Danke für die zahlreichen Antworten und die rege Diskussion (Y). Um ein wenig zur Klärung des Themas beizutragen, hier der Teil meiner Arbeit, welcher sich mit dem "Nichteinwanderungsland Deutschland" beschäftigt.
Achtung: ist mein aktueller Erkenntnisstand und ich berufe mich natürlich nicht auf Vollständigkeit (da dies u.a. den Rahmen der Arbeit gesprengt hätte!)
1.4 Integrationspolitik in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg
Im Jahr 1965 wird in Deutschland das Ausländergesetz verabschiedet. Das Ausländergesetz ist, neben dem Asylverfahrensgesetz, eines der wesentlichen Teile des Ausländerrechtes in Deutschland. Betroffen von dem Gesetz ist derjenige, der nach dem Gesetz nicht Deutscher ist.
Darin festgelegt ist u.a., dass der Aufenthalt in Deutschland genehmigungsbedürftig ist. Für einen Aufenthalt ist also eine Aufenthaltsgenehmigung von Nöten, welche zeitlich befristet ist und häufig, im Gegensatz zu einer Aufenthaltsberechtigung, an einen Aufenthaltszweck gebunden. Nachdem die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist oder der Aufenthaltsgrund weggefallen ist, ist der Ausländer verpflichtet Deutschland zu verlassen. [...]
(
http://www.bundesauslaenderbeauftragte.de/auslaendergesetz.html) Eine Aufenthaltsberechtigung erhalt-en "Ausländer, die sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten und sich in das wirtschaftliche und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland eingefügt haben [...]
Mit der Unterzeichnung des ersten Anwerberabkommens im Jahr 1955 bis zum Anwerbestopp 1973, haben die transnational mobilen Gastarbeiter beiderlei Geschlechts einen, an ihre Erwerbstätigkeit und somit zweckgebundenen, unsicheren Aufenthaltsstatus und sollen Erweiterungs- und Ersatzfunktionen am Arbeitsmarkt, sowie Pufferfunktionen in Krisenzeiten, übernehmen. (BADE 2011: 160-161)
Verstärkt durch den Anwerbestopp wird daraus eine dauerhaft ansässige Einwander-erbevölkerung, bei der zunächst durch den Familiennachzug die Erwerbsquote sinkt und schließlich die Erwerbslosenquote und die Abhängigkeit von Sozialleistungen steigt. Hintergrund sind Arbeitsplatzverluste insbesondere bei Un- und Angelernten auf Grund der Wirtschaftskrise, aber auch Arbeitslosigkeit auf Grund von betrieblichen Strukturreformen und ganz allgemein Sprach- und Qualifikationsmängel, die auf dem Weg von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und speziell zur Wissensgesellschaft umso nachteiliger wirken. (BADE 2011: 160-161) Staatliche Integrationskonzepte bzw. -gesetze gibt es zu dieser Zeit nicht, da der konstante Verbleib der Arbeitswanderer nicht geplant ist.
In der Deutschen Demokratischen Republik ist die Integration von ausländischen Arbeitskräften von staatlicher Seite nicht vorgesehen und ist den ImmigrantInnen, durch das strenge Umsetzen des Rotationsprinzips und die besonderen Rahmenrichtlinien, auch nicht möglich.
Mit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" suchen viele Menschen aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa Asyl im vereinigten Deutschland und es wandern bis 2006 rund 4,5 Millionen Aussiedler nach Deutschland zurück.
Im Januar 1991 lässt Helmut Kohl in einer Regierungserklärung verlauten: "Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland [...]" (KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG E.V.) Was aber ist ein Einwanderungsland und welche Strukturen unterscheiden es von einem Nicht-Einwanderungsland, das sich nur temporär auf ausländische Arbeitskräfte beruft, wie es Deutschland jahrzehntelang tut?
Es ist schwierig in der (Migrations-) Literatur eine einheitliche Definition zu finden, da Migranten lange Zeit als geschlossene Untersuchungseinheit analysiert werden und die Gastgesellschaften viele Variablen aufweisen. Dennoch bestehen gewisse Übereinstimmung hinsichtlich der Kennzeichnung von Einwanderungsländern, bei der die Dichte der Bevölkerung und die Verfügbarkeit von Land eine wichtige Rolle spielen. Die aus europäischer Sicht "klassischen Einwanderungsländer" Australien, Kanada oder die USA verfügen zwar über viele unterbevölkerte Gebiete, schränken aber je nach Konjunktur und gesellschaftspolitischem Zustand die Einwanderung zeitweise ein. Es muss also weitere Kriterien geben, um ein Einwanderungsland zu definieren, wie den Bedarf des Landes an Arbeitskräften, die Bereitschaft formelle Strukturen aufzubauen, welche eine soziale, berufliche und politische Integration der Immigranten ermöglichen und die politisch-gesellschaftliche Befürwortung von Integration. So zeichnen sich Einwanderungsländer zwar durch eine strenge Kontrolle beim Eintritt aus, wer jedoch eine Aufenthaltsgenehmigung erlangt hat, gilt als zukünftiger Bürger, dessen Einbürgerungsverfahren vielfach erleichtert wird. (AMATO 2005: 44-48)
Die Bundesrepublik Deutschland ist, in sozialem und kulturellen Sinn, spätestens seit Beginn der 1980er Jahre ein informelles Einwanderungsland, nicht aber in ihrem politischen Verständnis. "Als ein informelles Einwanderungsland kann ein Land gelten, in dem die Immigrationen im weitesten Sinne dauerhaft die Emigrationen übersteigen. Es versteht sich, im Gegensatz zu "klassischen Einwanderungsländern", zwar nicht selbst als Einwanderungs-land, obgleich in seinen Grenzen eine Zuwanderungsbevölkerung lebt, die nach allen gängigen Kriterien als Einwandererbevölkerung bezeichnet werden kann und sich selber auch so versteht. Es bietet solchen Zuwanderern, trotz seiner Selbstbeschreibung als Nichteinwanderungsland, möglicherweise fließende Übergänge von Arbeitswanderung über Daueraufenthalte zu formeller Einwanderung bis hin zum Erwerb der Staatsangehörigkeit. Es fehlen aber reguläre Einwanderungsgesetzgebungen und Einwanderungspolitik, die für ein formelles Einwanderungsland charakteristisch sind." (BADE 2008: 169)
Im Hinblick auf dieses Themenfeld haben sich in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen ergeben. Im Januar 2000 trat das grundsätzlich überarbeitete Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft, welches wichtige Veränderungen beinhaltet. So erhalten zum Beispiel Kinder von Ausländern bei Geburt in Deutschland, unter bestimmten Voraussetzungen, die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie müssen sich allerdings zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten wollen. Generell haben Ausländer unter bestimmten weiteren Voraussetzungen bereits nach 8 Jahren, statt wie bisher, nach 15 Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland einen Einbürgerungsanspruch. Und Spätaussiedler erwerben die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch, sobald ihnen eine Bescheinigung nach § 15 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes nach der Einreise in Deutschland ausgestellt wird. (AUSWAERTIGES AMT 2006: Staatsangehörigkeitsrecht)
Das Zuwanderungsgesetz wird im Januar 2005 rechtswirksam. Im Vergleich zur gesell-schaftlichen Realität im De-facto Einwanderungsland um mindestens ein Vierteljahrhundert verspätet, wird so auch gesetzlich der Übergang der Bundesrepublik Deutschland von einem informellen zu einem formellen modernen Einwanderungsland mit den entsprechenden gesetzlichen und administrativen Instrumentarien und Strukturen markiert. (BADE 2008: 169) Es enthält Vorschriften zu Einreise und Aufenthalt von Ausländern in das Bundesgebiet, zu möglichen Aufenthaltszwecken sowie zur Aufenthaltsbeendigung und zum Asylverfahren und es erhebt erstmals Integration zur gesetzlichen Aufgabe.
So soll damit Zuwanderern eine umfassende und möglichst gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Es verpflichtet sie die deutsche Sprache zu erlernen, sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen. Ein gleichberechtigter Zugang, möglichst zu allen gesellschaftlichen Bereichen, soll den Immigranten dadurch ermöglicht werden. (AUSWAERTIGES AMT 2006: Zuwanderungs-gesetz)
Auf diese Weise haben sich im Hinblick auf das Themenfeld Migration und Integration in den letzten Jahren mit dem Staatsangehörigkeits- und dem Zuwanderungsgesetz also erhebliche Veränderungen ergeben. Nachdem die politische Klasse, aus heutiger Sicht, viel zu lange und entgegen der Fakten mehrheitlich nicht anerkennen wollte, dass Deutschland eine Einwanderungsland ist, werden seit dem neuen Jahrhundert Migrations- und Integrations-fragen intensiver diskutiert und erfahren entsprechende wissenschaftliche Studien eine höhere Aufmerksamkeit.
Die Voraussetzungen, Formen und Folgewirkungen von Migration und Integration werden differenzierter untersucht und der Blickwinkel auf eingewanderte Menschen verändert sich insofern, dass eingewanderte Menschen in der sozialen Ungleichheitsstruktur Deutschlands insgesamt deutlich schlechter positioniert sind, als Menschen ohne Migrationshintergrund. Dies hängt aber weniger mit der individuellen Leistungsfähigkeit von EinwanderInnen generell zusammen, als vielmehr mit den spezifischen Ausgangsb-edingungen, insbesondere mit den sozialen Vorbedingungen und den Bildungsvoraus-setzungen der Elterngenerationen, auch im Zusammenhang mit dem geschichtlichen Hintergrund der Arbeitsmigration und Anwerbepolitik. Ferner spielen die institutionelle Ausgestaltung von Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt, sowie schließlich die erst seit kurzem vorhandene Integrationsgesetzgebung, eine Rolle. (PIELAGE 2012: 7-8)