Arier sind die besseren Aliens
Auf seiner Webseite prangen Hakenkreuze, sein Projekt ist von Heinrich Himmler und der SS inspiriert. In Schaffhausen lud er zu einem Vortrag ein. Die «az» war unter falschem Namen dabei.
Ich sitze in einer Wohnung am Stadtrand von Schaffhausen auf einem gemütlichen Sofa. Der freundliche Mann mit Glatze und Vollbart neben mir erklärt mir gerade, dass wir, die arische Rasse, vor Hunderttausenden von Jahren aus der Galaxie Karona auf die Erde gekommen seien.
Eine äusserst merkwürdige Abfolge von Ereignissen hat mich auf dieses Sofa und in die Gegenwart des bärtigen Rassisten und Verschwörungstheoretikers Frank Willy Ludwig geführt.
Das «Folk» der «Arier»
Frank Willy Ludwig ist der Anführer der Bewegung «Urahnenerbe Germania». Sie gehört zum neopaganen und rechtsesoterischen Spektrum, über ihre Grösse ist wenig bekannt. Ludwig definiert seine Aufgabe so: «Die Förderung und der Aufbau natürlicher Stammeslandsitze in Siedlungen mit Wirtschaft (Mutterhof) und Schulen, durch das Erforschen und Praktizieren der Lebensweisen unserer Urahnen, der wedischen Hochkultur von Slawen und Ariern.» Das Wissen dieser Ahnen sei im «Folk», also bei den weis*sen Nachfahren dieser Ahnen, noch im Verborgenen vorhanden.
Mit diesen Ideen bewegt sich Ludwig nahe an der Ideologie der sich in Deutschland ausbreitenden «völkischen Siedler», ausserdem gehört Ludwig der Anastasia-Bewegung an (siehe unten).
Je tiefer man in seine Webseite «Urahnenerbe Germania» eintaucht, desto eindeutiger wird der Bezug zu rassistischem, rechtsextremem und nationalsozialistischem Gedankengut. Frank Willy Ludwig hat die Glaubensbücher der aus Russland stammenden Bewegung «Ynglism» ins Deutsche übertragen. Ihr Autor wird selbst in Russland wegen rassistischer Inhalte strafrechtlich verfolgt. Ludwig schreibt im Vorwort: «Mit dem Namen Grosse Rasa sind die Menschen mit der weissen Hautfarbe gemeint (…), welche vor ca. 600’000 Jahren auf die Mitgard-*Erde kamen. (…) Die anderen Menschen, mit der schwarzen, roten und gelben Hautfarbe, kommen von ganz anderen Sonnensystemen.»
An anderer Stelle beschreibt Ludwig, warum er seine Bewegung «Urahnenerbe» nennt: «Das Wort wurde uns als Sinnbild eingegeben», heisst es, und weiter: «Es gab ja schon etwas Ähnliches als Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V. Diese wurde 1935 als Forschungseinrichtung von Heinrich Himmler (Reichsführer SS) (…) gegründet.»
Ludwig bezieht sich damit eindeutig auf Himmlers SS-Forschungsgruppe, die ab 1942 tödliche Menschenversuche an KZ-Häftlingen durchführte.
Zuoberst auf seiner Webseite prangt ein kaum verfremdetes Hakenkreuz mit einer Sig-Rune im Zentrum, wie sie auch die SS verwendete. Nach eigenen Angaben wurde Frank Willy Ludwig in Deutschland wegen der Verwendung von verfassungswidrigen Symbolen angezeigt. Für ihn ist das Hakenkreuz aber unproblematisch: Er rechtfertigt dessen Verwendung in der 44-seitigen Schrift «heilige Symbole». Trotzdem ärgert sich Frank Willy in Rundbriefen an seine Anhänger über «Gutmenschen», die ihn mit der «Nazikeule» und der «Sektenkeule» angreifen würden. Ohne es zu wissen, meint Ludwig damit auch mich.
Ufos und abgetriebene Föten
Im grossen Saal des «Alten Schützenhauses» empfangen mich Frank Willy Ludwig und Markus B., ein Schaffhauser Anhänger Ludwigs, der den Saal reserviert und auf Facebook zum Vortrag eingeladen hat.
Er gehört zu einer Gruppe von Staatsverweigerern, die im thurgauischen Müllheim ein Fantasiegericht gegründet haben (siehe Kasten). Sein Facebook-Profil zeigt ein grosses Interesse an der Wehrmacht, an Donald Trump, an Ufos und allen möglichen Fake News und Verschwörungstheorien. Zwei Beispiele: Nestlé-Produkte enthalten – mit der ausdrücklichen Bewilligung von Barack Obama – einen Geschmacksverstärker, der aus den Zellen abgetriebener Föten besteht.
B. erzählt gerade, die Schaffhauser Polizei habe ihn vorgeladen. Die Polizei bestätigt dies später auf Anfrage. Ein vorgreifendes Verbot wäre aber nicht möglich gewesen, schreibt sie, weil bis zum Zeitpunkt der Veranstaltung keine strafbare Handlung vorlag. Den genauen Veranstaltungsort habe man mittels «intensiver Ermittlungsarbeiten» herausgefunden und Präsenz gezeigt: «Die Schaffhauser Polizei hat mit mehr als drei teilnehmenden Personen gerechnet und entsprechend ihr Dispositiv aufgestellt», schreibt Polizeisprecher Patrick Caprez.
Vorsichtshalber hat Frank Willy Ludwig nur drei Leuten den genauen Veranstaltungsort mitgeteilt. Es scheint so, als hätte Markus B. vielleicht noch einige Bekannte kurzfristig vor der Polizei gewarnt. Ich, ein linker Journalist mit falschem Namen, bin neben B. der einzige, der gekommen ist. «Der grösste Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant», doziert Ludwig gerade. Ich schlucke leer.
Als klar wird, dass niemand mehr kommt, schlägt Markus B. vor, das Treffen in seine Wohnung zu verlegen, wenige Autominuten entfernt. Wir verabschieden uns von der Polizei und steigen ins Auto.
Vernetzt mit Neonazis
Frank Willy Ludwig ist in rechtsextremen Kreisen ein gefragter Mann. Er nahm in Dresden an Kundgebungen von Neo*nazis anlässlich des Jahrestages der alliierten Luftangriffe statt, Seite an Seite mit dem wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung verurteilten Aktivisten Gerhard Ittner.
Ludwig trat mehrmals als Redner beim Holocaustleugnernetzwerk «Recht und Wahrheit» auf und sprach mindestens zweimal an den «Honigmanntreffen» des kürzlich verstorbenen – und ebenfalls wegen Volksverhetzung verurteilten – deutschen Verschwörungstheoretikers und Reichsideologen Ernst Köwing.
Ludwig stammt aus Brandenburg, doch er scheint die Schweiz zu mögen. Auf seinem Youtube-Kanal «Sigreich» spricht er mit dem Schweizer Rechtsextremisten und Antisemiten Heinz Christian Tobler vor schönster Alpenkulisse über «Gutmenschen und Lügenpresse».
Im Juni 2017 sollte Frank Willy Ludwig einen Vortrag im Kanton Solothurn halten. Die Solothurner Zeitung berichtete aber schon im Vorfeld, und antifaschistische Kreise kündigten eine Störaktion an. In der Folge verbot der Kanton, dem das Veranstaltungsgelände gehört, das Treffen. Wenig später fand Frank Willy Ludwigs Vortrag dennoch statt, in einer unbekannten Lokalität bei Thun. Auf Youtube hat Ludwig seine über zwei Stunden dauernden Ausführungen über «Die slawisch arischen Weden – Urahnenerbe der weissen Rasa» veröffentlicht. Das Wort «Rasa» taucht in rechtsesoterischen Schriften oft auf, ein Code für *«Rasse». Es steht auch auf der Einladung zum Vortrag in Schaffhausen.
«Weniger als sechs Millionen»
Der Vortrag, der zu einem gemütlichen Wohnzimmertreffen geworden ist, exklusiv für Veranstalter Markus B. und den Undercover-Journalisten, neigt sich dem Ende zu. Markus B. ist ausserordentlich interessiert an allem, was Ludwig erzählt. Er will an der nächsten «Ahnenreise» nach Rügen teilnehmen. Auf seinem Bücherregal stehen viele verschwörungstheoretische Bücher, und er will von Ludwig noch wissen: «Was glaubst du, ist die Erde rund oder flach?» Ludwig antwortet diplomatisch, er will seinen Fan nicht vor den Kopf stossen: «Das ist irrelevant. Ich interessiere mich für Wissen, das mein Leben beeinflusst.»
Wissen über den Holocaust, zum Beispiel. Markus B. sagt in einem Nebensatz, das sei «ja ganz anders gewesen», Ludwig pflichtet bei. Nach dem Abschied von B. fährt mich Ludwig noch in die Stadt zurück. Ich frage nach: Wie war das mit dem Holocaust?
Ludwig erklärt: «In einem Krieg wird es immer Ermordungen und Verbrechen geben. Über die Zahl würde ich mich nicht streiten, aber sechs Millionen geht nicht.» Es gebe historische Zahlen, die belegten, dass gar nicht so viele Juden nach dem Krieg «fehlen». Und überhaupt, ob jemand einen Menschen oder Millionen umbringe, sei unwichtig.
Im Klartext: Frank Willy Ludwig verharmlost den Holocaust. Ob Ludwig solche Aussagen auch vor einem grösseren Publikum gemacht hätte? Nach Schaffhausen trat er gestern Mittwoch im sanktgallischen Wangs auf. Ein geplanter Auftritt in Winterthur am Samstag, 28. April, wurde abgesagt. Nach wie vor geplant ist eine Ausstellung im Restaurant Frieden in Grafstal, zwischen Zürich und Winterthur: Morgen Freitag, 27. April, ab 18 Uhr. Gezeigt werden Gemälde eines russischen Malers, die auf der Webseite und in den Büchern von «Urahnenerbe Germania» die Ideologie Ludwigs illustrieren.
https://www.shaz.ch/2018/05/01/arier-sind-die-besseren-aliens/
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