Tatsächlich wird die Demokratie und damit die Rechtsstaatlichkeit durch die EU ausgehöhlt. Immer mehr Vorschriften, Verordnungen und Gesetze werden ursprünglich in der EU gemacht. Und die ist nicht demokratisch.
Das ist eine gern gebrauchte These - ich halte sie für falsch. Die EU ist hier besser als ihr Ruf.
Was genau wäre denn nach deiner Idee ein hartes Kriterium dafür, dass eine anders gestaltete EU demokratisch wäre?
Manchmal wird als Argument gebracht, dass die Stimmen in der EU bei Wahlen nicht gleich viel Wert wären - weil die Anzahl der Wähler je Abgeordnetem im EU-Parlament je nach Land unterschiedlich ist. Nur - auch in vielen anderen europäischen Staaten sind bei Wahlen nicht die Stimmen der Wähler gleich viel Wert. Und auch in der BRD führt die 5%-Grenze sowie einige weitere Kriterien immer wieder dazu, dass man gut davon sprechen kann, dass nicht jede Stimme gleich viel wert ist. Trotzdem würden die meisten Menschen deshalb nicht gleich die Demokratieberechtigung für Deutschland oder andere EU-Länder absprechen.
In der BRD haben wir auch noch den Bundesrat - die Mitglieder des Bundesrates haben im eigentlichen Sinne kein gewähltes Mandat. Aufgrund dessen, wie der Förderalismus bei uns konzipiert ist, führt dennoch die Existenz des Bundesrates bei vielen Gesetzesvorhaben dazu, dass sehr breite Kompromisse quer über alle möglichen Parteien des demokratischen Spektrums gesucht werden müssen. Ist das wirklich so viel mehr Demokratie als in Brüssel?
Dann kann man anbringen, dass das EU-Parlament kein Initiativrecht hat. Theoretisch ist das zwar richtig, ganz praktisch gesehen aber muss bei vielen Gesetzen das Parlament zustimmen. Deshalb werden Vorschläge eingereicht, die zuvor auch im Parlament durchgeackert und mit den Ausschüssen abgestimmt werden - weil man auf der Suche nach Mehrheiten ist. Das ist normale parlamentarische Arbeit - die man ähnlich auch in der BRD durchaus kennt.
Dann wird gerne angeführt, dass der EU-Rat eine so ausserordentliche Rolle spielt, und der Rat wäre ja nicht gewählt.....wohl vergessen dabei die, die so argumentieren, dass jeder einzelne Regierungschef in der EU durchaus eine demokratische Legitimation hat.
Man kann an eine Staatengemeinschaft, wie sie die EU nunmal darstellt, bei der Frage nach der demokratischen Ausgestaltung nicht dieselben Maßstäbe ansetzen, wie bei einem einzelnen relativ homogenen Nationalstaat. Dann würden große Staaten kleine dominieren, oder Mehrheitsentscheidungen wären ausgeschlossen oder oder oder. So oder so muss es einen demokratischen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessenlagen von großen und kleinen Staaten, armen und reichen Staaten, entsprechend der Lage der Staaten und vieles mehr geben. Unterm Strich halte ich da die Konstruktion der politischen Landschaft der EU für einen ziemlich guten Kompromiss.
Immerhin kennt die EU auch noch die Bürgerinitiative - ein Element der direkten Demokratie. Sicher auch wieder nicht perfekt für jeden - aber mehr als das, was wir beispielsweise in der BRD haben.
Es gibt einen recht vernünftigen
Wikipedia-ARtikel zum Thema Demokratiedefizit der EU. Da steht auch beschrieben, wie das das Bundesverfassungsgericht sieht, und wie unterschiedliche Sichtweisen zu einzelnen Themen dazu sind. Unterm Strich bleibt für mich der Schluss, dass das alles so schlecht nicht ist in dieser unseren EU.
Wenn die Verbraucherpolitik denn zum Wohle des Verbrauchers wäre. Ist aber sehr unwahrscheinlich, da sie überwiegend von den Lobbyisten der großen Konzerne eingesteuert wird.
Viel unwahrscheinlicher ist das doch in der BRD - und ganz praktisch kann man das auch belegen! Denn - die Unternehmen haben mit ihren Lobbyorganisationen immer die gleichen Möglichkeiten - im Verhältnis zur EU kann man in Deutschland mit wesentlich weniger Mitteln Einfluss nehmen. Warum tut sich Berlin so schwer, gegen die großen Internetkonzerne vorzugehen, während die EU hier immer wieder einschreitet? Wie sieht es mit den Bedingungen bei Verspätungen im Luftverkehr aus - das hätte auch Berlin regeln können - es wurde aber erst in Brüssel umgesetzt. Oder nimm die Autoskandale - inwiefern war hier Berlin mehr in der Lage, politisch den Autokonzernen die Grenzen aufzuzeigen? Hat nicht sogar ein deutscher Verkehrsminister angezweifelt, dass die EU-Richtlinien für die Aufstellung von Messstellen zur Luftreinhaltung falsch wären? Hat nicht gerade erst ein deutsches Gericht entschieden, dass das nicht so ist?
Gerade was Verbraucherschutz angeht, ist die EU weit besser als ihr Ruf. Und vor allem auch weit efektiver als die nationalen Parlamente.
Sicher - noch besseren Verbraucherschutz könnten wir mit einem geeigneten Weltparlament erreichen.....nur, das steht ja gar nicht zur Debatte.
Man könnte es manchmal meinen. Andere Fälle belegen das Gegenteil. Von der Leyen wurde vom Bürger nicht gewählt, sie stand nicht mal zur Wahl und nun ist sie Chef der EU.
Der Fehler liegt darin, dass einige Parlamentarier im EU-Parlament versucht haben, mehr "Demokratie" zu propagieren, als die Verträge hergeben. Das Spitzenkandidatenprinzip ist eine Erfindung von Parlamentariern - das gibt es damit nur, wenn die Parlamentarier in der Lage sind, entsprechende Mehrheiten zu organisieren, die genau dieses durchsetzen. Bei der letzten EU-Wahl ist das gelungen - dieses Mal ist es an den Egoismen, in diesem Fall vor allem der SPD-Fraktion, faktisch gescheitert.
Dass nun jemand an der Spitze der EU-Kommission steht, der nicht zur Wahl stand - kennen wir doch gut aus Deutschland. Niemand hat Frau Merkel zur Kanzlerin wählen können! (Also bei den Bundestagswahlen) Wir hatten nur die Möglichkeit, mit Erst und Zweitstimmen Parteien und Kandidaten zu wählen, die uns versprochen haben, dass sie einen bestimmten Spitzenkandidaten zum Kanzler machen.
Gerade in dieser Wahlperiode hätte das Ergebnis aber auch anders aussehen können! Hätte die SPD als Vorbedingung für Koalitionsgespräche mit der CDU gesagt: Ja, können wir machen, aber nur wenn Angela Merkel nicht die Kanzlerin wird - dann wäre schon der Lakmustest da gewesen. Rechtlich wäre die SPD absolut in der Position gewesen, so etwas zu fordern - und rechtlich gesehen hätte die Union wenig dagegen tun können. Sie hätte dann vor der Alternative gestanden, auf die SPD-Argumente einzugehen, oder in Richtung Neuwahlen zu gehen - mit wahrscheinlichem Ausgang, dass wieder ähnliche Mehrheitsstrukturen rausgekommen wären, wie nach der Wahl jetzt. Und dann? Wieder hätte die FDP abgewunken, weil Frau Merkel für sie nicht wählbar ist - und die SPD hätte gesagt: Ok, Koalition können wir machen, aber nicht mit Kanzlerin Merkel......und dann?
Also - mir ist schon klar, was du meinst und bemängelst - ich will nur deutlich machen, dass sich hier Brüssel und Berlin nicht so arg unterscheiden. Wer als Demokratietest fordert, dass man den Spitzenkandidaten der Exekutive vom Volk direkt wählen will, der muss schon typischerweise auf Präsidiale Systeme schauen. In parlamentarischen Demokratien ist dies meist unüblich und allenfalls eine übliche Praxis, dass man einen der Spitzenkandidaten dann auch zum Chef der Exekutive macht.
Tatsächlich hatten wir dann ja auch noch das Beispiel Kohl - erste Amtszeit. Da war er nicht zum Kanzler gewählt worden - wurde dann aber doch Kanzler, über das Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums. Nun hat Kohl relativ zeitnah dann auch Neuwahlen angestrebt - aber auch das ist ein Beleg dafür, dass vieles, was man von Brüssel fordert, in den nationalen Parlamenten selbstverständlich auch nicht so ist, dort aber wird es weniger kritisiert.
Den Ausschlag dürfte Merkels "Führung" Europas in der Flüchlingsdebatte gegeben haben. Und ich habe großes Vertrauen in die Briten: Die schaffen das. Allerdings wird der Bankenplatz London gewaltig leiden.
Klar schaffen die Briten das - anders als beispielsweise in Deutschland, wo Bayern nicht austreten KANN - oder in Spanien, wo Katalonien nicht austreten kann, kann man aus der EU tatsächlich auch austreten.
Merkels Verhalten bezüglich der Flüchtlinge hat sicher dazu beigetragen, dass GB so entschieden hat, wie es dann kam - allerdings unter einem starken Einfluss von Demagogen und Populisten, die wieder mal in GB und anderen Staaten üblich die EU für alles mögliche verantwortlich gemacht haben, für das eigentlich die nationalen Regierungselemente im Königreich zuständig sind.
Nimmt man dann noch dazu, dass viele Briten nicht mit abgestimmt haben, weil sie dachten, dass der Drops eh nicht aufgeht - und bemerkt man dann, dass doch einige, die damals für den Brexit gestimmt haben inzwischen tot sind, während andere junge Briten, die der Austritt ganz konkret betrifft, noch nicht mit abstimmen durften - obwohl es um ihre Zukunft geht - dann kann man die Abstimmung schon demokratisch in Zweifel ziehen. Dazu kommt, dass die Abstimmung ja keine berauschende Mehrheit für den Austritt gebracht hat - sondern nur ein äußerst knappes Ergebnis. Nimmt man dann noch dazu, dass die Briten nie über die Folgen des Austritts richtig informiert wurden, und jetzt eigentlich erst mit dem Austrittsvertrag die Bedingungen klar sind - dann spricht auch im Sinne eines wirklich demokratischen Prozesses nun alles dafür, dass man die Briten über das Vertragswerk abstimmen lässt - gerne mit folgenden Optionen:
Frage 1: Sind sie der Meinung, dass GB noch immer aus der EU austreten soll.
Frage 2: Sind sie der Meinung, dass GB auch ohne Vertrag austreten soll?
Frage 3: Sind sie der Meinung, dass GB auf der Basis des bestehenden Vertrages austreten soll?
Und gerne noch eine Reihe ergänzender weiterer Fragen, die dann klären helfen, in welche Richtung die zukünftigen Beziehungen zwischen GB und der EU gehen sollten.....
Über all diese wirklich fundamental wichtigen Punkte hat kein Brite je abstimmen können! Und doch wird bei den EU-Skeptikern gefeiert......nur was eigentlich? Das Demokratiedefizit bei der Volksabstimmung in GB?
Gerade wenn man meint, dass die EU ein Demokratiedefizit hat, sollte man doch fundamentale Demokratische Elemente auch und gerade für GB einfordern, wenn es um so wichtige Fragestellungen geht, die die Zukunft des Landes bestimmen. Es ist aber schon merkwürdig, dass hier offensichtlich von den EU-Kritikern mit zweierlei Maß gemessen wird - der EU schreibt man ein Demokratiedefizit zu, in GB aber feiert man ein demokratisch äußerst zweifelhaftes Verfahren zum EU-Austritt.
Also - was genau sind deine Maßstäbe an Demokratie? Wann wäre die EU demokratisch? Und wieso meinst du ernsthaft, dass der Austrittsprozess der Briten aus der EU so besonders demokratisch gelaufen wäre?