPD ausgetreten ist und viele seiner Anhänger zu den Linken mitgenommen hat.
Abhängig davon wie viele Anhänger du schon hast, sprich wie viele Wähler du im ersten Anlauf zusammen bringst, bekommst du dann vom Staat deine Parteienwerbung zumindest teilweise finanziert.
Aber nachdem auch Lafontaine trotz seiner grossen Beliebtheit kaum irgendwo zweistellige Ergebnisse erreicht, hast du nach dem Einzug ins Parlament immer noch den grössten Teil der Arbeit vor dir.
5) Du bist Mehrheitsaktionär bei einem der grossen Fernsehsender und kannst bestimmen, was in deren Programm läuft, insbsondere kannst du dort beliebig viel kostenlose Sendezeit bekommen.
In dem Fall streust du unterschwellige Werbung für deine Partei zwischen die beliebtesten Sendungen der Zuschauer und der Rest geht von alleine.
6) Du hast einen Bekanntenkreis von richtigen "Aktivisten", wie etwa Greenpeace das hat, die von ihrer Idee überzeugt sind und die mit einem wahnwitzigen Aufwand an unbezahlter Arbeit das ganze Land mit deinen Werbeplakaten tapezieren.
Wenn dann die Plakate noch die "richtige" Botschaft rüberbringen schaffst du es zumindest ins Parlament.
Allerdings musst du dich dort dann als wortgewaltiger und überzeugender Redner einer kleinen Partei über viele Jahre hinweg langsam nach oben (also zu mehr Wählern) hocharbeiten.
7) Du vertritts rechtsextreme Ideen.
In dem Falle druckst du dir einfach ein paar 1000 Flyer mit rechtsextremen Parolen, gehst auf die Demos von Pegida und so und verteilst die Dinger.
2-3% sind zumindest in kleinen Wahlkreisen auf die Art immer drin.
Alles in Allem, WENN ich richtig einschätze was du an Möglichkeiten hast, kann ich es in 2 Worten zusammenfassen: VERGISS ES!
Such dir die Partei, die deinen Ideen am Nächsten steht, trete dort ein und engagiere dich dafür, dass die Partei sich noch weiter in die Richtung bewegt, die du gerne hättest, das ist um Grössenordnungen leichter als mit einer neuen Partei Fuss zu fassen.
Edit: Falls du englisch kannst, kann ich dir eins der neuesten Beispiele einer Parteigründung zeigen.
Da haben sich die bekanntesten YouTuber mehrerer grosser politischer YT-Kanäle zusammengetan und gemeinsam das Ganze ins Rollen gebracht.
https://justicedemocrats.com/
Geld haben sie nicht gebraucht, die haben alleine durch ihre grossartige Idee und die Anzahl ihrer Follower auf YT innerhalb von wenigen Wochen schon über 1 Mio. an Spenden gehabt.
Allerdings haben sie genau genommen keine neue Partei gegründet, sondern planen die "feindliche Übernahme" der demokratischen Partei in den USA.