Du hast in Deinen ansonsten durchaus gelungenen Ausführungen einen systematischen Fehler, der Deine Einwände letztendlich wertlos macht: Du vergleichst den Ist-Zustand nicht mit dem Soll-Zustand einer echten Demokratie, sondern mit ohnehin schon schwachen realen Demokratien.
Wenn ich die Qualität einer real existierenden Demokratie beurteilen will, muss ich sie mit Soll-Zustand vergleichen.
Ganz ähnlich ist die Argumentation in dem von Dir genannten Wiki-Artikel.
Sicher haben wir durch unterschiedlich große Wahlkreise Ungenauigkeiten im Gleichheitsprinzip. In der EU wird jedoch die Ungleichheit zum Prinzip gemacht. Hier damit zu argumentieren, dass die EU nicht so schlimm sei, weil Ungenauigkeiten auch anderswo vorkämen, ist unredlich.
Sicher haben wir auch in Deutschland die Gewaltenteilung nicht sauber umgesetzt. In der EU ist sie sogar falsch umgesetzt. Das EU-Parlament, also die nominelle Legislative, hat kein Initiativrecht. Was bleibt von der Legislative? Sie ist nicht nach demokratischen Prinzipien gewählt, sie darf kein Gesetz machen, sie darf nur abnicken. So wie aktuell die Chefin der eigentlichen Legislative, die nicht gewählt ist.
Die eigentliche Legislative, die Kommission, ist nicht demokratisch legitimiert. Die Ausrede, dass die Regierungoberhäupter, die die Kommission ausklüngeln, legitimiert seien, ist insoweit falsch, als auch deren Legitimation zweifelhaft ist, und dass eine Gewaltenteilung, in der die untergeordnete Exekutive die übergeordnete Legislative ausklüngelt, völlig wertlos ist.
Nein, durch die EU wird unsere heimische Demokratie, die auch schon ihre Mucken hat, weiter entwertet, und zwar zu Gunsten von Parteien und damit von Lobbyisten.
Also - du willst ein recht gutes interantionales demokratisches System nicht zulassen, weil es den von dir noch immer nicht benannten Kriterien für eine bessere Demokratie nicht genügt - gibst aber gleichzeitig offen zu, dass deinen nicht benannten Kriterien auch die nationalen kleinteiligeren Demokratien nicht genügen......und deshalb argumentierst du, dass diese besser wären?
Ich habe dir ausgeführt, dass die Kleinteiligeren Demokratien anfälliger für Lobbyismus sind - und dafür gibt es ausreichend Beispiele - einige habe ich erwähnt. Das ignorierst du. Dir ist nationaler starker Lobbyismus lieber, als noch nicht mal im Detail benannten sogenannte Demokratiedefizite. Das ist schwach.
Benenne doch bitte mal, wie eine DEMOKRATISCHE EU aussehen müsste - also eine, die DEINEN Kriterien genügt? Benenne dazu bitte die Kriterien - sonst argumentieren wir eh nur über Nebelkerzen.
Die EU kennt dazu noch das Subsidiaritätsprinzip - und derzeit wird dies relativ streng ausgelegt. Insofern mischt sich die EU nur wenig in nationale Fragestellungen ein - insofern sind die nationalen Demokratiedefizite wohl kaum der EU zuzuschreiben! Und - auf EU-Ebene müsste erst mal etwas vereinbart werden, was besser ist, was dann noch als demokratisch gilt.
Es ist eben NICHT sonderlich demokratisch, wenn man beispielsweise auf der Ebene der EU zu Gesetzen grundsätzlich das Volk der EU-Bürger befragen würde - die Interessenlagen der kleineren Staaten sind regelmäßig legitim, würden dann aber nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Damit die EU zu einer entscheidungsreifen Mehrheit kommt, sind recht komplexe Abstimmprozesse notwendig. Nicht nur zwischen EU-Kommission und Parlament, sondern auch mit dem EU-Rat.
Die "reine Lehre" der Demokratie hilft regelmäßig nicht weiter, wenn man auf einen konkreten Staat zu sprechen kommt. Deshalb wird die reine Lehre regelmäßig in jedem Staat individuell interpretiert. Das gilt in gleicher Weise auch für die EU - die EU ist kein Staat, sondern ein supranationales Gebilde. Dieses versucht einen Interessensausgleich zwischen Staaten und deren Bürgern. Dieser Interessensausgleich ist so oder so sinnvoll - gäbe es die EU nicht, müsste man den Interessensausgleich bei supranationalen Fragestellungen regelmäßig bilateral oder über gesonderte multilaterale Verträge vereinbaren.
Die Idee, dass so etwas demokratischer wäre als die EU, ist bei ernsthafter Betrachtung nicht haltbar.
Man kann dies im Übrigen durchaus derzeit gut beobachten - beispielsweise beim BREXIT. Es gab eine nationale und ziemlich demokratisch organisierte Entscheidung darüber, die eine kleine Mehrheit gefunden hat, dass es zu einem Austritt von GB aus der EU kommen soll. Das wars. Und nun?
Das ist schon wieder ein paar Jahre her....und die Rahmenbedingungen haben sich verändert, heute weiß man mehr als zum Abstimmungszeitpunkt, was der Austritt bedeutet. Und: Niemand in GB wurde befragt, was denn statt dessen kommen soll......Ist das Demokratie?
Richtig wäre es von Anfang an gewesen, die Briten hätten ERST einen Austritt verhandelt, und DANN darüber abgestimmt, ob man diesen Austritt haben will.
Doch selbst dann - politische Prozesse sind komplex, und einfache Fragestellungen führen nicht immer zum Ziel. Man kann kaum eine ganze Nation damit beauftragen im Detail darüber abzustimmen, wie genau ein ganz konkretes Gesetz aussehen soll.....es lassen sich beständig Mehrheiten dafür finden, wie man es NICHT haben will - es lassen sich nur schwer Mehrheiten dafür finden, WIE man es haben will.
Die Instrumente der Stellvertreterdemokratien (Parlamentarische Demokratien, repräsentative Demokratien) wurden auch deshalb entwickelt, damit man quasi Politprofis bekommt, die helfen, die Meinungsbildung voran zu bringen und dennoch Staaten handlungsfähig zu lassen.
Fazit: Sofern du nicht Alternativen benennen kannst, wie man internationale Fragestellungen besser als in der EU demokratisch legitimiert in endlicher Zeit verhandelt und verabschieden kann, solange bleibst du auch nur auf der Spur der ewigen Besserwisser, die genau genommen nichts wissen, aber immer rumkritteln.
Kann man machen - ist aber wenig hilfreich.
Solange du den nationalen Demokratien gegenüber wohlwollender bezüglich deren gravierenden Demokratiedefiziten bist, als gegenüber der EU, sind deine nationalen Lösungsangebote wenig glaubwürdig.