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Servus allerseits,
folgenden Text von Rosa Luxemburg fand ich im Buch "Urkommunismus" herausgegeben von Dieter Reinisch im Promedia-Verlag:
Rosa Luxemburg
Der Agrarkommunismus bei den Indogermanen
(…) In den Jahren 1851 bis 1853 erschien in Erlangen das erste der epochemachenden Werke Georg Ludwig von Maurers, die „Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, und Stadt-Verfassung und der öffentlichen Gewalt“, die ein neues Licht auf die germanische Vergangenheit und auf die soziale und ökonomische Struktur des Mittelalters warf. Schon seit einigen Jahrzehnten war man an einzelnen Orten, bald in Deutschland, bald in den nordischen Ländern, auf der Insel Island, auf merkwürdige Überbleibsel uralter ländlicher Einrichtungen gestoßen, die auf das ehemalige Bestehen eines Gemeineigentums an Grund und Boden an jenen Orten, eines Agrarkommunismus, hinwiesen. Man wußte jedoch zunächst die Überbleibsel nicht zu deuten. Nach einer früher (…) allgemein verbreiteten Ansicht sollte die Kultivierung des Bodens in Europa von Einzelhöfen ausgegangen und jeder Hof mit einer abgesonderten Feldmark umgeben gewesen sein, die das Privateigentum des Hofbesitzers war. Erst im späteren Mittelalter, so glaubte man, wären der größeren Sicherheit wegen die bis dahin zerstreuten Wohnungen zu Dörfern zusammengerückt worden. So unwahrscheinlich bei genauer Erwägung diese Ansicht erscheine – muß man doch zu ihrer Begründung das Ungewöhnlichste annehmen, nämlich, daß die zum Teil weit auseinanderliegenden Wohnungen niedergerissen wurden, bloß um sie an einer anderen Stelle wieder zu erbauen, und ferner, daß ein jeder die bequeme Lage seiner Privatfelder rund um seinen Hof herum mit völlig freier Bewirtschaftung aufgegeben habe, um sodann seine Felder, in schmale Riemen zerlegt, durch alle Fluren zerstreut und mit einer von seinen Dorfgenossen völlig abhängigen Bewirtschaftung wieder zu erhalten -, so unwahrscheinlich diese Theorie war, so war sie doch die vorherrschende bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Zu Cäsars Zeiten
Erst von Maurers faßte alle diese Einzelentdeckungen in einer kühnen, großangelegten Theorie zusammen und wies auf Grund enormen Tatsachenmaterials und gründlichster Forschungen in alten Archiven, Urkunden, Rechtsinstitutionen endgültig nach, daß das Gemeineigentum an Grund und Boden nicht erst im späteren Mittelalter entstanden war, sondern überhaupt die typische und allgemeine uralte Form der germanischen Ansiedlungen in Europa von allem Anfang an war.
Vor zweitausend Jahren also und noch früher, in jener grauen Vorzeit der germanischen Völker, von denen die geschriebene Geschichte noch nichts weiß, herrschten bei den Germanen Zustände, die von den heutigen grundverschieden waren. Kein Staat mit geschriebenen Zwangsgesetzen, keine Spaltung in Reiche und Arme, Herrschende und Arbeitende waren damals unter den Germanen bekannt. Sie bildeten freie Stämme und Geschlechter, die lange in Europa umherwanderten, bis sie sich erst zeitweise, schließlich dauernd ansiedelten. Die erste Kultivierung des Landes ist nämlich in Deutschland, wie von Maurer nachwies, nicht von einzelnen, sondern von ganzen Geschlechtern und Stämmen ausgegangen, wie in Island von größeren Gesellschaften, welche frälldalid und skulldalid – etwa Freundschaften und Gefolgschaften genannt wurden. Die ältesten Nachrichten über die alten Germanen, die auf uns von den Römern gekommen sind, sowie die Prüfung der überlieferten Einrichtungen verbürgen die Wahrheit dieser Auffassung. Herumziehende Hirtenvölker waren es, die Deutschland zuerst bevölkerten. Wie bei anderen Nomaden, so war zwar auch bei ihnen Viehzucht und also der Besitz reichlicher Weide die Hauptsache. Indessen konnten denn auch sie in die Länge ohne Ackerbau ebenso wenig bestehen, wie dies anderen Wandervölkern älterer und neuerer Zeit der Fall war. Und gerade in diesem Zustand, der als Hauptsache, der Feldbau aber als etwas untergeordnetes erschien, befanden sich zu Julius Cäsars Zeiten, also etwa vor 2000 Jahren , von den ihm bekannt gewordenen germanischen Völkerschaften die Sueven oder Schwaben. Ähnliche Zustände, Sitten und Einrichtungen wurden aber auch bei den Franken, Alemannen, Vandalen und anderen germanischen Stämmen festgestellt.
Nach zusammenhaltenden Stämmen und Geschlechtern siedelten sich alle die germanischen Völkerschaften, und zwar anfangs auf kurze Zeit, an, bauten das Land und zogen wieder weiter, sobald mächtigere Stämme vor- oder rückwärts drängten oder die Weide nicht mehr zureichte. Erst als die wandernden Stämme zur Ruhe gelangt waren und keiner den anderen mehr drängte, blieben sie längere Zeit in diesen Niederlassungen und erhielten so nach und nach feste Wohnsitze. Die Ansiedlung geschah aber, ob in frühester oder späterer Zeit, ob auf freiem Boden oder auf alten römischen oder slawischen Besitzungen, in ganzen Stämmen und Geschlechtern. Dabei nahm je ein Stamm und in jedem Stamme je ein Geschlecht ein bestimmtes Gebiet ein, das dann allen Betreffenden insgemein gehörte. Mein und Dein kannten die alten Germanen in Bezug auf den Grund und Boden nicht. Jedes Geschlecht bildete vielmehr bei der Ansiedlung eine sogenannte Markgenossenschaft, dies gemeinsam das ganze ihr zugehörige Gebiet bewirtschaftete, einteilte und bearbeitete. Der einzelne bekam durch Auslosung einen Ackeranteil, der ihm nur für bestimmte Zeit zur Benutzung überlassen wurde, wobei strengste Gleichheit der Bodenanteile beobachtet war. Alle wirtschaftlichen, rechtlichen und allgemeinen Angelegenheiten einer solchen Markgenossenschaft, die zugleich meist eine Hundertschaft die zugleich meist eine Hundertschaft der der waffenfähigen Männer bildete, wurden von der Versammlung der Markgenossenschaft selbst geregelt, die auch den Markvorsteher und die anderen öffentlichen Beamten wählte.(...)
Der Stamm als Zusammenfassung vieler, meist hundert solcher Markgenossenschaften trat vorwiegend nur als oberste richterliche und militärische Einheit ins Werk. Diese markgenossenschaftliche Organisation bildete, wie von Maurer in den zwölf Bänden seines großen Werkes nachgewiesen hat, dies Grundlage, gleichsam die kleinste Zelle des ganzen sozialen Gewebes vom frühesten Mittelalter bis in die spätere Neuzeit hinein, so daß sich die feudalen Fronhöfe, Dörfer und Städte in verschiedenen Modifikationen aus jenen Markgenossenschaften herausgebildet haben, deren Trümmer wir bis auf den heutigen Tag in einzelnen Gegenden Mittel- und Nordeuropas vorfinden.
Kommunismus in Rußland
Als die erste Entdeckung des uralten Gemeineigentums an Grund und Boden in Deutschland und in den nordischen Ländern bekannt wurde, da kam die Theorie auf, hier sie man einer besonderen, spezifisch germanischen Einrichtung auf die Spur gekommen, die sich nur aus den Eigentümlichkeiten des germanischen Volkscharakters erklären lasse. Trotzdem von Maurer selbst von dieser nationalen Auffassung des Agrarkommunismus der Germanen ganz frei war und auf ähnliche Beispiele anderer Völker hinwies, blieb es in der Hauptsache in Deutschland feststehender Satz, daß die alte ländliche Markgenossenschaft eine Besonderheit der germanischen öffentlichen und Rechtsverhältnisse, ein Ausfluß „germanischen Geistes“ sei. Doch kamen fast zu gleicher Zeit mit dem ersten Maurerschen Werke über den alten Dorfkommunismus der Germanen neue Entdeckungen auf einem ganz anderen Teil des europäischen Kontinents ans Licht. 1847 bis 1852 veröffentlichte in Berlin der westfälische Baron von Haxthausen, der anfangs der vierziger Jahre auf Wunsch des russischen Kaisers Nikolaus I. Rußland bereist hatte, seine „Studien über die inneren Zustände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Rußlands“. Aus diesem Werke erfuhr die erstaunte Welt, daß im Osten Europas noch in der Gegenwart ganz analoge Einrichtungen bestanden. Der uralte Dorfkommunismus, dessen Trümmer mit Mühe aus den Überlagerungen späterer Jahrhunderte und Jahrtausende in Deutschland herausgeschält werden mußte, lebte plötzlich in einem nachbarlichen Riesenreich im Osten in seiner Leibhaftigkeit auf. In dem erwähnten wie in einem späteren, 1866 in Leipzig erschienen Werke über „Die ländliche Verfassung Rußlands“ wies von Haxthausen nach, daß die russischen Bauern in Bezug auf die Äcker, Wiesen und Wälder kein Privateigentum kennen, daß das ganze Dorf als Eigentümer desselben gilt, die einzelnen Bauernfamilien aber nur zur zeitweisen Benutzung Ackerparzellen kriegen, die sie auch – ganz wie die alten Germanen – auslosen. In Rußland herrschte zur Zeit, als Haxthausen das Land bereiste und erforschte, die Leibeigenschaft in voller Kraft, um so frappanter war auf den ersten Blick die Tatsache, daß unter der eisernen Decke einer harten Leibeigenschaft und eines despotischen Staatsmechanismus das russische Dorf eine kleine abgeschlossene Welt für sich darbot mit Landkommunismus und genossenschaftlicher Erledigung aller öffentlichen Angelegenheiten durch die Dorfversammlung, den Mir. Der deutsche Entdecker dieser Eigentümlichkeiten erklärte die russische Landgemeinde als ein Produkt der uralten slawischen Familiengenossenschaft, wie wir sie noch bei den Südslawen in den Balkanländern vorfinden und wie sie in den alten russischen Rechtsbüchern noch im 12.Jahrhundert und später in voller Kraft besteht. Die Entdeckung Haxthausens wurde mit Jubel aufgegriffen von einer ganzen geistigen und politischen Strömung in Rußland, vom Slawophilismus. Diese auf eine Verherrlichung der slawischen Welt und ihrer Eigentümlichkeiten, ihrer „unverbrauchten Kraft“ gegenüber dem „faulen Westen“ mit seiner germanischen Kultur gerichteten Strömung fand in den kommunistischen Einrichtungen der russischen Bauerngemeinde den stärksten Stützpunkt während der nächsten 2 bis 3 Jahrzehnte. Je nach der besonderen reaktionären und revolutionären Abzweigung, in die sich der Slawophilismus spaltete, wurde die ländliche Gemeinde bald als eine von den drei echt slawischen Grundeinrichtungen des Russentums: griechisch-orthodoxer Glaube, zarischer Absoloutismus und bäuerlich-patriarchalischer Dorfkommunismus gepriesen, bald umgekehrt als der geeignete Stützpunkt, um in Rußland in nächster Zukunft die sozialistische Revolution einzuleiten und so unter Umgehung der kapitalistischen Entwicklung viel früher als Westeuropa den Sprung direkt ins gelobte Land zu machen. Die entgegengesetzten Pole des Slawophilismus waren sich jedoch beide vollkommen einig in der Auffassung, daß die russische Landgemeinde eine spezifisch slawische, aus dem eigentümlichen Volkscharakter der der slawischen Stämme erklärliche Erscheinung sei.(...)
Die gemeinsame Kasse der Inder
Um dieselbe Zeit meldet ein Regierungsbericht über die Verwaltung im Pandschab (Fünfstromland) für 1849 bis 1851: „Es ist höchst interessant zu beobachten, wie stark in diesem Gemeinwesen das Gefühl der Blutsverwandschaft und das Bewußtsein der Abstammung vom gemeinsamen Ahnen ist. Die öffentliche Meinung beharrt so streng auf der Beibehaltung dieses Systems, daß wir nicht selten sehen, wie Personen, deren Vorfahren während einer oder selbst zweier Generationen gar keinen Anteil an dem Gemeinbesitz nahmen, zu demselben zugelassen werden.“
„Bei dieser Form des Grundbesitzes“ schrieb der Bericht des englischen Staatsrats über die indische Geschlechtsgemeinde, „kann kein Mitglied des Klans (Geschlechts) ausweisen, daß ihm dieser oder jener Teil des Gemeindelandes nicht bloß zu eigen, sondern auch nur zur zeitweiligen Benutzung gehört. Die Produkte der gemeinsamen Wirtschaft werden in eine gemeinsame Kasse getan, und daraus werden alle Bedürfnisse bestritten.“ Hier haben wir also überhaupt keine Aufteilung der Äcker, auch nur für eine landwirtschaftliche Saison; ungeteilt und gemeinschaftlich besitzen die Gemeindebauern ihr Feld, tragen die Ernte in einen gemeinsamen Dorfspeicher, der dem kapitalistischen Auge der Engländer natürlich als Kasse erscheinen mußte, und decken brüderlich aus der Frucht des gemeinsamen Fleißes ihre bescheidenen Bedürfnisse.(...)
Mochte immerhin nach den Entdeckungen der englischen Kolonisatoren in Indien der alte Agrarkommunismus, der bereits bei drei so wichtigen Zweigen der großen indogermanischen Völkerfamilie – bei den Germanen, Slawen und Indern – vorgefunden wurde, als eine alte Eigentümlichkeit des indogermanischen Völkerkreises gelten, so schwankend dieser ethnographische Begriff auch ist, so führten die gleichzeitigen Entdeckungen der Franzosen in Afrika bereits weit über diesen Kreis hinaus. Hier handelte es ich nämlich um Entdeckungen, die bei den Arabern und Berbern im Norden Afrikas genau dieselben Einrichtungen feststellten, die im Herzen Europas und auf dem asiatischen Kontinent vorgefunden wurden. -Quelle: Rosa Luxemburg, Einführung in die Nationalökonomie, Gesammelte Werke 5
folgenden Text von Rosa Luxemburg fand ich im Buch "Urkommunismus" herausgegeben von Dieter Reinisch im Promedia-Verlag:
Rosa Luxemburg
Der Agrarkommunismus bei den Indogermanen
(…) In den Jahren 1851 bis 1853 erschien in Erlangen das erste der epochemachenden Werke Georg Ludwig von Maurers, die „Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, und Stadt-Verfassung und der öffentlichen Gewalt“, die ein neues Licht auf die germanische Vergangenheit und auf die soziale und ökonomische Struktur des Mittelalters warf. Schon seit einigen Jahrzehnten war man an einzelnen Orten, bald in Deutschland, bald in den nordischen Ländern, auf der Insel Island, auf merkwürdige Überbleibsel uralter ländlicher Einrichtungen gestoßen, die auf das ehemalige Bestehen eines Gemeineigentums an Grund und Boden an jenen Orten, eines Agrarkommunismus, hinwiesen. Man wußte jedoch zunächst die Überbleibsel nicht zu deuten. Nach einer früher (…) allgemein verbreiteten Ansicht sollte die Kultivierung des Bodens in Europa von Einzelhöfen ausgegangen und jeder Hof mit einer abgesonderten Feldmark umgeben gewesen sein, die das Privateigentum des Hofbesitzers war. Erst im späteren Mittelalter, so glaubte man, wären der größeren Sicherheit wegen die bis dahin zerstreuten Wohnungen zu Dörfern zusammengerückt worden. So unwahrscheinlich bei genauer Erwägung diese Ansicht erscheine – muß man doch zu ihrer Begründung das Ungewöhnlichste annehmen, nämlich, daß die zum Teil weit auseinanderliegenden Wohnungen niedergerissen wurden, bloß um sie an einer anderen Stelle wieder zu erbauen, und ferner, daß ein jeder die bequeme Lage seiner Privatfelder rund um seinen Hof herum mit völlig freier Bewirtschaftung aufgegeben habe, um sodann seine Felder, in schmale Riemen zerlegt, durch alle Fluren zerstreut und mit einer von seinen Dorfgenossen völlig abhängigen Bewirtschaftung wieder zu erhalten -, so unwahrscheinlich diese Theorie war, so war sie doch die vorherrschende bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Zu Cäsars Zeiten
Erst von Maurers faßte alle diese Einzelentdeckungen in einer kühnen, großangelegten Theorie zusammen und wies auf Grund enormen Tatsachenmaterials und gründlichster Forschungen in alten Archiven, Urkunden, Rechtsinstitutionen endgültig nach, daß das Gemeineigentum an Grund und Boden nicht erst im späteren Mittelalter entstanden war, sondern überhaupt die typische und allgemeine uralte Form der germanischen Ansiedlungen in Europa von allem Anfang an war.
Vor zweitausend Jahren also und noch früher, in jener grauen Vorzeit der germanischen Völker, von denen die geschriebene Geschichte noch nichts weiß, herrschten bei den Germanen Zustände, die von den heutigen grundverschieden waren. Kein Staat mit geschriebenen Zwangsgesetzen, keine Spaltung in Reiche und Arme, Herrschende und Arbeitende waren damals unter den Germanen bekannt. Sie bildeten freie Stämme und Geschlechter, die lange in Europa umherwanderten, bis sie sich erst zeitweise, schließlich dauernd ansiedelten. Die erste Kultivierung des Landes ist nämlich in Deutschland, wie von Maurer nachwies, nicht von einzelnen, sondern von ganzen Geschlechtern und Stämmen ausgegangen, wie in Island von größeren Gesellschaften, welche frälldalid und skulldalid – etwa Freundschaften und Gefolgschaften genannt wurden. Die ältesten Nachrichten über die alten Germanen, die auf uns von den Römern gekommen sind, sowie die Prüfung der überlieferten Einrichtungen verbürgen die Wahrheit dieser Auffassung. Herumziehende Hirtenvölker waren es, die Deutschland zuerst bevölkerten. Wie bei anderen Nomaden, so war zwar auch bei ihnen Viehzucht und also der Besitz reichlicher Weide die Hauptsache. Indessen konnten denn auch sie in die Länge ohne Ackerbau ebenso wenig bestehen, wie dies anderen Wandervölkern älterer und neuerer Zeit der Fall war. Und gerade in diesem Zustand, der als Hauptsache, der Feldbau aber als etwas untergeordnetes erschien, befanden sich zu Julius Cäsars Zeiten, also etwa vor 2000 Jahren , von den ihm bekannt gewordenen germanischen Völkerschaften die Sueven oder Schwaben. Ähnliche Zustände, Sitten und Einrichtungen wurden aber auch bei den Franken, Alemannen, Vandalen und anderen germanischen Stämmen festgestellt.
Nach zusammenhaltenden Stämmen und Geschlechtern siedelten sich alle die germanischen Völkerschaften, und zwar anfangs auf kurze Zeit, an, bauten das Land und zogen wieder weiter, sobald mächtigere Stämme vor- oder rückwärts drängten oder die Weide nicht mehr zureichte. Erst als die wandernden Stämme zur Ruhe gelangt waren und keiner den anderen mehr drängte, blieben sie längere Zeit in diesen Niederlassungen und erhielten so nach und nach feste Wohnsitze. Die Ansiedlung geschah aber, ob in frühester oder späterer Zeit, ob auf freiem Boden oder auf alten römischen oder slawischen Besitzungen, in ganzen Stämmen und Geschlechtern. Dabei nahm je ein Stamm und in jedem Stamme je ein Geschlecht ein bestimmtes Gebiet ein, das dann allen Betreffenden insgemein gehörte. Mein und Dein kannten die alten Germanen in Bezug auf den Grund und Boden nicht. Jedes Geschlecht bildete vielmehr bei der Ansiedlung eine sogenannte Markgenossenschaft, dies gemeinsam das ganze ihr zugehörige Gebiet bewirtschaftete, einteilte und bearbeitete. Der einzelne bekam durch Auslosung einen Ackeranteil, der ihm nur für bestimmte Zeit zur Benutzung überlassen wurde, wobei strengste Gleichheit der Bodenanteile beobachtet war. Alle wirtschaftlichen, rechtlichen und allgemeinen Angelegenheiten einer solchen Markgenossenschaft, die zugleich meist eine Hundertschaft die zugleich meist eine Hundertschaft der der waffenfähigen Männer bildete, wurden von der Versammlung der Markgenossenschaft selbst geregelt, die auch den Markvorsteher und die anderen öffentlichen Beamten wählte.(...)
Der Stamm als Zusammenfassung vieler, meist hundert solcher Markgenossenschaften trat vorwiegend nur als oberste richterliche und militärische Einheit ins Werk. Diese markgenossenschaftliche Organisation bildete, wie von Maurer in den zwölf Bänden seines großen Werkes nachgewiesen hat, dies Grundlage, gleichsam die kleinste Zelle des ganzen sozialen Gewebes vom frühesten Mittelalter bis in die spätere Neuzeit hinein, so daß sich die feudalen Fronhöfe, Dörfer und Städte in verschiedenen Modifikationen aus jenen Markgenossenschaften herausgebildet haben, deren Trümmer wir bis auf den heutigen Tag in einzelnen Gegenden Mittel- und Nordeuropas vorfinden.
Kommunismus in Rußland
Als die erste Entdeckung des uralten Gemeineigentums an Grund und Boden in Deutschland und in den nordischen Ländern bekannt wurde, da kam die Theorie auf, hier sie man einer besonderen, spezifisch germanischen Einrichtung auf die Spur gekommen, die sich nur aus den Eigentümlichkeiten des germanischen Volkscharakters erklären lasse. Trotzdem von Maurer selbst von dieser nationalen Auffassung des Agrarkommunismus der Germanen ganz frei war und auf ähnliche Beispiele anderer Völker hinwies, blieb es in der Hauptsache in Deutschland feststehender Satz, daß die alte ländliche Markgenossenschaft eine Besonderheit der germanischen öffentlichen und Rechtsverhältnisse, ein Ausfluß „germanischen Geistes“ sei. Doch kamen fast zu gleicher Zeit mit dem ersten Maurerschen Werke über den alten Dorfkommunismus der Germanen neue Entdeckungen auf einem ganz anderen Teil des europäischen Kontinents ans Licht. 1847 bis 1852 veröffentlichte in Berlin der westfälische Baron von Haxthausen, der anfangs der vierziger Jahre auf Wunsch des russischen Kaisers Nikolaus I. Rußland bereist hatte, seine „Studien über die inneren Zustände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Rußlands“. Aus diesem Werke erfuhr die erstaunte Welt, daß im Osten Europas noch in der Gegenwart ganz analoge Einrichtungen bestanden. Der uralte Dorfkommunismus, dessen Trümmer mit Mühe aus den Überlagerungen späterer Jahrhunderte und Jahrtausende in Deutschland herausgeschält werden mußte, lebte plötzlich in einem nachbarlichen Riesenreich im Osten in seiner Leibhaftigkeit auf. In dem erwähnten wie in einem späteren, 1866 in Leipzig erschienen Werke über „Die ländliche Verfassung Rußlands“ wies von Haxthausen nach, daß die russischen Bauern in Bezug auf die Äcker, Wiesen und Wälder kein Privateigentum kennen, daß das ganze Dorf als Eigentümer desselben gilt, die einzelnen Bauernfamilien aber nur zur zeitweisen Benutzung Ackerparzellen kriegen, die sie auch – ganz wie die alten Germanen – auslosen. In Rußland herrschte zur Zeit, als Haxthausen das Land bereiste und erforschte, die Leibeigenschaft in voller Kraft, um so frappanter war auf den ersten Blick die Tatsache, daß unter der eisernen Decke einer harten Leibeigenschaft und eines despotischen Staatsmechanismus das russische Dorf eine kleine abgeschlossene Welt für sich darbot mit Landkommunismus und genossenschaftlicher Erledigung aller öffentlichen Angelegenheiten durch die Dorfversammlung, den Mir. Der deutsche Entdecker dieser Eigentümlichkeiten erklärte die russische Landgemeinde als ein Produkt der uralten slawischen Familiengenossenschaft, wie wir sie noch bei den Südslawen in den Balkanländern vorfinden und wie sie in den alten russischen Rechtsbüchern noch im 12.Jahrhundert und später in voller Kraft besteht. Die Entdeckung Haxthausens wurde mit Jubel aufgegriffen von einer ganzen geistigen und politischen Strömung in Rußland, vom Slawophilismus. Diese auf eine Verherrlichung der slawischen Welt und ihrer Eigentümlichkeiten, ihrer „unverbrauchten Kraft“ gegenüber dem „faulen Westen“ mit seiner germanischen Kultur gerichteten Strömung fand in den kommunistischen Einrichtungen der russischen Bauerngemeinde den stärksten Stützpunkt während der nächsten 2 bis 3 Jahrzehnte. Je nach der besonderen reaktionären und revolutionären Abzweigung, in die sich der Slawophilismus spaltete, wurde die ländliche Gemeinde bald als eine von den drei echt slawischen Grundeinrichtungen des Russentums: griechisch-orthodoxer Glaube, zarischer Absoloutismus und bäuerlich-patriarchalischer Dorfkommunismus gepriesen, bald umgekehrt als der geeignete Stützpunkt, um in Rußland in nächster Zukunft die sozialistische Revolution einzuleiten und so unter Umgehung der kapitalistischen Entwicklung viel früher als Westeuropa den Sprung direkt ins gelobte Land zu machen. Die entgegengesetzten Pole des Slawophilismus waren sich jedoch beide vollkommen einig in der Auffassung, daß die russische Landgemeinde eine spezifisch slawische, aus dem eigentümlichen Volkscharakter der der slawischen Stämme erklärliche Erscheinung sei.(...)
Die gemeinsame Kasse der Inder
Um dieselbe Zeit meldet ein Regierungsbericht über die Verwaltung im Pandschab (Fünfstromland) für 1849 bis 1851: „Es ist höchst interessant zu beobachten, wie stark in diesem Gemeinwesen das Gefühl der Blutsverwandschaft und das Bewußtsein der Abstammung vom gemeinsamen Ahnen ist. Die öffentliche Meinung beharrt so streng auf der Beibehaltung dieses Systems, daß wir nicht selten sehen, wie Personen, deren Vorfahren während einer oder selbst zweier Generationen gar keinen Anteil an dem Gemeinbesitz nahmen, zu demselben zugelassen werden.“
„Bei dieser Form des Grundbesitzes“ schrieb der Bericht des englischen Staatsrats über die indische Geschlechtsgemeinde, „kann kein Mitglied des Klans (Geschlechts) ausweisen, daß ihm dieser oder jener Teil des Gemeindelandes nicht bloß zu eigen, sondern auch nur zur zeitweiligen Benutzung gehört. Die Produkte der gemeinsamen Wirtschaft werden in eine gemeinsame Kasse getan, und daraus werden alle Bedürfnisse bestritten.“ Hier haben wir also überhaupt keine Aufteilung der Äcker, auch nur für eine landwirtschaftliche Saison; ungeteilt und gemeinschaftlich besitzen die Gemeindebauern ihr Feld, tragen die Ernte in einen gemeinsamen Dorfspeicher, der dem kapitalistischen Auge der Engländer natürlich als Kasse erscheinen mußte, und decken brüderlich aus der Frucht des gemeinsamen Fleißes ihre bescheidenen Bedürfnisse.(...)
Mochte immerhin nach den Entdeckungen der englischen Kolonisatoren in Indien der alte Agrarkommunismus, der bereits bei drei so wichtigen Zweigen der großen indogermanischen Völkerfamilie – bei den Germanen, Slawen und Indern – vorgefunden wurde, als eine alte Eigentümlichkeit des indogermanischen Völkerkreises gelten, so schwankend dieser ethnographische Begriff auch ist, so führten die gleichzeitigen Entdeckungen der Franzosen in Afrika bereits weit über diesen Kreis hinaus. Hier handelte es ich nämlich um Entdeckungen, die bei den Arabern und Berbern im Norden Afrikas genau dieselben Einrichtungen feststellten, die im Herzen Europas und auf dem asiatischen Kontinent vorgefunden wurden. -Quelle: Rosa Luxemburg, Einführung in die Nationalökonomie, Gesammelte Werke 5