Am 27. Mai um drei Uhr hoben sich aus ihren Betten Die Flüsse der Erde, und sie breiteten sich aus Ãœber das
belebte Land. Um sich zu retten Liefen oder fuhren die Bewohner zu den Bergen raus.
Als nachdem die Flüsse furchtbar aufgestanden, Schoben sich die Ozeane donnernd
übern Strand, Und sie schluckten alles das, was noch vorhanden, Ohne Unterschied, und das war allerhand.
Eine Weile konnten wird noch auf dem Wasser schwimmen, Doch dann sackte einer nach dem andern ab.
Manche sangen noch ein Lied, und ihre schrillen Stimmen Folgten den Ertrinkenden ins nasse Grab.
Kurz bevor die letzten Kräfte mich verließen, Fiel mir ein, was man mich einst gelehrt: Nur wer sich verändert, den wird nicht verdrießen Die Veränderung, die seine Welt erfährt.
Leben heißt: Sich ohne Ende wandeln. Wer am Alten hängt, der wird nicht alt. So entschloß ich mich, sofort zu handeln, Und das Wasser schien mir nicht mehr kalt.
Meine Arme dehnten sich zu breiten Flossen, Grüne Schuppen wuchsen auf mir ohne Hast; Als das Wasser mir auch noch den Mund verschlossen, War dem neuen Element ich angepaßt.
Lasse mich durch dunkle Tiefen träge gleiten, Und ich spüre nichts von Wellen oder Wind, Aber fürchte jetzt die Trockenheiten, Und daß einst das Wasser wiederum verrinnt.
Denn aufs neue wieder Mensch zu werden, Wenn man's lange Zeit nicht mehr gewesen ist, Das ist schwer für unsereins auf Erden, Weil das Menschsein sich zu leicht vergißt.
Günter Kunert!
Schon fast vergessen, doch ein sehr schönes und wahres Gedicht!
Hab auch noch eins für sie:
Ich kenne wo ein festes Schloß
Ein stiller König wohnt darinnen.
Mit einem wunderlichen Troß;
Doch steigt er nie auf seine Zinnen.
Verborgen ist sein Lustgemach
Und unsichtbare Wächter lauschen;
Nur wohlbekannte Quellen rauschen
Zu ihm herab vom bunten Dach.
Was ihre hellen Augen sahn
In der Gestirne weiten Sälen,
Das sagen sie ihm treulich an
Und können sich nicht satt erzählen.
Er badet sich in ihrer Flut,
Wäscht sauber seine zarten Glieder
Und seine Strahlen blinken wieder
Aus seiner Mutter weißem Blut.
Sein Schloß ist alt und wunderbar,
Es sank herab aus tiefen Meeren
Stand fest, und steht noch immerdar,
Die Flucht zum Himmel zu verwehren.
Von innen schlingt ein heimlich Band
Sich um des Reiches Untertanen,
Und Wolken wehn wie Siegesfahnen
Herunter von der Felsenwand.
Ein unermeßliches Geschlecht
Umgibt die festverschlossenen Pforten,
Ein jeder spielt den treuen Knecht
Und ruft den Herrn mit süßen Worten.
Sie fühlen sich durch ihn beglückt,
Und ahnden nicht, daß sie gefangen;
Berauscht von trüglichem Verlangen
Weiß keiner, wo der Schuh ihn drückt.
Nur wenige sind schlau und wach,
Und dürsten nicht nach seinen Gaben;
Sie trachten unablässig nach,
Das alte Schloß zu untergraben.
Der Heimlichkeit urmächtgen Bann,
Kann nur die Hand der Einsicht lösen;
Gelingts das Innere zu entblößen
So bricht der Tag der Freiheit an.
Dem Fleiß ist keine Wand zu fest,
Dem Mut kein Abgrund unzugänglich;
Wer sich auf Herz und Hand verläßt
Spürt nach dem König unbedenklich.
Aus seinen Kammern holt er ihn,
Vertreibt die Geister durch die Geister,
Macht sich der wilden Fluten Meister,
Und heißt sie selbst heraus sich ziehn.
Je mehr er nun zum Vorschein kömmt
Und wild umher sich treibt auf Erden:
Je mehr wird seine Macht gedämmt,
Je mehr die Zahl der Freien werden.
Am Ende wird von Banden los
Das Meer die leere Burg durchdringen
Und trägt auf weichen grünen Schwingen
Zurück uns in der Heimat Schoß.