Eine Distanzierung könnte man zB. begründen und/oder abgrenzen...
Ich finde, man muss sie nur begründen oder abgrenzen, wenn man die grundlegende Idee weiterführen will, in diesem Falle die Idee von der "Diktatur des Proletariats". Von Stalin und Stalinismus hat man sich schon zu DDR-Zeiten distanziert, aber eben nicht glaubhaft, eher nach dem Prinzip "das System ist OK, nur Stalin war der Falsche".
Von dieser Idee hat sich die Linke im Grunde schon verabschiedet, als sie sich noch "SED-PDS" nannte. Mag ja sein, dass sie die Partei der höchsten Staatsquote ist, das macht aber noch keinen Stalinismus. So wahnsinnig geil auf irgendwelche zaristischen Methoden, wie sie in Russland gang und gäbe sind, selbst bei nicht-kommunistischen Parteien, ist die Linke nicht. Sie steht schon zur Demokratie.
Gysis Position muss sehr komplex sein. Denn einerseits hat er als Anwalt mehrere Opfer der SED betreut (zB. Bärbel Bohley), andererseits hat er eine Partei geleitet, welche als Nachfolgepartei der SED gilt. Vielleicht sind die Linken gar keine Nachfolgepartei, sondern sie haben nur die Infrastruktur verwendet, weil sie denn vorhanden war. Vielleicht haben sie den Kundenstamm nur deshalb übernommen, weil der in einer psychisch labilen Verfassung war und Betreuung brauchte. Mit Betreuung von SED Opfern hatte Gysi ja schon Erfahrung...
Ja, es wird oft vergessen, dass die SED in der DDR die
einzige Partei war, die überhaupt was ändern konnte, und so wurde sie auch von vielen wahrgenommen, die dort eingetreten sind. Es wird oft vergessen, dass nicht jeder Ossi die Wiedervereinigung wollte, und bei vielen einfach aus Identitätsgründen. Man stand da zur DDR als ein System, das zwar verbesserungswürdig ist - aber nicht so schlecht, dass man es komplett abschaffen müsste. Sicher gibt es in der Partei noch vereinzelt Stalinisten und Ewiggestrige, aber viele sind dort auch, weil sie glauben, dass manche Idee, die sie zur DDR-Zeit hatten, jetzt in der Demokratie eher umgesetzt werden kann.
Gysis Position ist nur für die komplex, die nicht in einer Diktatur aufgewachsen sind und sich deshalb nie die Frage stellen mussten "wie verändere ich mein Land, ohne es zu zerstören?", und das betrifft nicht nur Parteimitglieder, sondern auch viele IMs. Denn vieles konntest du nur erreichen, wenn du bis zu einem gewissen Grad das staatliche Spiel mitgespielt hast. Das weiss auch einer wie Wolf Biermann, der mal meinte, es sei reiner Zufall gewesen, dass er nicht auch IM geworden sei. Für mich ist dieser ganze IM-Wahn der alten Bürgerrechtler deshalb eher ein Bemühen, weiterhin irgendwie relevant zu bleiben. In der DDR musstest du nicht viel tun, um relevant zu sein.
Wir sind historisch aus der Phase heraus, dass wir nur pauschal ablehnen. Es muss eine Zeit geben in der die Dinge wirklich aufgearbeitet werden, denn sonst schleichen sie sich durch die Hintertür herein. Wir kennen solche Vorgänge aus dem Dritten Reich.
Weißt Du, dass es eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Juden gibt, welche den Holocaust leugnen? Selbstverständlich wissen diese Juden, dass es Massenmord an Juden gab, das ist ja nicht die Frage... Mit der pauschalen Darstellung sind sie jedoch nicht zufrieden, weil ihre eigene Geschichte ebenfalls unter einer Decke gehalten wird (und dadurch mißbraucht werden kann???). Die Decke über dem H schützt nicht nur die Opfer, sie schützt auch Täter.
Ich weiss nicht, ob wir - also die Deutschen - schon aus dieser Phase raus sind. Sicher, mir ist bekannt, dass es Juden gibt, die die Holocaust-Leugnung nicht mehr unter Strafe stellen wollen, aber ich denke, dass jedes Land so eine Art Staats-Sakrileg hat, und hierzulande ist das eben die Holocaust-Leugnung. Hierzulande tut man sich doch schon schwer damit, wenigstens zuzugeben, dass Polen auch seinen Anteil am Kriegsbeginn hatte.
Das mit den Juden, die den Holocaust leugnen, weil "ihre eigene Geschichte ebenfalls unter einer Decke gehalte wird" - das ist allerdings wirklich schwer zu verstehen.
So ist es mit der DDR mittlerweile auch. Unter dem Deckmantel der Aufarbeitung des DDR-Unrechts haben Leute die Akten erforscht. Haben sie diese vieleicht erforscht um nicht die gleichen Fehler bei ihrer eigenen Wühlarbeit zu machen?
Fakt ist, dass zZt. der gleiche Opfer- und Dissidententypus entsteht, der für die DDR typisch war. Gysi hätte jede Menge Klienten...
Wenn du mit "Opfer-und Dissidententypus" meinst, dass der heutige Fundamental-Oppositionelle wieder mal abseits der herrschenden Meinung steht und dementsprechend von den Medien nicht selten mit Verachtung gestraft wird, dann hast du zweifelsfrei recht. Auch wenn es schwer fällt, das einzusehen, aber: das liegt in der Natur der Sache.
Zudem geb ich zu bedenken: wir sind nicht China. Es ist nicht so, dass heute bei uns mal oppositionelle oder Nicht-Mainstream-Positionen erlaubt/geduldet werden, und morgen werden ihre Wortführer in Gulags gesperrt. Das wird nicht mal bei hiesigen Zuständen wie in Portland passieren. Im Höchstfall gibts mal eine kleine Ausgangssperre, um die Gemüter zu beruhigen, aber selbst das wäre hierzulande schon eine Extremsituation.