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Die digitale Entrüstung

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Woppadaq

FEAR THE BIN CHICKEN !
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Dies ist eine Replik auf "Der Aufstand der Sündenböcke"

Es war noch in den 80ern, als der C64 noch Hightech war und die Leute noch nie was von Internet oder E-Banking gehört hatten. Damals, zur ihrer "Home of the Brave"-Tour, zog sich Laurie Anderson einen Vocoder über, welcher ihr eine mämmliche Stimme verleihte, und erzählte den Leuten, dass wir in einer digitalen Welt leben:

"Niemand möchte eine Null sein. Aber alle streben danach, die Nummer Eins zu sein."

Das Bild von dieser Welt, oder auch nur ein charakteristisches Geräusch davon, entstehe aber aus dem Zusammenspiel von diesen Nullen und Einsen. Die Message beeindruckte mich zutiefst: Gewinnen oder Verlieren spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wieviel gutes haben wir Leuten zu verdanken, die trotz allem doch eher scheiterten? Wieviel Schlechtes gibt es auf dieser Welt, weil irgendwer meinte, gewinnen oder in irgendwas die Nummer Eins sein zu müssen ? Wieviele Menschen wurden nur deshalb so gut, weil vor ihnen andere scheiterten? Wieviele wurden nur deshalb so gut, weil sie selbst vorher scheiterten?

Das grundsätzlich Fatale dieses eindimensionalen Weltbildes aus Gewinnern oder Verlierern tut sich allerdings immer stärker auf, je isolierter unsere Gesellschaft wird. Früher gab es noch Grossfamilien, meist noch mit Familienoberhaupt. Man lebte zusammen, und ein Grossteil der eigenen Wertigkeit bestimmte das eigene Bild innerhalb dieser Familie. Nur so entstand der "Sündenbock", das "schwarze Schaf", welches für "die dunklen Seiten der Familie" stand. Damals bedeuteten Wertigkeiten aber noch etwas - gerade weil oft das Familenoberhaupt dafür eintrat, und der Rest sich zu fügen hatte. Das Familienoberhaupt selbst orientierte sich in der Regel grösstenteils an dem, was man gemeinhin als Vernunft betrachtet. Der Ausbruch aus diesem System konnte ein geradezu heroischer Akt sein. Doch oft wollte auch der Sündenbock und das schwarze Schaf beweisen, dass in ihm was steckt - und das oft zu jenen Wertigkeiten, die ihm die Familie einst vermittelte.

Die heutige individualisierte Welt predigt geradezu den Ausbruch als Normalzustand, und das Infragestellen von Moralvorstellungen als hochmoralischen Akt per se. Geblieben ist aber die Eindimensionalität: noch immer wollen die Nullen dieser Welt zu Einsen werden. Nur haben sie es diesmal einfacher: Um aus der Null eine Eins zu machen, muss man sie einfach nur negieren ! Schwarz wird zu Weiss, Demokratie zur Diktatur und umgekehrt, Friedensboten werden zu Kriegstreibern, und die Tatsache, dass jemand nachweislich 10 000 mal lügt, macht ihn natürlich zu denjenigen, der "endlich mal die Wahrheit" sagt. Nebenbei wird der Grosskapitalist zu dem, welcher "für die Sache des geknechteten Mannes" eintritt, und Länder, die einem Bündnis freiwillig beitreten, müssen natürlich irgendwie dazu gezwungen worden sein.

Was im normalen, zwischenmenschlichen Bereich nie klappen würde, weil man ja doch immer einen Konsens miteiander sucht, funktioniert in der Politik bisher ganz hervorragend. Könnte man meinen. Genau hier liegt aber das Problem: Wenn man nur Bedeutung dadurch erlangt, dass man die Wertigkeiten umdreht, bis hin dazu, dass man seine eigene Existenz leugnet und das auch für moralisch erhaben hält - dann steht von vornherein fest, dass man nie einen Konsens finden kann. Der Konsens selbst wird in seiner Wertigkeit ja negiert. Entweder als "Einknicken" oder als "Verwässerung" der reinen Sache.

Zurück bleibt eine Welt, in der die Vernunft selbst suspekt ist. Das Aufeinander-Verlassen als Ausbeutung angesehen wird. Man sich wie ein Sklave vorkommt, wenn man nicht aus Prinzip widerspricht. Und jedem Ansatz von Ordnung ein Beigeschmack von Dikatur innewohnt.

Zurück bleiben jede Menge orientierungslose Leute. Die weder wissen, was sie wert sind. Noch ob sie überhaupt was wert sein sollten.

In den 80ern sangen The Cure "Es ist egal, ob wir alle sterben". Jahrzehnte später bekannten sie in einem Interview, dass das tatsächlich stimmt. Aber eigentlich nicht weiter schlimm ist.
 

sportsgeist

Deutscher Bundespräsident
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Dies ist eine Replik auf "Der Aufstand der Sündenböcke"

Es war noch in den 80ern, als der C64 noch Hightech war und die Leute noch nie was von Internet oder E-Banking gehört hatten. Damals, zur ihrer "Home of the Brave"-Tour, zog sich Laurie Anderson einen Vocoder über, welcher ihr eine mämmliche Stimme verleihte, und erzählte den Leuten, dass wir in einer digitalen Welt leben:

"Niemand möchte eine Null sein. Aber alle streben danach, die Nummer Eins zu sein."

Das Bild von dieser Welt, oder auch nur ein charakteristisches Geräusch davon, entstehe aber aus dem Zusammenspiel von diesen Nullen und Einsen. Die Message beeindruckte mich zutiefst: Gewinnen oder Verlieren spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wieviel gutes haben wir Leuten zu verdanken, die trotz allem doch eher scheiterten? Wieviel Schlechtes gibt es auf dieser Welt, weil irgendwer meinte, gewinnen oder in irgendwas die Nummer Eins sein zu müssen ? Wieviele Menschen wurden nur deshalb so gut, weil vor ihnen andere scheiterten? Wieviele wurden nur deshalb so gut, weil sie selbst vorher scheiterten?

Das grundsätzlich Fatale dieses eindimensionalen Weltbildes aus Gewinnern oder Verlierern tut sich allerdings immer stärker auf, je isolierter unsere Gesellschaft wird. Früher gab es noch Grossfamilien, meist noch mit Familienoberhaupt. Man lebte zusammen, und ein Grossteil der eigenen Wertigkeit bestimmte das eigene Bild innerhalb dieser Familie. Nur so entstand der "Sündenbock", das "schwarze Schaf", welches für "die dunklen Seiten der Familie" stand. Damals bedeuteten Wertigkeiten aber noch etwas - gerade weil oft das Familenoberhaupt dafür eintrat, und der Rest sich zu fügen hatte. Das Familienoberhaupt selbst orientierte sich in der Regel grösstenteils an dem, was man gemeinhin als Vernunft betrachtet. Der Ausbruch aus diesem System konnte ein geradezu heroischer Akt sein. Doch oft wollte auch der Sündenbock und das schwarze Schaf beweisen, dass in ihm was steckt - und das oft zu jenen Wertigkeiten, die ihm die Familie einst vermittelte.

Die heutige individualisierte Welt predigt geradezu den Ausbruch als Normalzustand, und das Infragestellen von Moralvorstellungen als hochmoralischen Akt per se. Geblieben ist aber die Eindimensionalität: noch immer wollen die Nullen dieser Welt zu Einsen werden. Nur haben sie es diesmal einfacher: Um aus der Null eine Eins zu machen, muss man sie einfach nur negieren ! Schwarz wird zu Weiss, Demokratie zur Diktatur und umgekehrt, Friedensboten werden zu Kriegstreibern, und die Tatsache, dass jemand nachweislich 10 000 mal lügt, macht ihn natürlich zu denjenigen, der "endlich mal die Wahrheit" sagt. Nebenbei wird der Grosskapitalist zu dem, welcher "für die Sache des geknechteten Mannes" eintritt, und Länder, die einem Bündnis freiwillig beitreten, müssen natürlich irgendwie dazu gezwungen worden sein.

Was im normalen, zwischenmenschlichen Bereich nie klappen würde, weil man ja doch immer einen Konsens miteiander sucht, funktioniert in der Politik bisher ganz hervorragend. Könnte man meinen. Genau hier liegt aber das Problem: Wenn man nur Bedeutung dadurch erlangt, dass man die Wertigkeiten umdreht, bis hin dazu, dass man seine eigene Existenz leugnet und das auch für moralisch erhaben hält - dann steht von vornherein fest, dass man nie einen Konsens finden kann. Der Konsens selbst wird in seiner Wertigkeit ja negiert. Entweder als "Einknicken" oder als "Verwässerung" der reinen Sache.

Zurück bleibt eine Welt, in der die Vernunft selbst suspekt ist. Das Aufeinander-Verlassen als Ausbeutung angesehen wird. Man sich wie ein Sklave vorkommt, wenn man nicht aus Prinzip widerspricht. Und jedem Ansatz von Ordnung ein Beigeschmack von Dikatur innewohnt.

Zurück bleiben jede Menge orientierungslose Leute. Die weder wissen, was sie wert sind. Noch ob sie überhaupt was wert sein sollten.

In den 80ern sangen The Cure "Es ist egal, ob wir alle sterben". Jahrzehnte später bekannten sie in einem Interview, dass das tatsächlich stimmt. Aber eigentlich nicht weiter schlimm ist.
mag sein, dass viele Nullen Einsen werden wollen, sie bleiben aber oft jegliche Voraussetzung dafür schuldig

viele Nullen wollen zwar Einsen werden, aber am Liebsten auf der Sänfte dahin getragen werden
so wird das nicht funktionieren, auch nicht im völlig linken Deutschland, welches sich seit den 68ern schrittweise und über die Jahre von jeglichem Leistungsgedanken entfernt hat und meint, Erfolg falle einfach anstrengungslos vom Himmel

oder wie die Nationalmannschaft es 2018 vorzumachen gedachte
Weltmeister wird man, indem man schon Weltmeister ist, und nicht, indem man sich jeden Tag neu anstrengt

denkste
 

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