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Geschichte der Sowjetunion - Landwirtschaft

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G

Gelöschtes Mitglied 2265

(marxistische Sichtweise)

Sowjetische Landwirtschaft

1. Getreideraub

Im Verlauf der Russischen Revolution hatten Bauern, die kein Land besaßen, sich Land genommen. Pachtverträge wurden verbrannt. Bei den Bolschewiki setzte sich Lenin mit der realistischen Auffassung durch, dass die Bolschewiki nur dann an der Macht blieben, wenn sie diese Landumverteilung zugunsten der Kleinbauern legalisierten. Durch die Landverteilung stieg die Zahl der Bauernfamilien in Russland von rund 18 Millionen auf 25 Millionen (1927). Die ungleiche Landverteilung wurde weitgehend nivelliert, die Durchschnittsgröße des Landes, das eine Familie bebaute, fiel.[1] Die Bauernschaft war zunächst der Hauptnutznießer der Russischen Revolution.

Diese selbstwirtschaftenden russischen Bauern verfügten über die wesentlichen Produktionsmittel Land, Tier, Werkzeug und Saatgut ohne Einkauf, ohne Zirkulation. Selbst die Pflüge bestanden in den Anfangsjahren der Sowjetunion häufig nur aus Holz, so dass der Bauer sie selbst ohne den industriellen Rohstoff Stahl fertigte. Der Bauer konnte anfangen zu wirtschaften ohne Eingreifen von oben, ohne Direktive.

Die Erholung der sowjetischen Landwirtschaft in den zwanziger Jahren erfolgte in dieser spontanen Weise. Die Bauern wirtschafteten in Subsistenzwirtschaft nach der Formel:

W(landw.) ... P ... W(landw.)

Geld spielte für sie kaum eine Rolle, es gab für die Bauern wenig zu kaufen. Getreide war besser als Geld, es war auf dem Land noch „der Wert aller Werte“[2].

Für die Industrialisierung des Landes wurde aber Getreide für die wachsende Arbeiterbevölkerung gebraucht. Sollte die Industrialisierung nicht scheitern, dann hatte die Bauern einen Lebensmittelüberschuss zu produzieren, über ihren Eigenbedarf hinaus.

Von Anfang betrachtete die sowjetische Regierung alle landwirtschaftlichen Überschüsse als staatliches Eigentum, den Bauern sollte nur ihr Lebensunterhalt, gleichsam ein Arbeiterlohn bleiben. In der Zeitschrift „Kommunist“ hieß es 1920: „Wie die Arbeiter ihre ganze Arbeitskraft dem Staat schulden, so schuldet der Bauer seine Überschüsse dem Staat.“[3] Dem Arbeiter konnte der Sowjetstaat sein Arbeitsprodukt ganz ohne Gewaltanwendung wegnehmen, aber dem Bauern?

Auf der „Allrussischen Versorgungskonferenz“ von 1920[4] wurde beschlossen, alle bäuerlichen Überschüsse einzuziehen. Allerdings gab es zunächst keine wirtschaftlichen, sondern nur außerwirtschaftliche Mittel, um diese Absicht durchzusetzen. Die Bolschewiki zogen in bewaffneten Formationen auf die Dörfer und nahmen den Bauern alles Getreide weg, was ihnen als „Überschuss“ erschien. Durch diesen sogenannten „Kriegskommunismus“ wurde den Bauern ihr überschüssiges Getreide und oft noch mehr mit militärischer Gewalt geraubt.

In der Geschichte der KPdSU wird das allein aus der Kriegssituation begründet: „Der Sowjetstaat war genötigt, von dem Bauern auf Grund der Ablieferungspflicht alle Überschüsse für die Bedürfnisse der Landesverteidigung einzuziehen.“ [5]

Dass aber eine revolutionäre Armee auch in Kriegszeiten ohne eine solche Vergewaltigung der Bauernwirtschaften auskommen kann, bewiesen die chinesische KP und die chinesische Rote Armee. Außerdem wurde in der jungen Sowjetunion deutlich weniger Getreide für die Landesverteidigung requiriert als für die Versorgung aller Werktätigen in den Städten. In den Städten waren viele Mäuler mehr zu stopfen als in der Armee.

Trotz dieses Raubs ihrer Arbeitsfrüchte war die Stimmung der Bauern zunächst nicht gegen die Bolschewiki gerichtet: „An vielen Orten war immer die Furcht vor der Gegenrevolution..., die dem kleinen Mann das Land wieder abnehmen würde, stärker als der Widerwille gegen Kommissare, Requisitionen und Exekutionen.“[6] Die Bauern äußerten spontane Antistaatlichkeit, nicht „Antikommunismus“. Sie wollten weder Steuern zahlen, noch Abgaben abliefern, noch Rekruten stellen, sie wollten einfach für sich selber arbeiten und selber ihre Arbeitsfrüchte genießen.[7]

Sobald den Bauern ihre Arbeitsfrüchte weggenommen wurde, schränkten sie die folgende Ernte ein und schlachteten ihr Vieh. Sie wollten für sich und nicht für den Staat arbeiten. Die notwendige Folge des Getreideraubs war ein noch geringeres Getreideangebot im folgenden Jahr.

1921 war daher ein Jahr schrecklichen Hungers, in dem Unzählige verhungerten. Die Sowjetregierung musste Lebensmittelhilfe aus den USA akzeptieren und kaufte trotz äußerst knapper Devisen Getreide auf dem Weltmarkt.

Durch Raub des bäuerlichen Mehrprodukts hätte sich auf Dauer keine Regierung halten können. Schon 1920 brachen überall im Sowjetgebiet bewaffnete Bauernunruhen aus, die auf die Städte übergriffen und im Februar 1921 im Kronstädter Arbeiteraufstand gipfelten. Die Sowjetregierung war in einer schweren Krise und in der Partei entbrannten Fraktions- und Machtkämpfe.

In dieser wirtschaftlich wie politisch krisenhaften Lage entwarf Lenin die Neue Ökonomische Politik, die einen durch private Händler organisierten Austausch zwischen Stadt und Land förderte, den Bauern Industrieerzeugnisse anbot und sie im Kauf gegen Getreide austauschte.

In der „Geschichte der KPdSU“ wurde die wirtschaftliche Zwangslage, in die sich die Sowjetregierung gebracht hatte, vornehm vertuscht und dieser Richtungswechsel als freie und einsichtsvolle Entscheidung hingestellt: „Dem Zentralkomitee der Partei, seiner Leninschen Mehrheit war es klar, dass es nach Beendigung des Krieges und nach dem Übergang zu friedlichem wirtschaftlichen Aufbau keinen Grund mehr gab, das durch die Verhältnisse des Krieges und der Blockade bedingte harte Regime des Kriegskommunismus beizubehalten.“[8]

Mit der Neuen Ökonomischen Politik führte Lenin die Marktwirtschaft in der Sowjetunion wieder ein, aber es war eine „soziale Marktwirtschaft“ mit besseren Schutzvorschriften für die sowjetischen Werktätigen als die Lohnarbeiter in irgendeinem kapitalistischen Land bis heute erreicht haben. Alle diese Arbeiterschutzgesetze wurden jedoch von späteren Sowjetregierungen wieder rückgängig gemacht.

Durch die Neue Ökonomische Politik nahm die bäuerliche Produktion in der Sowjetunion erstmals in größerem Umfang die Form der Warenproduktion an. Die Bauern verkauften einen Teil ihrer Ernte W(landw) gegen Geld G und kauften von dem Geld Industrieprodukte W(industr). Das ergibt für diese Warenproduktion die Formel:

W(landw) - G – W(industr) ...Produktion.... W(landw)

Dabei gingen die für Geld gekauften W(industr) sowohl in den produktiven wie individuellen Konsum der Bauern ein, z.B. als Pflüge oder als Seife und Zündhölzer. So erst konnte die bäuerliche Arbeit für die Industrialisierung als freiwilliger Lieferant von Lebensmitteln und Rohstoffen wie als Abnehmer von Industriegütern nutzbar gemacht werden.

Die Landwirtschaft und die sowjetische Wirtschaft insgesamt erholten sich und erreichten in den folgenden fünf Jahren die guten Wirtschaftszahlen von 1914. Also war doch eine Harmonie zwischen Industrialisierung und bäuerlicher Kleinproduktion möglich?

Dieses scheinbar harmonische Zusammenwirken von Landwirtschaft und Industrie musste gestört werden, sobald die Bauern für ihr Getreide nicht genug Industriegüter bekamen – entweder weil die Preisrelationen für die Bauern zu ungünstig waren oder weil zuwenig Industriegüter produziert wurden, die die Bauern nachfragten.



wird fortgesetzt
 
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Gelöschtes Mitglied 2265

2. Die „ursprüngliche sozialistische Akkumulation“

Scheinbar gab es seit Lenins Neuer Ökonomischer Politik, die wieder Marktbeziehungen zwischen den Bauern und den Städtern zuließ, keine unlösbaren Widersprüche zwischen der Industrialisierung in den Städten und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in den Dörfern. In den Jahren 1922 bis 1926 erholte sich die Wirtschaft und erreichte erstmals das vorrevolutionäre Niveau. Dabei entwickelte sich die Landwirtschaft spontan durch die unabhängige Wirtschaftstätigkeit der vielen selbständigen Bauern. In der Industrie war allerdings insofern ein großer Wandel eingetreten, als die Sowjetregierung inzwischen alle großen Unternehmen verstaatlicht und unter ihre zentrale Kontrolle gebracht hatte.

Das Selbstbewusstsein und die Macht der Partei war gestiegen, die bedrohliche Ernährungskrise von 1921 war schon vergessen. Mit dieser Siegesstimmung wollte die Partei eine beschleunigtes Wirtschaftswachstum durchsetzen, für das vor allem der linke Parteiflügel und Trotzki eintrat.

Ungeachtet der Tatsache, dass beide später von den Schergen Stalins politisch und persönlich verfolgt und umgebracht wurden, so entsprach ihre Theorie völlig dem bolschewistischen Wirtschaftsprogramm. Ja man muss sagen, dass Preobraschenskij dieses Programm als erster klar durchdacht und verstanden hatte. Er schrieb z.B. „Der Kampf für die Reproduktion sozialistischer Verhältnisse bedeutet aber Kampf für die Vermehrung der Produktionsmittel in Händen des proletarischen Staates, er bedeutet die Konzentration einer ständig wachsenden Anzahl von Arbeitern um diese Produktionsmittel, er bedeutet wachsende Arbeitsproduktivität im gesamten System.“[9] Das ist eine zutreffende Beschreibung des Sowjetsystems. Die Produktionsmittel in den Händen des Sowjetstaates sollten vermehrt werden. Diese Vermehrung oder Akkumulation hätte mit rein ökonomischen Mitteln aus dem Mehrprodukt dieses Sektors geschaffen werden können. Das war jedoch Trotzki und Preobrashenskij nicht genug: „Unter sozialistischer Akkumulation verstehen wir ein Mehrprodukt, das zu den im Betrieb befindlichen Produktionsmitteln hinzugefügt wird, und das innerhalb der errichteten sozialistischen Wirtschaft geschaffen wurde und nicht als zusätzliche Zuteilung an die Mitglieder der sozialistischen Produktion und des sozialistischen Staates verwendet wird, sondern der erweiterten Reproduktion dient.
Ursprüngliche sozialistische Akkumulation andererseits ist die Akkumulation materieller Hilfsquellen in den Händen des Staates, aus Quellen, die teilweise oder hauptsächlich außerhalb der Staatswirtschaft liegen. Diese Akkumulation muss in einem rückständigen bäuerlichen Land eine außerordentlich große Rolle spielen ...“[10] Ursprüngliche sozialistische Akkumulation hieß nichts anderes als direkte oder indirekte Enteignung von selbständigen Kleinproduzenten. Nur darum handelte es sich, und die Wortanalogie zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitalismus war völlig angebracht.[11]

Trotzki und Preobraschenskij vertraten die These, dass die Industrialisierung nicht allmählich durch allein „innere Akkumulation“ verlaufen solle, sondern beschleunigt werden solle durch „externe Akkumulation“, durch indirekte Wertübertragung aus der Arbeit der Bauern und durch ihre direkte Enteignung.

Da in der Sowjetunion die bäuerliche Bevölkerung die große Mehrheit stellte, war diese These höchst unpopulär. Stalin und die Parteimehrheit kritisierten öffentlich diese These, aber faktisch handelten sie ganz im Sinne dieser Theorie. Die Sowjetregierung senkte die Getreidepreise, damit sie mehr Getreide für weniger Industriewaren bekam, bzw. für die gleiche Getreidemenge weniger industrielle Konsumprodukte an die Dörfer liefern musste. Das war eine Maßnahme zur „externen“ Akkumulation des staatlichen Industrie.

Die staatlich festgesetzten Getreidepreise wurden 1926/27 um bis zu 25 % gesenkt. Doch weil die Bauern im Besitz ihrer Produktionsmittel waren, ließen sie sich nicht die Preise für ihr Getreide diktieren. Sie verkauften nicht oder nur zum wirklichen Wert. Sie hatten die Macht, Getreide zu verkaufen oder zu horten. Die Bauern beeinflussten damit das Tempo der Akkumulation in der Industrie, weil sie im Produktenaustausch Industriegüter - Agrargüter nur zu gleichen Werten oder zu für sie günstigeren Werten tauschen wollten, und daher keine Extragewinne der Industrie zuließen. Alle selbständigen Bauern, nicht allein ihre wohlhabendere Schicht, die Kulaken, entwickelten sich zur Gegenkraft gegen die schnelle Industrialisierung in der Sowjetunion.
 
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Gelöschtes Mitglied 2265

3. Bauer oder Kulak?

Über den angeblichen und tatsächlichen Widerstand der Kulaken gegen die beschleunigte Industrialisierung ist viel geschrieben worden. Was war ein russischer Kulak?

In einigen Gebieten des Schwarzerdegebietes wurden im Juni 1919 die Bauern nach folgenden Kategorien eingeteilt: Kulaken: „2 mit Blech gedeckte Häuser, 5-6 Pferde, 5-6 Kühe, 20-25 Schafe, Trockenriege, Scheune etc.“; Mittelbauern: „Haus, 1-2 Pferde, 1-2 Kühe, 3-8 Schafe, kauft und verkauft kein Getreide“; Dorfarme: „1 Pferd oder Kuh, Hütte, Getreide reicht nie bis zur nächsten Ernte.“[12]

Über die Zahl der Kulaken nach der Revolution geben die Bauernhaushalte, die zusätzliches Land pachteten, einen ungefähren Eindruck. Das waren (in Prozent)[13]:



Tabelle 4) Anteil der Bauern mit Zusatzpachtland



Jahr

Zusatzpächter

1922

2,8 %

1923

3,3 %

1924

4,2 %

1925

6,1%



Kulak war ein russisches Schimpfwort und bedeutete soviel wie „Menschenschinder“. Ökonomisch betrachtet war der Kulak jedoch ein Bauer, der Überschüsse produzieren konnte, während die „Mittelbauern“ und erst recht die Kleinbauern nur Subsistenzwirtschaft betrieben.

In der Zeit vor der Revolution stammte 71 Prozent des Getreides, das auf den Markt kam, von feudalen Gutsherrn und von den Kulaken, die jedoch nur zwischen 5% und 7% der Bauernschaft ausmachten[14]. Dagegen konnte damals die große Masse der kleinen und mittleren Bauern nicht einmal 15 % ihrer Ernte als Überschuss verkaufen, 85 % produzierten sie für den Eigenbedarf.[15]

In der deutschen Ausgabe des „ABC des Kommunismus“ wurde „Kulak“ mit „Dorfwucherer“ übersetzt. In diesem Buch von Bucharin und Preobrashenskij aus dem Jahr 1920 wurden die Kulaken sogar als „Agenten des Weltkapitals“ bezeichnet, aber zwei Seiten weiter geben die gleichen Autoren zu: „Der Kulak ist deswegen so mächtig im Dorf, weil er ein guter Landwirt ist.“[16]

1929 erklärte der Leiter der Landwirtschaftsabteilung im Gosplan, der zentralen Planungsbehörde, also gewiss einer, der es wissen musste: „Jeder Mittelbauer blickt mit Neid auf das Kulaken-Gehöft mit seinen zwei Paar Ochsen, seinem guten Pflug, seiner Dreschmaschine, die mit Pferdekraft angetrieben wurde, und seinen einem oder zwei Knechten, und der Mittelbauer denkt, das ist die Verkörperung eines idealen Bauernhofes.“[17]

War also der russische Kulak nichts anderes als ein guter Landwirt? Selbstverständlich hat es auch Ausbeuter unter den Kulaken gegeben: Doch nur rund 2% aller Bauern beschäftigten in den Anfangsjahren der Sowjetunion noch Knechte.[18]

Bauernhaushalte, die fremde Arbeitskraft ausbeuteten, waren[19]:



Tabelle 5: Bauernhaushalte mit Knechten

Jahr

Bauern mit Knechten

1922

1 %

1923

1 %

1924

1,7 %

1925

1,9 %



In der Mehrzahl waren die Kulaken selbstwirtschaftende Bauern, die mehr erwirtschafteten als sie selber verbrauchten, denen also auch mehr weggenommen werden konnte und die trotzdem nicht davonlaufen konnten.

Das Geschrei gegen „Kulaken“ war Tagespolitik und politische Taktik. Man schlug den Reiter und meinte das Pferd, den Bauern. Tatsächlich waren die Bauern insgesamt sowohl ein wirtschaftlicher Bremsklotz für die beschleunigte Industrialisierung als auch eine willkommene Beute für die „ursprüngliche Akkumulation“. Auch der ärmste Bauer war „potentiell ein Kulak.“ – so ein Bolschewik im Jahr 1918.[20] Wenn jeder russische Bauer ein potentieller Kulak war, gab das auch hinreichenden Grund, alle Bauern und nicht nur die Kulaken zu enteignen.

Als Folge der Getreidepreissenkung und der reduzierten Produktion von industriellen Konsumgütern bekam die Parteiführung nicht, wie sie gehofft hatte, die gleiche Getreidemenge im Austausch für weniger Industrieprodukte, sondern sie handelte sich eine erneute Getreidekrise und eine landesweite Hungersnot ein. Die Bauern waren mit dem niedrigen Getreidepreis nicht zufrieden und konnten für das wenige Geld, das sie bekamen, nichts kaufen. Sie verkauften daher ihr Getreide nicht. „Der Bauer geht durch alle Geschäfte und schaut, was er kaufen kann, und je nach dem verkauft er einen Teil oder sein ganzes Getreide, das er mitgebracht hat.“[21]

Es gab andererseits keine staatliche Getreidevorräte, die die Regierung in dieser kritischen Lage auf den Markt hätte bringen können. Die Stadtbevölkerung war von Hunger bedroht und murrte wieder.

In der „Geschichte der KPdSU“[22] wurde diese Versorgungskrise von 1927/28 allein der „Rückständigkeit der Landwirtschaft“ angelastet. Die Wachstumszahlen der Industrie wären ja zur selben Zeit glänzend gewesen. Glänzend waren aber nur die Wachstumszahlen der Produktionsmittelindustrie. Die Sowjetführer hatten nicht begriffen – oder wollten nicht begreifen -, dass Produktionsmittelindustrie und Konsumtionsmittelindustrie ebenso aufeinander bezogen sein müssen wie die Industrie insgesamt auf die Landwirtschaft. Tatsächlich war die sowjetische Industrieproduktion zu wenig auf die Landwirtschaft ausgerichtet, und der Grund der Unterversorgung der Städte mit Getreide war eine Unterversorgung der Bauern mit für sie nützlichen Industriegütern.

Wieder griff die Partei wie während des Kriegskommunismus zum Mittel der militärischen Gewalt und requirierte das Getreide, das die Bauern nicht verkaufen wollten. Das konnte wie 1920 nur eine zeitweilige Lösung bringen. Nur mit verstärktem administrativem Druck konnte verhindert werden, dass die Bauern im folgenden Jahr die Getreideproduktion so sehr einschränkten, dass wenig übrig blieb, das man ihnen noch hätte wegnehmen können. Diese Notsituation war die Geburtsstunde der Zwangskollektivierung der gesamten Bauernschaft.
 
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Gelöschtes Mitglied 2265

4. Zwangskollektivierung

Die Bauern wollten ihr Getreide nicht zu den bewusst niedrig festgesetzten Preisen verkaufen. Stalin und die Sowjetregierung schickten bewaffnete Parteitrupps auf die Dörfer, um Getreide und Lebensmittel zwangsweise einzuziehen. Die Bauern traten in Produktionsstreik und produzierten nur noch das Allernötigste für ihre eigenen Familien. Der Hunger kehrte wieder ein in Dörfer und Städte.

Anfang 1929 musste die Brotrationierung für rund 40 Millionen Menschen eingeführt werden. Noch im gleichen Jahr mussten fast alle anderen Lebensmittel ebenfalls rationiert werden.[23]. Noch im April 1931 war Brot, Getreide, Fleisch, Fisch, Zucker und Fett rationiert.[24]

Die Sowjetmacht steckte tief in einer hausgemachten Wirtschaftskrise, die im Westen nur deshalb kaum wahrgenommen wurde, weil auch der Kapitalismus inzwischen in eine weltweite Krise geraten war. Wie in jeder Krise brach innerhalb der sowjetischen Führung wieder ein offener Machtkampf aus.

Die Optionen, die die Sowjetregierung noch hatte, waren Verlangsamung der Industrialisierung und gute Beziehungen zu den Bauern, für diese Politik stand der Name Bucharin, oder beschleunigte Industrialisierung ohne Rücksicht auf die Bauern, dafür setzten sich Trotzki und seine Anhänger ein. Es war leicht, eine Mehrheit in der Partei gegen diese unpopuläre Wirtschaftspolitik zu bilden, und Trotzki und seine Anhänger aus der Partei auszuschließen. Es nützte Trotzki auch nichts, dass er sich gleichzeitig für demokratischere Herrschaftsmethoden eingesetzt hatte. Wie die Verhältnisse bewiesen, war sein antibäuerliches Programm gar nicht mit demokratischen Mitteln durchsetzbar, weil es den unmittelbaren Interessen der großen Bevölkerungsmehrheit widersprach. Das politische und das wirtschaftliche Programm Trotzkis passten nicht zusammen. Seine Forderung nach „Demokratie“ war eine Hülle, die seine Kernforderung nach „Vermehrung der Produktionsmittel in Händen des proletarischen Staates“[25] nur schlecht verhüllte.

Bucharins Politik der verlangsamten Wirtschaftsentwicklung war ebenfalls nicht im Sinne der Parteimehrheit. Seine Wirtschaftspolitik folgte den spontanen Interessen der bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit. Dieses Programm war also im Wesen demokratisch. Aber gerade weil Bucharins Politik der Schonung der Bauern im Kern demokratisch war, widersprach diese Politik dem Selbstverständnis der bolschewistischen Partei und untergrub ihren Machtanspruch. Die Herrschaft der bolschewistischen Partei konnte sich nicht auf die bäuerliche Mehrheit stützen, weil die Interessen der Bauern mit den Industrialisierungszielen der Partei nicht vereinbar waren.

Auch Bucharin und seine Anhänger standen der Parteilinie im Weg und wurden kritisiert und ausgeschlossen.

Während die Parteimehrheit und Stalin noch nach Wegen aus ihrem politischen Dilemma suchten, gingen die Zwangsrequisitionen von Getreide auf den Dörfern weiter. Stalin und die Partei entschieden sich für das letzte Mittel, das sie hatten: militärische Gewalt. Der Entschluss zur Zwangskollektivierung und der Beschluss zur „beschleunigten Entwicklung der Produktionsmittelindustrie“ wurden zur gleichen Zeit im gleichen krisenhaften Umfeld gefasst. Der innere Zusammenhang von beidem wurde von Preobraschenskij in der „ursprünglichen sozialistischen Akkumulation“ ausgesprochen: Die Industrialisierung wurde auf Kosten der selbständigen Bauern beschleunigt. Preobraschenskij musste diese Enthüllung eines der Geheimnisse des Sowjetsystems mit dem Tod bezahlen[26].

Am 15. Mai 1928 wurde zum erstenmal in einem ZK-Dokument[27] das Ziel der „Vernichtung der Kulaken“ formuliert. Damit war aber gleichzeitig das Urteil über alle selbständigen Bauern gesprochen. Nicht nur die Kulaken wurden enteignet, sondern alle Bauern. Die Kulaken und alle Bauern, die aufmuckten, wurden erschossen, in Lager gebracht oder nach Sibirien deportiert.

Die verbliebenen Bauern wurden auf dem Land, auf dem sie arbeiteten, zu Lohnarbeitern der Sowchosen und Kolchosen zwangsverstaatlicht wie vorher die sowjetischen Arbeiter in den staatlichen Betrieben. Aber die sowjetischen Bauern hatten mehr verloren als die sowjetischen Arbeiter.

Die sowjetischen Arbeiter hatten nur die Gestalt ihrer Unmündigkeit gewechselt: Waren sie vor der Revolution dem Profitwillen kapitalistischer Unternehmer unterworfen, so wurden sie nach der Revolution von sowjetischen Planbürokraten bevormundet.

Die sowjetischen Bauern hatten durch die Revolution erst Land und Selbständigkeit gewonnen, und verloren jetzt beides. Sie wurden in Kolchosen und Sowchosen als Leibeigene des Staates gehalten.

Die Bauern rächten sich dafür in den verbleibenden Jahren der Sowjetunion mit hartnäckiger Lethargie, die in zunehmendem Maße zum Bleigewicht der wirtschaftlichen Entwicklung wurde.

Bis 1958 wurden die Agrarpreise von der Regierung bewusst so niedrig gehalten, dass die jetzt in Kolchosen und Sowchosen kollektivierten Bauern nicht ihre eigenen Unkosten decken konnten. Der Großhandelspreis für Kartoffeln war so tief, dass er nicht einmal die Transportkosten vom Acker zu Ankaufsstelle deckte.[28] Zwischen 1928 und 1948 erhielten die Kolchosenbauern z.B. für einen Doppelzentner Roggen höchstens 8 Rubel. Derselbe Doppelzentner wurde von der staatlichen Ankaufsstelle für 338 Rubel an die Mehlfabriken weiterverkauft.[29]

Da den Kolchosen und Sowchosen gleichzeitig feste Ablieferungsquoten vorgeschrieben waren, handelte es sich bei dem „Verkauf“ ihrer landwirtschaftlichen Produkte tatsächlich um Zwangsabgaben oder staatlich organisierte Aneignung ihres Arbeitsprodukts.

Die Sowjetführer wollten von Anfang an dieselben Kommandomethoden, die im industriellen Produktionsprozess möglich sind, weil die große Maschinerie selber Arbeitsdisziplin einfordert, auf die Landwirtschaft übertragen, wo jedoch agrarische Kenntnisse und Eigeninitiative der Produzenten unbedingt erforderlich sind.

Auf einem von Majakowski getexteten städtischen Propagandaplakat[30] von Februar 1921 hieß es:

„Saatkampagne:
Erfüllen wir das Dekret!

Die Sowjetmacht gab uns den Plan.

Ich schließe sie ins Herz.

Wie es der Sowjetplan befiehlt,

säe ich überall.“



Die Zwangskollektivierung organisierte nun die Landwirtschaft nach dem Vorbild der staatlichen Fabriken. Das Ziel Lenins, aus der ganzen Gesellschaft eine einzige Fabrik zu machen, war erreicht. Die Gesellschaftsmitglieder wurden mehr oder minder alle gleichermaßen zu Knechten gemacht, nicht die Gesellschaft von Knechtschaft befreit.

Mit den zwangsläufigen Missernten häuften sich die folgenlosen Klagen in der sowjetischen Presse[31]: „Zu viele Anweisungen werden nach unten gegeben ... Besonders häufig ist die Vorschrift über die Größen der Weizenflächen ... Die Bauern haben kein Entscheidungsrecht über die Aussaat, ihnen werden exakte Direktiven gegeben, die sie strikt befolgen müssen ... Alles ist von oben geplant, die Feldfrüchte, die Anbauflächen, die Größe der Viehherden, die Wertschöpfung der Arbeit, Reparaturen, Dienstleistungen ...“

Nirgends zeigte sich das Scheitern der sowjetischen Direktivwirtschaft deutlicher als im Agrarbereich. Hier bestand ein echter, innerer „Systemvergleich“: Auf ihren privaten Parzellen mit 3 % der bebauten Fläche, produzierten die Bauern im Jahr 1984 in ihrer Freizeit 25 % der landwirtschaftlichen Produktion. Dieselben Bauern erwirtschafteten in ihrer Hauptarbeitszeit auf den 97 % Flächen der Sowchosen und Kolchosen, wo ihnen moderne Technik zur Verfügung stand, nur 75 % der landwirtschaftlichen Produktion.[32] Pro Flächeneinheit produzierten die eigenständig wirtschaftenden Landwirte siebenmal mehr als die staatlich zwangsorganisierte Landwirtschaft.

Anfangs war die Kolchosen- und Sowchosenbauern von der Sowjetregierung im Interesse der industriellen Entwicklung ausgeplündert worden, seit Mitte der 60er Jahren musste die Landwirtschaft zunehmend aus dem Mehrprodukt der Industrie subventioniert werden.

Als in den 50er Jahren die Stagnation der Landwirtschaft die Weiterentwicklung der Industrie immer bedrohlicher behinderte, wurde ein zunehmender Anteil der staatlichen Investitionen in die staatliche und kollektive Landwirtschaft gelenkt:

1965 gingen 22 % der staatlichen Gesamtinvestitionen in die Landwirtschaft,

1980 waren es 27 %,

1986 waren es 26%.[33]

Aber die erhöhten Einsätze brachten immer geringere Resultate: betrug der landwirtschaftliche Produktionswert pro 1000 Rubel Investitionen 1965 noch 1069 Rubel, so fiel er bis 1980 auf 381 Rubel.[34]

Die Arbeitsproduktivität der staatlichen Landwirtschaft blieb extrem niedrig. Die „Sozialisierung“ der Landwirtschaft, das heißt die Steuerung der landwirtschaftlichen Arbeit von einer staatlichen Befehlszentrale aus, war gescheitert. Die Sowjetunion konnte ihre Bevölkerung nicht mehr mit der eigenen Landwirtschaft ernähren und musste große Mengen Getreide importieren.

Verlief in der Frühgeschichte des Kapitalismus die Enteignung der Bauern über viele Jahre schleichend und über ökonomische Mittel ohne direktes Eingreifen des Staates, so wurde diese unumgängliche Begleiterscheinung der Industrialisierung in der Sowjetunion in kurzer Zeit und unter staatlicher Gewaltanwendung durchgeführt. Nur der ökonomische Erfolg hätte dieses brutale Vorgehen nachträglich rechtfertigen können – wie der ökonomische Erfolg des Kapitalismus seine eigene blutige Vorgeschichte historisch rechtfertigt.[35]

Anstatt dass sich aber sowjetische Industrie und Landwirtschaft aufeinander zu entwickelten, wie es von Marx und Engels empfohlen und prognostiziert worden ist, entwickelten sie sich in der Sowjetunion auseinander und die sowjetische Landwirtschaft wurde dadurch immer mehr zum wirtschaftlichen Bleigewicht.
 

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[1] Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., Harmondsworth 1972, S. 106.

[2] Stalin, zitiert nach Carr, E.H. and Davies, R.W.: A History of Soviet Russia. Vol. 9 + 10: Foundations of a Planned Economy (1926-1929) London 1. Ed. 1969, , S.53.

[3] zitiert nach Scheibert, Peter: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918 - 1922. Weinheim 1984, S. 549, Anm. 102.

[4] vgl. Scheibert, Peter: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918 - 1922. Weinheim 1984, S. 143.

[5] Geschichte der KPdSU. Kurzer Lehrgang, S. 310.

[6] Scheibert, Peter: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918 - 1922. Weinheim 1984, S. 136.

[7] vgl. Scheibert, Peter: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918 - 1922. Weinheim 1984, S. 136.

[8] Geschichte der KPdSU Kurzer Lehrgang, S. 312

[9] E. Preobrazenskij: Die neue Ökonomik. Übersetzung der zweiten russischen Ausgabe von 1926. Berlin 1971, S. 74f.

[10] E. Preobrazenskij: Die neue Ökonomik. Übersetzung der zweiten russischen Ausgabe von 1926. Berlin 1971, S. 108.

[11] „...Was die Ökonomen ‚Vorgängige oder ursprüngliche Akkumulation’ nennen, (sollte) ... aber ursprüngliche Enteignung genannt werden ...“ Karl Marx: Lohn, Preis und Profit. MEW 16, S. 131.

[12] zitiert nach Scheibert, Peter: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918 - 1922. Weinheim 1984, S. 132f.

[13] nach sowjetische Quellen, Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., Harmondsworth 1972, S. 108.

[14] Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., Harmondsworth 1972, S. 108.

[15] Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., Harmondsworth 1972, S. 111.

[16] Bucharin, Nikolaj I./Preobraschenskij Jewgenij A.: Das ABC des Kommunismus. Nachdruck der deutschsprachigen Ausgabe Wien 1920. Zürich o. J. S. 545 und S. 547

[17] zitiert nach Carr/Davies, 1975. , S. 257f

[18] vgl. Scheibert, Peter: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918 - 1922. Weinheim 1984, S. 134.

[19] nach sowjetische Quellen, Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., Harmondsworth 1972, S. 108.

[20] zitiert nach Scheibert, Peter: Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918 - 1922. Weinheim 1984, S.157.

[21] Sowjetisches Wirtschaftsmagazin von 1928, zitiert nach Carr, E.H. and Davies, R.W.: A History of Soviet Russia. Vol. 9 + 10: Foundations of a Planned Economy (1926-1929) London 1. Ed. 1969, S. 46.

[22] Geschichte der KPdSU. Kurzer Lehrgang, S. 356 ff.

[23] Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., Harmondsworth 1972, S. 201.

[24] Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., Harmondsworth 1972, S. 202.

[25] E. Preobrazenskij: Die neue Ökonomik. Übersetzung der zweiten russischen Ausgabe von 1926. Berlin 1971, S. 74.

[26] Zu seiner Ehre wäre noch anzumerken, dass er in den Kerkern der politischen Polizei beharrlich ein Schuldeingeständnis verweigerte und sich nicht wie Bucharin und andere ehemalige Revolutionäre in einem politischen Schauprozess zur Legitimierung des Stalin-Regimes missbrauchen ließ.

[27] Carr, E.H. and Davies, R.W.: A History of Soviet Russia. Vol. 9 + 10: Foundations of a Planned Economy (1926-1929) London 1. Ed. 1969, , S. 69

[28] Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986. S. 193.

[29] Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S.196

[30] abgedruckt in: Bucharin, Nikolaj I./Preobraschenskij Jewgenij A.: Das ABC des Kommunismus. Nachdruck der deutschsprachigen Ausgabe Wien 1920. Zürich o. J. S. 583.

[31] zit. nach Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986. S. 123

[32] Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S. 117.

[33] Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S. 125.

[34] Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S. 126.

[35] „Solcher Mühe bedurfte es, ... den Scheidungsprozess zwischen Arbeitern und Arbeitsbedingungen zu vollziehen, auf dem einen Pol die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmittel in Kapital zu verwandeln, auf dem Gegenpol die Volksmasse in Lohnarbeiter, in freie ‚arbeitende Arme‘... Wenn das Geld, nach Augier, ‚mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt‘ (Marie Augier: Du Crédit Public, Paris 1842), so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend.“ Karl Marx, Das Kapital I. MEW 23, 787f.

O-Text: http://www.marx-forum.de/geschichte/sowjetunion/10.html
 
OP
G

Gelöschtes Mitglied 2265

Wo beginnen die eigenen Gedanken ?

Mit dem historischen Überblick sind jetzt die Fakten und Zahlen auf dem Tisch. Die mitgelieferte Bewertung entspricht haargenau meiner Einschätzung.

Ich werde einiges ergänzen, bin aber sofort auch bereit zur Diskussion, lieber conscience.
 

conscience

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Scheinbar nicht allen, denn conscience hatte ausdrücklich darum gebeten.

Danke für das copy&paste.

Ich glaube nicht, dass Du dir damit ein Gefallen getan hast. Dieser Schrieb hat allenfalls das Niveau eines Grundkurs Geschichte auf dem Gymnasium.

Ich fasse mal die Wertung des Autors zusammen:

Die Zwangskollektivierung organisierte nun die Landwirtschaft nach dem Vorbild der staatlichen Fabriken. Das Ziel Lenins, aus der ganzen Gesellschaft eine einzige Fabrik zu machen, war erreicht. Die Gesellschaftsmitglieder wurden mehr oder minder alle gleichermaßen zu Knechten gemacht, nicht die Gesellschaft von Knechtschaft befreit.

Verlief in der Frühgeschichte des Kapitalismus die Enteignung der Bauern über viele Jahre schleichend und über ökonomische Mittel ohne direktes Eingreifen des Staates, so wurde diese unumgängliche Begleiterscheinung der Industrialisierung in der Sowjetunion in kurzer Zeit und unter staatlicher Gewaltanwendung durchgeführt. Nur der ökonomische Erfolg hätte dieses brutale Vorgehen nachträglich rechtfertigen können – wie der ökonomische Erfolg des Kapitalismus seine eigene blutige Vorgeschichte historisch rechtfertigt.

Und dann wird aus marxistischer Sicht die gesamte Landwirtschaftspolitik der UdSSR der Verdammung preisgegeben, wenn man liest:
Anstatt dass sich aber sowjetische Industrie und Landwirtschaft aufeinander zu entwickelten, wie es von Marx und Engels empfohlen und prognostiziert worden ist, entwickelten sie sich in der Sowjetunion auseinander und die sowjetische Landwirtschaft wurde dadurch immer mehr zum wirtschaftlichen Bleigewicht.

Interessant ist auch noch die letzte Anmerkung:
Solcher Mühe bedurfte es, ... den Scheidungsprozess zwischen Arbeitern und Arbeitsbedingungen zu vollziehen, auf dem einen Pol die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmittel in Kapital zu verwandeln, auf dem Gegenpol die Volksmasse in Lohnarbeiter, in freie ‚arbeitende Arme‘... Wenn das Geld, nach Augier, ‚mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt‘ (Marie Augier: Du Crédit Public, Paris 1842), so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend.“ Karl Marx, Das Kapital I. MEW 23, 787f.



Hätte mal Stalin auf Marx und Engels gehört


Das ist ein klassisches Eigentor.
 

conscience

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Ist dir aufgefallen, dass in deinem Schrieb von den 30er Jahren nicht die Rede ist ?
 

conscience

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Ist dir aufgefallen, dass in deinem Schrieb von den 30er Jahren nicht die Rede ist ?

Der Bauer ist der Verlierer der Oktoberrevolution:
Die sowjetischen Bauern hatten durch die Revolution erst Land und Selbständigkeit gewonnen, und verloren jetzt beides. Sie wurden in Kolchosen und Sowchosen als Leibeigene des Staates gehalten.

Die Recolution könnte den sowjetischen Arbeiter nicht befreien:
Die sowjetischen Arbeiter hatten nur die Gestalt ihrer Unmündigkeit gewechselt: Waren sie vor der Revolution dem Profitwillen kapitalistischer Unternehmer unterworfen, so wurden sie nach der Revolution von sowjetischen Planbürokraten bevormundet.
 
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Gelöschtes Mitglied 2265

Dieser Schrieb hat allenfalls das Niveau eines Grundkurs Geschichte auf dem Gymnasium.
Oh, hätte nicht gedacht, dass heutige Gymnasien derart gute Grundkurse in Geschichte anbieten.


Ich fasse mal die Wertung des Autors zusammen:
Der gesamte Text ist schon eine Zusammenfassung mit marxistischer Wertung. Dafür brauchts Dich nicht mehr.
Aber es braucht Deine Einsicht, dass wirtschaftliche Fehlstrategien und Gewalt gegen die Bauernschaft keine ethnischen Säuberungen sind, wie Du es im Stalin-Thread behauptet hast.


Hätte mal Stalin auf Marx und Engels gehört
Voll und ganz Deiner Meinung. Ökonomische Gesetze verletzt man nicht ungestraft.
 

conscience

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Ich habe von der Ukraine 1932/3 gesprochen

Ich habe nie behauptet dass das ethische Säuberungen gewesen sind.

Bitte exakte Quelle und Beleg angeben!



Allerdings gibt bei den Säuberungen der 30er des 20.Jh. sehr wohl ein ethnische Komponente, m.W. ein paar Jahre später.
 
OP
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Gelöschtes Mitglied 2265

Der Bauer ist der Verlierer der Oktoberrevolution:
Die Recolution könnte den sowjetischen Arbeiter nicht befreien:

Trotzdem haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt im Vergleich zur Feudalgesellschaft geändert. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man leibeigener Knecht ist, oder die Freiheiten der Schule bis zum Studium genießen kann. Oder als Arbeiter den zunehmenden sozialen Wohlstand genießen kann. Im Zarenreich war die Mehrheit über Jahrhunderte auf gleichem Niveau brutal verelendet. Innerhalb von ein paar Jahrzehnten wuchs trotz grausamen und zerstörerischen Krieges und kostenintensiven Kalten Krieges ein Land der Hoffnung und erster bürgerlicher Freiheiten und Wohlstands für alle. Weil die Ergebnisse des Erwirtschafteten der Gesellschaft zugute kamen.
Dass die Herrscher-Struktur nicht befriedigend für die Masse war und die ökonomischen Fehler zu wirtschaftlichen Krisen bis zum Kollaps führten, erklärt sich aus der Missachtung marxistischer Erkenntnisse. Unberührt davon ist die immerwährende moralische Berechtigung zur Bekämpfung und Beseitigung der feudalen und frühkapitalistischen Verhältnisse.
 

conscience

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Trotzdem haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt im Vergleich zur Feudalgesellschaft geändert. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man leibeigener Knecht ist, oder die Freiheiten der Schule bis zum Studium genießen kann. Oder als Arbeiter den zunehmenden sozialen Wohlstand genießen kann. Im Zarenreich war die Mehrheit über Jahrhunderte auf gleichem Niveau brutal verelendet. Innerhalb von ein paar Jahrzehnten wuchs trotz grausamen und zerstörerischen Krieges und kostenintensiven Kalten Krieges ein Land der Hoffnung und erster bürgerlicher Freiheiten und Wohlstands für alle. Weil die Ergebnisse des Erwirtschafteten der Gesellschaft zugute kamen.
Dass die Herrscher-Struktur nicht befriedigend für die Masse war und die ökonomischen Fehler zu wirtschaftlichen Krisen bis zum Kollaps führten, erklärt sich aus der Missachtung marxistischer Erkenntnisse. Unberührt davon ist die immerwährende moralische Berechtigung zur Bekämpfung und Beseitigung der feudalen und frühkapitalistischen Verhältnisse.


Siehe dazu meine Zitate in #-12

Wenn Du so abstrakt denkst landest du unweigerlich bei Leo Trotzki, der im Exil sitzend, Stalin verdammte und an dem Sowjetstaat als Staat neuen Typus festhielt.
 
OP
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Gelöschtes Mitglied 2265

Wenn Du so abstrakt denkst landest du unweigerlich bei Leo Trotzki, der im Exil sitzend, Stalin verdammte und an dem Sowjetstaat als Staat neuen Typus festhielt.
Die Hinweise zur Verbesserung der Produktions- und Lebensverhältnisse waren konkret und nicht abstrakt.
Bei Trotzki scheinst Du auch einiges zu verwechseln. Der kritisierte gerade die bürokratische vollmächtige Staatsausformung gegen die ursprüngliche Räte-Idee und -etablierung. Wo ich mich positioniere oder "lande", tut hier nichts zur Sache.
 

conscience

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Ich verwechsle durchaus nichts, aber ich habe keine Lust mit einen Roten Jesuiten zu diskutieren.
 
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