Polen und Ukraine: Fenster mit Blick auf Irrenhaus.
Eine Revolution ist ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Ein Putsch (auch Staatsstreich) ist eine oft überraschende, meist gewaltsame Aktion mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und die Macht im Staat zu übernehmen.
Jeder dieser Begriffe passt leider zu den Geschehnissen in der Ukraine. Ein Krieg, eine Revolution oder ein Putsch sind Ergebnisse einer Politik. Kommt es zu einem Krieg, muss von einer gescheiterten Politik die Rede sein. Von einem Erfolg können nur diejenigen sprechen, die von vornherein Todesopfer brauchten.
Warum haben polnische Medien Außenminister Sikorski eigentlich als Helden eingestuft? Er soll das Blutvergießen in Kiew gestoppt haben. Doch dieses Blutvergießen ist auf die Umsetzung des von Anfang an gebrechlichen Projekts Ost-Partnerschaft zurückzuführen, das ausgerechnet von Sikorski stammt. Der Politiker erwartet also den Beifall für das Löschen eines Brandes, den er selbst gestiftet hat. Eigentlich schwelt das Feuer noch und kann neu entbrennen.
Der Begriff Anarchie bedeutet laut Wikipedia einen Zustand der Abwesenheit von Herrschaft. Auch diese Definition ist für die ukrainische Situation zutreffend. In der vergangenen Woche erklärte der Gemeinderat Lwiw die Stadt für unabhängig. Am Sonntag kürte die Menschenmenge, die sich im Zentrum von Sewastopol versammelte, einen einheimischen Geschäftsmann zum Bürgermeister, der die Menschen nun vor Nationalisten aus der Westukraine schützen soll. All dies geschieht in einem Land, das zu Polen grenzt. So ist das Ergebnis der Außenpolitik von Minister Sikorski.
Die USA machen inzwischen keinen Hehl mehr daraus, dass sie die „orange Revolution“ im Jahr 2004 initiiert haben. Auch die Finanzierung des gegenwärtigen Staatsstreiches verheimlichen sie eigentlich kaum. Am 13. Dezember gründeten die USA für diese Zwecke einen Fonds von fünf Milliarden Dollar. Eine gute Investition, das muss man zugeben.
Über dem Maidan, dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew, wehten Flaggen der Ukrainischen Aufstands-Armee UPA. Es gab Konterfeis von Stepan Bandera, der seinen Landsleuten lobend zusah. Wenn jemand rief: „Ruhm der Ukraine!“, antwortete die Menschenmenge sofort: „Ruhm den Helden!“ Den Mördern also, muss ich hier erläutern. „Ruhm der Nation!“, so ein weiterer Slogan. Und die Menschenmenge antwortete: „Tod den Feinden!“ D.h. den Russen, den Rumänen, den Polen. Ich erläutere hiermit noch einmal: Der Autor dieser Parolen soll Bandera gewesen sein.
Gibt es einen Grund zur Besorgnis? Die Staaten wie Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien, die infolge einer US-Einmischung destabilisiert wurden, scheinen zwar exotisch und weit von uns entfernt zu sein. Doch das ehemalige Jugoslawien liegt direkt in Europa. Der Bosnienkrieg hat mehr als 100.000 Todesopfer gefordert, rund zwei Millionen Menschen wurden Flüchtlinge. Vor dem Zerfall Jugoslawiens hatten knapp 24 Millionen Menschen im Land gelebt. Die ukrainische Bevölkerung beträgt 45,5 Millionen.
Es gibt noch ein wichtiges Detail. Was ist, wenn ideologische Nachfolger von Bandera im neuen ukrainischen Kabinett landen? Das wäre auch ein Ergebnis der Gespräche des polnischen Außenministers in Kiew.
Die Ukraine ist pleite. Wer wird die Verantwortung für ihre Finanzen und ihre Wirtschaft übernehmen? Die EU etwa? Braucht sie das? Dann vielleicht Russland? Wozu? Und was soll mit Tausenden ausländischen Firmen geschehen, die mit der Ukraine kooperieren? Alleine in Polen gibt es rund 4.000 davon. Sollen sie entschädigt werden? Es wäre wohl an der Zeit, alle Politiker aufzulisten, die den ukrainischen Nationalisten den Rücken gestärkt haben.
Am 23. Februar machte das ukrainische Parlament das sogenannte Sprachgesetz rückgängig, das den Volksminderheiten in der Ukraine Vergünstigungen zugesichert und insgesamt 18 Sprachen beinhaltet hatte, darunter auch Polnisch. Dabei landeten die ukrainischen Nationalisten noch nicht einmal in der Regierung.
Der frühere Präsident Juschtschenko hatte Bandera als Nationalhelden geehrt und damit einen merkwürdigen Weg gefunden, sich bei den Polen für ihren Beitrag zum Sieg der orangenen Revolution zu bedanken. Präsident Janukowitsch, der Juschtschenko ablöste, entzog Bandera jenen Titel. Auch das Sprachgesetz wurde einst von der Janukowitsch-Partei durchgesetzt. Ich frage mich nun, wie die ukrainischen Nationalisten den Polen diesmal für die Hilfe danken werden.
Die Lage in der Ukraine verändert sich blitzschnell. Es ist aus meiner Sicht im Moment sinnlos, mögliche Szenarien zu schildern. Ich bin kein Wahrsager und weiß nicht, welche Entscheidung in Washington fallen wird. Polen grenzt zu einem Staat, wo jetzt Chaos und Anarchie herrschen, wo ein faschistisch gefärbter Nationalismus Maßstäbe der „politischen Korrektheit“ setzt. Wir Polen grenzen zu einem Staat, wo demnächst eine Wirtschaftskrise ausbricht und eine Koalitionspartei Gebietsansprüche an unser Land erhebt. Zum Schluss kann man nur sagen: Vielen Dank, Herr Sikorski.
Der Autor des Kommentars, Cyprian Darczewski, ist ein polnischer Publizist aus Warschau.
quelle: eine auslaendische Nachrichtenagentur