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Gelöschtes Mitglied 2265
Die theoretischen Schwächen und Fehler der Freigeldtheorie
Gesell ist Kaufmann, sein Blickwinkel auf Geld und seine Funktion kommt daher auch aus dieser Richtung. „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ hatte Marx festgestellt – bei Gesell und anderen Freigeld-AnhängerInnen wird das sehr deutlich. Sie träumen sich eine „Marktwirtschaft“ wie „früher“, in der idealtypische KleinproduzentInnen bzw. KleinhändlerInnen agieren, die mit „ehrlicher Arbeit“ für einen „ehrlichen Markt“ ohne Spekulation, Großunternehmen und Konzentrationsprozesse produzieren und damit „ehrliches Geld“ verdienen. Die zunehmenden Widersprüche, die immer wiederkehrenden Krisen im Kapitalismus und die hochrationalisierte und globalisierte Warenproduktion will er in seinem Konzept ausschalten. Er vertritt ein „zurück zur Scholle“, das Anknüpfungspunkt für VertreterInnen des nationalen Lagers ist, aber auch eine Brücke zu verschiedenen Lebensreformbewegungen darstellte, die wir heute als „Öko“ zusammenfassen würden.
Gesells Hauptproblem (und das aller Kaufleute) ist es, wenn Geld liegenbleibt und nicht ausgegeben wird. Darum dreht sich dann auch ein zentraler Teil seiner Theorie. Er ging von einem Finanzkapital aus, das letztlich unnatürlich sei und wollte zu einem Wirtschaftssystem, in dem eine „natürliche Wirtschaftsordnung“ herrscht. Mit „natürlich“ wurde eine Anlehnung an die Biologie, die Natur suggeriert. Damit sollten die brutalen Manchester-liberalen Ideen (deren Wurzeln im 19. Jahrundert liegen und die nichts anderes als „reiner“ Kapitalismus ohne staatliche Beschränkungen, Gewerkschaften, Sozialstaat und Schutz für ArbeinehmerInnen und Schwächere bedeuten) als „natürlich“ verkauft werden, wonach nur die „gesunden“ und „fitten“ ein Lebensrecht haben. Allerdings wird sogar der Begriff „natürlich“ äußerst selektiv eingesetzt: Denn auch in der Natur gibt es ein friedliches Nebeneinander z.B. bei Wasserstellen und sogar Solidarität und Hilfe gegenüber kranken Artgenossen – in der Natur gibt es Leistung ohne Gegenleistung (wenn z.B. die Sonne die Erde bestrahlt).
In seinem Konzept geht er von einer Reihe falscher Annahmen aus, die logischerweise auch zu falschen Schlussfolgerungen führen.
Er meint, dass Geld wertbeständig sei und im Gegensatz zu anderen Waren nicht verdirbt. Dadurch würde sich ein Wettbewerbsvorteil ergeben, der dazu führt, dass GeldbesitzerInnen die WarenproduzentInnen erpressen können. Ein Blick aufs Sparbuch mit seinen niedrigen Zinsen, die unter der Inflationsrate liegen, zeigt, dass es mit der Wertbeständigkeit nicht weit her ist. Auch historische Beispiele wie die Hyperinflation in den 1920er Jahren zeigen die Unrichtigkeit dieser Annahme.
Er meint weiters, dass bei sinkenden Zinsen Bargeld in solchen Mengen zu Hause gehortet würde, dass die Wirtschaft zusammenbrechen könnte. Aktuell ist es zwar richtig, dass große Unternehmen Geld horten und nicht investieren – aber die meisten LeserInnen dieses Textes mit einem durchschnittlichen Einkommen haben gar nicht das Geld, um es zu Hause zu horten, sondern müssen es für Miete und Nahrungsmittel ausgeben. In den USA z.B. ist die Sparquote seit Jahren unter Null, d.h. es wird kein Geld „gehortet“ – trotzdem hat die USA massive wirtschaftliche Probleme.
Völlig ignorieren Gesell und auch die aktuelle NWO-Bewegung die Tatsache, dass der Großteil der Geschäfte heute nicht mehr mit Bargeld, sondern über Konto und Kreditkarten laufen, dieses Geld also gar nicht in Scheinen und Münzen zuhause gehortet werden kann. So betrug z.B. laut EZB der Bargeldumlauf in der Eurozone im November 2012 gerade mal 8,8% der Geldmenge M3 (reales Geld inklusive Buchgeld).
Eine weitere Grundannahme, die auch von einem der wichtigsten aktuellen TheoretikerInnen der Freiwirtschaft, Helmut Creutz, vertreten wird, besagt, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffen würde („Saysches Gesetz“). Arbeitslosigkeit und Millionen Autos, die weltweit unverkauft herumstehen, beweisen, wie falsch das in der Praxis ist.
Ein Grundübel ist laut Gesell und seinen AnhängerInnen die Goldbindung von Geld, doch auch hier zeigt sich, dass die Analyse zu kurz greift. Ende des 19. Jahrhunderts bis in den 1. Weltkrieg hatten viele Staaten eine Goldbindung, die kriegsbedingt abgeschafft und in den 1920er Jahren von Vielen wieder eingeführt wurde, um dann in den 1930er Jahren wieder auszuscheren. Nach 1945 wurde die Bindung wieder eingeführt und im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre wieder abgeschafft. Weder die Goldbindung noch ihre Aufhebung haben Krisen also verhindern können.
Viele der Ideen spiegeln einen wirtschaftsliberalen Geist wieder, der populärer mit „Jeder ist seines Glückes eigener Schmied“ wiedergegeben werden kann. Die Idee, dass Vorrechte im ökonomischen Bereich (Privilegien, Monopole oder Vorherrschaft des Kapitals) beseitigt werden müssen und Chancengleichheit aller WirtschaftsteilnehmerInnen hergestellt werden muss, findet sich bei verschiedenen VertreterInnen eines Wirtschaftsliberalismus. Erst wenn z.B. die Vererbung von Vermögen oder Grundbesitz abgeschafft wäre, könnten sich die „klügsten“ und „fleißigsten“ Köpfe beweisen.
Gesell kritisiert nicht nur den „parasitären“ Geldbesitzer, sondern auch „Arbeitsscheue“ und „Bummelanten“. Als Wirtschaftsliberaler lehnt er Gewerkschaften, den Sozialstaat und natürlich den „Kommunismus“ ab. Auch wenn viele TeilnehmerInnen in aktuellen Tauschkreis- und Regionalwährungsprojekten dies vielleicht aus sozialen Gründen tun, so sind die theoretischen Köpfe der Bewegung ganz auf der sozialdarwinistischen Linie von Gesell. Margrit Kennedy, eine prominente Vertreterin aktueller Freigeld- und Tauschkreisprojekte, meint, dass der Sozialstaat durch „Selbsthilfe“ ersetzt werden soll, so werde der Staat entlastet und die lästige Bürokratie abgebaut. „Mehr privat, weniger Staat“ ist die Devise von Wirtschaftsliberalen, der Staat muss „abgespeckt“ oder eben „entlastet“ werden. Das kennen wir als Argumentationsmuster diverser (neo)liberaler Angriffe auf den Sozialstaat, das öffentliche Bildungs- und Gesundheitswesen sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutzmaßnahmen. Wir plädieren nicht für einen „allmächtigen Staat“, der die Menschen aus der Verantwortung nimmt. Es ist nichts falsch daran, sich Selbsthilfe zu organisieren, sich zu organisieren und gemeinsam zu versuchen, Verbesserungen zu erreichen. Doch darum geht es bei diesen Konzepten nicht. Vielmehr geht es darum, den Sozialstaat abzubauen (also öffentliches Gesundheitswesen, öffentliche Schulen und Kindergärten, Arbeitslosengeld etc.) und durch solche „Selbsthilfe“ zu ersetzen, die für viele dann schlicht nicht erreichbar ist, weil sie nicht gesund oder fit genug sind oder nicht die Zeit dafür haben.
Ökonomisch vertritt Gesell die Interessen seiner sozialen Schicht. Er vertritt ein kleinbürgerliches Spektrum, das unter dem Druck des Großkapitals (egal ob produzierend oder spekulierend) einerseits und der ArbeiterInnenbewegung und ihrer Organisationen andererseits steht und ums Überleben kämpft. Gesell und die meisten anderen TheoretikerInnen und AnhängerInnen von Freigeldideen kommen aus diesem Lager: KleinunternehmerInnen und KleinbürgerInnen die Angst haben, in einem sich entwickelnden Kapitalismus unter die Räder zu kommen.
Von Vielen – u.a. auch aus dem anarchistisch/libertären Lager (hier ist v.a. der österreichische Theoretiker Gerhard Senft zu nennen) – wird Gesells Ansatz als Versuch eines „Dritten Wegs“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus dargestellt.
Doch tatsächlich ist es nur ein weiterer Versuch, eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus zu zeichnen, eine Trennung in „produzierendes“ und „spekulierendes“ Kapital zu konstruieren, die in der Praxis seit über 100 Jahren nicht mehr existiert. Anfang des 20. Jahrhunderts analysierten Hilferding und Lenin, dass der Kapitalismus in ein neues Stadium, den „Imperialismus“ eingetreten war. Dieser zeichnet sich u.a. durch Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital aus. Auch heute sind Finanzunternehmen an Produktionsunternehmen beteiligt und haben Firmen des produzierenden Sektors sowie zusätzliche Sparten im Versicherungs- und Spekulationsbereich.
Gesell geht ganz bewusst zu Analysen von Marx und Engels auf Distanz und verwendet völlig andere Arbeits- und „Mehrwert“-Begriffe als diese. ArbeiterInnen sind alle die „arbeiten“ – UnternehmerInnen genauso wie BäuerInnen und Lohnabhängige, Mehrwert wird nach Gesell nicht im Produktionsprozess, sondern nur im Finanzsektor geschaffen, er sieht daher auch keine Ausbeutung im Produktionsprozess und keine Ursache für Wirtschaftskrisen.
Gesell und seine AnhängerInnen stellen die Krisenursachen auf den Kopf, weil sie die Ursachen auf das Finanzkapital reduzieren. Angesichts von „Casinokapitalismus“ und scheinbar völlig enthemmt und unkontrolliert agierenden Finanzmärkten, angesichts einer „Finanzkrise“ und einer scheinbaren Dominanz der Finanzmärkte, sind Erklärungen, die die Ursache von wirtschaftlichen Missständen und insbesondere Krisen allein im Finanzsektor suchen – und zu finden glauben – attraktiv. Eine ähnlich verkürzte Krisenanalyse finden wir bei Attac, wo dann auch die „Tobin-Tax“ auf Finanztransaktionen als Heilmittel präsentiert wird.
Durch die Verlagerung des Problems weg von der Produktionssphäre kann diese unangetastet bleiben – und mit ihr das zugrundeliegende kapitalistische (oder in Worten der GesellianerInnen „marktwirtschaftliche“) Wirtschaftssystem.
Doch auch die 2007 begonnene Krise ist nicht nur eine „Finanzkrise“. Ihre Ursachen liegen weiter zurück und sind systemimmanent. Denn seit seinen Anfängen kommt es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen. Diese sind aber keine „Betriebsfehler“, sind nicht das Ergebnis einer „falschen“ Wirtschaftspolitik oder einer bloßen Dominanz des Finanzsektors. Im Kapitalismus entstehen Krisen nicht aus einem Mangel, sondern aus einem Überfluss an Gütern. Krisen entstehen, weil sich Menschen die von ihnen produzieren Waren nicht mehr leisten können. Weil es im Kapitalismus um Profite und nicht um die Bedürfnisse der Menschen geht, gibt es eine Reihe von systemimmanenten Widersprüchen. Diese inneren Widersprüche führen immer wieder zu Krisen. Das haben Marx und Engels schon im 19. Jahrhundert erkannt und diese Widersprüche aufgezeigt:
1)Die Unternehmer bereichern sich an den Beschäftigten und bezahlen nicht die von den Beschäftigten geschaffenen Werte. Sie streifen den von Marx definierten Mehrwert ein.
2) Eine kleine Schicht profitiert von den Reichtümern der Gesellschaft, der von allen geschaffen wird. Damit steht der gesellschaftlichen Produktion die private Aneignung gegenüber.
3) Weil Technologien ohne Menschen keine neuen Werte schaffen können, aber immer weniger Menschen immer „mehr“ an Technologie gegenüber stehen, rechnen sich Investitionen für Unternehmen immer weniger und sie suchen neue Anlagemöglichkeiten. Marx und Engels sprechen vom „Tendenziellen Fall der Profitrate“ (wir können hier nur eine sehr kurze Zusammenfassung dieser Widersprüche geben, mehr in unserer Broschüre „Basiswissen Marxismus Teil 3 – Politische Ökonomie“, auch auf www.slp.at).
In den 1950er und 1960er Jahren konnten diese Widersprüche scheinbar überwunden werden und die Wirtschaft florierte – die Grundlage dafür waren allerdings die enormen Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Ab den 1970er Jahren traten aber die Widersprüche wieder offen zutage. Mitte der 1970er Jahre kam es zur ersten Nachkriegskrise. Die Politik versuchte mit neoliberalen (damals hieß das „monetaristischen“) Konzepten entgegenzuwirken. Die Ursache für die „neuen“ Konzepte der Wirtschaftspolitik lagen aber nicht in plötzlich besonders gierig gewordenen KapitalistInnen. Die Ursache lag darin, dass es für das Kapital immer weniger profitabel geworden war, in die „klassischen“ Bereiche (Industrieproduktion) zu investieren und daher neue Investitionsfelder gesucht werden mussten. Schon Marx wies darauf hin, dass es im Kapitalismus aufgrund seiner inneren Widersprüche immer wieder zu einer Überakkumulation (übermäßigen Anhäufung) von Kapital kommt. Um für dieses Kapital neue Anlagemöglichkeiten zu finden, wurden bisher staatliche Bereiche wie Pensionen, Gesundheit, Infrastruktur und Bildung privatisiert. Die Finanzmärkte wurden dereguliert, um das Kapital, das im produktiven Bereich keine ausreichende Gewinnmöglichkeit mehr sah, im spekulativen Bereich gewinnbringend „arbeiten“ zu lassen. Dadurch werden aber keine neuen (Mehr-)Werte geschaffen; es findet nur eine Umverteilung zwischen verschiedenen Kapitalgruppen statt. Es folgten immer absurdere Finanzkonstrukte, die sich zu immer größeren Blasen aufblähten. Die immer größere Bedeutung der Finanzmärkte ist also nicht das Ergebnis einer „Verschwörung“ oder wild gewordener unvernünftiger geldgieriger SpekulantInnen. Sie war eine logische Folge und Notwendigkeit der sich ausweitenden Krise des Kapitalismus – die ihre Ursache in den kapitalistischen Grundwidersprüchen hat, die auch im „produzierenden“ Bereich existieren.
Die Ideen, die Probleme des Kapitalismus durch Beschneidung, Kontrolle oder eben Abschaffung des Finanzsektors zu lösen, sind nicht neu und weitverbreitet. Doch sie gehen an den wahren Ursachen der Krisen vorbei.
www.sozialismus.info/2014/05/freigeldtheorie-und-tauschkreise/
Gesell ist Kaufmann, sein Blickwinkel auf Geld und seine Funktion kommt daher auch aus dieser Richtung. „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ hatte Marx festgestellt – bei Gesell und anderen Freigeld-AnhängerInnen wird das sehr deutlich. Sie träumen sich eine „Marktwirtschaft“ wie „früher“, in der idealtypische KleinproduzentInnen bzw. KleinhändlerInnen agieren, die mit „ehrlicher Arbeit“ für einen „ehrlichen Markt“ ohne Spekulation, Großunternehmen und Konzentrationsprozesse produzieren und damit „ehrliches Geld“ verdienen. Die zunehmenden Widersprüche, die immer wiederkehrenden Krisen im Kapitalismus und die hochrationalisierte und globalisierte Warenproduktion will er in seinem Konzept ausschalten. Er vertritt ein „zurück zur Scholle“, das Anknüpfungspunkt für VertreterInnen des nationalen Lagers ist, aber auch eine Brücke zu verschiedenen Lebensreformbewegungen darstellte, die wir heute als „Öko“ zusammenfassen würden.
Gesells Hauptproblem (und das aller Kaufleute) ist es, wenn Geld liegenbleibt und nicht ausgegeben wird. Darum dreht sich dann auch ein zentraler Teil seiner Theorie. Er ging von einem Finanzkapital aus, das letztlich unnatürlich sei und wollte zu einem Wirtschaftssystem, in dem eine „natürliche Wirtschaftsordnung“ herrscht. Mit „natürlich“ wurde eine Anlehnung an die Biologie, die Natur suggeriert. Damit sollten die brutalen Manchester-liberalen Ideen (deren Wurzeln im 19. Jahrundert liegen und die nichts anderes als „reiner“ Kapitalismus ohne staatliche Beschränkungen, Gewerkschaften, Sozialstaat und Schutz für ArbeinehmerInnen und Schwächere bedeuten) als „natürlich“ verkauft werden, wonach nur die „gesunden“ und „fitten“ ein Lebensrecht haben. Allerdings wird sogar der Begriff „natürlich“ äußerst selektiv eingesetzt: Denn auch in der Natur gibt es ein friedliches Nebeneinander z.B. bei Wasserstellen und sogar Solidarität und Hilfe gegenüber kranken Artgenossen – in der Natur gibt es Leistung ohne Gegenleistung (wenn z.B. die Sonne die Erde bestrahlt).
In seinem Konzept geht er von einer Reihe falscher Annahmen aus, die logischerweise auch zu falschen Schlussfolgerungen führen.
Er meint, dass Geld wertbeständig sei und im Gegensatz zu anderen Waren nicht verdirbt. Dadurch würde sich ein Wettbewerbsvorteil ergeben, der dazu führt, dass GeldbesitzerInnen die WarenproduzentInnen erpressen können. Ein Blick aufs Sparbuch mit seinen niedrigen Zinsen, die unter der Inflationsrate liegen, zeigt, dass es mit der Wertbeständigkeit nicht weit her ist. Auch historische Beispiele wie die Hyperinflation in den 1920er Jahren zeigen die Unrichtigkeit dieser Annahme.
Er meint weiters, dass bei sinkenden Zinsen Bargeld in solchen Mengen zu Hause gehortet würde, dass die Wirtschaft zusammenbrechen könnte. Aktuell ist es zwar richtig, dass große Unternehmen Geld horten und nicht investieren – aber die meisten LeserInnen dieses Textes mit einem durchschnittlichen Einkommen haben gar nicht das Geld, um es zu Hause zu horten, sondern müssen es für Miete und Nahrungsmittel ausgeben. In den USA z.B. ist die Sparquote seit Jahren unter Null, d.h. es wird kein Geld „gehortet“ – trotzdem hat die USA massive wirtschaftliche Probleme.
Völlig ignorieren Gesell und auch die aktuelle NWO-Bewegung die Tatsache, dass der Großteil der Geschäfte heute nicht mehr mit Bargeld, sondern über Konto und Kreditkarten laufen, dieses Geld also gar nicht in Scheinen und Münzen zuhause gehortet werden kann. So betrug z.B. laut EZB der Bargeldumlauf in der Eurozone im November 2012 gerade mal 8,8% der Geldmenge M3 (reales Geld inklusive Buchgeld).
Eine weitere Grundannahme, die auch von einem der wichtigsten aktuellen TheoretikerInnen der Freiwirtschaft, Helmut Creutz, vertreten wird, besagt, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffen würde („Saysches Gesetz“). Arbeitslosigkeit und Millionen Autos, die weltweit unverkauft herumstehen, beweisen, wie falsch das in der Praxis ist.
Ein Grundübel ist laut Gesell und seinen AnhängerInnen die Goldbindung von Geld, doch auch hier zeigt sich, dass die Analyse zu kurz greift. Ende des 19. Jahrhunderts bis in den 1. Weltkrieg hatten viele Staaten eine Goldbindung, die kriegsbedingt abgeschafft und in den 1920er Jahren von Vielen wieder eingeführt wurde, um dann in den 1930er Jahren wieder auszuscheren. Nach 1945 wurde die Bindung wieder eingeführt und im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre wieder abgeschafft. Weder die Goldbindung noch ihre Aufhebung haben Krisen also verhindern können.
Viele der Ideen spiegeln einen wirtschaftsliberalen Geist wieder, der populärer mit „Jeder ist seines Glückes eigener Schmied“ wiedergegeben werden kann. Die Idee, dass Vorrechte im ökonomischen Bereich (Privilegien, Monopole oder Vorherrschaft des Kapitals) beseitigt werden müssen und Chancengleichheit aller WirtschaftsteilnehmerInnen hergestellt werden muss, findet sich bei verschiedenen VertreterInnen eines Wirtschaftsliberalismus. Erst wenn z.B. die Vererbung von Vermögen oder Grundbesitz abgeschafft wäre, könnten sich die „klügsten“ und „fleißigsten“ Köpfe beweisen.
Gesell kritisiert nicht nur den „parasitären“ Geldbesitzer, sondern auch „Arbeitsscheue“ und „Bummelanten“. Als Wirtschaftsliberaler lehnt er Gewerkschaften, den Sozialstaat und natürlich den „Kommunismus“ ab. Auch wenn viele TeilnehmerInnen in aktuellen Tauschkreis- und Regionalwährungsprojekten dies vielleicht aus sozialen Gründen tun, so sind die theoretischen Köpfe der Bewegung ganz auf der sozialdarwinistischen Linie von Gesell. Margrit Kennedy, eine prominente Vertreterin aktueller Freigeld- und Tauschkreisprojekte, meint, dass der Sozialstaat durch „Selbsthilfe“ ersetzt werden soll, so werde der Staat entlastet und die lästige Bürokratie abgebaut. „Mehr privat, weniger Staat“ ist die Devise von Wirtschaftsliberalen, der Staat muss „abgespeckt“ oder eben „entlastet“ werden. Das kennen wir als Argumentationsmuster diverser (neo)liberaler Angriffe auf den Sozialstaat, das öffentliche Bildungs- und Gesundheitswesen sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutzmaßnahmen. Wir plädieren nicht für einen „allmächtigen Staat“, der die Menschen aus der Verantwortung nimmt. Es ist nichts falsch daran, sich Selbsthilfe zu organisieren, sich zu organisieren und gemeinsam zu versuchen, Verbesserungen zu erreichen. Doch darum geht es bei diesen Konzepten nicht. Vielmehr geht es darum, den Sozialstaat abzubauen (also öffentliches Gesundheitswesen, öffentliche Schulen und Kindergärten, Arbeitslosengeld etc.) und durch solche „Selbsthilfe“ zu ersetzen, die für viele dann schlicht nicht erreichbar ist, weil sie nicht gesund oder fit genug sind oder nicht die Zeit dafür haben.
Ökonomisch vertritt Gesell die Interessen seiner sozialen Schicht. Er vertritt ein kleinbürgerliches Spektrum, das unter dem Druck des Großkapitals (egal ob produzierend oder spekulierend) einerseits und der ArbeiterInnenbewegung und ihrer Organisationen andererseits steht und ums Überleben kämpft. Gesell und die meisten anderen TheoretikerInnen und AnhängerInnen von Freigeldideen kommen aus diesem Lager: KleinunternehmerInnen und KleinbürgerInnen die Angst haben, in einem sich entwickelnden Kapitalismus unter die Räder zu kommen.
Von Vielen – u.a. auch aus dem anarchistisch/libertären Lager (hier ist v.a. der österreichische Theoretiker Gerhard Senft zu nennen) – wird Gesells Ansatz als Versuch eines „Dritten Wegs“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus dargestellt.
Doch tatsächlich ist es nur ein weiterer Versuch, eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus zu zeichnen, eine Trennung in „produzierendes“ und „spekulierendes“ Kapital zu konstruieren, die in der Praxis seit über 100 Jahren nicht mehr existiert. Anfang des 20. Jahrhunderts analysierten Hilferding und Lenin, dass der Kapitalismus in ein neues Stadium, den „Imperialismus“ eingetreten war. Dieser zeichnet sich u.a. durch Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital aus. Auch heute sind Finanzunternehmen an Produktionsunternehmen beteiligt und haben Firmen des produzierenden Sektors sowie zusätzliche Sparten im Versicherungs- und Spekulationsbereich.
Gesell geht ganz bewusst zu Analysen von Marx und Engels auf Distanz und verwendet völlig andere Arbeits- und „Mehrwert“-Begriffe als diese. ArbeiterInnen sind alle die „arbeiten“ – UnternehmerInnen genauso wie BäuerInnen und Lohnabhängige, Mehrwert wird nach Gesell nicht im Produktionsprozess, sondern nur im Finanzsektor geschaffen, er sieht daher auch keine Ausbeutung im Produktionsprozess und keine Ursache für Wirtschaftskrisen.
Gesell und seine AnhängerInnen stellen die Krisenursachen auf den Kopf, weil sie die Ursachen auf das Finanzkapital reduzieren. Angesichts von „Casinokapitalismus“ und scheinbar völlig enthemmt und unkontrolliert agierenden Finanzmärkten, angesichts einer „Finanzkrise“ und einer scheinbaren Dominanz der Finanzmärkte, sind Erklärungen, die die Ursache von wirtschaftlichen Missständen und insbesondere Krisen allein im Finanzsektor suchen – und zu finden glauben – attraktiv. Eine ähnlich verkürzte Krisenanalyse finden wir bei Attac, wo dann auch die „Tobin-Tax“ auf Finanztransaktionen als Heilmittel präsentiert wird.
Durch die Verlagerung des Problems weg von der Produktionssphäre kann diese unangetastet bleiben – und mit ihr das zugrundeliegende kapitalistische (oder in Worten der GesellianerInnen „marktwirtschaftliche“) Wirtschaftssystem.
Doch auch die 2007 begonnene Krise ist nicht nur eine „Finanzkrise“. Ihre Ursachen liegen weiter zurück und sind systemimmanent. Denn seit seinen Anfängen kommt es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen. Diese sind aber keine „Betriebsfehler“, sind nicht das Ergebnis einer „falschen“ Wirtschaftspolitik oder einer bloßen Dominanz des Finanzsektors. Im Kapitalismus entstehen Krisen nicht aus einem Mangel, sondern aus einem Überfluss an Gütern. Krisen entstehen, weil sich Menschen die von ihnen produzieren Waren nicht mehr leisten können. Weil es im Kapitalismus um Profite und nicht um die Bedürfnisse der Menschen geht, gibt es eine Reihe von systemimmanenten Widersprüchen. Diese inneren Widersprüche führen immer wieder zu Krisen. Das haben Marx und Engels schon im 19. Jahrhundert erkannt und diese Widersprüche aufgezeigt:
1)Die Unternehmer bereichern sich an den Beschäftigten und bezahlen nicht die von den Beschäftigten geschaffenen Werte. Sie streifen den von Marx definierten Mehrwert ein.
2) Eine kleine Schicht profitiert von den Reichtümern der Gesellschaft, der von allen geschaffen wird. Damit steht der gesellschaftlichen Produktion die private Aneignung gegenüber.
3) Weil Technologien ohne Menschen keine neuen Werte schaffen können, aber immer weniger Menschen immer „mehr“ an Technologie gegenüber stehen, rechnen sich Investitionen für Unternehmen immer weniger und sie suchen neue Anlagemöglichkeiten. Marx und Engels sprechen vom „Tendenziellen Fall der Profitrate“ (wir können hier nur eine sehr kurze Zusammenfassung dieser Widersprüche geben, mehr in unserer Broschüre „Basiswissen Marxismus Teil 3 – Politische Ökonomie“, auch auf www.slp.at).
In den 1950er und 1960er Jahren konnten diese Widersprüche scheinbar überwunden werden und die Wirtschaft florierte – die Grundlage dafür waren allerdings die enormen Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Ab den 1970er Jahren traten aber die Widersprüche wieder offen zutage. Mitte der 1970er Jahre kam es zur ersten Nachkriegskrise. Die Politik versuchte mit neoliberalen (damals hieß das „monetaristischen“) Konzepten entgegenzuwirken. Die Ursache für die „neuen“ Konzepte der Wirtschaftspolitik lagen aber nicht in plötzlich besonders gierig gewordenen KapitalistInnen. Die Ursache lag darin, dass es für das Kapital immer weniger profitabel geworden war, in die „klassischen“ Bereiche (Industrieproduktion) zu investieren und daher neue Investitionsfelder gesucht werden mussten. Schon Marx wies darauf hin, dass es im Kapitalismus aufgrund seiner inneren Widersprüche immer wieder zu einer Überakkumulation (übermäßigen Anhäufung) von Kapital kommt. Um für dieses Kapital neue Anlagemöglichkeiten zu finden, wurden bisher staatliche Bereiche wie Pensionen, Gesundheit, Infrastruktur und Bildung privatisiert. Die Finanzmärkte wurden dereguliert, um das Kapital, das im produktiven Bereich keine ausreichende Gewinnmöglichkeit mehr sah, im spekulativen Bereich gewinnbringend „arbeiten“ zu lassen. Dadurch werden aber keine neuen (Mehr-)Werte geschaffen; es findet nur eine Umverteilung zwischen verschiedenen Kapitalgruppen statt. Es folgten immer absurdere Finanzkonstrukte, die sich zu immer größeren Blasen aufblähten. Die immer größere Bedeutung der Finanzmärkte ist also nicht das Ergebnis einer „Verschwörung“ oder wild gewordener unvernünftiger geldgieriger SpekulantInnen. Sie war eine logische Folge und Notwendigkeit der sich ausweitenden Krise des Kapitalismus – die ihre Ursache in den kapitalistischen Grundwidersprüchen hat, die auch im „produzierenden“ Bereich existieren.
Die Ideen, die Probleme des Kapitalismus durch Beschneidung, Kontrolle oder eben Abschaffung des Finanzsektors zu lösen, sind nicht neu und weitverbreitet. Doch sie gehen an den wahren Ursachen der Krisen vorbei.
www.sozialismus.info/2014/05/freigeldtheorie-und-tauschkreise/