Der „Erwählte“
Weil die meisten Hitler-Forscher selbst nicht an die Möglichkeit tiefgreifender spiritueller Erfahrung glaubten, ignorierten sie wohl diesen Aspekt in der Biografie ihres Protagonisten. Vielleicht auch, weil sie Angst hatten, solche Thesen könnten ihnen als Zustimmung zu Hitlers Selbstmystifizierung als „Erlöser“ und „deutschem Christus“ ausgelegt werden. Eine solche Sorge ist jedoch unbegründet, denn die Feststellung eines „spirituellen Gipfelerlebnisses“ sagt nichts darüber aus, ob dieses in ethischer Hinsicht erfreuliche Folgen hat.
Denkt man die Impulse aus Claus Hants Buch weiter, so scheint es, als gebe es so etwas wie eine „dunkle Erleuchtung“. Dieses Phänomen würde viele negative Phänomene in Sekten und im Umkreis mancher Gurus erklären. Der Erleuchtete sieht sich quasi als über den moralischen Vorurteilen des einfachen Volkes stehend an, ist furchtlos und von unerschütterlichem Glauben an die eigene Mission durchdrungen. Manchmal umfasst dieser „Auftrag“ auch das Recht, andere Menschen für den „höheren Zweck“ zu opfern.
Bevor aus dem „Erleuchteten“ der mächtigste Mann Europas werden konnte, musste aber noch etwas anderes geschehen: Der „Niemand“, der, wie Psychiater das ausdrücken würden, ein schweres Psychotrauma erfahren hatte, sich selbst aber für „erwacht“ hielt, musste auf Resonanz stoßen. Nur dann konnte er entdeckt werden. Claus Hant beschreibt, wie Hitler kurze Zeit nach seinem „Erwachen“ auf eine Gruppe spiritueller Verschwörer traf. Das klingt nach einer Horror-Fantasy-Story. Ist es aber nicht. In der Münchner „Thule Gesellschaft“ hatten sich nicht unvermögende Esoteriker in einer Geheimloge zusammengeschlossen. Dass die Hitler-Bewegung in diesem Umfeld ihren Anfang nahm, ist der Geschichtsforschung ist seit langem bekannt.
Wie sich die Verbindung zwischen den Verschwörern von Thule und Hitler entwickelt hat, wird von Claus Hant basierend auf den Belegen der Forschung minutiös rekonstruiert. Der Bericht, wie der „Niemand“ durch die Thule-Verschwörer einen mächtigen Resonanzkörper erhielt und dadurch urplötzlich zu einem „Jemand“ wurde, ist höchst spannend zu lesen. Die Entwicklung lässt einen auch heute noch schaudern. „Unbegreiflich“ ist Hitler vor diesem Hintergrund aber nicht mehr.