Migranten auf Corona-Intensivstationen: „Viele trauen sich nicht, problematische Punkte zu benennen“
Do, 4. März 2021
Ali Ertan Toprak, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Migrantenverbände, spricht darüber, warum Migranten unter Corona-Intensivpatienten überrepräsentiert sind.
Für die Tabuisierung seien "die Medien mitverantwortlich, die schnell aus allem eine Rassismus-Debatte machen".
lexander Wallasch: Eigentlich erstaunlich, dass Corona und Migration in Deutschland so lange gebraucht haben, um zu einem Thema zu verschmelzen.
Mussten wir wirklich so lange warten, bis Klinikchefs und sogar der Chef des RKI von über neunzig Prozent Patienten mit Migrationshintergrund auf einer Corona-Intensivstation in einer bestimmten Klinik und von über fünfzig Prozent im gesamten Bundesgebiet sprechen, was ist da so entsetzlich schief gelaufen?
Ali Ertan Toprak: Wenn wir von 20 bis 25 Prozent Migrantenanteil in der Bevölkerung ausgehen, sind das für mich erschreckende skandalöse Zahlen.
Ich bin auch sehr irritiert, dass wir das jetzt so zeitversetzt und über Umwege erfahren. Obwohl wir Migrantenorganisationen schon seit Jahren mit der Bundesregierung und den zuständigen Ministerien im direkten Kontakt sind.
Ich habe schon zu Beginn der ersten Welle darauf hingewiesen, dass die Migrantenorganisationen bei der Krisenbewältigung mit einbezogen werden sollten.
Wir sind gerade im Gespräch mit dem Bundesgesundheitsministerium. Wir planen dazu als Bundesarbeitsgemeinschaft der Migrantenverbände in Deutschland (BAGIV), dessen Präsident ich bin, eine Veranstaltung zu Covid und Migration, welche Auswirkungen Covid auf die Einwanderungsgesellschaft hat, welche besonderen Probleme die Migranten damit hatten und haben, beziehungsweise welche Probleme wir schon bei der Ansprache an die Migranten hatten beim Thema Covid.
Es sind ja nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern genauer solche mit muslimischen Hintergrund gemeint.
Was auch daran liegt, dass diese Gruppe einen so großen Anteil an Migration in Deutschland hat.
Klartext: Ist die muslimisch-kulturelle Ausrichtung die Ursache für diese vermehrten Ansteckungen – also auch für die schweren Corona-Verläufe – oder liegt es viel mehr an den prekären wirtschaftlichen Verhältnissen von Zuwanderung?
Und weiter: Haben wir als Deutsche vielleicht sogar historisch spezielle Hemmnisse, solche Sachen beim Namen zu nennen?
Sind wir deshalb so vorsichtig, wenn es um Zuweisungen an bestimmte Gruppen geht im Zusammenhang mit epidemischen Krankheiten?
Ich will da gar nichts relativieren. Es ist aber nicht die Herkunft allein, es ist auch ein bestimmtes kulturelles Verständnis, mit solchen Krisen umzugehen, und vor allem eine soziale Frage.
Viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in sozialen Verhältnissen, welche die Ausbreitung von Covid begünstigen.
Das würde das deutschstämmige Präkariat mit einschließen, die sind aber nicht so stark betroffen offensichtlich. Die leben auch weniger oft in Familienverbänden.
Kollektive Gesellschaften mit Migrationshintergrund sind nicht so vereinsamt wie die Deutschen, die in ähnlichen sozialen Verhältnissen leben.
Bei Migranten mit muslimischem Glauben sind es eher kollektive Gruppen nicht nur mit der Familie, sondern noch darüber hinaus mit der Umgebung, mit der Nachbarschaft und gegebenenfalls noch mit der religiösen Gemeinschaft.
Sarkastisch gefragt: Wäre also die deutsche Single-Lebensart in diesem Falle „gesünder” gewesen?
Man kann darüber jetzt weit ausschweifend streiten und philosophieren, aber Spaß beiseite: Wir müssen die Ursachen ganz genau anschauen.
Festzustellen ist aber bereits jetzt, es reicht nicht, einfach dieses Infomaterial zu Covid in unterschiedliche Sprachen zu übersetzen.
Man muss wirklich gezielt in die Communities rein gehen mit Sozialarbeitern.
Die medialen und soziologischen Kanäle bedienen, die diese Menschen erreichen.
Durch direkte Ansprache erreicht man diese Leute am besten. Und da hätten wir in den letzten zwölf Monaten viel früher reagieren müssen, agieren müssen! Die Migrantenorganisationen sind doch bekannt als Gesprächspartner.
Das ist für mich jetzt wieder die klassische Defensivhaltung: Natürlich gibt es in Deutschland seit Jahren einen Integrationsgipfel, wo all diese Gruppen vertreten sind und explizit aufgefordert werden, die Stimme zu erheben.
Wo diese Gruppen der Politik auch einmal sagen können: Hallo, wir haben hier ein Corona-Problem, wir sind Hauptbetroffene!
Diese Gruppen müssen doch am ehesten wissen, wer an der Beatmungsmaschine hängt, wo der Anteil so hoch sein soll.
Der einzelne Migrant hat doch nicht nur Rechte, dass man sich um ihn kümmert, er muss doch selbst aktiv werden, wenn er Teil einer Risikogruppe ist.
Bei Ihnen klingt das jetzt fast so, als wäre jeder Migrant nicht nur arm, sondern auch – Entschuldigung – zu dumm.
Natürlich nicht. Bei der ersten Welle gab es ja eine große Verunsicherung in der Gesamtbevölkerung.
weiter...
https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/alexander-wallasch-heute/ali-ertan-toprak-migranten-corona/
Das Problem müssen sie selber lösen.