Der ganze Zirkus ist viel zu aufwändig, bedenkt man, dass zwischen dem Großen Sesselzurechtrücken und den nächsten Wahlkrämpfen kaum Zeit bleibt für längerfristige, ggf. parteiübergreifende Projekte. Und da unsere Volksvertreter sich ohnehin fast ausschließlich damit beschäftigen, wie sie den Mist aus dem gewaltigen Volksversagen so angenehm wie möglich auf möglichst viele Schultern verteilen, ist die Konzentration auf's Wesentliche längst überfällig. Beinahe wieder mal zu spät, sodass nicht dumm wäre, sich auf's Wegkratzen der Reste vorzubereiten ...
Hallo Ei Tschi,
der ganze Zirkus ist schlicht und ergreifend das, was man als Demokratie bezeichnen kann und muß. NICHTwählen ist KEINE Alternative, denn nur wer wählt hat in einer Demokratie die Möglichkeit, die Politik mitzugestalten. Punktum. Wem das zu wenig plebiszitär vorkommt, der mag sich daran erinnern, daß es eierlegende Wollmilchsäue trotz einer seit Jahrtausenden anhaltenden, enormen Nachfrage bis heute nicht gibt, d.h.: es wird niemals eine Partei geben, die wirklich alle Herzenswünsche jedes einzelnen Wählers erfüllen kann und es wird niemals eine Regierung geben, die wirklich alle Herzenswünsche jedes einzelnen ihrer Bürger erfüllen kann.
Aber es gibt Parteien und politische Strömungen, die das individuelle politische Ziel mehr repräsentieren als andere - und genau DIESE kann jeder wahlberechtigte Bürger ganz gemäß SEINEN Vorstellungen und Wünschen vermittels Wahl stärken oder schwächen. Wenn der Wähler also davon ausgehen muß, daß es nach der Wahl erneut zu einer großen Koalition kommen wird, er diese aber nicht für sinnvoll hält und nicht mit seiner Stimme unterstützen möchte, dann hat er dennoch die Möglichkeit, durch die Wahl einer Partei, die vermutlich NICHT in die Regierungsverantwortung kommen wird (oder die, falls das doch geschehen sollte, die Akzente jener Regierung in seinem Sinne setzen wird) eine starke und fundierte Opposition zu wählen: Wahlen in Demokratien ergeben eben niemals "nur" eine mehrheitlich gewollte Regierung (im Gegenteil, eine erneute große Koalition dürfte eine erhebliche Mehrheit nicht wirklich wollen), sondern auch deren Opposition. Und für das, was unterm Strich herauskommt ist in einer parlamentarischen Demokratie die OPPOSITION nicht weniger verantwortlich als die Regierung, im Gegenteil: ihr kommt die durchaus entscheidende Funktion der kritischen Auseinandersetzung mit den Leistungen und Fehlleistungen der jeweiligen Regierung zu, es ist immer die Opposition, die die Regierung zu kritisieren und damit auch zu kontrollieren hat.
Und genau DARAN hapert es in Deutschland gewaltig, nicht zuletzt dank des enggeschnürten Korsetts der politischen Korrektheit.
Ganz explizit für DIESE Wahl heißt das im Klartext: die AfD wird in der kommenden Legislaturperiode zu beweisen haben, daß sie kann, was sie versprochen hat, nämlich eine tatsächliche Opposition zu sein und endlich wieder den, in einer Demokratie existentiell notwendigen, DISKURS an der Stelle des lähmenden KONSENS zu etablieren - das Verharren in der Opferrolle es zu Unrecht als Schmuddelkind eingestuften Parias wird sie nicht über die nächsten 4 Jahre retten können, soviel steht fest. Und zwar völlig gleichgültig, wie aus diesem Wahldesaster die nächste Bundesregierung zusammengesetzt sein wird (ein Paukenschlag und das ultimative Horrorszenario der AfD wäre vermutlich ein Rechtsruck der CDU und ein Koalitionsangebot gegenüber der AfD - wäre ich CDU-Chef, ich täte genau DAS: schneller, nachhhaltiger und effektiver als durch eine Regierungsbeteiligung könnte man die unliebsame Konkurrenz am rechten Flügel nicht grillen, grins... aber dieser Fall wird nicht eintreten, dazu haben die Herrschaften nicht den Arsch im Hosenanzug).
Was den Opportunismus (der im Grunde nichts anderes ist als der vielgeschmähte Populismus) betrifft: da hast Du durchaus recht. Genau diese Unkultur hat sich in unserer Demokratie in den letzten rund 30 Jahren etabliert: da wird selbst eine Mehrheit in beiden Kammern schon zu Beginn der Legislaturperiode nicht genutzt, um die eigene Politik auch gegen mediale Widerstände durchzuziehen (ich denke da an Merkels 180°-Wende nach Fukushima, aber auch an den völlig unnötigen Mord am eigenen Koalitionspartner in der Mehrwertsteuer-Diskussion für das Hotelgewerbe). Einzige Ausnahme war da ausgerechnet Schröder (den sonderlich zu schätzen ich gewiß nicht verdächtig bin): der hat seine - wenn auch in den entscheidenden Punkten entschärfte - Agenda 2010 durchgezogen. Eben leider: in den entscheidenden Punkten entschärft und nicht umgesetzt, weshalb wir heute mit diesem Scheißhaufen dastehen und sich keiner traut, die tatsächliche Agenda, so, wie Hartz sie EIGENTLICH entworfen hatte, endlich umzusetzen und SINNVOLL zu machen.
Das ist allerdings nicht der Dauer der Legislaturperiode geschuldet, sondern dem Umstand, daß man als Regierung seine Politik nicht nur dem Parlament, sondern zuvörderst auch der eigenen Partei verkaufen muß, und genau daran ist Schröder letztlich zwangsläufig auch gescheitert.
Aber wir werden so oder so jetzt wieder eine Opposition haben (WENN die AfD ihrer Verantwortung tatsächlich gerecht wird!!!), die die Regierung dazu zwingen wird, sich neu auszurichten. Und das bedeutet, daß die CDU sich vom heutigen Tage an von Merkel lösen muß und das auch tun wird: es wird sich innerhalb der CDU ein Machtwechsel abspielen, ich wage sogar die Prognose: das wird nicht die gesamte Legislaturperiode brauchen. Die nächste CDU steht mit diesem Wahlergebnis quasi in der Tür, und sie wird wieder einen konservativen und einen marktliberalen Flügel haben.
Merkel hat sich durch diesen "Wahlsieg" selbst entmachtet - und das ist gut so, NEIN: es ist nicht nur gut so, es ist auch ein Bestandteil von DEMOKRATIE.
Nur idiotischen Wählern ist nicht klar, daß der Erfolg der eigenen Wahlentscheidung nicht zwei Wochen nach der Regierungsbildung sichtbar wird. Sondern möglicherweise erst in der nächsten Legislaturperiode.
Diese Wahl, zum Beispiel, wird den Weg freimachen für die nächste Wahl - und da wird nicht mehr Merkel zur Debatte stehen. Die wird ab jetzt von ihrer eigenen Partei erledigt werden (oder sie erledigt ihre eigene Partei) - dafür haben die anderen jetzt Zeit und Gelegenheit, Alternativen zur jetzigen Politik zu entwickeln. Alternative
n für Deutschland: die brauchen wir und die werden wir bekommen - ganz egal, wo wir parteipolitisch verortet sind. Vorausgesetzt, wir mißverstehen Demokratie nicht als unseren persönlichen Wunscherfüllungs-Apparat, sondern begreifen sie als STAATSFORM, in der jeder das Recht, aber auch die Pflicht hat, Verantwortung zu übernehmen. Und zwar per Wahl.
Gruß -
Bendert