So titelt Express vom 30.12. in einer kleinen Randnotiz und schreibt:
<<29 Prozent wissen in der Politik überhaupt nicht, worum es geht. Bei Geringverdienern fühlt sich sogar fast die Hälfte (46 Prozent) abgehängt, bei den Abiturienten sind es immerhin noch 15 Prozent. Das geht aus einer Umfrage des evangelischen Monatsmagazins "Chrisman" hervor.<<
Und das ist genau der Punkt, warum ich bei den Forderungen nach "mehr Demokratie" in Bezug auf Volksabstimmungen sehr skeptisch bin.
Es ist im Grunde genommen mMn einfach das Interesse nicht vorhanden. Diskussionen - wenn überhaupt - finden nur am "Stammtisch" statt.
Es ist ja nicht so, dass sich die Menschen nicht informieren könnten. Aber interessieren für das mehr oder weniger "große Ganze" tun sie sich nicht. Allenthalben für die Dinge, die ihnen selbst nutzen, wie Mindestlöhne oder Gewerkschaftsforderungen oder Verteuerungen/Vergünstigungen o.ä.
Was denken Sie? Ist es wichtig, ein gutes "Basiswissen" über Wirtschaft und Politik zu besitzen und erforderlich für jeden Bürger, dies immer wieder aufzufrischen und auf dem neuesten Stand zu halten?
Hallo Olivia,
ich bin nicht ganz sicher, ob Du Deine Frage in erster Linie auf das Für und Wider zum Thema Plebiszit beziehst oder sie grundsätzlicher verstehst? Im Sinne der Frage nach einer Art Bürgerpflicht zur politischen Bildung (im weitesten Sinne des Wortes)?
Generell besteht meines Erachtens in erster Linie die Verpflichtung des Staates, vermittels seiner Schulen - deren Besuch er ja vorschreibt - auch grundlegendes Wissen über den Aufbau unseres Staates, über sein Regierungssystem, sein Wirtschaftssystem, sein Gesellschaftssystem zu vermitteln. Und das tut er auch (ob stets in angemessener Weise, ausreichend neutral etc. ist wieder eine andere Frage): mit Abschluß der Schule hat im Grunde jeder Einwohner dieses Landes zumindest die Chance gehabt zu lernen, was Gewaltenteilung ist, wie sich unser Staat zusammensetzt, wie unsere Regierung usw. Ich rede jetzt hier nicht von hochkomplexen Fragestellungen wie der nach den Überschneidungen z.B. der 3 Gewalten: sondern davon, daß man zumindest wissen kann (und zwar gleichgültig, welchen Schultyp man besucht hat), daß es z.B. einen Bundestag gibt und einen Bundesrat, was jeweils die Aufgaben dieser Kammern sind, wie sie sich zusammensetzen und warum das so strukturiert ist und nicht anders. Man
kann zumindest wissen, wie unser Wahlrecht strukturiert ist (auch wenn dieses zu einem der komplexesten auf der Welt gehört). Dazu muß man sicherlich nicht tief in die Materie von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht und dergleichen einsteigen, aber die Grundzüge kann man lernen und durchschauen.
Gleiches gilt natürlich auch für Kenntnisse über unser Wirtschaftssystem und unsere Gesellschaftsstruktur.
Grundsätzlich hat also JEDER Zugang zu diesem Wissen, der in Deutschland zur Schule gegangen ist und diese erfolgreich beendet hat. Nun hast Du natürlich völlig recht, wenn Du die Frage stellst, ob es erforderlich ist, dieses Basiswissen stets aufzufrischen und, sozusagen, zu aktualisieren. Jedes Wissen ist nun einmal nur solange von Nutzen, wie es auch angewandt wird: ansonsten landet es in der geistigen Rumpelkammer, staubt zu und wird schlicht eines Tages vergessen und als Sperrmüll entsorgt. Die MÖGLICHKEIT, dieses Wissen zu nutzen, frisch und verfügbar zu halten, hat jeder. Aber: gibt es auch so etwas wie eine Pflicht, genau das zu tun? Juristisch sicherlich nicht. Moralisch... möglicherweise.
Ich denke allerdings: eher nicht. So, wie man einem Pferd nur Wasser anbieten, nicht aber es zum Saufen zwingen kann, kann man auch Teilnahme und Teilhabe am politischen Prozeß nur anbieten, diese Teilnahme aber nicht erzwingen. Gäbe es, beispielsweise, eine Wahlpflicht, wäre man endgültig in der Diktatur angelangt und das Wahlergebnis wäre völlig belanglos. Was ich allerdings für ein absolutes No-Go halte, ist sich NICHT zu informieren, sich keine Grundlage zu schaffen, auf der man sich entscheidet, den Arsch nicht vom Sofa zu heben und wählen zu gehen - und dann zu maulen, wenn nicht das an die Regierung kommt, was einem vorgeschwebt hätte. Oder sich über die Wahl zu beschweren, die man - wenn man nicht wählt - andere hat treffen lassen (und damit an diese auch die Verantwortung delegiert hat). Genau DAS allerdings kommt immer mehr in Mode: sich tatsächlich sachlich mit den Aspekten, die für einen selbst relevant sind, auseinanderzusetzen? Och, nöööö... Bequemer ist es, sich keinen Kopp um irgend etwas zu machen, zu sagen: "Ändert doch eh nix!" oder auch: "Interessiert mich nicht, ist der MP3-Player bei Aldi im Angebot?" - und dann zu jammern, auf einen selbst werde seitens Politik und Wirtschaft keine Rücksicht genommen.
Und sich die Welt in "Die-da-oben" und "Wir-hier-unten" zurechtzulügen, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen, von der Anstrengung, sich Gedanken um die jeweils "richtige" Wahl zu machen ganz zu schweigen...
Kurz und gut: Niemand MUSS wählen und niemand MUSS sich informieren oder sein Wissen auf einem angemessenen Stand halten, es reicht, wenn es jeder KANN. Wenn man allerdings wählen will, sollte man zumindest einigermaßen wissen, was man wählt, wie man wählt, warum man wählt (nicht im Sinne persönlicher Interessenlage gemeint!!!). Sonst läßt man es besser bleiben. Und WENN man es bleiben läßt - aus welchen Gründen auch immer - hat man die Mehrheitsmeinung derer, die gewählt haben, zu akzeptieren und zu respektieren. Egal, wie das Ergebnis ausfällt.
In diesem Sinne ist ein gesundes Basiswissen sicherlich hilfreich und notwendig, wenn man politische Teilhabe anstrebt.
Gruß -
Bendert