Im Grunde hatten wir das alles schon mal.
Das Weimar-Syndrom
Von Volker Ullrich
Politische Parteien waren in Deutschland nie sonderlich populär.
Zu keiner Zeit aber waren sie so verhaßt wie in der Weimarer Republik. „Aus der Angst um den Beuteanteil entstand auf den großherzoglichen Samtsesseln und in den Kneipen von Weimar die deutsche Republik, keine Staatsform, sondern eine Firma.
In ihren Satzungen ist nicht vom Volk die Rede, sondern von Parteien.
Wir haben kein Vaterland mehr, sondern Parteien; keine Rechte, sondern Parteien; kein Ziel, keine Zukunft mehr, sondern Interessen von Parteien.“
Zitate
Der von Bismarck und seinen Erben betriebenen Abwertung von Parlament und Parteien entsprach deren geringes öffentliches Ansehen.
Der Reichstag wurde gern als „Schwatzbude“ tituliert; der Streit der Parteien erschien vielen als überflüssiger „Hader“, als schädlich für die Einheit der Nation.
Dem entgegengestellt wurde die Parole von der „Regierung über den Parteien“, die angeblich nur dem Wohle des Ganzen verpflichtet sei.
Daß Parteipolitiker nur ihre egoistischen Interessen bedienten, daß Parteienherrschaft nur in Korruption und Chaos führen könne – diese Vorstellung hielt sich weit über das Ende des wilhelminischen Obrigkeitsstaates hinaus.
Mit dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie im Herbst 1918 wandelte sich die Funktion der Parteien grundlegend.
Von ihrer Randstellung rückten sie ins Zentrum des politischen Prozesses.
Sie wurden zu legitimen Trägern der politischen Willensbildung.
Besonders schwer taten sich die Sozialdemokraten.
Im Kaiserreich als „Reichsfeinde“ und „vaterlandslose Gesellen“ verteufelt, halfen sie im November 1918, den Übergang zur parlamentarischen Republik möglichst reibungslos zu vollziehen.
Doch die ihnen zugefallene Regierungsverantwortung empfanden nicht wenige führende Sozialdemokraten eher als Last denn als Chance zur Neugestaltung.
Öffentliche Unterstützung erhielten sie durch namhafte Weimarer Staatsrechtslehrer. In seiner vielbeachteten Berliner Rektoratsrede von 1927 forderte zum Beispiel Heinrich Triepel „eine Veredelung der ,egalitären‘ Demokratie durch ihre Umwandlung in eine Führeroligarchie“.
An die Stelle der „unverantwortlichen Parteiorganisationen und der noch unverantwortlicheren, vielfach anonymen Mächte, die sich hinter ihnen verbergen“, müßten „selbständige und daher verantwortliche Staatslenker“ treten.
Noch deutlicher wurde Carl Schmitt, der schärfste Kritiker des Weimarer Parlamentarismus, in einem 1929 veröffentlichten Aufsatz, der den Titel trug: „Der Hüter der Verfassung“.
Darin erklärte er den Reichspräsidenten zur einzigen Kraft, die dem selbstzerstörerischen Treiben der Parteien Einhalt gebieten könne. Auf ihn sei „die Staatsordnung des heutigen Deutschen Reiches in demselben Maße angewiesen, in welchem die Tendenzen des pluralistischen Systems ein normales Funktionieren des Gesetzgebungsstaates erschweren oder sogar unmöglich machen“.
Was Schmitt vorschwebte, hatte weniger mit der Rettung der Verfassung zu tun als damit, den Reichspräsidenten in die Lage zu versetzen, die Weimarer Demokratie mit Hilfe des Artikels 48 aus den Angeln zu heben.
http://www.zeit.de/1993/28/das-weimar-syndrom/seite-6