Zum Weihnachtsmarkt-Massaker in Berlin...:
Frank A. Meyer
Der Täter als Opfer
"Die «Süddeutsche Zeitung» widmete seinem Terror-Attentat eine grosse Reportage: angerissen mit einem dominierenden Bild auf Seite eins, handwerklich perfekt und mit fünf weiteren Bildern abgehandelt auf der für ihre grossen Reportagen berühmten Seite drei.
Wem hat die «Süddeutsche Zeitung» das sensible Stück Journalismus gewidmet? Einem der zwölf Terroropfer? Einer der trauernden Familien?
Ja, einer Trauerfamilie: den tunesischen Angehörigen des Attentäters Anis Amri.
Zu diesem Zweck flogen zwei herausragende Journalisten nach Tunesien. Sie schrieben mitfühlend über die traumatisierten Eltern Amris. Sie liessen sich von seiner Jugend erzählen und davon, dass er der verwöhnte Jüngste der Familie gewesen sei. Sie werteten es als «im Nachhinein besonders bitter», dass zwei ältere Brüder aus dem Jüngsten einen LKW-Fahrer hatten machen wollen. Sie berichteten, dass Anis’ Vater einen Arm verloren hat, aber mit bald achtzig immer noch «auf seiner Eselkutsche Gemüse ausfährt».
Die «Süddeutsche Zeitung» machte ihre Leser vertraut mit einen Familien-Schicksal hinter dem Terror von Berlin. Der Titel über dem gefühligen Text, der auch vom Zürcher «Tages-Anzeiger» ganzseitig abgedruckt wurde: «Unser Junge.»
Der Mörder von zwölf Menschen – «unser Junge»? Wie kommt man auf so etwas?
Warum machte die grösste unter den deutschen Tageszeitungen keine Reportage über die Trauerfamilie der jüdischen Touristin Dalia Elyakim, die auf dem Weihnachtsmarkt getötet wurde?
So seltsam es klingen mag: Es liegt an einer Ideologie, die von linksliberal über links bis linksradikal gepflegt wird: Danach sind Täter nämlich Opfer – in der Regel sogar die interessanteren Opfer als die, welche ihnen zum Opfer gefallen sind.
Man kann diese Opfer-Ideologie getrost als Erbe der 68er-Kultur bezeichnen. Als Folge eines politischen Dogmas, nach dem das herrschende System – also das kapitalistisch-westliche – grundsätzlich Schuld trägt an allen Fehlentwicklungen des Einzelnen.
So ist denn ein Mörder zwar ein Mörder und ein Terrorist zwar ein Terrorist – dahinter aber steckt die böse Gesellschaft. Ja, das Böse ist gesellschaftlich vorgegeben und macht «unseren Jungen» zum Attentäter. Die westliche Zivilisation, brutal-materialistisch, wie sie ist, gebiert ihre Täter.
Die Linke der offenen Gesellschaft huldigt keinem Opfer-, sondern einem Täter-Kult: zelebriert von Soziologen, Psychologen, Therapeuten – einer wahren Klerisei dieses Glaubens aus den Urzeiten der Bürgerkinder-Rebellion.
Die linke Kolumnistin und Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels Carolin Emcke fand warme Worte für die Attentäter von Paris: Auch «das gescheiterte Leben der Täter gilt es zu betrauern». Heute also auch das gescheiterte Leben des Anis Amri.
Wer die Verantwortung für das Handeln des Einzelnen den herrschenden Verhältnissen zuschreibt, der entmündigt den Einzelnen. Freilich passt auch das zu einer freiheitsskeptischen Mentalität, für die alles Wohl und Wehe der Gesellschaft in der sozialen Gerechtigkeit wurzelt. Und wenn diese erst einmal verwirklicht ist? Gibt es keine Terroristen mehr....."
http://www.blick.ch/news/politik/fam...id5978176.html