Arbeitsunfähigkeit auf dem Prüfstand: Halb krank zur Arbeit
Von Heike Le Ker
Nicht jeder Krankgeschriebene ist komplett arbeitsunfähig.
Ärzte haben daher Teilkrankschreibung vorgeschlagen.
Muss man jetzt mit Grippe zur Arbeit? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Krank oder gesund, alles oder nichts: Ob man in Deutschland zur Arbeit darf, wenn man vom Arzt krankgeschrieben wurde, ist unter Rechtsexperten umstritten.
Nach sechs Wochen gibt es nach dem sogenannten Hamburger Modell die Möglichkeit, wieder einige Stunden zur Arbeit zu gehen und sich in dieser Zeit weiterhin Krankengeld von der Krankenkasse zahlen zu lassen.
Auf Dauer ist das Krankengeld aber teuer: Im vergangenen Jahr gaben die Versicherungen für Krankengeld rund 10,6 Milliarden Euro aus.
Eine neue Strategie des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sieht jetzt Teilkrankschreibungen vor.
Die Krankenkassen könnten damit Geld sparen. Kritiker warnen: Versicherungen dürften Patienten, die Krankengeld beziehen, nicht zur vorzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit drängen.
Im Forum zu einem Bericht auf SPIEGEL ONLINE wurde vermutet, hier versuchten Arbeitgeber, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall schleichend abzuschaffen.
Ein Nutzer schrieb: "Falls ich mir dieses Jahr also eine Grippe zuziehe, werde ich am ersten Tag 25 Prozent arbeiten. Die zwei Stunden reichen sicher, um die Hälfte meiner Kollegen anzustecken."
Welche Ängste sind begründet? Für wen können die Teilkrankschreibungen gelten? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Muss ich krank zur Arbeit?
Nein, denn der Vorschlag beruht auf Freiwilligkeit.
Wer akut krank ist, eine ansteckende Infektion oder einen Knochenbruch hat, muss nicht arbeiten.
"Natürlich soll ein Patient mit Grippe zu Hause bleiben und erst wieder arbeiten, wenn er ganz gesund ist", sagt der Allgemeinmediziner Ferdinand Gerlach.
Als Vorsitzender des Sachverständigenrates hat er im Auftrag von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe den Vorschlag zu Teilkrankschreibungen mit zu verantworten.
"Niemand soll arbeiten, wenn er krank ist und nicht möchte.
Eine Teilkrankschreibung kann nur im Gespräch zwischen Arzt und Patient erfolgen, auf das der Arbeitgeber keinen Einfluss hat."
Für wen sind Teilkrankschreibungen denkbar?
Generell soll gelten: Jeder Fall wird individuell vom Arzt begutachtet, mit dem Patienten besprochen und dann gemeinsam mit ihm entschieden.
Teilkrankschreibungen nur für ausgewählte Gruppen von Patienten soll es daher nicht geben.
Aber: "Es gibt Menschen, denen es gar nicht guttut, wenn sie zu lange krankgeschrieben sind", sagt Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes.
"Ein Patient mit Rückenschmerzen sollte nicht wochenlang still zu Hause im Bett liegen, sondern könnte zum Beispiel zu 50 Prozent arbeiten und den Rest seiner Zeit in der Rehabilitation verbringen."
Auch für manche Patienten mit Depressionen könne es hilfreich sein, einige Stunden des Tages unter Menschen zu verbringen.
SPIEGEL-ONLINE-Leser "meglio" hält die Initiative für sinnvoll, weil er sich nach einem Trauma nicht für komplett arbeitsunfähig hielt: "Hatte einen Seitenbandabriss am linken Daumen nach Skiunfall, IKK hat nicht mal Telefondienste genehmigt."
Auch mit einem gebrochenen Bein könnte man durchaus E-Mails schreiben.
Kann mein Arbeitgeber Druck ausüben?
Auf den Arzt kann und darf der Arbeitgeber keinen Einfluss nehmen, indirekt auf den Arbeitnehmer kann er das aber.
Allein die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten, könnte Angestellte dazu veranlassen, früher zurück zur Arbeit zu gehen.
Auch der Gedanke an die Kollegen, die durch die Abwesenheit mehr Arbeit zu bewältigen haben, könnte Kranke unter Druck setzen.
Ob sich dieser Druck aber von jenem unterscheidet, der ohnehin bei Vollzeit-Krankschreibungen besteht, ist unklar.
Der Arbeitgeber muss allerdings zustimmen, wenn ein Arbeitnehmer übergangsweise in Teilzeit in den Job zurückkehren möchte.
Lässt sich Geld sparen?
Der Entwurf sieht vor, dass der Arbeitnehmer bereits in den ersten sechs Wochen in den Job zurückkehren kann.
Das ist bislang im Hamburger Modell nicht möglich.
Innerhalb dieser Frist wäre es ein Vorteil für den Arbeitgeber, denn die Krankenkasse zahlt in dieser Zeit das Krankengeld für den Angestellten, auch wenn dieser schon wieder arbeitet.
Danach soll der Arbeitgeber für die Leistung zahlen, die der Arbeitnehmer erbringt.
Arbeitet er zu 50 Prozent, muss der Arbeitgeber diesen Anteil zahlen, den Rest übernimmt die Kasse.
Insgesamt wäre das Einkommen dann höher, als wenn der Angestellte nur Krankengeld bezöge, denn das liegt bei 70 Prozent des Brutto-Arbeitslohnes.
Wie hoch die Summe ist, die die Krankenkassen dadurch sparen könnten, will Ratsvorsitzender Gerlach aber nicht kalkuliert haben.
"Wir sind keine Sparkommission", sagt der Arzt. "Wir erstellen Gutachten und machen Vorschläge, wie wir die Autonomie und Lebensqualität von Patienten sowie das Gesundheitswesen in Deutschland verbessern könnten."
Welche weiteren Vorteile erhofft man sich?
Vor allem nach langen Krankheitsphasen ist die Rückkehr an den Arbeitsplatz für die Betroffenen mitunter schwierig, von null auf hundert Prozent kann sich mancher nicht vorstellen - und lässt sich unter Umständen erneut krankschreiben.
Wer immer wieder stundenweise in Kontakt mit seiner Arbeit und den Kollegen ist, bleibt nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell eingebunden.
In Skandinavien hat sich gezeigt, dass Teilkrankschreibungen den Wiedereinstieg erleichtern.
Welche Erfahrungen gibt es im Ausland?
Teilkrankschreibungen gibt es in Schweden bereits seit 1990, später auch in Dänemark, Norwegen und Finnland.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2008 zeigt, dass in Schweden schon im Jahr 2006 36 Prozent der Krankschreibungen Teilkrankschreibungen (39 Prozent Frauen, 32 Prozent Männer) waren, bis heute ist der Anteil relativ konstant geblieben.
In Norwegen hatte der Anteil zwischen 2002 und 2006 von 12 auf 18 Prozent zugenommen.
Die Wissenschaftlerin Johanna Kausto schreibt in einer Analyse über Teilkrankschreibungen in Finnland, die es dort seit 2007 gibt: "Die Maßnahme steigert effizient und sicher die Teilnahme am Arbeitsleben und wirkt sich positiv auf das Individuum aus."
Mit Material von dpa
http://www.spiegel.de/gesundheit/di...scheinigung-auf-dem-pruefstand-a-1066909.html
Nicht umsonst hat sich der Druck auf Patienten erhöht seitens der Kassen und immer öfters werden die medizinischen Dienste eingeschaltet.