2. Teil
Deutschland und Preußen heute nach dem öffentlichen Recht
von Prof. Dr. jur. Hans Werner Bracht
1. In diesem Rahmen besteht auch die deutsche Staatsangehörigkeit fort, die rein staatsrechtlich nicht die der Bundesrepublik Deutschland ist, für die es kein eigenes Gesetz gibt. Wohl aber gibt es die Staatsangehörigkeit des Deutschen Reiches nach dem Reichs- und Staatsbürgerschaftsgesetz von 1913; Jeder Deutsche ist also nach dem Öffentlichen Recht im Staats- und Völkerrecht Reichsdeutscher und nicht etwa Bundesdeutscher.
2. Der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR am 06.09.1990 hat in Art. 4 Ziffer 2 den Artikel 23 GG a.F. aufgehoben: Daher gilt nach gegenwärtigem deutschen Staatsrecht nicht mehr "Das Grundgesetz ist nach dem Beitritt anerer Teile Deutschlands in diesen Teilen ausser Kraft zu setzen". Diese Aufhebung war staatsrechtlich rechtwidrig, da nicht alle Teile Deutschlands (Ostdeutschland jenseits Oder und Neiße etwa) dem Grundgesetz beigetreten sind.
3. Von der Bundesregierung ist dafür als Begründung angegeben worden, dass die Wiedervereinigung Deutschlands mit dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz vollzogen sei und daher kein weiteres Gebiet in Europa mehr der Bundesrepublik Deutschland beitreten könne. Damit hat die Bundesregierung freilich indirekt auf Ostdeutschland jenseits Oder und Neiße verzichtet (das eigentliche Ostdeutschland ist niemals Mitteldeutschland, wie dies heute genannt wird). Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keine gesamtdeutsche Regierung und kein Gesetzgeber bestand und daher eine solche Abtretung staatsrechtlich irrelevant ist, zumal ja auch die Bundesrepublik Deutschland nicht identisch mit dem Deutschen Reich war und ist, das nach wie vor besteht. Zu einer völkerrechtlich gültigen Abtretung fehlt ihr daher jede Rechtgrundlage: Ich kann und darf nicht rechgültig das Grundstück meines Nachbarn an Fremde abtreten. Das wäre rechtunwirksam.
4. Noch deutlicher als im Einigungsvertrag kommt diese gewollte Abtretung im " "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" (sog. Zwei-Plus-Vier-Vertrag) zum Ausdruck, der am 12.9.1990 von der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und den vier Hauptsiegermächten in Moskau abgeschlossen wurde. In Art. 1 dieses Vertrages wird auf jeden künftigen Gebietsanspruch Deutschlands anderen Mächten gegenüber verzichtet, ohne dass dafür eine Rechtgrundlage, welche Art auch immer, für die Bundesrepublik Deutschland vorhanden war, in diesem Artikel werden auch die deutschen Ostgebiete nicht mehr als deutsches Staatsgebiet aufgeführt.
5. Trotz dieser entscheidenden deutlichen Völkerrechtgrundlage muss die Bundesrepublik Deutschland aber in jedem Fall Art.20 Abs.3 GG berücksichtigen. Zu diesem dort genannten Recht gehört auch das Völkerrecht nach Art.25 GG, das nach dieser Bestimmung aber dem Bundesrecht im Rang vorgeht. Nach diesem allgemeinen Völkerrecht ergibt sich aber eine andere allgemeine Völkerrechtgrundlage Gesamtdeutschlands. Sie gestaltet sich wie folgt:
6. Das Ostgebiet des Deutschen Reiches jenseits von Oder und Neiße sind zum größten Teil an Polen, zu einem kleinen Teil in Nordostpreußen von der Sowjetunion 1945 annektiert worden. Die Annexion, die in ihrem Wesen immer eine Aggression ist, wird jedoch größtenteils seit der sogenannten Stimson-Doktrin von 1932 als völkerrechtlich unzulässig angesehen. Nach dieser Doktrin soll ein gewaltsamer Gebietserwerb auch nicht völkerrechtlich anerkannt werden. Andernfalls wäre der Briand-Kellog-Pakt von 1928, der den Angriffskrieg wie jede Aggression ächtet, unwirksam geworden. Für die reine kriegsmäßige Besetzung, die als solche nur in einem Krieg zulässig ist, gilt jedoch nach wie vor die Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 und für das Verhältnis der Besatzungsmacht zum besetzten Feindstaat die Bestimmungen von Art.45 HLKO (Beachtung der Landesgesetze), Art.46 HLKO(Schutz des Privateigentums), Art.47 HLKO (Verbot der Plünderung) sowie Art.53 HLKO (Beschlagnahme von Eigentum stets nur während der Besetzung).
7. Diese bereits bestehende spezielle Völkerrechtlage wird jetzt nochmals neu formuliert durch die Resolution 242 (1967) des Sicherheitsrates der UNO vom 22.11.1967. Danach darf fremdes Staatsgebiet immer nur vorrübergehend, aber nicht auf Dauer besetzt gehalten werden. Diese Besetzung ist daher niemals ein anerkannter Völkerrechtgrund für einen Gebietserwerb auf Dauer.
8. Dazu kommt auch noch, dass nach dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechtes der Völker jedes Volk das Recht hat, auf einem angestammten Gebiet in äußerer und innerer Freiheit zu leben. Soweit dieses Recht nicht gewährleistet worden sein sollte, besteht ein entsprechender völkerrechtlich begründerter Anspruch gegen jede behindernde fremde Macht. Das gilt natürlich auch für deutsche Verhältnisse.
9. Diese allgemeine vökerrechtliche Grundlage findet jetzt auch in einem grundlegenden internationalen Vertrag mit Anwendung. So ist nach Art.53 der Konvention über das Recht der Verträge, die am 23.05.1967 in Wien untezeichnet wurde und deren Partei die Bundesrepublik Deutschland seit dem 20.08.1967 ist, ein internationaler Vertrag nichtig, wenn er zur Zeit des Abschlusses mit einer zwingenden Norm des Völkerrechtes in Widerspruch steht. Dafür kommt in Betracht:
a) "Die Anerkennung einer Annexion als Rechtgrund für die ständigen Inbesitznahmen fremden Staatsgebietes"
b) "Die Mißachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker"
c) "Das Verbot, durch Kriege Gebiete auf Dauer zu erwerben"
d) "Fehlende Verfügungsbefugnis und Bedürfnis des Gebiet abtretenden Staates über dieses Gebiet".
10. Dazu ist zu a) und b) festzustellen: a) Die deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße sind zweifellos annektiert worden. Eine solche Annexion soll durch den Grenzanerkenungsvertrag mit Polen vom 14.11.1990 durch dessen folgende Ratifikation abgeschlossen werden und "Recht" begründen. Entsprechend verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland auch in Art.2 des deutsch-sowjetischen Vertrages über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und
Zusammenarbeit vom 09.11.1990 keine Gebietsansprüche mehr geltend zu machen.
b) eine solche Annexion ist aber niemals ein völkerrechtlicher Grund für einen dauerhaften Erwerb aller deutschen Ostgebiete durch die polnische und sowjetische Annexion und Okkupation.
11. Jede Vereinbarung, die die von Polen und der Sowjetunion annektierten deutschen Ostgebiete jenseits Oder und Neiße betrifft, ist somit zunächst in diesen beiden Punkten eine Verletzung von Art.53 der Wiener Vertragskonvention. Rechtfolge könnte daher von jeder Bundesregierung, die der jetzigen folgt, den Okkupationsmächten gegenüber geltend gemacht werden. Daher kann eine solche Vereinbarung nicht dem Frieden in Europa auf Dauer dienen. Denn dieser völkerrechtlich begründete Rechtanspruch nach der UNO-Konvention vom 22.11.1967 ist unverjährbar und unverzichtbar nach Art.8 Abs.4 der Genfer Konvention von 1949. Die Geltendmachung solcher Ansprüche gegen Polen und Rußland ist völkerrechtlich daher jederzeit zulässig.
12. Darüber hinaus ergibt sich ebenfalls aus dem allgemeinen Recht der internationalen Verträge ein weiterer Rechtgrund, auch dessen Nichtbeachtung gleichfalls zur Nichtigkeit im Sinne von Art.57 der Wiener Vertragskonvention von jeder entsprechenden völkerrechtlichen Vereinbarung rührt, mit der die Bundesrepublik Deutschland die von Polen und der Sowjetunion annektierten Gebiete des Deutschen Reiches jenseits von Oder und Neiße an die beiden Okkupationsmächte abtreten wollte und würde. Wenn ein solcher Abtetungsvertrag völkerrechtwirksam sein sollte, muss die Bundesrepublik Deutschland vorerst einmal über die abzutretenden Gebiete auch völkerrechtlich überhaupt abtretungs- und damit verfügungsberechtigt gewesen sein. Das war jedoch zu keinem Zeitpunkt jemals der Fall, denn das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erstreckte sich niemals über Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße.
13. Denn unstreitig ist die Bundesrepublik Deutschland jedenfalls vor der Annexion der deutschen Ostgebiete jenseits Oder und Neiße über diese Gebiete schon damals nicht völkerrechtlich befugt gewesen, weil sie zum Zeitpunkt der Annexion gar nicht bestand. Sie ist aber auch nachträglich nicht völkerrechtlich verfügungsberechtligt geworden: Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG in dieser Sache über den Fortbestand des Deutschen Reiches, das als solches allein völkerrechtlich verfügungsberechtigt über seine Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße ist, ist es bis heute nicht untergegangen. Doch ist es als solches auch heute noch nicht einmal völkerrechtlich handlungsfähig.
14. Da es nicht untergegangen ist, kann auch die bundesrepublik Deutschland nicht etwa der Rechtnachfolger des Deutschen Reiches sein. Im Namen des Deutschen Reiches kann sie allenfalls völkerrechtlich gültig tätig werden, soweit sie mit diesem Reich zumindest teilidentisch ist.
a) Das ist sie hinsichtlich Westdeutschlands. Sie konnte also in diesem Namen etwa kleine Gebietsteile an den westlichen Grenzen Deutschlands an Holland und Belgien abtreten. Doch selbst dafür hatte sie gar keine entsprechende Vollmacht zum Abtreten.
b) Das ist sie jetzt auch hinsichtlich des Gebietes, das die frühere DDR als Mitteldeutschland inne hatte, und zwar seit dem 03.10.1990. Auch hierfür würde aber eine entsprechende Abtretungsvollmacht fehlen.
c) Das ist sie bis heute aber nicht hinsichtlich der deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße. Die Wiedervereinigung hatte durch den Einigungsvertrag nämlich ebenso wie durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag ausdrücklich nur für Westdeutschland und Mitteldeutschland stattgefunden. Auch der "Untergang des Deutschen Reiches" ist bisher durch kein Urteil des BVerfG bestätigt worden. Für seine Ostgebiete jenseits und Neiße bleibt daher auch allein das Deutsche Reich verfügungsberechtigt. Doch ist es völkerrechtlich nicht handlungsfähig und kann daher schon aus diesem Rechtgrund kein Gebiet völkerrechtich zulässig abtreten.
15. Demzufolge hat die Bunderepulik Deutschland mit dem deutsch - polnischen "Grenzanerkennungsvertrag" vom 14.11.1990 deutsche Gebiete abgetreten, die abzutreten sie weder staats- noch völkerrechtlich die Möglichkeit und daher auch nicht die Befugnis hatte, da sie niemals Territorialgewalt über diese Ostgebiete ausübte. Die Wiener Vertragskonvention kennt zwar keine ausdrückliche Bestimmung, wonach ein Vertrag, der eine unmögliche Leistung zum Gegenstand hat, nichtig ist. Doch gilt auch hier der alte Rechtsatz: Impossibilum nulla est obligato (es gibt keine Verpflichtung zu etwas Unmöglichem). Dieser allgemeine Rechtsatz ist sicherlich eine zwingende Norm des Völkerrechtes. Daher ist der Vertrag vom 14.11.1990, der Ostdeutschland an Polen abtritt, nach Art.53 der Wiener Vertragskonvention nichtig, weil er eine Leistung verspricht, die keiner der Beteiligten erbringen kann:
a) Die Bundesrepublik Deutschland nicht, weil sie über dieses Gebiet völkerechtlich nicht verfügungsberechtigt ist.
b) das Deutsche Reich nicht, weil es zwar Territorialhoheit über seine Ostgebiete hatte und daher auch insoweit völkerrechtlich verfügungsberechtigt gewesen wäre, es zur Zeit aber nicht kann, weil es völkerrechtlich nicht handlungsfähig ist.
16. Die Übertragung der territorialen Souveränität über die deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße von seiten des Deutschen Reiches als dem einzigen Inhaber der Souveränität auf Polen und der Sowjetunion ist schließlich auch nicht etwa aus dem Gesichspunkt einer "normativen Kraft des Faktischen" denkbar, zulässig oder völkerrechtlich gültig. Tatsachen allein können nämlich niemals Recht schaffen.
17. Die "normative Kraft des Faktischen" wird vielmehr nach allgemeinem Recht erst dann zu wirksamem Recht, wenn sich diese Tatsachen auch dem entsprechenden Rechttitel anschließen. Dieses wiederum ergibt sich aus der allgemeinen Tendenz des Menschen. Gegebenes und Geübtes zur Norm, zum "Normalen" zu erheben: Nur, wenn bereits bestehende Tatsachen, also auch durch diese menschliche Grundtendenz als Rechtüberzeugung oder Rechtbewußtsein "gerechtfertigt" werden, können solche Tatsachen auch als autoritäres Gebot des Gemeinwesens, also als "Rechtnorm" anerkannt werden.
18. Denn nach Gustav Radbruch (Rechtphilosophie, 1956) ist die "normativität der Tatsachen" ein Paradoxon. Aus einem Sein kann allein nie ein Sollen entspringen. Ein Faktum wie die Anschauung einer bestimmten Zeitepoche kann nur normativ werden, wenn eine Norm ihm diese Normativität beigelegt hat. Eine solche Norm ihrerseits kann aber wieder nur durch Anerkennung als Rechtnorm entstehen. Nichts anderes besagt auch die Georg Jellinek (Allgemeine Staatslehre, 1900) erstmal entwickelte Lehre von der "normativen Kraft des Faktischen".
19. Solange die hier geschilderte Völkerrechtlage nicht vertragsgemäß staats- und verfassungsrechtlich geklärt ist, verbleibt es im Übrigen auch noch beim Fortbestehen des Deutschen Reiches und zwar auf der Rechtgrundlage der entsprechenden Rechtsprechung des BVerfG. So ist es in der Folge etwa Art.1 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages vom 29.09.1990 schon insoweit völkerrechtwidrig und damit nichtig nach Art.53 der Wiener Vertragskonvention, als er für Gesamtdeutschland auf jeden künftigen Gebietsanspruch verzichtet; Solange das Deutsche Reich noch besteht, kann die Bundesrepublik Deutschland nicht auf Ansprüche verzichten, Gebiete von den Okkupationsmächten zurück zu bekommen, über die jedenfalls die Bundesrepublik Deutschland nicht völkerrechtlich verfügungsberechtigt war, da sie darüber niemals irgendeine Territorialgewalt hatte. Und die noch dazu völkerrechtwidrig erlangt wurden. Auch eine solche Nichtigkeit kann daher jede zukünftige Bundesregierung zu jeder Zeit gegen eine polnische und russische Okkupationsmacht geltend machen.
20. Außerdem besteht bis heute noch kein Friedensvertrag mit Deutschland, da entgegen einer weitverbreiteten Meinung der sog. Zwei-Plus-Vier-Vertrag noch keine solcher Friedensvertrag ist: Er wurde ämlich nicht von Deutschland, sondern nur vn der Bundesrepublik Deutschland unterschrieben. Das ist aber noch nicht Deutschland, sondern nur ein Teil Deutschlands! Ein Teil kann aber nicht für das ganze Deutschland unterschreiben, wenn er dazu gar keine ausdrückliche Vollmacht hat. Diese Rechtgrundlage kann wiederum jederzeit von aktueller Bedeutung werden, wenn gerade solche persönliche Ansprüche gegen die Bundesregierung in einem solchen Rahmen geltend gemacht werden. Auch sind solche Ansprüche nicht etwa an irgendeine Frist gebunden.