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Der Krieg aus der Sicht einiger Zeitzeugen

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Bevor er starb, bat Bert F. um ein Glas Cognac, um eine Zigarre und um ein Gespräch mit seiner Lieblingsschwester. Das war ich, da ich mich mit dem einsamen, alten Mann, er hatte keine Angehörigen, am häufigsten unterhalten hatte. Bert F. hatte mir schon zuvor oft erzählt, dass er einige Jahre in den Staaten gelebt hat. Seine vollständige Geschichte, hörte ich aber erst kurz bevor er starb.

Kriegsende
"Die Nachricht vom Frieden erreichte uns in einem billigen Hotelzimmer in New York. Es war ein regnerischer Tag. Keiner von uns hatte nach diesem jahrelangen, blutrünstigen Krieg, nach den vielen Hetzkampanien, Verhaftungen und Toten, nach den Überschwemmungen von Flüchtlingen auf der via Dolorosa und nach Übersee, noch an diesen Frieden geglaubt. Es stand in allen Zeitungen und ertönte im Radio. Ozeanweit von uns entfernt, überrollten Allierte Truppen, die einstige braune Übermacht, tausende Km von uns rettete man die Übriggebliebenen der Toten, verhaftete die Ausläufer der Diktatur... Der Selbstmord der Anführer und die Kapitulation verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Besonders unter den Heimatlosen in diesem Land, von denen es sehr viele gab. Nicht alle Verstossenen verkrafteten es und es gab mehr Selbstmorde als zuvor. Ich trank mit meinem besten Freund und ehemaligen Kriegskameraden, Willi Krüger, aus einer Flasche Whisky. Dazu rauchten wir billige Zigaretten.
Auf der Straße vor unserem Hotel hatten sich Menschen versammelt: Wir hörten Jubelrufe, Tanzen und Klatschen. Heimatlose bildeten ein Orchester und wir hörten deutsche Lieder singen... Heute war ein besonderer Tag: Der 8. Mai 1945.
Willi und ich waren nicht wie die Anderen auf die Straße gegangen: Wir betranken uns um Zeit zu gewinnen. Krüger blickte mich durchdringend an und ich konnte die Skepsis in seinem Blick lesen, bevor er fragte: "Foss was meinst du, sind wir jetzt gerettet?" Ich zuckte die Schultern, betrachtete Krügers Gesicht, mit der feurigen, großen Narbe, die seine Stirn bis zum Kinn, fast senkrecht durchzog und jetzt dunkelrot leuchtete und sagte:" Ich glaube, jetzt fängt es erst an. Wir müssen begreifen, dass die Vergangenheit tot ist, aber für uns keine Zukunft existiert." Krüger nickte gedankenversunken und meinte: "Jetzt wo das lange Warten und die Ungewissheit vorbei sind, können wir erkennen, dass wir nichts erreicht haben, ausser, dass wir leben. Aber gerade weil wir leben, können wir nicht vergessen. Er lachte: "Wir werden alt, Foss, unsere Jugend haben wir nicht gelebt, und als wir leben wollten, war es bereits zu spät." Als er so sprach, sah ich ein Bild vor mir, es lag weit zurück und zeigte uns in Flandern. Wir waren beide 17 und hatten uns freiwillig, wie so Viele aus unserer Klasse, an die Front gemeldet. Es war der 14. März 1915, ein sonniger Tag in Ypern.
Schon länger schwieg die Front. Es war so ruhig, dass man die Vögel über den Schlachtfeldern zwitschen hörte und ein nahegelegener Bach leise und vertraut, so als wäre nie Krieg gewesen, plätscherte. Wir waren erst gestern hier angekommen und hatten noch wenig erlebt. Unser Leutnant döste in einer Ecke und fast alle Kameraden spielten Karten. Wir kannten keine Vorsicht, die uns jede unserer Bewegungen einstudieren ließ, damit wir überlebten. Wir hatten nur eine kurze Ausbildung gehabt, die uns lehrte, wie wir gehorchsam antreten und marschieren, oder wie wir mit Panzerfäusten, MGs, Gewehren, Handgranaten, und anderem Kriegsmaterial umzugehen hätten. Die Unbeschwertheit unserer Jugend, störte den Mechanismus von Vorsicht und Achtsamkeit...
In unsere Ruhe fiel ein Überraschungsangriff der Franzosen. Wir flüchteten so schnell wir konnten hinter die Absperrungen der feindlichen Linien. Wir waren junge, ungeübte Rekruten und schossen auf alles was sich hinter diesen Linien bewegte. Alsbald stürmten die Franzosen die Absperrung und sprangen über den noch trennenden Graben. Ich zerrte Krüger, der neben mir stand, in einen Trichter. Als wir mit dem Gesicht auf der Erde lagen, hörte ich die Schreie meiner sterbenden Kameraden und ich wußte, ich konnte nichts für sie tun.
Es war mittlerweile so laut geworden, dass mein Trommelfell fast platzte und überall sah man Feuerblitze und Rauch. Auf einmal stand Krüger auf und tastete sich aus dem Trichter. Ich sah seinen Helm im Rauch verschwinden und genau in diesem Moment erfasste ihn ein Granatsplitter. Leblos und blutend fiel Krüger in den Trichter zurück. Ich stürzte mich auf ihn und versuchte ihn zu halten. Als ich ihm den Helm abnahm, überzog eine hässliche Wunde Krügers Kopf... Er überlebte, lag lange Zeit im Lazarett.
Daher hat Willi seine auffällige, Feuerrote Narbe. Auch ich überlebte, mehr durch Glück, als durch Verstand, diesen sinnlosen Krieg. In meiner Heimatstadt Köln, wurde ich im Heimaturlaub von den Alten und Unwissenden als Held gefeiert. Sie verstanden es nicht, wenn ich ihnen sagte, dass der Krieg ein sinnloses Abschlachten ist. Ich war froh, als ich wieder in den Zug steigen konnte, denn nur mit meinen Kameraden verband mich das Band der Gleichheit.
Als der Krieg zu Ende war, wurde ich Lehrer in einer Dorfschule, später kam die Inflation und wir hatten oft nicht genug zum Essen. Dann kamen die braunen Schläger und ich mochte diese lauten und gröhlenden Menschen nicht. Mit den Jahren wurde ich zum Sozialdemokraten und als mich die Gestapo deshalb verfolgte, wußte ich, dass ich flüchten mußte. Ich floh allein. Mein Weg ging nach Portugal über die Via Dolorosa. Von Portugal aus ging es in das "Gelobte Land" In New York wurde ich Totengräber und Leichenwäscher. Es brachte Geld ein und die amerikanische Bevölkerung mied mich. Besonders die Frauen rannten von mir davon."
Der alte Mann lachte: " Sie wussten nicht, wie es ist, wenn man 3 Jahre lang im Schuetzengraben liegt und oft nur überlebte, weil Tote einen schützten. Ich habe mich oft unter den Toten verkrochen, denn das bedeutete, überleben.
Als ich mit Krüger, 1945 in die Heimat zurückkehrte, war alles nicht mehr wie zuvor. Wir stellten fest, dass wir nicht gerettet worden waren. Unser Leben hatte sich durch die unangemessene Vergangenheit zu einem Albtraum entwickelt, in dem es immer Krieg gab. Dies in unseren Träumen und hoffnungslosen Gedanken." Bert F. trank sein Glas aus. Seine Augen glitzerten unruhig. Er sagte, dass er nie geheiratet hat und es nur wenig Freunde in seinem Leben gab.
Ich sah den 94 jährigen traurig an und wünschte ihm, dass er seine Ruhe finden möge.
Er starb nur kurze Zeit nach seiner Erzaehlung.

Als Polizeibeamter im 3. Reich
Herr Z. erzaehlte:
"Ich komme aus einer Bäckersfamilie. Der erste Weltkrieg und die Inflation haben uns arm gemacht.
Mein Vater war Kriegsinvalide und konnte nur mehr beschränkt Brot backen.
Darum übernahmen mein älterer Bruder Ernst und ich sehr früh die Backstube.
In den Zwanzigern gab es viele Unruhen. Wir lebten in München, Herrn H.´s Wahlheimat.
Schon früh schlossen sich mein Bruder und ich der NSDAP an, wir hofften, dass es uns dann besser gehen möge.
Nachdem H. 1933 Reichskanzler wurde, ging es auch bei uns langsam bergauf.
Mein jüngerer Bruder Jörg durfte die Napola besuchen und hatte die Möglichkeit, ein erfolgreicher, deutscher Ringkämpfer zu werden. Tatsächlich nahm er 1936 bei der Olympiade teil und wurde 6. Mein älterer Bruder Ernst und ich, traten vor dem Krieg in den Polizeidienst ein. Wir träumten schon als Kinder davon. So wurde ich Mitglied der Ordnungs- und Sicherheitspolizei, die Heinrich Himmler 1936, übernommen hatte, und war zuerst Heydrich, dann ab 1942, Kaltenbrunner, unterstellt. Wir Sicherheitspolizisten wurden zum Eintritt in die SS, nach drei Jahren Dienst aufgefordert. Wer nicht eintrat, wurde ab 1938 von amtlichen Stellen verhört und zum Eintritt gezwungen. Vor der Aufnahme wurde die zeitgenössische Anschauung besonders geprüft und bei Widersprüchlichkeiten mit den nationalsozialistischen Werten streng gedrillt. So wurden wir alle gezwungener Maßen oder weil uns die damalige Diktatur keine andere Wahl liess, Befürworter einer verwerflichen, politischen Einstellung. Dies weil nur die nationalsozialistische Gesinnung und die Aufforderung diese staatskonform zu vertreten, unser eigenes und das Überleben unserer Familien sicherte. Wer nicht zum Staatsfeind werden wollte, der kümmerte sich um die Feinde des dritten Reiches.
Wer floh, der kam gerne wieder zurück um seiner Familie die angedrohte Sippenhaft zu ersparen.
Als der Krieg ausbrach, wurde unsere Funktion strenger und unüberschaubarer. Wir wurden von unseren Vorgesetzten zu der praktischen Ausführung der damaligen menschenfeindlichen Ideologie gezungen.
Motto: Wer nicht überzeugt an der Neubildung mitmachte, der wurde an seiner politschen Gesinnung angezweifelt und drohte selbst zum Opfer zu werden.
Also wies man sich durch Unmenschlichkeit aus. Dafür gab es dann Orden und Beförderungen...
Ich möchte nicht näher darauf eingehen... Es ist über 55 Jahre her..."
Er schwieg und verlangte seine Herztabletten.
"Als der Krieg zu Ende war, wurde die Sicherheitspolizei von den Alierten Streitmächten verhört.
Viele von uns wurden schweren Vorwürfen ausgesetzt und verhaftet.
Meine Geschichte endete mit 3 Jahren Haft in einem von den Amerikanern bewachten Gefängnis.
In der Haft wurde ich krank. 1950 trat ich wieder in den Polizeidienst. Seit 1981 lebe ich in Rente. 1982 starb meine Frau an Krebs.
Ich habe nur noch einen Sohn. Er ist ebenso Polizist. Die Geheime Staatspolizei hatte im Laufe der Amtszeit Hitlers ein ausgekluegeltes System entwickelt um ueberall und jederzeit Staatsfeinde aufzuspueren. Gestapo-Maennern wurde es beigebracht, strenge und gewalttaetige Verhoere zu fuehren. Wir bekamen sogar Auszeichnungen fuer das erfolgreiche Aufspueren von Volks Feinden und Verraetern. So bestand der gesamte Staatsapparat aus Spitzeln in der Bevoelkerung, die eifrig Volksfeinde auslieferten.
Als Feinde des 3. Reiches galten:
Juden, Zigeuner, Kommunisten, Sozial-Demokraten, Bolschewisten, Verraeter, Desserteure, u.a. politische Feinde.
Immer wieder wurden gegnerische Buerger zur "Sonderbehandlung" in eines der vielen Kz s eingewiesen.
Wer als Deutscher, die Verhoere der Gestapo ueberlebte und eine fuer das 3. Reich, passende Gesinnung uebernommen hatte, wurde wieder freigelassen. Stillschweigen wurde von allen Freigaengern gefordert. Daran hielten sich Alle, wollten sie auf keinen Fall wieder in ein Kz zurueckkehren. Die Angst vor dem Erlebten ueberwiegte.
Wer des Verrates bezichtigt wurde, Volksfeinde schuetzte oder staatszersetzende Bemerkungen machte, wurde auf der Stelle erschossen.
Es gab auch Menschen, die die Verhoere der Gestao gar nicht erst ueberlebten.
Meist ging es nicht zimperlich ab:
Einem Beschuldigten wurden oft saemtliche Knochen gebrochen und wenn er dann immer noch nicht gestand, schlug man ihn bis zur Ohnmacht. Mehr als ein paar Tage ueberlebte kein Mensch ein solches Verhoer.
Wir mussten 1944 nach Polen reisen.
Dort gab es Aufstaendische und polnische Haeftlinge, die Kriegswichtige Arbeit verweigerten.
Diese Menschen wurden zusammengetrieben und mussten Graeber ausheben.
Dann das Exekutionskommando...
Oft wurden die Kinder von manch bedauernswerten Opfer gleich mit erschossen, falls welche anwesend waren.Dies trieb mir damals, obwohl ich sehr hartgesotten war und vieles gesehen hatte, die Traenen in die Augen.
Ich weiss noch, wie ich selbst einmal zielen musste. Es war vor meinem Rang zum Unterscharfuehrer: Ich wollte an dem Mann vorbei schiessen, aber mein Vorgesetzter ergriff mein Gewehr und versetzte ihm mit meiner Waffe einen Kopfschuss. Ich hatte das Gewehr losgelassen und mochte es danach nicht mehr in die Hand nehmen. Natuerlich bestand gar keine Moeglichkeit die Waffe auszutauschen.
Im Krieg wird man abgestumpft und hart. Untersturmbannfuehrer Brunner pflegte zu sagen:
"Erst der Krieg macht einen Soldaten zum Mann."
Ich sah das anders, denn ich hatte nichts uebrig fuer Gewalt und Erschiessungen.
Dennoch folgte man den Befehlen der Vorgesetzten. Es gab keine andere Wahl, wollte man nicht selbst verfolgt werden.
So betrachte ich im Nachhinein meine Funktion bei der Sicherheitspolizei als Selbstschutz gegen das Regime.
Meiner Familie und mir konnte so nichts geschehen.
Ich schaffte es mit meinem Dienstrang, meinen juengeren Bruder, der allmaehlich kriegstauglich wurde, nach Norwegen zu schicken.
Ohne meinen Einfluss waere er mit 17 Jahren an der Wolga gelandet, und da haette er den Krieg vermutlich nicht ueberlebt.
In Norwegen wurde mein Bruder Funker. Er war selten dem Artilleriefeuer ausgesetzt.
Auch meine 2 Cousins konnte ich vor Russland retten.
Sie kamen nach Frankreich.
Unter Kaltenbrunners Befehl wurde meine Truppe 1943 nach Linz versetzt. Dort galt es Volksfeinde aufzuspueren. Wir hatten Schaeferhunde und setzten Juden als Greifer ein.
Es war eine aufwaendige Arbeit weil es viele ausgekluegelte Verstecke gab.
Ich weiss nicht mehr, wieviele Haeuser und Wohnungen wir stuermten.
Immer erwischten wir verschreckte Menschen, die sich dann widerstandslos abfuehren liessen. Oft genug verrieten sie die Leute, die sie versteckten.
Sie wurden meist an Ort und Stelle erschossen.
Heute bin ich ein alter und gebrechlicher Mannn, schloss der alte Mann, seine Geschichte.
Befehl ist Befehl" , sagte Hans Z."

"In dem Krieg waren sie alle hier verwickelt", sagte meine Kollegin am naechsten Tag beim Mittagessen, als ich ihr das Schlimme erzaehlte.
Es war der 22. Juni 2000.
Hans Z starb etwa ein Jahr spaeter.
Sein einziger Sohn und seine drei Enkel standen am Grab.
Wir Mitarbeiter hielten uns abseits.
Ich fragte mich, ob der Sohn die Geschichte seines Vaters kannte und falls ja, wie er ueber sie dachte.
Leider konnte ich ihn diesbezueglich nicht fragen.
 
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Geht es hier um einen Roman oder um die Geschichte diverser Kriege

MfG Geraldo
 

Pommes

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Bevor er starb, bat Bert F. um ein Glas Cognac, um eine Zigarre und um ein Gespräch mit seiner Lieblingsschwester. Das war ich, da ich mich mit dem einsamen, alten Mann, er hatte keine Angehörigen, am häufigsten unterhalten hatte. Bert F. hatte mir schon zuvor oft erzählt, dass er einige Jahre in den Staaten gelebt hat. Seine vollständige Geschichte, hörte ich aber erst kurz bevor er starb.

Kriegsende
"Die Nachricht vom Frieden erreichte uns in einem billigen Hotelzimmer in New York. Es war ein regnerischer Tag. Keiner von uns hatte nach diesem jahrelangen, blutrünstigen Krieg, nach den vielen Hetzkampanien, Verhaftungen und Toten, nach den Überschwemmungen von Flüchtlingen auf der via Dolorosa und nach Übersee, noch an diesen Frieden geglaubt. Es stand in allen Zeitungen und ertönte im Radio. Ozeanweit von uns entfernt, überrollten Allierte Truppen, die einstige braune Übermacht, tausende Km von uns rettete man die Übriggebliebenen der Toten, verhaftete die Ausläufer der Diktatur... Der Selbstmord der Anführer und die Kapitulation verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Besonders unter den Heimatlosen in diesem Land, von denen es sehr viele gab. Nicht alle Verstossenen verkrafteten es und es gab mehr Selbstmorde als zuvor. Ich trank mit meinem besten Freund und ehemaligen Kriegskameraden, Willi Krüger, aus einer Flasche Whisky. Dazu rauchten wir billige Zigaretten.
Auf der Straße vor unserem Hotel hatten sich Menschen versammelt: Wir hörten Jubelrufe, Tanzen und Klatschen. Heimatlose bildeten ein Orchester und wir hörten deutsche Lieder singen... Heute war ein besonderer Tag: Der 8. Mai 1945.
Willi und ich waren nicht wie die Anderen auf die Straße gegangen: Wir betranken uns um Zeit zu gewinnen. Krüger blickte mich durchdringend an und ich konnte die Skepsis in seinem Blick lesen, bevor er fragte: "Foss was meinst du, sind wir jetzt gerettet?" Ich zuckte die Schultern, betrachtete Krügers Gesicht, mit der feurigen, großen Narbe, die seine Stirn bis zum Kinn, fast senkrecht durchzog und jetzt dunkelrot leuchtete und sagte:" Ich glaube, jetzt fängt es erst an. Wir müssen begreifen, dass die Vergangenheit tot ist, aber für uns keine Zukunft existiert." Krüger nickte gedankenversunken und meinte: "Jetzt wo das lange Warten und die Ungewissheit vorbei sind, können wir erkennen, dass wir nichts erreicht haben, ausser, dass wir leben. Aber gerade weil wir leben, können wir nicht vergessen. Er lachte: "Wir werden alt, Foss, unsere Jugend haben wir nicht gelebt, und als wir leben wollten, war es bereits zu spät." Als er so sprach, sah ich ein Bild vor mir, es lag weit zurück und zeigte uns in Flandern. Wir waren beide 17 und hatten uns freiwillig, wie so Viele aus unserer Klasse, an die Front gemeldet. Es war der 14. März 1915, ein sonniger Tag in Ypern.
Schon länger schwieg die Front. Es war so ruhig, dass man die Vögel über den Schlachtfeldern zwitschen hörte und ein nahegelegener Bach leise und vertraut, so als wäre nie Krieg gewesen, plätscherte. Wir waren erst gestern hier angekommen und hatten noch wenig erlebt. Unser Leutnant döste in einer Ecke und fast alle Kameraden spielten Karten. Wir kannten keine Vorsicht, die uns jede unserer Bewegungen einstudieren ließ, damit wir überlebten. Wir hatten nur eine kurze Ausbildung gehabt, die uns lehrte, wie wir gehorchsam antreten und marschieren, oder wie wir mit Panzerfäusten, MGs, Gewehren, Handgranaten, und anderem Kriegsmaterial umzugehen hätten. Die Unbeschwertheit unserer Jugend, störte den Mechanismus von Vorsicht und Achtsamkeit...
In unsere Ruhe fiel ein Überraschungsangriff der Franzosen. Wir flüchteten so schnell wir konnten hinter die Absperrungen der feindlichen Linien. Wir waren junge, ungeübte Rekruten und schossen auf alles was sich hinter diesen Linien bewegte. Alsbald stürmten die Franzosen die Absperrung und sprangen über den noch trennenden Graben. Ich zerrte Krüger, der neben mir stand, in einen Trichter. Als wir mit dem Gesicht auf der Erde lagen, hörte ich die Schreie meiner sterbenden Kameraden und ich wußte, ich konnte nichts für sie tun.
Es war mittlerweile so laut geworden, dass mein Trommelfell fast platzte und überall sah man Feuerblitze und Rauch. Auf einmal stand Krüger auf und tastete sich aus dem Trichter. Ich sah seinen Helm im Rauch verschwinden und genau in diesem Moment erfasste ihn ein Granatsplitter. Leblos und blutend fiel Krüger in den Trichter zurück. Ich stürzte mich auf ihn und versuchte ihn zu halten. Als ich ihm den Helm abnahm, überzog eine hässliche Wunde Krügers Kopf... Er überlebte, lag lange Zeit im Lazarett.
Daher hat Willi seine auffällige, Feuerrote Narbe. Auch ich überlebte, mehr durch Glück, als durch Verstand, diesen sinnlosen Krieg. In meiner Heimatstadt Köln, wurde ich im Heimaturlaub von den Alten und Unwissenden als Held gefeiert. Sie verstanden es nicht, wenn ich ihnen sagte, dass der Krieg ein sinnloses Abschlachten ist. Ich war froh, als ich wieder in den Zug steigen konnte, denn nur mit meinen Kameraden verband mich das Band der Gleichheit.
Als der Krieg zu Ende war, wurde ich Lehrer in einer Dorfschule, später kam die Inflation und wir hatten oft nicht genug zum Essen. Dann kamen die braunen Schläger und ich mochte diese lauten und gröhlenden Menschen nicht. Mit den Jahren wurde ich zum Sozialdemokraten und als mich die Gestapo deshalb verfolgte, wußte ich, dass ich flüchten mußte. Ich floh allein. Mein Weg ging nach Portugal über die Via Dolorosa. Von Portugal aus ging es in das "Gelobte Land" In New York wurde ich Totengräber und Leichenwäscher. Es brachte Geld ein und die amerikanische Bevölkerung mied mich. Besonders die Frauen rannten von mir davon."
Der alte Mann lachte: " Sie wussten nicht, wie es ist, wenn man 3 Jahre lang im Schuetzengraben liegt und oft nur überlebte, weil Tote einen schützten. Ich habe mich oft unter den Toten verkrochen, denn das bedeutete, überleben.
Als ich mit Krüger, 1945 in die Heimat zurückkehrte, war alles nicht mehr wie zuvor. Wir stellten fest, dass wir nicht gerettet worden waren. Unser Leben hatte sich durch die unangemessene Vergangenheit zu einem Albtraum entwickelt, in dem es immer Krieg gab. Dies in unseren Träumen und hoffnungslosen Gedanken." Bert F. trank sein Glas aus. Seine Augen glitzerten unruhig. Er sagte, dass er nie geheiratet hat und es nur wenig Freunde in seinem Leben gab.
Ich sah den 94 jährigen traurig an und wünschte ihm, dass er seine Ruhe finden möge.
Er starb nur kurze Zeit nach seiner Erzaehlung.

Als Polizeibeamter im 3. Reich
Herr Z. erzaehlte:
"Ich komme aus einer Bäckersfamilie. Der erste Weltkrieg und die Inflation haben uns arm gemacht.
Mein Vater war Kriegsinvalide und konnte nur mehr beschränkt Brot backen.
Darum übernahmen mein älterer Bruder Ernst und ich sehr früh die Backstube.
In den Zwanzigern gab es viele Unruhen. Wir lebten in München, Herrn H.´s Wahlheimat.
Schon früh schlossen sich mein Bruder und ich der NSDAP an, wir hofften, dass es uns dann besser gehen möge.
Nachdem H. 1933 Reichskanzler wurde, ging es auch bei uns langsam bergauf.
Mein jüngerer Bruder Jörg durfte die Napola besuchen und hatte die Möglichkeit, ein erfolgreicher, deutscher Ringkämpfer zu werden. Tatsächlich nahm er 1936 bei der Olympiade teil und wurde 6. Mein älterer Bruder Ernst und ich, traten vor dem Krieg in den Polizeidienst ein. Wir träumten schon als Kinder davon. So wurde ich Mitglied der Ordnungs- und Sicherheitspolizei, die Heinrich Himmler 1936, übernommen hatte, und war zuerst Heydrich, dann ab 1942, Kaltenbrunner, unterstellt. Wir Sicherheitspolizisten wurden zum Eintritt in die SS, nach drei Jahren Dienst aufgefordert. Wer nicht eintrat, wurde ab 1938 von amtlichen Stellen verhört und zum Eintritt gezwungen. Vor der Aufnahme wurde die zeitgenössische Anschauung besonders geprüft und bei Widersprüchlichkeiten mit den nationalsozialistischen Werten streng gedrillt. So wurden wir alle gezwungener Maßen oder weil uns die damalige Diktatur keine andere Wahl liess, Befürworter einer verwerflichen, politischen Einstellung. Dies weil nur die nationalsozialistische Gesinnung und die Aufforderung diese staatskonform zu vertreten, unser eigenes und das Überleben unserer Familien sicherte. Wer nicht zum Staatsfeind werden wollte, der kümmerte sich um die Feinde des dritten Reiches.
Wer floh, der kam gerne wieder zurück um seiner Familie die angedrohte Sippenhaft zu ersparen.
Als der Krieg ausbrach, wurde unsere Funktion strenger und unüberschaubarer. Wir wurden von unseren Vorgesetzten zu der praktischen Ausführung der damaligen menschenfeindlichen Ideologie gezungen.
Motto: Wer nicht überzeugt an der Neubildung mitmachte, der wurde an seiner politschen Gesinnung angezweifelt und drohte selbst zum Opfer zu werden.
Also wies man sich durch Unmenschlichkeit aus. Dafür gab es dann Orden und Beförderungen...
Ich möchte nicht näher darauf eingehen... Es ist über 55 Jahre her..."
Er schwieg und verlangte seine Herztabletten.
"Als der Krieg zu Ende war, wurde die Sicherheitspolizei von den Alierten Streitmächten verhört.
Viele von uns wurden schweren Vorwürfen ausgesetzt und verhaftet.
Meine Geschichte endete mit 3 Jahren Haft in einem von den Amerikanern bewachten Gefängnis.
In der Haft wurde ich krank. 1950 trat ich wieder in den Polizeidienst. Seit 1981 lebe ich in Rente. 1982 starb meine Frau an Krebs.
Ich habe nur noch einen Sohn. Er ist ebenso Polizist. Die Geheime Staatspolizei hatte im Laufe der Amtszeit Hitlers ein ausgekluegeltes System entwickelt um ueberall und jederzeit Staatsfeinde aufzuspueren. Gestapo-Maennern wurde es beigebracht, strenge und gewalttaetige Verhoere zu fuehren. Wir bekamen sogar Auszeichnungen fuer das erfolgreiche Aufspueren von Volks Feinden und Verraetern. So bestand der gesamte Staatsapparat aus Spitzeln in der Bevoelkerung, die eifrig Volksfeinde auslieferten.
Als Feinde des 3. Reiches galten:
Juden, Zigeuner, Kommunisten, Sozial-Demokraten, Bolschewisten, Verraeter, Desserteure, u.a. politische Feinde.
Immer wieder wurden gegnerische Buerger zur "Sonderbehandlung" in eines der vielen Kz s eingewiesen.
Wer als Deutscher, die Verhoere der Gestapo ueberlebte und eine fuer das 3. Reich, passende Gesinnung uebernommen hatte, wurde wieder freigelassen. Stillschweigen wurde von allen Freigaengern gefordert. Daran hielten sich Alle, wollten sie auf keinen Fall wieder in ein Kz zurueckkehren. Die Angst vor dem Erlebten ueberwiegte.
Wer des Verrates bezichtigt wurde, Volksfeinde schuetzte oder staatszersetzende Bemerkungen machte, wurde auf der Stelle erschossen.
Es gab auch Menschen, die die Verhoere der Gestao gar nicht erst ueberlebten.
Meist ging es nicht zimperlich ab:
Einem Beschuldigten wurden oft saemtliche Knochen gebrochen und wenn er dann immer noch nicht gestand, schlug man ihn bis zur Ohnmacht. Mehr als ein paar Tage ueberlebte kein Mensch ein solches Verhoer.
Wir mussten 1944 nach Polen reisen.
Dort gab es Aufstaendische und polnische Haeftlinge, die Kriegswichtige Arbeit verweigerten.
Diese Menschen wurden zusammengetrieben und mussten Graeber ausheben.
Dann das Exekutionskommando...
Oft wurden die Kinder von manch bedauernswerten Opfer gleich mit erschossen, falls welche anwesend waren.Dies trieb mir damals, obwohl ich sehr hartgesotten war und vieles gesehen hatte, die Traenen in die Augen.
Ich weiss noch, wie ich selbst einmal zielen musste. Es war vor meinem Rang zum Unterscharfuehrer: Ich wollte an dem Mann vorbei schiessen, aber mein Vorgesetzter ergriff mein Gewehr und versetzte ihm mit meiner Waffe einen Kopfschuss. Ich hatte das Gewehr losgelassen und mochte es danach nicht mehr in die Hand nehmen. Natuerlich bestand gar keine Moeglichkeit die Waffe auszutauschen.
Im Krieg wird man abgestumpft und hart. Untersturmbannfuehrer Brunner pflegte zu sagen:
"Erst der Krieg macht einen Soldaten zum Mann."
Ich sah das anders, denn ich hatte nichts uebrig fuer Gewalt und Erschiessungen.
Dennoch folgte man den Befehlen der Vorgesetzten. Es gab keine andere Wahl, wollte man nicht selbst verfolgt werden.
So betrachte ich im Nachhinein meine Funktion bei der Sicherheitspolizei als Selbstschutz gegen das Regime.
Meiner Familie und mir konnte so nichts geschehen.
Ich schaffte es mit meinem Dienstrang, meinen juengeren Bruder, der allmaehlich kriegstauglich wurde, nach Norwegen zu schicken.
Ohne meinen Einfluss waere er mit 17 Jahren an der Wolga gelandet, und da haette er den Krieg vermutlich nicht ueberlebt.
In Norwegen wurde mein Bruder Funker. Er war selten dem Artilleriefeuer ausgesetzt.
Auch meine 2 Cousins konnte ich vor Russland retten.
Sie kamen nach Frankreich.
Unter Kaltenbrunners Befehl wurde meine Truppe 1943 nach Linz versetzt. Dort galt es Volksfeinde aufzuspueren. Wir hatten Schaeferhunde und setzten Juden als Greifer ein.
Es war eine aufwaendige Arbeit weil es viele ausgekluegelte Verstecke gab.
Ich weiss nicht mehr, wieviele Haeuser und Wohnungen wir stuermten.
Immer erwischten wir verschreckte Menschen, die sich dann widerstandslos abfuehren liessen. Oft genug verrieten sie die Leute, die sie versteckten.
Sie wurden meist an Ort und Stelle erschossen.
Heute bin ich ein alter und gebrechlicher Mannn, schloss der alte Mann, seine Geschichte.
Befehl ist Befehl" , sagte Hans Z."

"In dem Krieg waren sie alle hier verwickelt", sagte meine Kollegin am naechsten Tag beim Mittagessen, als ich ihr das Schlimme erzaehlte.
Es war der 22. Juni 2000.
Hans Z starb etwa ein Jahr spaeter.
Sein einziger Sohn und seine drei Enkel standen am Grab.
Wir Mitarbeiter hielten uns abseits.
Ich fragte mich, ob der Sohn die Geschichte seines Vaters kannte und falls ja, wie er ueber sie dachte.
Leider konnte ich ihn diesbezueglich nicht fragen.

Was soll denn jetzt genau diskutiert werden?
 

Bratmarx

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Mein jüngerer Bruder Jörg durfte die Napola besuchen und hatte die Möglichkeit, ein erfolgreicher, deutscher Ringkämpfer zu werden. Tatsächlich nahm er 1936 bei der Olympiade teil und wurde 6. Mein älterer Bruder Ernst und ich, traten vor dem Krieg in den Polizeidienst ein.

Der einzige deutsche Ringer, der bei den OS 1936 einen 6. Platz belegte war Josef Paar:

https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Paar
 

Pommes

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Wie manche Zeitzeugen den Krieg erlebten. Das waere ein angebrachtes Diskussionsthema.

Das Thema müßte man schon präzisieren, denn da gibt es sicher viele unterschiedliche Erlebnisse.
 

Psw - Redaktion/dh

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Die Redaktion vermag weder im Thema noch im Startbeitrag einen strukturierten Diskussionsansatz zu erkennen, der über reine Kommentare hinausgehen kann.

Daneben erweckt der Startbeitrag den Eindruck, aus einer nicht genannten Quelle zu stammen. Wir verweisen daher auf unsere Forenregeln für das Zitieren und die notwendigen Quellennachweise und ermahnen [MENTION=3140]clara03[/MENTION] diesbezüglich.

In der vorliegend Form schließen wir daher das Thema und empfehlen ggf. einen Neustart.



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Wer ist gerade im Thread? PSW - Foristen » 0 «, Gäste » 1 « (insges. 1)

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