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Ein Netzfund von einer Privatseite
(ich darf ihn anonym verwenden)
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Mein Vater hatte kurz nach dem Krieg Knochen-TBC im rechten Knie. Er wurde zwar gesund, jedoch blieb das Knie steif, was ihn zeitlebens schmerzte, zeitweise wirklich quälte. Seine Bewegungsfähigkeit war eingeschränkt. Er fuhr alte große Opel mit Automatikgetriebe, denn nur darin konnte er sitzen.
Trotz seiner Schwerbehinderung unternahm er mit uns, seinen vier Kindern, ausgedehnte Sommerreisen, welche manchmal sehr anstrengend waren. Zu fünft im Auto, lange Staus in brütender Hitze, Übernachtungen in Jugendherbergen, im Wohnwagen, allermeist auf Campingplätzen, aber gelegentlich auch an der Straße, selten in billigen Hotels - aber auch lange Diskussionen, geballte Bildung und Sehenswürdigkeiten in ganz Europa prägten diese polyglotten, spartanischen Ferien. Wenn wir wieder zu Hause, bei der Mutter und in der Schule waren, brauchten wir Erholung. Wochen später, als die Strapazen aus den Knochen gewichen waren, blieben aber viele atemberaubende Erinnerungen zurück. Ich bin meinem Vater für diese Abenteuer heute sehr dankbar, zumal sie auch für ihn einen ernstzunehmenden Stress bedeutet haben mussten, auch wenn er das nie zugab. Es gab ein Ereignis auf diesen Reisen, das auch mein Vater nicht einfach wegstecken konnte, uns wirklich nachging, viele Gespräche und unsere Haltung zum Faschismus prägte.
Es war vermutlich im Sommer 1974, vielleicht auch 75. Meine große Schwester war 12, ich 11, es folgten meine kleine Schwester mit 8 und mein Bruder mit 7 Jahren. Wir fuhren im Opel Kapitän die Transitstrecke Hof – Berlin und mein Vater beeilte sich, bei der Einreise nach Berlin nicht durch Verspätung aufzufallen. Es war später Nachmittag, Berlin.
„Alle aussteigen!“, erst kam die übliche Durchsuchungsprozedur. „Sitze ausbauen!“, kommandierte der Grenzoffizier. Mein Vater kramte das notwendige Werkzeug zusammen, irgendetwas fehlte. „Besorgen Sie sich das!“. Auf irgendeine Weise gelang es meinem Vater das Werkzeug zu beschaffen. Irgendwann drapierte er hinkend die Sitze und die Rückbank in Reih und Glied vor den Aufsehern. Es wurde dunkel. „Einbauen!“ Der Verkehr nahm ab. Ich half meinem Vater so gut ich konnte mit Handreichungen. Es mögen vielleicht 60 bis 100 Meter bis West-Berlin gewesen sein. Irgendwann hatte ich auch einen Filmriss, aber in etwa ist Folgendes abgelaufen: „Das Auto ist nicht verkehrssicher, so dürfen Sie in der DDR nicht fahren!“ (Autositze sind sicherheitsrelevant. Da mein Vater kein ausgebildeter Automechaniker war, konnte man das so auslegen, dass die Sicherheit der Sitze nicht mehr gewährleistet war) Irgendjemand rief den Herbergsvater an, um ihm mitzuteilen, dass wir die Nacht vermutlich noch in seinem Hause schlafen wollen. Inzwischen quälte uns Kinder, ganz nach stalinistischer Manier Hunger, Durst und Schlafentzug. Die Grenzer hatten spät noch einen Schichtwechsel. Dem Nachtoffizier war das Theater lästig, er trat uns verbal von sich. Nach Mitternacht öffnete uns der Hausmeister die Herberge und wünschte uns freundlich einen guten Rest der Nacht. Er kannte solche Vorgänge. Wir tranken gierig aus dem Wasserhahn.