In anderen Ländern haben verantwortungsvolle und ideenreiche Kommunalpolitiker längst gehandelt, aber ohne die Bürger und den Handel und deren Interessen und Belange nicht aus den Augen zu verlieren. Das beste Beispiel für eine weitestgehend Autofreie Stadt in Europa dürfte wohl Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen sein (über 613.000 Einwohner).
Über Jahre hat sich Kopenhagen zu einem reinsten Fahrradparadies entwickelt. Das von viel Wasser und Kanälen durchzogene Stadtgebiet wurde mit großem Aufwand mit speziellen Fahrradwegen und eigenen Brücken versehen, wo das Nebeneinanderfahren nicht nur erlaubt sondern wegen traumhafter Fahrwegsbreite auch ungefährlich ist. Wo keine neuen Radwege angelegt werden konnten wurden ehemalige Hauptverkehrsstraßen zurückgebaut und dem Fahrradverkehr allererste Priorität eingeräumt. Da verblieben dann häufig nur noch schmale Straßen einzig für die Versorgung des Handels in der Stadt.
Dann der ÖPNV: Ein Traum in Kopenhagen. Egal, wohin man will, ein Bus ist immer zur Stelle. Lange Wartezeiten gibt es nicht. Von daher ist ein Busfahrplan überflüssig. Man muss nur wissen, in welche Linie man einsteigen muss. Und über die Fahrpreise stöhnt auch kein Bürger.
Im Stadtkern Kopenhagens sind viele Bereiche für Autos mit Verbrennungsmotoren Tabu. Da verkehren dann kleinere Busse mit Elektroantrieb. Unternehmen die in diesen Zonen ansässig sind werden ebenfalls mit Elektrofahrzeugen versorgt oder zu speziellen Ladezeiten mit Sondergenehmigung.
Berufspendler haben sich mit dieser Situation längst arrangiert. Entweder nutzen sie den ÖPNV, fahren mit dem Rad in die City oder kombinieren beides. Ich habe in den Morgen- oder Abendstunden noch nie so viele Menschen im feinen Anzug oder Kostüm mit dem Rad zur oder von der Arbeit radeln sehen wie in Kopenhagen.
Es geht also!
Als dieser ehrgeizige Plan zum Umbau von ganz Kopenhagen zur fahrradfreundlichsten Großstadt Europas den Bürgern vorgestellt wurde hagelte es Proteste sowohl von Seiten der Bürger als auch von den Unternehmen in der City, die die City am veröden und ihre Kunden in die Einkaufszentren auf der grünen Wiese abwandern sahen. Es waren genau die Argumente, die wir auch aus Deutschland kennen, als in den 1970er Jahren die ersten Fußgängerzonen in den großen Städten angelegt und der Individualverkehr dort verbannt wurde.
Heute sind die Geschäftsleute in Kopenhagen über „ihre“ Fahrradstadt glücklich. Keiner wünscht sich die alten Zeiten herbei, als der Autoverkehr die ganze Stadt mit Abgasen verpestete. Heute herrscht in der Stadt ein Klima wie in einem Luftkurort. Viele Einzelhändler profitieren sogar von der vollzogenen Wandlung, insbesondere die, die an den Einfallstraßen der Stadt liegen. Früher fuhren da die Leute bzw. Familien mit dem Auto einfach achtlos vorbei, weil sie ja in der City shoppen wollten. Heute kommen Radler in Scharen an deren Läden und Schaufenster vorbei um auch da zu Schauen und kaufen. Die Zufahrtsstraßen zur City wurden so in die Einkaufsstraßen der City integriert.
Wer als Besucher Kopenhagen mit dem Fahrad erkunden will steuert einen der über 100 Fahrrad-Parkplätze an und leiht sich gegen eine Pfandgebühr eines 20-Kronenstücks (2,70 Euro) ein Cityrad aus, mit der er/sie nach Lust und Laune Kopenhagen erkunden kann. Wird das Rad am Ende der Tour an irgendeinem beliebigen Fahrrad-Parkplatz wieder abgestellt und angeschlossen gibt das Schloss das 20-Kronenstück wieder heraus. Das funktioniert so wie bei den Einkaufswagen unserer Supermärkte. Geklaut werden die Räder nicht, weil diese aufgrund ihrer Bauweise und Aussehens viel zu auffällig sind. Zudem wachen Citybike-Patrouillen darüber, dass Radler die Innenstadtgrenzen nicht überschreiten und reparieren defekte Räder auf den Parkplätzen sofort an Ort und Stelle.
Allein den Unterhalt dieser Fahrradflotte lässt sich die Kommune jährlich über 150.000 Euro kosten.
Ich habe Kopenhagen mehrfach besucht und bin begeistert. Aber nicht nur ich. Seit Jahren kommen Delegationen von Städteplanern aus aller Welt nach Kopenhagen, um sich dieses bisher wohl einmalige Konzept anzuschauen und um zu prüfen, ob und wie dieses in ihrer Heimatkommune in Korea, Japan, Malaysia, Kanada oder sonstwo auf der Welt umzusetzen ist. Dafür werden eigens Berater/Beraterinnen für Stadtplanung eingesetzt.
Kann dieses Kopenhagener Konzept so verkehrt sein? Einziges Problem: Die gesamte Kommunalpolitik muss an einem Strang ziehen und bereit sein, für ein solches Projekt ohne Kompromisse viel Geld auszugeben. Auf lange Sicht zahlt sich das dann aus. Für Kopenhagen ist „ihre“ Fahrradstadt längst zum neidvollen Geschäftsmodell geworden.
Sehenswert in diesem Zusammenhang (speziell ab Minute 15. Allerdings ist die ganze Doku sehenswert):
https://www.youtube.com/watch?v=-T9Gbxm3mL0
https://www.ndr.de/ratgeber/verbrau...agen-fuer-Radler-so-attraktiv,fahrrad928.html