- Registriert
- 11 Okt 2012
- Zuletzt online:
- Beiträge
- 3.335
- Punkte Reaktionen
- 2
- Punkte
- 0
- Geschlecht
- --
Professoren im Ruhestand werden oft gesellschaftskritisch. Kritischer jedenfalls, als sie es während ihrer Dienstzeit waren. Darüber freuen wir uns. Wir können uns auf sie in Diskussionen berufen, sie erweitern unseren Blick auf die Welt. Helfen sie uns jedoch auch, die Welt zu verändern?
Freerk Huisken war 35 Jahre lang Professor an der Bremer Universität. Heute hält er Vorträge und schreibt Beiträge, in denen er mit Kritik an der Gesellschaft nicht spart. Nachzulesen ist Einiges davon auf seiner Homepage.
http://www.fhuisken.de/
Wie kann uns Herr Huisken helfen? Einige Beispiele:
Wahlen in der Demokratie
In seinem Beitrag „Was man Heranwachsenden zum Thema 'Wahlen' sagen müsste, was ihnen aber viel zu selten gesagt wird.“ heißt es:
Nun bleiben wir ratlos. Wo ist denn jetzt die „konstruktive Reflexion“? Huisken dekonstruiert unsere Illusionen von Demokratie. Das macht er gründlich und leicht verständlich. Doch damit ist er nicht der erste.
Zwischen der Erkenntnis, dass Wahlbeteiligung eine Zustimmung zu allerlei Übeln bedeutet und dem Angriff auf „Volksherrschaft“ als perfekte bürgerliche Herrschaft lässt sich nichts Positives, uns Erhellendes erkennen. Kurt Tucholsky formulierte es kürzer: „Wahlen ändern nichts. Sonst wären sie verboten.“
Was tun? Wie soll ich mich bei, vor und nach Wahlen verhalten?
Wenn Nichtwählen keine Alternative zum Wählen ist, was ist dann die Alternative? Wenn man Heranwachsenden gesagt hat, dass Wahlen eine Mogelpackung sind, provoziert man bei ihnen die Frage: „Und jetzt, wie geht’s weiter?“
Arbeit und Lohn
Seinen Beitrag „Der 8,50 € - Mindestlohn – Dreisatz" beendet Huisken so:
Das stimmt auch nicht hoffnungsvoll. Oder war es ironisch gemeint, dieses „Hauptsache Arbeit“? Es bleiben nur zwei Deutungsmöglichkeiten.
Einerseits, dass wir ernsthaft weiter im Wirtschaftsgetriebe funktionieren sollen, trotz geringen Lohns und nicht erfüllender Arbeitsinhalte und miserabler Arbeitsbedingen.
Oder, und diesen augenzwinkernden Humor darf man bei dem listigen Huisken vermuten, er ruft zum Streik auf.
Das erinnert an unser erstes Beispiel. Die Alternative zu Wahlen ist nicht das Nichtwählen. Beides ändert ja nichts. Einfache Gemüter mögen nun sagen: „Aha- ich muss den Stimmzettel ungültig machen“. Gewitztere mögen folgern: „Nichtwählen ist keine Alternative, weil es noch keine Aktivität bedeutet. Vielleicht sollten wir Wahlbüros blockieren.“
Allerdings überlässt es Huisken sowohl beim Thema Wahlen als auch beim Thema Arbeit der jeweiligen Schläue des einzelnen Lesers, sich eine Variante herauszusuchen. Da aber nicht alle gleich schlau sind, macht Huisken dann nicht eben das, was er an Schulen und Hochschulen verurteilt- eine Spaltung in schlaue Eliten und einfaches „Volk
Bildung und Konkurrenz
Huisken sagt an verschiedener Stelle, Schule mache dumm, denn sie erziehe zur Konkurrenz und bereite damit nur die Aufnahme der jungen Menschen in den Arbeitsmarkt vor. Er spricht vom „schulischen Sortierungsauftrag“.
Warum, fragt Huisken, müssen wir uns ständig mit China und anderen Staaten vergleichen, wenn es um Leistung und Bildung geht?
Also: Warum denken wir in Gewinner- Verlierer- Kategorien? Wenn doch längst bekannt ist, dass es bei lauter um Gewinn kämpfenden Menschen nur sehr wenige Gewinner, aber unendlich viele Verlierer geben kann, wir damit also zu dauernder Massenfrustration verurteilt sind. Ja, warum? (Leben wir etwa im Kapitalismus?) Huisken überlässt die Denkarbeit über diese wichtigen Fragen anderen, unbenannten Denkern. Weil es nicht sein Ressort ist? Darf sich ein ehemaliger Professor für „Politische Ökonomie des Ausbildungssektors“ auch im Ruhestand nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, oder hatte er tatsächlich immer noch keine Zeit, Autoren zu studieren, die solche Fragen längst beantwortet haben? Welche Bedeutung hat für Huisken Marx- oder ist dessen Analyse kapitalistischer Zusammenhänge für die Politische Ökonomie des Ausbildungssektors zu vernachlässigen? Wie wäre es dann mit der Frankfurter Schule?
Aus „Notizen und Dämmerung“, Max Horkheimer, S. 164:
Mehr Mut, Herr Huisken!
Dabei gibt es genug theoretische und praktische Ansätze und Erfahrungen, die außerhalb des Konkurrenzdenkens stehen.
Ivan Illich wäre zu nennen, dessen Buch mit dem programmatischen Titel „Selbstbegrenzung“ Herrn Huisken nicht unbekannt sein dürfte. Auf Illich bezieht sich etwa die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer, sie ist Herrn Huisken bekannt. Sie empfiehlt in ihrem jüngsten* Buch „Wer arbeitet, sündigt“, der Leistungsgesellschaft so viel wie möglich an kreativem Potential zu entziehen. Sie sagt, dass es keine gute (Erwerbs-) Arbeit mehr gibt. Statt „Raus aus der Nische“ empfiehlt Gronemeyer das Gegenteil: „Rein in die Nische, raus aus dem Markt“. Verweigerung, um Kraft und Zeit zu gewinnen für die Selbstverwirklichung, für das Zurückgewinnen von Daseinsmacht.
Konsumbeschränkung, denn das meiste, was wir konsumieren und für das wir uns in den Betrieben verdingen, ist „Müll“. Wir konkurrieren um gutbezahlte Arbeitsplätze, um uns Müll zu kaufen.
Huisken kritisiert den Hirnforscher Gerald Hüther. Hirnforscher mit ihrer Erkenntnis der in der Schule getöteten Begeisterung für das Lernen hätten uns auch nichts zu sagen, was Soziologen und andere Wissenschaftler nicht schon längst ausgesprochen haben. Das mag richtig sein. Ebenso richtig ist es jedoch, dass Dichter und andere Künstler weit vor den Soziologen die negativen Vorgänge in einer Profitgesellschaft anprangerten. Wir wissen, was faul ist.
Dürfen wir von unseren größten Denkern- ich zähle Freerk Huisker zu ihnen- nicht mehr als Feststellungen der allgemeinen Tatbestände erwarten?
Denn was nützt es, wenn die Zuhörer und Leser von Gesellschaftskritik jeden Morgen wieder zur Arbeit gehen, wenn sie wieder jede Menge sinnlosen Kram kaufen, wenn sie sich wieder mehr als nötig an einem Massenmord beteiligen, der mit unserem Wohlstand auf Kosten armer Menschen in anderen Ländern gegeben ist?
Wo bleibt der Aufruf der durch ihre Prominenz mächtigen Denker zum Massenstreik?
Ach ja, der ist ja verboten. Ein, wenn auch nur versteckt formulierter, Aufruf zum Schulboykott ist ebenfalls verboten. Nicht verboten ist der Aufruf zum Nichtwählen. Richtig erkennt sowohl Huisker als auch der Gesetzgeber, dass weder Wahlen noch geringe Wahlbeteiligung etwas ändern. Ändern würde sich aber Einiges, wenn Kinder der Schule fernbleiben und sowohl Inhalt als auch Form des „Unterrichts“ selbst bestimmen würden.
Wenn sie die Freiheit hätten, in ihrem natürlichen Lebensbereich eigene Strategien des Lernens und Schaffens zu entwickeln- natürlich mit Hilfe der Erwachsenen, welche freilich dafür genügend Zeit und Kraft haben müssten. Dafür aber dürften sie nicht mehr einfach nur arbeiten gehen.
Schulstreik, Hochschulstreik, Arbeits- Massenstreik.
Wer wagt es, dazu aufzufordern?
Freerk Huisken war 35 Jahre lang Professor an der Bremer Universität. Heute hält er Vorträge und schreibt Beiträge, in denen er mit Kritik an der Gesellschaft nicht spart. Nachzulesen ist Einiges davon auf seiner Homepage.
http://www.fhuisken.de/
Wie kann uns Herr Huisken helfen? Einige Beispiele:
Wahlen in der Demokratie
In seinem Beitrag „Was man Heranwachsenden zum Thema 'Wahlen' sagen müsste, was ihnen aber viel zu selten gesagt wird.“ heißt es:
„Jede Wahlbeteiligung ist der Sache nach - da mag der Wähler denken was er will - zugleich die Zustimmung zur Marktwirtschaft, zum Nationalstaatsprinzip, zur Existenz einer Staatsgewalt mit Gewaltmonopol, zum Interesse an imperialem Zugriffe auf andere Staaten usw.* All das steht fest, weil nichts davon zur Wahl gestellt wird. All das ist beim Gang zur Urne geradezu als zustimmungspflichtig unterstellt.“
Unter dem Motto „Keine Kritik ohne konstruktive Reflexion“ finden sich sechs Punkte. Die beiden letzten seien hier genannt:
„Fünftens: Überhaupt besteht die Alternative zum Wählen nicht im Nichtwählen. Denn weder der Gang zur Wahlurne noch die Wahlenthaltung ändern etwas daran, dass sich im Alltag der meisten Bürger nichts verbessert.
Sechstens: "Volks-Herrschaft", dieser Widerspruch einer Herrschaft, die sich vom Volk wählen lässt, um sie über das Volk auszuüben, ist die "perfekte Form bürgerlicher Herrschaft". Wer die nicht will,* soll sich auch nicht auf die Suche nach einer "wahren Demokratie" machen.“
Nun bleiben wir ratlos. Wo ist denn jetzt die „konstruktive Reflexion“? Huisken dekonstruiert unsere Illusionen von Demokratie. Das macht er gründlich und leicht verständlich. Doch damit ist er nicht der erste.
Zwischen der Erkenntnis, dass Wahlbeteiligung eine Zustimmung zu allerlei Übeln bedeutet und dem Angriff auf „Volksherrschaft“ als perfekte bürgerliche Herrschaft lässt sich nichts Positives, uns Erhellendes erkennen. Kurt Tucholsky formulierte es kürzer: „Wahlen ändern nichts. Sonst wären sie verboten.“
Was tun? Wie soll ich mich bei, vor und nach Wahlen verhalten?
Wenn Nichtwählen keine Alternative zum Wählen ist, was ist dann die Alternative? Wenn man Heranwachsenden gesagt hat, dass Wahlen eine Mogelpackung sind, provoziert man bei ihnen die Frage: „Und jetzt, wie geht’s weiter?“
Arbeit und Lohn
Seinen Beitrag „Der 8,50 € - Mindestlohn – Dreisatz" beendet Huisken so:
„... bange machen gilt nicht. Denn eines bleibt immer: Hauptsache Arbeit! Wer diesen Standpunkt fest eingenommen hat, der muss nicht einmal mehr nachrechnen, was die Arbeit an Lohn bringt. Und dass man nur wegen des Lohns jeden Morgen zur Arbeit geht, ist ohnehin grober Unfug. Das würde sich ja gar nicht lohnen. Außerdem: Ohne Arbeit gäbe es noch weniger.“
Das stimmt auch nicht hoffnungsvoll. Oder war es ironisch gemeint, dieses „Hauptsache Arbeit“? Es bleiben nur zwei Deutungsmöglichkeiten.
Einerseits, dass wir ernsthaft weiter im Wirtschaftsgetriebe funktionieren sollen, trotz geringen Lohns und nicht erfüllender Arbeitsinhalte und miserabler Arbeitsbedingen.
Oder, und diesen augenzwinkernden Humor darf man bei dem listigen Huisken vermuten, er ruft zum Streik auf.
Das erinnert an unser erstes Beispiel. Die Alternative zu Wahlen ist nicht das Nichtwählen. Beides ändert ja nichts. Einfache Gemüter mögen nun sagen: „Aha- ich muss den Stimmzettel ungültig machen“. Gewitztere mögen folgern: „Nichtwählen ist keine Alternative, weil es noch keine Aktivität bedeutet. Vielleicht sollten wir Wahlbüros blockieren.“
Allerdings überlässt es Huisken sowohl beim Thema Wahlen als auch beim Thema Arbeit der jeweiligen Schläue des einzelnen Lesers, sich eine Variante herauszusuchen. Da aber nicht alle gleich schlau sind, macht Huisken dann nicht eben das, was er an Schulen und Hochschulen verurteilt- eine Spaltung in schlaue Eliten und einfaches „Volk
Bildung und Konkurrenz
Huisken sagt an verschiedener Stelle, Schule mache dumm, denn sie erziehe zur Konkurrenz und bereite damit nur die Aufnahme der jungen Menschen in den Arbeitsmarkt vor. Er spricht vom „schulischen Sortierungsauftrag“.
Warum, fragt Huisken, müssen wir uns ständig mit China und anderen Staaten vergleichen, wenn es um Leistung und Bildung geht?
Also: Warum denken wir in Gewinner- Verlierer- Kategorien? Wenn doch längst bekannt ist, dass es bei lauter um Gewinn kämpfenden Menschen nur sehr wenige Gewinner, aber unendlich viele Verlierer geben kann, wir damit also zu dauernder Massenfrustration verurteilt sind. Ja, warum? (Leben wir etwa im Kapitalismus?) Huisken überlässt die Denkarbeit über diese wichtigen Fragen anderen, unbenannten Denkern. Weil es nicht sein Ressort ist? Darf sich ein ehemaliger Professor für „Politische Ökonomie des Ausbildungssektors“ auch im Ruhestand nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, oder hatte er tatsächlich immer noch keine Zeit, Autoren zu studieren, die solche Fragen längst beantwortet haben? Welche Bedeutung hat für Huisken Marx- oder ist dessen Analyse kapitalistischer Zusammenhänge für die Politische Ökonomie des Ausbildungssektors zu vernachlässigen? Wie wäre es dann mit der Frankfurter Schule?
Aus „Notizen und Dämmerung“, Max Horkheimer, S. 164:
„In der Periode des Untergangs der Demokratie, das heißt der Gegenwart und der nächsten Zukunft, bedürfen die Staaten im steigenden Maße der Leute, die eisernen Gehorsam leisten und von einem guten Maß unsublimiertem Sadismus getrieben sind. In der klassisch-bürgerlichen viktorianischen Periode betätigte Sadismus sich, verwandelt, im Konkurrenzkampf, der Gehorsam in der Anpassung an den Markt.“
Ist das zu deutlich?
Mehr Mut, Herr Huisken!
Dabei gibt es genug theoretische und praktische Ansätze und Erfahrungen, die außerhalb des Konkurrenzdenkens stehen.
Ivan Illich wäre zu nennen, dessen Buch mit dem programmatischen Titel „Selbstbegrenzung“ Herrn Huisken nicht unbekannt sein dürfte. Auf Illich bezieht sich etwa die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer, sie ist Herrn Huisken bekannt. Sie empfiehlt in ihrem jüngsten* Buch „Wer arbeitet, sündigt“, der Leistungsgesellschaft so viel wie möglich an kreativem Potential zu entziehen. Sie sagt, dass es keine gute (Erwerbs-) Arbeit mehr gibt. Statt „Raus aus der Nische“ empfiehlt Gronemeyer das Gegenteil: „Rein in die Nische, raus aus dem Markt“. Verweigerung, um Kraft und Zeit zu gewinnen für die Selbstverwirklichung, für das Zurückgewinnen von Daseinsmacht.
Konsumbeschränkung, denn das meiste, was wir konsumieren und für das wir uns in den Betrieben verdingen, ist „Müll“. Wir konkurrieren um gutbezahlte Arbeitsplätze, um uns Müll zu kaufen.
Huisken kritisiert den Hirnforscher Gerald Hüther. Hirnforscher mit ihrer Erkenntnis der in der Schule getöteten Begeisterung für das Lernen hätten uns auch nichts zu sagen, was Soziologen und andere Wissenschaftler nicht schon längst ausgesprochen haben. Das mag richtig sein. Ebenso richtig ist es jedoch, dass Dichter und andere Künstler weit vor den Soziologen die negativen Vorgänge in einer Profitgesellschaft anprangerten. Wir wissen, was faul ist.
Dürfen wir von unseren größten Denkern- ich zähle Freerk Huisker zu ihnen- nicht mehr als Feststellungen der allgemeinen Tatbestände erwarten?
Denn was nützt es, wenn die Zuhörer und Leser von Gesellschaftskritik jeden Morgen wieder zur Arbeit gehen, wenn sie wieder jede Menge sinnlosen Kram kaufen, wenn sie sich wieder mehr als nötig an einem Massenmord beteiligen, der mit unserem Wohlstand auf Kosten armer Menschen in anderen Ländern gegeben ist?
Wo bleibt der Aufruf der durch ihre Prominenz mächtigen Denker zum Massenstreik?
Ach ja, der ist ja verboten. Ein, wenn auch nur versteckt formulierter, Aufruf zum Schulboykott ist ebenfalls verboten. Nicht verboten ist der Aufruf zum Nichtwählen. Richtig erkennt sowohl Huisker als auch der Gesetzgeber, dass weder Wahlen noch geringe Wahlbeteiligung etwas ändern. Ändern würde sich aber Einiges, wenn Kinder der Schule fernbleiben und sowohl Inhalt als auch Form des „Unterrichts“ selbst bestimmen würden.
Wenn sie die Freiheit hätten, in ihrem natürlichen Lebensbereich eigene Strategien des Lernens und Schaffens zu entwickeln- natürlich mit Hilfe der Erwachsenen, welche freilich dafür genügend Zeit und Kraft haben müssten. Dafür aber dürften sie nicht mehr einfach nur arbeiten gehen.
Schulstreik, Hochschulstreik, Arbeits- Massenstreik.
Wer wagt es, dazu aufzufordern?