Um zu verdeutlichen was ich damit meine-Forscher vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück sind 2016 der Frage in einer aufwendigen empirischen Untersuchung nachgegangen,wessen Interessen die Politik praktisch durchsetzt.Die der Mehrheit oder eher einer Minderheit.Das Forscherteam unterschied die politischen Ansichten der Befragten gestaffelt nach deren Einkommen. Denn betrachtet man die Meinungen der einkommensschwächsten 10 Prozent (im Folgenden: "Arme") und die der einkommensstärksten 10 Prozent (im Folgenden: "Reiche"), dann ergeben sich teils drastische Unterschiede.
So wurde etwa bei einer Deutschlandtrend-Umfrage im Jahr 1999 danach gefragt, ob Vermögende stärker zum Abbau der öffentlichen Verschuldung herangezogen werden sollten. 70 Prozent der Armen stimmten dem Vorschlag zu, aber nur 46 Prozent der Reichen. Die Regierung orientierte sich an Letzteren.Im Jahr 2000 wurde gefragt, ob das Rentenniveau gesenkt werden sollte. Nur 43 Prozent der Armen stimmten zu, jedoch 64 Prozent der Reichen. Ergebnis: Das Rentenniveau wurde per Gesetz gesenkt.2003, während der Diskussion um die Einführung der Hartz-Reformen, wurde gefragt, ob die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt werden solle. Insgesamt gesehen war eine Mehrheit von 54 Prozent der Bevölkerung dafür. Betrachtete man aber die Einkommen getrennt, dann zeigte sich, dass zwar 69 Prozent der Reichen der Kürzung zustimmten, doch nur 44 Prozent der Armen. Gekürzt wurde trotzdem. Ein ähnliches Bild ergab sich bei der 2012 gestellten Frage, ob die Rente mit 67 rückgängig gemacht werden solle: 65 Prozent der Armen wollten das, aber bloß 33 Prozent der Reichen. Die Regierung folgte wieder dem Mehrheitswunsch der Wohlhabenden.
Als 2007 danach gefragt wurde, ob die Bundeswehr möglichst schnell aus Afghanistan abziehen solle, stimmten 75 Prozent der Armen zu, gegenüber 43 Prozent der Reichen. Die Regierung überging auch diesmal die Geringverdiener, der Militäreinsatz wurde zunächst sogar noch intensiviert.
Wörtlich in der Studie:"Je höher das Einkommen, desto stärker stimmen politische Entscheidungen mit der Meinung der Befragten überein. (…) Was Bürger mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollen, hatte in den Jahren von 1998 bis 2013 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden."
Mehr noch: Eine politische Regelung wurde nicht nur umso eher von der Regierung umgesetzt, je mehr Reiche sie unterstützten. Das hatte man ja fast schon erwartet. Nein, ein Vorschlag wurde von der Regierung auch umso eher abgelehnt, je mehr Arme dafür waren! Die Forscher sprechen hier von einem "negativen Zusammenhang". Sie schreiben wörtlich, dass "die Wahrscheinlichkeit auf Umsetzung sogar sinkt, wenn mehr Menschen aus der untersten Einkommensgruppe eine bestimmte politische Entscheidung befürworten." Das bedeutet, dass die Regierung die Armen nicht einfach nur ignoriert, sondern praktisch aktiv gegen sie arbeitet.
Dann stimmt doch die Annahme von Prostituierten und Strichjungen in der Regierung.Sie bieten den Vermögenden ihre Dienste an.
Hallo Saggitarius,
mir scheint diese Sichtweise doch sehr kurz gesprungen: daß die Übereinstimmung zwischen politischen Entscheidungen mit dem Einkommen der Befragten steigt, kann durchaus auch darauf zurückzuführen sein, daß höhere Einkommen in aller Regel auch mit fundierterer Bildung und fundierterem politischen Interesse einhergehen. Jemand, der beispielsweise erfolgreich sein eigenes Unternehmen führt, hat selbstverständlich einen anderen Blick gerade auch auf richtungsweisende Entscheidungen der Politik, mit denen nicht nur sein eigenes Schicksal als Unternehmer verknüpft ist, sondern auch das seiner Angestellten. Er ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich gut informiert und, was noch wichtiger ist, gewohnt, in größeren Zusammenhängen zu denken. Idealerweise gilt das auch für erfolgreiche Politiker, so daß sich allein dadurch eine erheblich größere Schnittmenge ergibt.
Nur ein Beispiel: dem Unternehmen geht es nicht nur gut, sondern es geht ihm blendend. Umsätze und Gewinne befinden sich auf Rekordniveau. Sehr wahrscheinlich wird es erhebliche Diskrepanzen geben, wenn es darum geht, wie die gewaltigen Überschüsse, die das Unternehmen gerade erzielt, sinnvoll zu verwenden seien: die Belegschaft hält mindestens 10 Prozent mehr Lohn für angemessen und bezahlbar (was sie objektiv auch wären), der Unternehmer allerdings hält es für sinnvoller, eine kleine Bonuszahlung am Jahresende auszuschütten und aus dem Rest der Gewinne ein Polster für die Zeiten anzulegen, in denen der Boon vorbei ist, bzw. in solche Bereiche zu investieren und Innovationen anzustoßen, mit denen die unausweichliche Durststrecke, die dem Boom irgendwann folgen wird, abzufedern oder, besser noch, gewinnbringend zu nutzen sein wird. Kurzfristig wäre die Lohnerhöhung machbar und im Interesse eines produktiven Betriebsklimas sicherlich machbar und sinnvoll, mittelfristig allerdings nicht und langfristig womöglich tödlich. Und nun mal eine ehrliche Antwort auf die Frage, wie hoch der Anteil der Belegschaft ist, der sich Gedanken um etwas macht, was vielleicht erst in 10 Jahren eintritt?
Meine persönliche Einschätzung ist: verschwindend gering, es wird kaum einer bereit sein, aus Vernunftgründen auf die Lohnerhöhung zu verzichten und dafür mit der erheblich gesteigerten Chance zu bezahlen, seinen Arbeitsplatz auch in 10 Jahren noch zu haben.
Und genau deshalb ist auch die Folgerung falsch, die Politik ignoriere die Interessen der unteren Einkommensklassen und arbeite aktiv GEGEN deren Interessen.
Gruß -
Bendert
P.S.: Was nun Maas betrifft: sofern man nicht jede Art der Arbeit für ein Gehalt als Prostitution bezeichnet, ist Maas sicherlich kein Stricher. Er ist - das wird die Zukunft zeigen - möglicherweise eine Fehlbesetzung als Außenminister (ich persönlich tendiere zu dieser Auffassung), aber das macht ihn nicht zum gewerblichen Selbstverkäufer. Dieser Vorwurf ist schlicht lächerlich, nein, schlimmer noch: er ist diffamierend, persönlich beleidigend und ebenso hochgradig geist- wie geschmacklos.