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Turandot
Schopenhauer, über den Stil
Arthur Schopenhauer
Ueber Schriftstellerei und Stil
(Kapitel XXIII von Parerga und Paralipomena II)
Text folgt wort- und zeichengetreu(*) der autorisierten Ausgabe letzter Hand:
Erstausgabe Berlin, A. W. Hayn 1851
(Quelle: Internet http://www.avenarius.sk/schopenhauer/parerga2/stil.htm)
§. 272.
Zuvörderst giebt es zweierlei Schriftsteller: solche, die der Sache wegen, und solche, die des Schreibens wegen schreiben. Jene haben Gedanken gehabt, oder Erfahrungen gemacht, die ihnen mittheilenswerth scheinen; Diese brauchen Geld, und deshalb schreiben sie, für Geld. Sie denken zum Behuf des Schreibens. Man erkennt sie daran, daß sie ihre Gedanken möglichst lang ausspinnen und auch halbwahre, schiefe, forcirte und schwankende Gedanken ausführen, auch meistens das Helldunkel lieben, um zu scheinen was sie nicht sind; weshalb ihrem Schreiben Bestimmtheit und volle Deutlichkeit abgeht. Man kann daher bald merken, daß sie um Papier zu füllen schreiben: bei unsern besten Schriftstellern kann man es mitunter: z.B. stellenweise in Lessings Dramaturgie. Sobald man es merkt, soll man das Buch wegwerfen: denn die Zeit ist edel. – Honorar und Verbot des Nachdrucks sind im Grunde der Verderb der Litteratur. Schreibenswerthes schreibt nur wer ganz allein der Sache wegen schreibt. Welch ein unschätzbarer Gewinn würde es seyn, wenn, in allen Fächern einer Litteratur, nur wenige, aber vortreffliche Bücher existirten. Dahin aber kann es nie kommen, so lange Honorar zu verdienen ist.
§. 273.
Wiederum kann man sagen, es gebe dreierlei Autoren: erstlich solche, welche schreiben, ohne zu denken. Sie schreiben aus dem Gedächtniß, aus Reminiscenzen, oder gar unmittelbar aus fremden Büchern. Diese Klasse ist die zahlreichste. – Zweitens solche, die während des Schreibens denken. Sie denken, um zu schreiben. Sind sehr häufig. – Drittens solche, die gedacht haben, ehe sie ans Schreiben giengen. Sie schreiben bloß, weil sie gedacht haben. Sind selten.
Jener Schriftsteller der zweiten Art, der das Denken bis zum Schreiben aufschiebt, ist dem Jäger zu vergleichen, der aufs Gerathewohl ausgeht: er wird schwerlich sehr viel nach Hause bringen. Hingegen wird das Schreiben des Schriftstellers der dritten, seltenen Art, einer Treibjagd gleichen, als zu welcher das Wild zum voraus eingefangen und eingepfercht worden, um nachher haufenweise aus solchem Behältnisse herauszuströmen in einen andern ebenfalls umzäunten Raum, wo es dem Jäger nicht entgehn kann; so daß er jetzt es bloß mit dem Zielen und Schießen (der Darstellung) zu thun hat. Dies ist die Jagd, welche etwas abwirft. –
Sogar nun aber unter der kleinen Anzahl von Schriftstellern, die wirklich, ernstlich und zum voraus denken, sind wieder nur äußerst wenige, welche über die Dinge selbst denken: die übrigen denken bloß über Bücher, über das von Andern Gesagte. Sie bedürfen nämlich, um zu denken, der nahem und stärkern Anregung durch fremde, gegebene Gedanken. Diese werden nun ihr nächstes Thema; daher sie stets unter dem Einflüsse derselben bleiben, folglich nie eigentliche Originalität erlangen. Jene ersteren hingegen werden durch die Dinge selbst zum Denken angeregt; daher ihr Denken unmittelbar auf diese gerichtet ist. Unter ihnen allein sind Die zu finden, welche bleiben und unsterblich werden. – Es versteht sich, daß hier von hohen Fächern die Rede ist, nicht von Schriftstellern über das Branntweinbrennen.
Nur wer bei Dem, was er schreibt, den Stoff unmittelbar aus seinem eigenen Kopfe nimmt, ist werth, daß man ihn lese. Aber Büchermacher, Kompendienschreiber, gewöhnliche Historiker u.a.m. nehmen den Stoff unmittelbar aus Büchern: aus diesen geht er in die Finger, ohne im Kopf auch nur Transitozoll und Visitation, geschweige Bearbeitung, erlitten zu haben. Daher hat ihr Gerede oft so unbestimmten Sinn, daß man vergeblich sich den Kopf zerbricht, herauszubringen, was sie denn am Ende denken. Sie denken eben gar nicht. Das Buch, aus dem sie abschreiben, ist bisweilen eben so verfaßt: also ist es mit dieser Schriftstellerei, wie mit Gypsabdrücken von Abdrücken von Abdrücken u.s.f., wobei am Ende der Antinous zum kaum kenntlichen Umriß eines Gesichtes wird. Daher soll man Kompilatoren möglichst selten lesen: denn es ganz zu vermeiden ist schwer; indem sogar die Kompendien, welche das im Laufe vieler Jahrhunderte zusammengebrachte Wissen im engen Raum enthalten, zu den Kompilationen gehören.
Wer über einen Gegenstand sich belehren will, hüte sich, sogleich nur nach den neuesten Büchern darüber zu greifen, in der Voraussetzung, daß bei Abfassung dieser die altern benutzt worden seien. Das sind sie wohl; aber wie? Der Schreiber versteht oft die altern nicht gründlich, will dabei doch nicht geradezu ihre Worte gebrauchen, verballhornt und verhunzt daher das von ihnen sehr viel besser und deutlicher Gesagte; da sie aus eigener und lebendiger Sachkenntniß geschrieben haben. Zudem will er es wohl noch gar besser verstehn, als sie, und setzt seine Irrthümer an die Stelle ihrer Wahrheiten. Hieher gehören auch die Uebersetzer, welche ihren Autor zugleich berichtigen und bearbeiten; welches mir stets impertinent vorkommt. Schreibe du selbst Bücher, welche des Uebersetzens werth sind und laß’ Anderer Werke wie sie sind. – Man lese also, wo möglich, die eigentlichen Urheber, Begründer und Erfinder der Sachen, oder wenigstens die anerkannten großen Meister des Fachs, und kaufe lieber die Bücher aus zweiter Hand, als ihren Inhalt. Weil aber freilich inventis aliquid addere facile est(1), so wird man, nach wohlgelegtem Grunde, mit den neueren Zuthaten sich bekannt zu machen haben. Im Ganzen also gilt hier, wie überall, diese Regel: das Neue ist selten das Gute; weil das Gute nur kurze Zeit das Neue ist.
§. 274.
Ein Buch kann nie mehr seyn, als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Werth dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in Dem, worüber er gedacht hat; oder in der Form, d.h. der Bearbeitung des Stoffs, also in Dem, was er darüber gedacht hat. Das Worüber ist gar mannigfaltig, und eben so die Vorzüge, welche es den Büchern ertheilt. Aller empirische Stoff, also alles historisch, oder physisch, Thatsächliche, an sich selbst und im weitesten Sinne genommen, gehört hieher. Das Eigenthümliche liegt dabei im Objekt; daher das Buch wichtig seyn kann, wer auch immer der Verfasser sei.
Beim Was hingegen liegt das Eigenthümliche im Subjekt. Die Gegenstände können solche seyn, welche allen Menschen zugänglich und bekannt sind: aber die Form der Auffassung, das Was des Denkens, ertheilt hier den Werth und liegt im Subjekt. Ist daher ein Buch von dieser Seite vortrefflich und ohne Gleichen; so ist es sein Verfasser auch. Hieraus folgt, daß das Verdienst eines lesenswerthen Schriftstellers um so größer ist, je weniger es dem Stoffe verdankt, mithin sogar, je bekannter und abgenutzter dieser ist. So z.B. haben die drei großen griechischen Tragiker sämmtlich den selben Stoff bearbeitet.
Also soll man, wenn ein Buch berühmt ist, wohl unterscheiden, ob wegen des Stoffs, oder wegen der Form.
Ganz gewöhnliche und platte Menschen können, vermöge des Stoffs, sehr wichtige Bücher liefern, indem derselbe gerade nur ihnen zugänglich war: z.B. Beschreibungen ferner Länder, seltener Naturerscheinungen, angestellter Versuche, Geschichte, deren Zeuge sie gewesen, oder deren Quellen aufzusuchen und speciell zu studiren sie Mühe und Zeit verwendet haben.
Hingegen wo es auf die Form ankommt, indem der Stoff Jedem zugänglich, oder gar schon bekannt ist; wo also nur das Was des Denkens über denselben der Leistung Werth geben kann; da vermag nur der eminente Kopf etwas Lesenswerthes zu liefern. Denn die Uebrigen werden allemal nur Das denken, was jeder Andere auch denken kann. Sie geben den Abdruck ihres Geistes: aber von dem besitzt Jeder schon selbst das Original.
Das Publikum jedoch wendet seine Theilnahme sehr viel mehr dem Stoff, als der Form zu, und bleibt eben dadurch in seiner höheren Bildung zurück.
Das diesem schlechten Hange fröhnende Unternehmen, durch den Stoff zu wirken, wird absolut verwerflich in Fächern, wo das Verdienst ausdrücklich in der Form liegen soll, – also in den poetischen. Dennoch sieht man häufig schlechte dramatische Schriftsteller bestrebt, mittelst des Stoffes das Theater zu füllen: so z.B. bringen sie jeden irgend berühmten Mann, so nackt an dramatischen Vorgängen sein Leben auch gewesen seyn mag, auf die Bühne, ja, bisweilen ohne auch nur abzuwarten, daß die mit ihm auftretenden Personen gestorben seien.
§. 275.
Das eigentliche Leben eines Gedankens dauert nur bis er an den Gränzpunkt der Worte angelangt ist: da petrificirt er, ist fortan todt, aber unverwüstlich, gleich den versteinerten Thieren und Pflanzen der Vorwelt. Auch dem des Krystalls, im Augenblick des Anschießens, kann man sein momentanes eigentliches Leben vergleichen.
Sobald nämlich unser Denken Worte gefunden hat, ist es schon nicht mehr innig, noch im tiefsten Grunde ernst. Wo es anfangt für Andere dazuseyn, hört es auf, in uns zu leben; wie das Kind sich von der Mutter ablöst, wann es ins eigene Daseyn tritt. Sagt doch auch der Dichter:
»Ihr müßt mich nicht durch Widerspruch verwirren!
Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren.« (2)
§. 276.
Die Feder ist dem Denken was der Stock dem Gehn: aber der leichteste Gang ist ohne Stock und das vollkommenste Denken geht ohne Feder vor sich. Erst wenn man anfängt alt zu werden, bedient man sich gern des Stockes und gern der Feder.
§. 277.
Eine Hypothese führt in dem Kopfe, in welchem sie ein Mal Platz gewonnen hat, oder gar geboren ist, ein Leben, welches insofern dem eines Organismus gleicht, als sie von der Außenwelt nur das ihr Gedeihliche und Homogene aufnimmt, hingegen das ihr Heterogene und Verderbliche entweder gar nicht an sich kommen läßt, oder, wenn es ihr unvermeidlich zugeführt wird, es ganz unversehrt wieder excernirt.
§. 278.
Die Satire soll, gleich der Algebra, bloß mit abstrakten und unbestimmten, nicht mit konkreten Werthen, oder benannten Größen operiren; und an lebendigen Menschen darf man sie so wenig, wie die Anatomie, ausüben; bei Strafe seiner Haut und seines Lebens nicht sicher zu seyn.
§. 279.
Um unsterblich zu seyn, muß ein Werk so viele Trefflichkeiten haben, daß nicht leicht sich Einer findet, der sie alle faßt und schätzt; jedoch allezeit diese Trefflichkeit von Diesem, jene von Jenem erkannt und verehrt wird; wodurch der Kredit des Werkes, den langen Lauf der Jahrhunderte hindurch, und bei stets wechselndem Interesse, sich doch erhält, indem es bald in diesem, bald in jenem Sinne verehrt und nie erschöpft wird. – Der Urheber eines solchen aber, also Der, welcher auf ein Bleiben und Leben noch bei der Nachwelt Anspruch hat, kann nur ein Mensch seyn, der nicht bloß unter seinen Zeitgenossen, auf der weiten Erde, seines Gleichen vergeblich sucht und von jedem Andern, durch eine sehr merkliche Verschiedenheit, augenfällig absticht; sondern der, wenn er sogar, wie der ewige Jude, mehrere Generationen durchwanderte, sich dennoch im selben Falle befinden würde; kurz, Einer, von dem das Ariostische lo fece natura, e poi ruppe lo stampo(3) wirklich gilt. Denn sonst wäre nicht einzusehn, warum seine Gedanken nicht untergehn sollten, wie alle andern.
§. 280.
Zu fast jeder Zeit ist, wie in der Kunst, so auch in der Litteratur, irgend eine falsche Grundansicht, oder Weise, oder Manier, im Schwange und wird bewundert. Die gemeinen Köpfe sind eifrig bemüht, solche sich anzueignen und sie zu üben. Der Einsichtige erkennt und verschmäht sie: er bleibt außer der Mode. Aber nach einigen Jahren kommt auch das Publikum dahinter und erkennt die Fakse für Das, was sie ist, verlacht sie jetzt, und die bewunderte Schminke aller jener manierirten Werke fällt ab, wie eine schlechte Gypsverzierung von der damit bekleideten Mauer: und wie diese stehn sie alsdann da.
Arthur Schopenhauer
Ueber Schriftstellerei und Stil
(Kapitel XXIII von Parerga und Paralipomena II)
Text folgt wort- und zeichengetreu(*) der autorisierten Ausgabe letzter Hand:
Erstausgabe Berlin, A. W. Hayn 1851
(Quelle: Internet http://www.avenarius.sk/schopenhauer/parerga2/stil.htm)
§. 272.
Zuvörderst giebt es zweierlei Schriftsteller: solche, die der Sache wegen, und solche, die des Schreibens wegen schreiben. Jene haben Gedanken gehabt, oder Erfahrungen gemacht, die ihnen mittheilenswerth scheinen; Diese brauchen Geld, und deshalb schreiben sie, für Geld. Sie denken zum Behuf des Schreibens. Man erkennt sie daran, daß sie ihre Gedanken möglichst lang ausspinnen und auch halbwahre, schiefe, forcirte und schwankende Gedanken ausführen, auch meistens das Helldunkel lieben, um zu scheinen was sie nicht sind; weshalb ihrem Schreiben Bestimmtheit und volle Deutlichkeit abgeht. Man kann daher bald merken, daß sie um Papier zu füllen schreiben: bei unsern besten Schriftstellern kann man es mitunter: z.B. stellenweise in Lessings Dramaturgie. Sobald man es merkt, soll man das Buch wegwerfen: denn die Zeit ist edel. – Honorar und Verbot des Nachdrucks sind im Grunde der Verderb der Litteratur. Schreibenswerthes schreibt nur wer ganz allein der Sache wegen schreibt. Welch ein unschätzbarer Gewinn würde es seyn, wenn, in allen Fächern einer Litteratur, nur wenige, aber vortreffliche Bücher existirten. Dahin aber kann es nie kommen, so lange Honorar zu verdienen ist.
§. 273.
Wiederum kann man sagen, es gebe dreierlei Autoren: erstlich solche, welche schreiben, ohne zu denken. Sie schreiben aus dem Gedächtniß, aus Reminiscenzen, oder gar unmittelbar aus fremden Büchern. Diese Klasse ist die zahlreichste. – Zweitens solche, die während des Schreibens denken. Sie denken, um zu schreiben. Sind sehr häufig. – Drittens solche, die gedacht haben, ehe sie ans Schreiben giengen. Sie schreiben bloß, weil sie gedacht haben. Sind selten.
Jener Schriftsteller der zweiten Art, der das Denken bis zum Schreiben aufschiebt, ist dem Jäger zu vergleichen, der aufs Gerathewohl ausgeht: er wird schwerlich sehr viel nach Hause bringen. Hingegen wird das Schreiben des Schriftstellers der dritten, seltenen Art, einer Treibjagd gleichen, als zu welcher das Wild zum voraus eingefangen und eingepfercht worden, um nachher haufenweise aus solchem Behältnisse herauszuströmen in einen andern ebenfalls umzäunten Raum, wo es dem Jäger nicht entgehn kann; so daß er jetzt es bloß mit dem Zielen und Schießen (der Darstellung) zu thun hat. Dies ist die Jagd, welche etwas abwirft. –
Sogar nun aber unter der kleinen Anzahl von Schriftstellern, die wirklich, ernstlich und zum voraus denken, sind wieder nur äußerst wenige, welche über die Dinge selbst denken: die übrigen denken bloß über Bücher, über das von Andern Gesagte. Sie bedürfen nämlich, um zu denken, der nahem und stärkern Anregung durch fremde, gegebene Gedanken. Diese werden nun ihr nächstes Thema; daher sie stets unter dem Einflüsse derselben bleiben, folglich nie eigentliche Originalität erlangen. Jene ersteren hingegen werden durch die Dinge selbst zum Denken angeregt; daher ihr Denken unmittelbar auf diese gerichtet ist. Unter ihnen allein sind Die zu finden, welche bleiben und unsterblich werden. – Es versteht sich, daß hier von hohen Fächern die Rede ist, nicht von Schriftstellern über das Branntweinbrennen.
Nur wer bei Dem, was er schreibt, den Stoff unmittelbar aus seinem eigenen Kopfe nimmt, ist werth, daß man ihn lese. Aber Büchermacher, Kompendienschreiber, gewöhnliche Historiker u.a.m. nehmen den Stoff unmittelbar aus Büchern: aus diesen geht er in die Finger, ohne im Kopf auch nur Transitozoll und Visitation, geschweige Bearbeitung, erlitten zu haben. Daher hat ihr Gerede oft so unbestimmten Sinn, daß man vergeblich sich den Kopf zerbricht, herauszubringen, was sie denn am Ende denken. Sie denken eben gar nicht. Das Buch, aus dem sie abschreiben, ist bisweilen eben so verfaßt: also ist es mit dieser Schriftstellerei, wie mit Gypsabdrücken von Abdrücken von Abdrücken u.s.f., wobei am Ende der Antinous zum kaum kenntlichen Umriß eines Gesichtes wird. Daher soll man Kompilatoren möglichst selten lesen: denn es ganz zu vermeiden ist schwer; indem sogar die Kompendien, welche das im Laufe vieler Jahrhunderte zusammengebrachte Wissen im engen Raum enthalten, zu den Kompilationen gehören.
Wer über einen Gegenstand sich belehren will, hüte sich, sogleich nur nach den neuesten Büchern darüber zu greifen, in der Voraussetzung, daß bei Abfassung dieser die altern benutzt worden seien. Das sind sie wohl; aber wie? Der Schreiber versteht oft die altern nicht gründlich, will dabei doch nicht geradezu ihre Worte gebrauchen, verballhornt und verhunzt daher das von ihnen sehr viel besser und deutlicher Gesagte; da sie aus eigener und lebendiger Sachkenntniß geschrieben haben. Zudem will er es wohl noch gar besser verstehn, als sie, und setzt seine Irrthümer an die Stelle ihrer Wahrheiten. Hieher gehören auch die Uebersetzer, welche ihren Autor zugleich berichtigen und bearbeiten; welches mir stets impertinent vorkommt. Schreibe du selbst Bücher, welche des Uebersetzens werth sind und laß’ Anderer Werke wie sie sind. – Man lese also, wo möglich, die eigentlichen Urheber, Begründer und Erfinder der Sachen, oder wenigstens die anerkannten großen Meister des Fachs, und kaufe lieber die Bücher aus zweiter Hand, als ihren Inhalt. Weil aber freilich inventis aliquid addere facile est(1), so wird man, nach wohlgelegtem Grunde, mit den neueren Zuthaten sich bekannt zu machen haben. Im Ganzen also gilt hier, wie überall, diese Regel: das Neue ist selten das Gute; weil das Gute nur kurze Zeit das Neue ist.
§. 274.
Ein Buch kann nie mehr seyn, als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Werth dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in Dem, worüber er gedacht hat; oder in der Form, d.h. der Bearbeitung des Stoffs, also in Dem, was er darüber gedacht hat. Das Worüber ist gar mannigfaltig, und eben so die Vorzüge, welche es den Büchern ertheilt. Aller empirische Stoff, also alles historisch, oder physisch, Thatsächliche, an sich selbst und im weitesten Sinne genommen, gehört hieher. Das Eigenthümliche liegt dabei im Objekt; daher das Buch wichtig seyn kann, wer auch immer der Verfasser sei.
Beim Was hingegen liegt das Eigenthümliche im Subjekt. Die Gegenstände können solche seyn, welche allen Menschen zugänglich und bekannt sind: aber die Form der Auffassung, das Was des Denkens, ertheilt hier den Werth und liegt im Subjekt. Ist daher ein Buch von dieser Seite vortrefflich und ohne Gleichen; so ist es sein Verfasser auch. Hieraus folgt, daß das Verdienst eines lesenswerthen Schriftstellers um so größer ist, je weniger es dem Stoffe verdankt, mithin sogar, je bekannter und abgenutzter dieser ist. So z.B. haben die drei großen griechischen Tragiker sämmtlich den selben Stoff bearbeitet.
Also soll man, wenn ein Buch berühmt ist, wohl unterscheiden, ob wegen des Stoffs, oder wegen der Form.
Ganz gewöhnliche und platte Menschen können, vermöge des Stoffs, sehr wichtige Bücher liefern, indem derselbe gerade nur ihnen zugänglich war: z.B. Beschreibungen ferner Länder, seltener Naturerscheinungen, angestellter Versuche, Geschichte, deren Zeuge sie gewesen, oder deren Quellen aufzusuchen und speciell zu studiren sie Mühe und Zeit verwendet haben.
Hingegen wo es auf die Form ankommt, indem der Stoff Jedem zugänglich, oder gar schon bekannt ist; wo also nur das Was des Denkens über denselben der Leistung Werth geben kann; da vermag nur der eminente Kopf etwas Lesenswerthes zu liefern. Denn die Uebrigen werden allemal nur Das denken, was jeder Andere auch denken kann. Sie geben den Abdruck ihres Geistes: aber von dem besitzt Jeder schon selbst das Original.
Das Publikum jedoch wendet seine Theilnahme sehr viel mehr dem Stoff, als der Form zu, und bleibt eben dadurch in seiner höheren Bildung zurück.
Das diesem schlechten Hange fröhnende Unternehmen, durch den Stoff zu wirken, wird absolut verwerflich in Fächern, wo das Verdienst ausdrücklich in der Form liegen soll, – also in den poetischen. Dennoch sieht man häufig schlechte dramatische Schriftsteller bestrebt, mittelst des Stoffes das Theater zu füllen: so z.B. bringen sie jeden irgend berühmten Mann, so nackt an dramatischen Vorgängen sein Leben auch gewesen seyn mag, auf die Bühne, ja, bisweilen ohne auch nur abzuwarten, daß die mit ihm auftretenden Personen gestorben seien.
§. 275.
Das eigentliche Leben eines Gedankens dauert nur bis er an den Gränzpunkt der Worte angelangt ist: da petrificirt er, ist fortan todt, aber unverwüstlich, gleich den versteinerten Thieren und Pflanzen der Vorwelt. Auch dem des Krystalls, im Augenblick des Anschießens, kann man sein momentanes eigentliches Leben vergleichen.
Sobald nämlich unser Denken Worte gefunden hat, ist es schon nicht mehr innig, noch im tiefsten Grunde ernst. Wo es anfangt für Andere dazuseyn, hört es auf, in uns zu leben; wie das Kind sich von der Mutter ablöst, wann es ins eigene Daseyn tritt. Sagt doch auch der Dichter:
»Ihr müßt mich nicht durch Widerspruch verwirren!
Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren.« (2)
§. 276.
Die Feder ist dem Denken was der Stock dem Gehn: aber der leichteste Gang ist ohne Stock und das vollkommenste Denken geht ohne Feder vor sich. Erst wenn man anfängt alt zu werden, bedient man sich gern des Stockes und gern der Feder.
§. 277.
Eine Hypothese führt in dem Kopfe, in welchem sie ein Mal Platz gewonnen hat, oder gar geboren ist, ein Leben, welches insofern dem eines Organismus gleicht, als sie von der Außenwelt nur das ihr Gedeihliche und Homogene aufnimmt, hingegen das ihr Heterogene und Verderbliche entweder gar nicht an sich kommen läßt, oder, wenn es ihr unvermeidlich zugeführt wird, es ganz unversehrt wieder excernirt.
§. 278.
Die Satire soll, gleich der Algebra, bloß mit abstrakten und unbestimmten, nicht mit konkreten Werthen, oder benannten Größen operiren; und an lebendigen Menschen darf man sie so wenig, wie die Anatomie, ausüben; bei Strafe seiner Haut und seines Lebens nicht sicher zu seyn.
§. 279.
Um unsterblich zu seyn, muß ein Werk so viele Trefflichkeiten haben, daß nicht leicht sich Einer findet, der sie alle faßt und schätzt; jedoch allezeit diese Trefflichkeit von Diesem, jene von Jenem erkannt und verehrt wird; wodurch der Kredit des Werkes, den langen Lauf der Jahrhunderte hindurch, und bei stets wechselndem Interesse, sich doch erhält, indem es bald in diesem, bald in jenem Sinne verehrt und nie erschöpft wird. – Der Urheber eines solchen aber, also Der, welcher auf ein Bleiben und Leben noch bei der Nachwelt Anspruch hat, kann nur ein Mensch seyn, der nicht bloß unter seinen Zeitgenossen, auf der weiten Erde, seines Gleichen vergeblich sucht und von jedem Andern, durch eine sehr merkliche Verschiedenheit, augenfällig absticht; sondern der, wenn er sogar, wie der ewige Jude, mehrere Generationen durchwanderte, sich dennoch im selben Falle befinden würde; kurz, Einer, von dem das Ariostische lo fece natura, e poi ruppe lo stampo(3) wirklich gilt. Denn sonst wäre nicht einzusehn, warum seine Gedanken nicht untergehn sollten, wie alle andern.
§. 280.
Zu fast jeder Zeit ist, wie in der Kunst, so auch in der Litteratur, irgend eine falsche Grundansicht, oder Weise, oder Manier, im Schwange und wird bewundert. Die gemeinen Köpfe sind eifrig bemüht, solche sich anzueignen und sie zu üben. Der Einsichtige erkennt und verschmäht sie: er bleibt außer der Mode. Aber nach einigen Jahren kommt auch das Publikum dahinter und erkennt die Fakse für Das, was sie ist, verlacht sie jetzt, und die bewunderte Schminke aller jener manierirten Werke fällt ab, wie eine schlechte Gypsverzierung von der damit bekleideten Mauer: und wie diese stehn sie alsdann da.