Klimapaket: Der Weg der Mitte ist ein abschüssiger Pfad
Analyse von Bernd Ulrich
Artikel
Während sich eine globale Klimabewegung formiert, schiebt die Regierung Merkel alles, was hart werden könnte, in die Zukunft. Die wird dadurch, natürlich, umso härter.
Der 20. September 2019 wird vermutlich in die Geschichte eingehen, einerseits als Beginn einer weltweiten Bewegung gegen die Klimakrise, andererseits als der Abschied einer überkommenen Politik in Gestalt der großen Koalition.
Beginnen wir mit Letzterer: Die Bepreisung von Kohlendioxid stelle einen "Paradigmenwechsel" dar, das behauptete gestern die Bundeskanzlerin. Es war der falscheste Satz in einer an falschen Sätzen wahrhaftig reichen Pressekonferenz der Bundesregierung. Einmal faktisch, weil der Ausstoß von CO2 durch den europäischen Handel mit Emissionszertifikaten schon jetzt einen Preis hat, wenngleich einen zu geringen, weswegen er kaum wirkt. (Auch die nun geplanten zehn Euro pro Tonne ab 2021 werden kaum eine Wirkung haben.) Zum anderen intellektuell, weil der Geist des Klimapakets und des Auftritts der Bundesregierung zeigt, dass die maßgeblichen Akteure noch voll und ganz in den Paradigmen des vorigen Jahrhunderts gefangen sind und ein fundamental neues Problem – die existenzielle Krise im Verhältnis von Mensch und Natur – ausschließlich mit den alten Werkzeugen lösen wollen.
Von allen Seiten wurde betont, dass es sich bei dem Klimapaket um einen Kompromiss zwischen verschiedenen extremen Kräften handle. Markus Söder hat dabei das Leitdogma großkoalitionärer Politik am klarsten formuliert: "Der Weg der Mitte ist der Pfad der Vernunft." Dies ist beim Klima eben leider falsch. Der Weg der Vernunft ist hier die Reduktion der CO2-Emissionen auf nahe null bis zum Jahre 2050, also in gut drei Jahrzehnten. Vernünftig ist, was dahinführt, unvernünftig ist, was dieses Ziel verfehlt.
Kompromisse können und sollen dabei selbstverständlich gemacht werden, aber nur die Mittel betreffend. Wie schwer es der Groko fällt, diese physikalische Dimension des Klimaproblems zu durchdringen, zeigt eine andere Formulierung der Bundeskanzlerin. Regelmäßig soll künftig überprüft werden, ob die vereinbarten Maßnahmen zu den gewünschten Ergebnissen führen, gegebenenfalls soll dann der "Zielpfad korrigiert werden". Tatsächlich hat Deutschland nach den Berechnungen des Pariser Klimaabkommens noch das Recht, etwa sieben Gigatonnen (7.000 Millionen Tonnen) CO2 zu emittieren.
Das hört sich viel an, doch in Anbetracht dessen, dass dieses Land bis dato 0,8 Gigatonnen pro Jahr emittiert, wird gleich klar, wie knapp die Zeit wird, wie steil die Emissionskurve abfallen muss. Wenn also in irgendeinem Sektor zu wenig eingespart wird, dann genügt es keineswegs, da etwas zu korrigieren, vielmehr muss dann der Kurs jeweils verschärft werden, das bisher Versäumte muss zusätzlich eingespart werden. Der kumulative Charakter der CO2-Emissionen begrenzt den Raum des vernünftigen Kompromisses. Auch hier verbleibt die Regierung Merkel in ihrem alten Paradigma, alles was hart werden könnte, in die Zukunft zu schieben, Danaergeschenke an die Nachfolger.
Der Versuch der Regierung, so wenig wie eben möglich zu tun, wird also mit Sicherheit dazu führen, dass in wenigen Jahren umso mehr getan werden muss. Der Weg der Mitte ist ein abschüssiger Pfad.
Kaum eine Rednerin, kaum ein Redner ließ es sich gestern nehmen, das wichtigste Ziel des Klimapakets in den Vordergrund zu stellen, also nicht die verlässliche Reduktion von Klimagasen, sondern den Zusammenhalt der Gesellschaft. So kamen offenbar all jene Maßnahmen zustande, die sich gegenseitig aufheben, wie zum Beispiel die ohnehin ultramoderate Erhöhung des Benzinpreises um drei Cent bei gleichzeitiger Erhöhung der Pendlerpauschale um fünf Cent.
Nett, aber gewiss keine Wende
Heimliche Autorin des Klimapapiers war offenbar die Angst. Möglichst viel Klimawende bei möglichst wenig Fühlbarkeit – das firmierte als heimliches Motto, so als handle es sich bei der mit Abstand größten Veränderung in der Geschichte der Bundesrepublik, bei der grundlegenden Wende in der Art unseres Wirtschaftens, Konsumierens, unserer Mobilität und Ernährung um eine Art Gesundheitsreform, bestenfalls um eine Art grüne Agenda 2010. Doch wenn die Zumutungen der Klimawende nicht spürbar sein sollen, dann sind es eben auch ihre Vorzüge nicht. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets etwa bringt etwa zehn Prozent Ermäßigung, ein Ticket von Hamburg nach München zum bisherigen Preis von 160 Euro kostet dann "nur" noch 144 Euro. Das ist nett, aber gewiss keine Wende.
Selbstverständlich muss eine erfolgreiche Klimapolitik alles versuchen, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Doch dazu kann und muss sie den Widerspruch zwischen Meinungsmehrheit (für Klimapolitik) und Handlungsmehrheit (immer mehr Autos) fruchtbar machen, was die Groko erneut versäumt hat. Stattdessen folgt sie dem verlogenem Muster der vergangenen Jahre: Im Namen der Armen billiges Fleisch – essen tun es dann aber fast alle; im Namen der Armen (etwas weniger billige) Billigflüge – fliegen tun dann aber doch alle; im Namen der Pendler Laufzeitverlängerung für den Verbrennungsmotor – aber die SUV brausen auch damit durch die Innenstädte. Die soziale Frage wird missbraucht, um die Mitte zu schonen, von den Reichen mal ganz zu schweigen.
Beim Zusammenhalt der Gesellschaft denkt die Groko, das ist in jedem Satz zu spüren, vor allem an die potenziellen AfD-Wählerinnen und -Wähler. Immer noch scheinen Medien und Politik im Flüchtlingstrauma gefangen, das sie nun auch auf die Klimapolitik anwenden. Dabei übersehen sie nach wie vor eine Spaltung, die sich jetzt schon abzeichnet und die sich umso mehr verschärfen wird, je länger die Politik an einer "moderaten", also unentschlossenen Klimapolitik fällt.
Es handelt sich dabei um die vielleicht schmerzhafteste Spaltung, die einer Gesellschaft widerfahren kann: die zwischen Jung und Alt, zwischen Kindern und Eltern, zwischen Groko und Fridays for Future. Erneut hat Angela Merkel gestern von den "ungeduldigen" jungen Leuten gesprochen, so als ob es sich bei den Konflikten um die Klimapolitik um eine Temperamentsfrage handeln würde. Tatsächlich ähnelt der klimapolitische Generationskonflikt aber eher dem Klassengegensatz von Kapital und Arbeit, einfach, weil es um materielle Interessenkonflikte geht, eben zwischen den Emissionsgewohnheiten der Älteren und den Klimafolgen für die Jüngeren. Söders "Weg der Mitte" ist trotz allem Reden von Menschheit und Schöpfung Interessenpolitik der Älteren gegen die Jüngeren. Wer gestern beim Klimastreik am Brandenburger Tor miterlebt hat, mit welcher Erschütterung und Traurigkeit viele junge Leute auf die – aus ihrer Sicht – kaltblütigen Nachrichten aus der Koalition reagierten, der dürfte schwer ins Grübeln kommen.
Angela Merkel hat gestern zustimmend Greta Thunberg zitiert mit dem Satz: "Unite behind the science." Abgesehen davon, dass die meisten Wissenschaftler auf das Klimapaket mit Enttäuschung bis Entsetzen reagiert haben ¬– der für die Politik wichtigste Satz von Greta Thunberg ist ein anderer: "I want you to panic." Was natürlich nicht meint, dass die Groko nun hektisch durch die Gegend rennen soll (eine Gefahr, die bei Angela Merkel oder Olaf Scholz ohnehin nicht sehr groß ist), es bedeutet: Politik muss sich qualitativ ändern, es sagt: Tut endlich etwas, was ihr bisher noch nicht getan habt, weil alles, was ihr bisher getan habt, uns genau hierhin gebracht hat, wo wir jetzt stehen: zehn Jahre vor dem Abgrund.
Ralph Brinkhaus, Fraktionschef von CDU und CSU, hat dazu gestern den vielleicht niederschmetterndsten Satz gesagt, als er betonte, die Groko habe mit dem Klimapaket "wieder einmal" gezeigt, dass sie handlungsfähig sei. Das kann man auch als Drohung verstehen: Keine funktionierende Bundeswehr, kein modernes Digitalnetz, verschleppter Ausbau des Stromnetzes, Stagnation bei der Windenergie, Pflegenotstand, galoppierendes Artensterben, keine erkennbare Außenpolitik. Mit anderen Worten: Großes kann die Groko nicht, Kleines ist eben klein.
Wucht ohne Demagogie
Ohnehin gibt es keinen Grund, dieser Regierung klimapolitisch zu vertrauen. Sie hat vor drei Jahren dem Pariser Abkommen zugestimmt, die Dinge dann schleifen lassen, noch vor einem Jahr in der EU auf der klimapolitischen Bremse gestanden, noch zu Beginn dieses Jahres gegen Klimamaßnahmen polemisiert (Dobrindt, Söder, Scheuer, AKK), so als hätte wer anders in Paris sein Jawort gegeben. Und noch bis in diesen Sommer hinein gab es seitens der CDU keinen einzigen Satz zum Klima, in dem kein Aber vorgekommen wäre. Ohne Fridays For Future, ohne Rezo, ohne die katastrophalen Hitzesommer, ohne den Erfolg der Grünen hätte sich die Groko überhaupt nicht bewegt, sie wäre weiter vertragsbrüchig und schöpfungsvergessen gewesen. Darum fällt es so schwer, zu glauben, dass die Groko ohne anhaltenden, besser noch wachsenden Druck auch nur das Wenige konsequent verfolgt, was sie jetzt beschlossen hat.
Man kann diesen historischen Freitag jedoch auch von einer anderen Seite aus sehen: Am 20. August vergangenen Jahres hat sich ein 15-jähriges Mädchen allein, nur mit einem Pappschild bewaffnet vor den schwedischen Reichstag gesetzt und damit binnen eines Jahres mehr erreicht, als die Grünen und die angeblich so links-grünen Medien in den zehn Jahren zuvor: das Klimathema auf den Rang in der politischen Agenda zu hieven, auf den es gehört. Wann je hat man eine solche politische Wucht erlebt, ohne Polemik, ohne Demagogie, stattdessen mit Respekt auch gegenüber jenen, die für den ganzen Schlamassel verantwortlich sind?
Die Klimabewegung wird über diese Regierung und ihr klammes Klimapaket hinweggehen, eher früher als später. Insofern hatte es auch etwas Ironisches, dass da gestern Zehn-Jahres-Pläne von einer Koalition verkündet wurden, die womöglich nicht mal mehr zehn Monate hat. Der 20. September 2019 markiert eine politische Wende, die alten Kräfte wanken, die neuen drängen, nur eine hat davon noch nichts oder viel zu wenig: die Erde.
https://www.msn.com/de-de/nachricht...-abschüssiger-pfad/ar-AAHDqDq?ocid=spartandhp
Die Hetze der Presse, es ist nicht genug. Wenn man weiß, wem es nicht genug ist, muß die Satanisten Antifa Gretel noch mehr Kinder auf die Straße bringen. Schließlich soll hier ein Faß ohne Boden entstehen.